Wissenswertes zum Thema Wasserstoff und Brennstoffzellen

1 Einleitung: Rettet Wasserstoff das Klima?
Wsserstoffgewinnung 1

Teil 15 | Fazit und Ausblick

Die Entwicklung der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik hat lange gedauert. Es gab mehrere Hypes und viel Hin und Her. Es gab Ende des vergangenen Jahrhunderts Prognosen, die aus heutiger Sicht naiv und allzu zuversichtlich wirken, viele davon aus der Autoindustrie. DaimlerChrysler hatte einst daran geglaubt, dass im Jahr 2020 schon zehn bis zwanzig Prozent der Fahrzeuge mit Wasserstoff fahren würden, BMW sprach sogar von 50 Prozent.

In anderen Phasen warfen vernichtende Urteile die Entwicklung weit zurück. Das Umweltbundesamt erklärte 1996, der Einsatz von Wasserstoff im Verkehr sei nicht sinnvoll. Bis zur Jahrtausendwende war die Bundesregierung noch der Meinung, dass sich die Mehrzahl der deutschen Unternehmen wegen mangelnder Marktperspektiven aus der Entwicklung von Wasserstofftechniken zurückziehen würde. Es gab Zeiten, da schien es, als würde sie Recht behalten. Zwischenzeitlich wurde die Brennstoffzellentechnik sogar für tot erklärt.

Seit 2012 unterstützt das Bundesumweltministerium Wasserstoff als Zukunftstechnologie. Mitte der Zehnerjahre legte die Bundesregierung die zweite Phase des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) auf. Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) im Sommer 2020 kann man sagen: Der Durchbruch ist geschafft.

Deutschland und die Europäische Union haben mittlerweile erkannt, welche Chancen der Energieträger Wasserstoff für die Energiewende, den Klimaschutz und – nicht zuletzt – auch für Industrie und Wirtschaft bietet. Fünf Bundesministerien haben gemeinsam mit Industrie und Forschung in der NWS festgelegt, wie diese Chancen genutzt werden sollen.

Insgesamt hat die Wasserstofftechnologie in den letzten Jahren rasante Fortschritte gemacht. Komponenten sind kleiner, leichter, langlebiger und günstiger geworden. Brennstoffzellen bewegen sich aus der Nische heraus. In Instituten und Unternehmen wird mit Hochdruck an Speichertechnologien, Transportkonzepten und neuen Elektrolyseuren getüftelt. Das ist nicht verwunderlich. Kein Förderprogramm und kein Imagegewinn beflügelt die Entwicklung schließlich derart wie die Aussicht auf einen realen Gewinn. Und auch der Handlungsdruck, die Rettung eines stabilen Klimas betreffend, ist inzwischen so groß wie nie zuvor. Jetzt oder nie, ist nun die Devise.

Seit 2020 kristallisiert sich die künftige Rolle des Wasserstoffs immer mehr heraus. Die Elektrifizierung des Mobilitäts- und Wärmemarkts wird eine große Rolle in der Energiewende spielen, aber dennoch wird die Welt nicht „all electric“ werden. Wasserstoff ist den Batterien dort überlegen, wo große Energiemengen für lange Distanzen oder große Fahrzeuge benötigt werden: bei Bussen und Baumaschinen, bei Lkw und Zügen (ohne Oberleitungen), in der Luftfahrt und im Schiffsverkehr. Auch für die Dekarbonisierung von stofflichen Industrieprozessen wird Wasserstoff gebraucht, zum Beispiel bei der Stahl- und Zementherstellung. Die NWS gibt der Energiewirtschaft in Deutschland Planungssicherheit. Auch global sind die Energiewende und mit ihr das Erstarken der Wasserstoffwirtschaft inzwischen unumkehrbar.

Doch das Rennen um die beste Position in dem neuen Markt ist noch lange nicht gelaufen. Die Europäische Union hat bereits ihre Beihilferegelungen angepasst, um ihre künftige Zukunftsindustrie kräftig anschieben zu können. Sowohl Deutschland als auch die EU rechnen sich gute Chancen aus, eine führende Position in einer künftigen Wasserstoffwirtschaft einzunehmen. Dabei sind sie weder die Einzigen noch die Ersten. Die öffentlichkeitswirksame Inszenierung der japanischen Errungenschaften scheiterte zuletzt nicht an der Technologie, sondern daran, dass coronabedingt die olympischen Spiele in Tokyo verschoben wurden.

Die plötzliche Wasserstoffeuphorie in Deutschland löst allerdings auch gemischte Gefühle aus. Zusammen mit der Technologie hat sich nämlich auch die Branche weiterentwickelt. Wo vorher über Jahrzehnte Visionäre – oft ehrenamtlich – Strukturen und Netzwerke aufgebaut haben, übernimmt jetzt die Industrie. Die Solarbranche hat bereits 2010 eine vergleichbare Entwicklung durchgemacht. Jetzt erfährt auch die Wasserstoffwelt zugleich einen Schub und eine grundsätzliche Veränderung. Nicht selten wollen jetzt ausgerechnet solche Akteure mitmischen, die in der Vergangenheit den Wasserstoff eher stiefmütterlich behandelt haben. Ein Vorstandsmitglied eines Braunkohleunternehmens äußerte zum Beispiel die Hoffnung, auf Wasserstoff umsatteln zu können (Wasserstoff ist die Kohle von morgen). Andere spekulieren, Deutschland könne ein Leitmarkt für Wasserstoff werden, so wie es die USA über 50 Jahre im Öl- und Gasbereich waren.

Wasserstoff hat in der Tat die verführerische Eigenschaft, sich mit vielen konventionellen Technologien kombinieren zu lassen. Das zeigt sich besonders an der anvisierten Rolle von synthetischen Kraftstoffen, die aus Wasserstoff und CO2 erzeugt werden können. Für manche sind sie Heilsbringer, für andere der Inbegriff des Greenwashings. Indem sie immerhin sauberer verbrennen als Benzin oder Diesel und das CO2 im Kreis geführt wird, könnten sie eine Übergangstechnologie ins postfossile Zeitalter sein – so das beste Szenario.

Das Risiko ist, dass sie genau diesen angepeilten Übergang länger hinauszögern, als es sich die Menschheit klima- und industriepolitisch erlauben kann. Es ist leicht, der süßen Illusion zu erliegen, alles wandele sich zum Besseren, während Großkonzerne aus der Mineralöl- und Automobilwirtschaft letztlich weiter Business as usual betreiben und die Zahl der Autos sowie der Energieverbrauch ständig weiter wachsen. Und es wäre naiv zu glauben, Konzerne würden nicht genau das versuchen.

Auch für die Herkunft des Wasserstoffs stellt sich die Streitfrage: Darf er „übergangsweise“ aus fossilen Quellen stammen – womöglich in Kombination mit der Abscheidung und Sequestrierung von CO2? Oder aus mit fossilen Energiequellen gespeisten Elektrolyseanlagen?

Jede Antwort auf diese Frage birgt ihre eigenen Chancen und Risiken. Viele Industriebetriebe – wie zum Beispiel Stahlwerke – investieren in den nächsten Jahren in neue Anlagen und müssen sich entscheiden, ob sie bisher kohlenstoffbasierte Prozesse auf Wasserstoff umstellen. Übergangslösungen für die Herkunft des Wasserstoffs können hier also den technischen Fortschritt in der Industrie beschleunigen. Die Alternative heißt, erst dann die Wasserstoffwirtschaft aufzubauen, wenn wir genügend Wind- und Solarstrom dafür haben. Doch das kann dauern. Die Ökostrombranche kennt das Spiel des „aufeinander Wartens“ bereits. Auch der Ausbau von Windstrom wurde ausgebremst, weil angeblich die Stromleitungen fehlten, um ihn aufzunehmen. Nun stehen nach und nach die Leitungen zur Verfügung, doch die Windenergie wird weiter ausgebremst. Man kann dieses Stop-and-go-Spiel ewig betreiben. Wenn wir also mit dem Aufbau von Elektrolysekapazitäten darauf warten, dass diese allein mit Ökostrom betrieben werden, werden sie womöglich nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen, um ihre Funktion in der Energiewende zu erfüllen.

In gewissem Maße wird es wohl noch eine Zeit lang ein Sowohl-als-auch von Übergangslösungen und echten Innovationen geben. Wasserstoff, dessen Farbe nicht immer klar erkennbar sein dürfte, wird importiert und in SUVs verbrannt werden, während zugleich eine grüne Wasserstoffwirtschaft entsteht, die ausschließlich zusätzlich verfügbaren Windstrom nutzt.

Was wir jetzt brauchen, ist das klare Ziel der Klimaneutralität. Jeder Pfad, den wir einschlagen, muss schnellstmöglich zu diesem Ziel führen. Wer heute auf eine „Übergangslösung“ setzt, muss darstellen können, was seine nächsten Schritte sein werden. Sonst wird aus dem Übergang schnell ein verpasster Absprung. Das gilt umso mehr, wenn der sogenannte Übergang noch gar nicht am Markt zur Verfügung steht, wie es bei CCS der Fall ist.

Wenn Deutschland Industriepolitik für die Zukunft machen will, werden wir uns von einem Weiter-so verabschieden und uns daran ausrichten müssen, was voraussichtlich 2030 oder 2040 gefragt ist. Nicht nur die Autoindustrie hat in Deutschland viel zu lange am Verbrennungsmotor festgehalten, auch die Bundesregierung ließ sich selbst im Jahr 2020 nur unter massivem Druck davon abbringen, Verbrennungsmotoren erneut mit einer Prämie zu fördern. In der Elektromobilität sind China und die USA längst am Autoland Deutschland vorbeigezogen. Bei den Personenwagen hat Tesla die gesamte Automobilwelt vorgeführt. Jetzt steht Nikola, das nächste US-amerikanische Start-up, bereit, dasselbe im Lkw-Sektor zu tun. Und was fällt den Deutschen dazu ein? Die Ankündigung, erst Ende dieses Jahrzehnts den Lkw-Bereich elektrifizieren zu wollen und eigene H2-Busse frühestens 2022 anzubieten. Wer ein Rennen gewinnen will, muss schneller sein – ganz egal, ob er gegen andere Unternehmen auf dem Weltmarkt oder gegen den Klimawandel antritt.

Manchmal sind es aber auch die Argumente pro Wasserstoff der konventionellen Industrien, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit aufkommen lassen. Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) wies in einer Studie darauf hin, dass Brennstoffzellen mehr Teile benötigen als Batterien. Somit sei in Deutschland mit Brennstoffzellentechnik ein größerer Mehrwert zu erzielen als mit Akkumulatoren, die Brennstoffzelle also gegenüber dem Akku volkswirtschaftlich überlegen – zumal dieser meist aus Asien kommt. Lokale Wertschöpfung, Steuereinnahmen und gute Arbeitsplätze sind sicher zu begrüßen. Als Kriterium für eine Zukunftstechnologie taugen sie aber nicht. Wer der Brennstoffzellentechnik das Wort redet, um dadurch länger mit konventioneller Technik Geschäfte machen zu können, der hat nicht verstanden, wie zwingend notwendig eine sofortige Energiewende ist. Wenn das Hauptargument für die Brennstoffzelle ist, dass sie dem Verbrennungsmotor ähnlicher ist als ein Batterieantrieb, dass sie also komplizierter ist als ein Akkumulator, dann sollten wir uns ganz schnell von Brennstoffzellen verabschieden.

Zum Glück hat die Brennstoffzelle viele andere handfeste Vorteile und auch in einer ganz neuen Energiewelt einen festen Platz. Und zum Glück geht es nicht allen immer nur um Gewinnmaximierung.

Wir können aus den Fehlern der Vergangenheit lernen. Die Chance auf einen grundlegenden Wandel ist einzigartig. Das ist mehr als eine Redewendung, denn wenn man die schnellen Klimaveränderungen betrachtet, ist es unwahrscheinlich, dass es eine zweite Chance geben wird. Doch es ist noch nicht zu spät. Noch können wir die Erderwärmung so weit abbremsen, dass unser Planet lebenswert bleibt.

Sogar für die Wirtschaft gibt es gute Nachrichten: Auch die deutsche Industrie hat in der Wasserstofftechnologie eine reelle Chance auf eine gute Position. Dafür muss die neue Begeisterung für das wiederentdeckte Wundermittel Wasserstoff aber von Dauer sein, auch wenn die Milliardenzuschüsse verbraucht sind. Die Wasserstofftechnologie muss außerdem mit einem mindestens ebenso massiven Ausbau der erneuerbaren Energien einhergehen. Und auch der Energieverbrauch muss sinken. Wie wir gelernt haben, reicht Effizienz dafür nicht – auch über Suffizienz müssen wir reden, also die Frage, ob wir nicht längst mehr haben, als wir zum Leben brauchen.

Vor uns liegt kein Sprint, sondern ein Langstreckentriathlon. Doch es ist möglich, dass wir wieder zu dem Klimaschutzvorreiter werden, für den sich viele von uns immer noch halten.

Ich bin davon überzeugt, mein Freund, dass Wasser einmal als Brennstoff Verwendung finden wird, dass Wasserstoff und Sauerstoff, seine Bestandteile, zur unerschöpflichen und ganz ungeahnten Quelle von Wärme und Licht werden.

Ingenieur Cyrus Smith in „Die geheimnisvolle Insel“ von Jules Verne

 

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