Größter Wandel in der Geschichte der Zementindustrie

Größter Wandel in der Geschichte der Zementindustrie

Interview mit Erkam Kocakerim, CEO von Limak Cement Global

Die Limak Cement Group hat gemeinsam mit Air Liquide in Ankara erfolgreich die erste Wasserstoffmischversorgung für die Zementproduktion getestet. HZwei hat darüber mit Erkam Kocakerim, dem CEO von Limak Cement Global, gesprochen.

HZwei: Können Sie bitte zunächst einmal unserer Leserschaft Ihr Unternehmen mit ein paar Worten vorstellen?

Kocakerim: Limak Cement gehört mit einer Produktionskapazität von 18 Millionen Tonnen Zement in seinen elf Zementwerken in der Türkei, der Elfenbeinküste und Mosambik zu den Top 50 der weltweiten Zementindustrie. Darüber hinaus exportieren wir in 15 Länder auf vier Kontinenten. Wir betreiben 30 RMC-Anlagen und mehrere Abfall- und Brennstoffaufbereitungsanlagen. In unserem Heimatland Türkei sind wir das zweitgrößte Unternehmen.

Während unsere Werke und Anlagen in der ganzen Türkei für eine starke Marktpräsenz sorgen, sind unsere besonderen Strukturen – das F&E- und Innovationszentrum, das Exzellenzzentrum, das Zentrum für Klimawandel und die Limak Zement-Akademie – der Reichtum unseres intellektuellen Kapitals und starke Katalysatoren für den Wandel. Sie sind auch die stärksten Motoren für die Ausbildung der Arbeitskräfte von heute. Limak Cement gehört heute zu den weltweiten Vorreitern bei der Umwandlung eines riesigen Zement-, Beton- und Baustoffkonzerns in ein hervorragendes Industrie- und Technologieunternehmen.

Sie haben mitgeteilt, dass Sie den Einsatz alternativer Brennstoffe mit hohem biogenem Anteil und erneuerbaren Energien bis 2030 erhöhen wollen. Können Sie das noch etwas konkretisieren?

Da fast 40 Prozent der gesamten CO2-Emissionen aus der Verbrennung stammen, muss unsere Industrie fossile Brennstoffe durch alternative Brennstoffe ersetzen, die aus einer Vielzahl von Abfallströmen gewonnen werden. Heute liegt der Anteil von alternativen Kraftstoffen im Zementsektor weltweit und in der Türkei bei nur 10 bis 15 Prozent. Der EU-Durchschnitt liegt bei 53 Prozent. Limak Cement verwendet in seinen Werken, die auf alternative Kraftstoffe umgestellt haben, zwischen 30 und 50 Prozent dieser Kraftstoffe.

Bis 2026 werden alle unsere Werke auf Alternative Fuels (AF) umgestellt haben, und wir streben eine Angleichung an den EU-Durchschnitt an, indem wir unseren Konzerndurchschnitt bis 2030 auf 60 Prozent und unseren maximalen Einsatz auf Werksebene auf 70 Prozent anheben, mit dem Ziel, ab diesem Jahr den EU-Durchschnitt zu übertreffen. Bei der Erhöhung der AF-Nutzungsrate spielen die Politik und die Gesetzgebung in dem Ökosystem, in dem sich die Fabriken befinden, sowie F&E und Technologie eine wichtige Rolle. Es gibt Pläne zur Sicherstellung einer ausreichenden Versorgung mit alternativen Brennstoffen mit einem Bioabfallanteil von mindestens 50 Prozent. In vielen Ländern außerhalb der EU, darunter auch in der Türkei, gibt es jedoch noch keine entsprechenden politischen Rahmenbedingungen, die in den nächsten Jahren geschaffen werden sollen.

Limak Cement sieht jedoch den Einsatz von grünem Wasserstoff als einen der wichtigsten Hebel, um den Einsatz von alternativen Kraftstoffen zu maximieren. Wasserstoff ist aufgrund seines hohen Heizwertes und seiner Zündeigenschaften der Schlüssel zur Erreichung einer hohen thermischen Substitutionsrate.

HZwei: Um praktische Erfahrungen zu sammeln, haben Sie sich vergangenes Jahr (2024) mit dem Gaseunternehmen Air Liquide zusammengetan. Warum haben Sie Air Liquide als Projektpartner gewählt?

Ende 2022 begann Limak Cement mit der Planung von Studien zur Verwendung von grünem Wasserstoff in seinen Öfen, wenn auch in geringen Mengen, mit dem Ziel, die AF-Rate zu erhöhen. Im Rahmen des ökosystembasierten Wachstums benötigten wir einen Liefer- und Technologiepartner für die Bereitstellung, den Transport, die Nutzungssicherheit und die Anwendung von Wasserstoff. Diese Möglichkeit haben wir mit einem globalen, starken Partner wie Air Liquide gefunden. Nach Abschluss der Projektstudien im Juni 2024 führte Limak Cement Versuche mit der Wasserstoffverbrennung durch, mit dem Ziel, Fachwissen zur Optimierung der Wasserstoffverbrennung zu entwickeln und die optimale Zuführungsrate zu bestimmen, die erforderlich ist, um den Einsatz von alternativen Brennstoffen mit hohem biogenem Anteil zu erhöhen.

Limak Cement sieht seine dreifache Transformationsreise nicht nur als seine eigene Reise, sondern auch als eine Entwicklungsreise des Ökosystems; Wasserstoff ist genauso ein Thema. Wir sind äußerst interessiert an allen Gliedern der Stakeholder-Kette, von der Technologie bis zur rechtlichen Infrastruktur, vom Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bis zur Wirtschaft, und wir sind einer der Pioniere des Ökosystems.

Air Liquide ist unser globaler Stakeholder, mit dem wir eine gemeinsame Vision teilen. Diese gemeinsame Vision ist der wichtigste Faktor, der zu dieser Einigkeit beiträgt. Das Ziel der ersten Projektphase war die sichere Verwendung von grünem Wasserstoff in Zementdrehrohröfen, seine Logistik zu unseren Werken, seine positive Auswirkung auf den prozentualen Anteil des AF-Einsatzes und die Beobachtung der Qualität der Halbfertigprodukte.


Inbetriebnahme der ersten türkischen H2-Demonstrationsanlage

Wie ist die erste Zwischenbilanz dieser Zusammenarbeit?

Unsere Versuche haben gezeigt, dass wir den Kalzinator der Klinkerproduktionslinie thermisch zu 100 Prozent durch eine Mischung aus alternativen Brennstoffen mit hohem biogenem Anteil und Wasserstoff ersetzen können. Es ist uns gelungen, den Einsatz von alternativen Kraftstoffen in der Region um bis zu 20 Prozent zu steigern und gleichzeitig drei Prozent Wasserstoff zu substituieren. Dabei haben wir festgestellt, dass wir in unseren mittelgroßen Zementwerken jährlich 180.000 Tonnen Kohlendioxidemissionen einsparen können.

Wollen Sie Ihre Bemühungen in diese Richtung weiterführen? Falls ja, in welcher Art?

Unsere Pläne für Phase 2 und Phase 3 der industriellen Erprobung sind für die nächsten sechs Monate fertig. Im Anschluss an die erste Phase, in der wir den Kalzinator im Drehrohrofen erfolgreich getestet haben, planen wir Studien der Phasen 2 und 3, in denen sowohl der Kalzinator als auch der Hauptbrenner mit sauerstoffangereicherter Verbrennung gleichzeitig getestet werden. Wir glauben, dass nach diesen Phasen die Ergebnisse für uns und den gesamten Sektor richtungsweisend sein werden. Infolgedessen arbeiten wir daran, in allen unseren Anlagen einen mit Wasserstoff gemischten alternativen Brennstoff mit hohem biogenem Anteil zu verwenden. Auf diese Weise werden wir unsere Dekarbonisierungsziele erreichen. Wenn wir in allen unseren Anlagen den gleichen Brennstoffmix verwenden, kann die jährliche CO2-Einsparung bis zu 700.000 Tonnen CO2 betragen.

Ist es richtig, dass Sie für die H2-Produktion mehrere Elektrolyseure an verschiedenen Standorten installieren möchten?

Während die Akquisitionen für den Transport und die Nutzung von grünem Wasserstoff in flüssiger und gasförmiger Form rasch voranschreiten, bleiben unsere Pläne für die Produktion von Elektrolyseuren vor Ort unverändert. Einerseits wollen wir die Betriebskosten für Wasserstoff senken, andererseits werden neue nationale und globale politische Trends wie CBAM und ETS [Carbon Border Adjustment Mechanism und Emissions Trading System; Anm. d. Red.] zu verstärkten Anreizen für den Einsatz kohlenstoffarmer Brennstoffe führen. Aus diesem Grund haben wir eine Roadmap entwickelt, um diese Initiativen, die wir in kleinem Maßstab begonnen haben, parallel zur Entwicklung von Vorschriften und Anreizen auszuweiten. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Themas ist die Planung der Arbeitskräfte und der erforderlichen Kompetenzen in Verbindung mit fortschrittlichen Technologien.

Was sind Ihre mittel- beziehungsweise langfristigen Ziele?

Unser mittelfristiges Ziel ist es, unsere Pionierrolle zu erfüllen und die nachhaltige Nutzung von Wasserstofftechnologien in unserem globalen Sektor zu demonstrieren. Ein weiteres mittelfristiges Ziel ist die Durchführung von Aktivitäten, die die für Wasserstoff notwendige Stakeholder-Kette in unserem Ökosystem aktivieren.

Unser langfristiges Ziel ist es, ein Niveau an Expertise und Tiefe zu erreichen, das es uns ermöglicht, bahnbrechende Technologien für kohlenstoffarme Brennstoffe in der Industrie zu entwickeln, die über die Zementperspektive von Limak Cement hinausgehen.

Können Sie sich vorstellen, auch in Deutschland solch eine Technik einzusetzen?

Die Dekarbonisierung erfordert einen maßgeschneiderten Ansatz. Ressourcen, Technologie, Gesetzgebung und eine anlagenspezifische Analyse der Prioritäten sind erforderlich. Die deutschen Zementhersteller sind weltweit Vorreiter und in der Lage, kohlenstoffneutrale Brennstoffmischungen auf Wasserstoffbasis zu entwickeln. Darüber hinaus sind die Gesetzgebung, die alternativen Kraftstoffe und das H2-Ökosystem wesentlich reifer und für den Aufbau dieser Struktur geeignet.

Halten Sie es tatsächlich für möglich, dass die europäische und damit auch die türkische Zementindustrie bis 2050 CO2-frei wird?

Der Zementsektor erlebt derzeit den größten Wandel in seiner Geschichte. Dieser Wandel erfordert die Kunst der Technologie und gesetzliche Regelungen. Das Schwierigste daran ist, dass alle Beteiligten gemeinsam daran arbeiten müssen. Ab 2025 ist das Netto-Null-Ziel in der Branche immer noch möglich. Ich glaube, dass der globale Zementsektor die Kohlenstoffneutralität schon früher erreichen kann. Ich halte es für möglich, dass der Zementsektor in den Industrieländern bis 2040 kohlenstoffneutral wird. Das größte Hindernis sind die Verzögerungen und Unsicherheiten bei den politischen Veränderungen, die den grünen Wandel auslösen und unterstützen werden.

Im Zementsektor gibt es eine enorme Umweltprämie. Die Auswirkungen möglicher Erhöhungen der Zementkosten aufgrund der Dekarbonisierung auf den Bausektor sind äußerst begrenzt, da der Anteil von Zement an den gesamten Baukosten zwischen fünf und zehn Prozent liegt. Ich denke, dass dies ein Sektor ist, in dem die politischen Entscheidungsträger diese wissenschaftlich fundierten Daten mutiger unterstützen sollten.

Interview: Sven Geitmann

 

 

H2Tanktainer zur Schiffsbetankung

H2Tanktainer zur Schiffsbetankung

RH2INE – Aufbau eines wasserstoffbetriebenen Binnenschiffnetzes

Wer im internationalen Schiffsverkehr unterwegs ist, weiß: Ohne den richtigen Kurs zu setzen und zu halten, sind Ziele kaum erreichbar. Diese Erkenntnis treibt auch Binnenschifffahrtsakteure diesseits und jenseits der deutsch-holländischen Grenze an und motiviert sie, das Ziel der Klimaneutralität aktiv und entschlossen voranzutreiben. Bei dieser komplexen Herausforderung unterstützt sie die länderübergreifende Initiative RH₂INE (Rhine Hydrogen Integration Network of Excellence). Zu den ersten Etappenzielen gehört der Aufbau einer schnellen und unkomplizierten Lösung zur Betankung der Binnenschiffe mit Wasserstoff.

RH₂INE startete 2019 auf Initiative der Provinz Zuid-Holland (PZH) und des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums und wird seit 2021 auf deutscher Seite durch die Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate koordiniert. Das Ziel der beiden Rhein-Regionen: eine nachhaltige Alternative zu fossilen Brennstoffen für den Gütertransport auf dem Rhein zu schaffen. Schnell waren sich alle Beteiligten einig, dass auf schnell fließenden Wasserwegen wie dem Rhein einzig und allein Wasserstoff als zukunftsfähiger Energieträger für Binnenschiffe infrage kommt.

Mittlerweile hat sich RH₂INE zu einem internationalen Netzwerk aus öffentlichen und privaten Akteuren entwickelt. Ausgehend vom Nukleus entlang des Rheins wollen die Partner gemeinsam bis 2030 einen emissionsfreien Nordsee-Rhein-Mittelmeer-Korridor schaffen. Voraussetzung dafür sind geeignete Rahmenbedingungen und Infrastrukturen für den Einsatz von Wasserstoff in der Binnentransportkette.

Schlauchbetankung keine Lösung

„Ein Schiff muss bei einem Bunkervorgang, also der Energieaufnahme, mindestens zwei Tonnen Wasserstoff tanken. Mit einem Schlauch würde das zwölf Stunden oder länger dauern, und in dieser Zeit könnte aus Sicherheitsgründen nicht geladen oder gelöscht werden”, erläuterte Robert Graf-Potthoff, technischer Inspektor beim globalen Logistikdienstleister Rhenus Schiffsmanagement, kürzlich im RH2INE magazine.

H2-Betankung als zentrale Herausforderung Eine der wesentlichen Herausforderungen besteht darin, die Schiffe mit Wasserstoff zu betanken. Für die Schiffsbetreiber war deshalb von Anfang an klar: Der Wasserstoff muss in Wechselbehältern aufs Binnenschiff kommen. Denn der Austausch leerer gegen volle Tanks dauert im Hafen nur etwa dreißig Minuten und unterbricht dabei nicht die parallel stattfindenden Abläufe an Bord.

Eine Lösung fand sich in einem standardisierten Wechselbehälter für Wasserstoff – einem sogenannten Multiple-Element Gas Container (MEGC), auch „TankTainer“ genannt. Verschiedene Akteure wie Air Liquide oder Argo Anleg entwickeln verschiedene Formate für die unterschiedlichen Schiffstypen.

Standardisierung der Energieversorgung Bisher waren TankTainer nur als individuelle Komponente für ein einzelnes Schiff zulassungsfähig. Das machte ein Pooling unmöglich. Denn jedes Schiff bräuchte – unter immensen Investitionskosten – jeweils drei TankTainer-Sätze, um den kontinuierlichen Tankprozess zu gewährleisten.

Um Abhilfe zu schaffen, treiben verschiedene europäische Regierungsbehörden zusammen die Standardisierung dieser Technologie voran. Ihr Ziel: Die TankTainer sollen nicht nur europaweiter Standard für die Binnenschifffahrt werden, sondern auch für weitere Zwecke als Energiespeicher nutzbar sein. Dazu fassen sie die technischen Vorgaben bewusst breit. Schützenhilfe erhalten sie von RH₂INE-Partnern wie dem Port of Rotterdam, Air Liquide oder Argo Anleg. Mit einer Veröffentlichung des Standards ist im ersten Halbjahr 2025 zu rechnen.

Standardisierung der H2TankTainer bei CESNI / ES-TRIN
Druckstufen: max. 300, 500, 700 bar
Container: ISO 10”, 20”, 30” und 40”
Transportmöglichkeiten: Schiff, Lkw, Zug (Verordnungen: ADN, ADR, RID, Es-Trin, IMO)
Datenkommunikation: in jedem Abschnitt Druck, Temperatur, Auslegungsdruck
Kommunikationsprotokoll: J2799

Weitere RH₂INE-Pilotprojekte Neben der Einführung der H2TankTainer konnte RH₂INE weitere bemerkenswerte Erfolge in der Binnenschifffahrt erzielen. So wurden im Rahmen der Initiative sowohl Schiffe mit H2-fähigen Dualverbrennungsmotoren als auch mit Wasserstoff-/ Brennstoffzellenantrieb entwickelt. Das „Flaggschiff“ dieser Entwicklung ist die MS Letitia, ein Binnenschiff der HTS-Group, das unter intensiver Begleitung durch das Zentrum für BrennstoffzellenTechnik (ZBT) in Duisburg konzipiert wurde.

Verschiedene Förderungen ermöglichten die Finanzierung der Brennstoffzellen, eines ersten Satzes von TankTainern sowie einer EU-Begleitforschung (greenH2shipping). Letztere soll für die ersten 1.000 Betriebsstunden einen Zuverlässigkeits- und Wirtschaftlichkeitsnachweis erbringen. Dieser ist die Voraussetzung dafür, dass bei zukünftigen Förderaufrufen weitere Mittel für emissionsarme Binnenschiffe und deren Infrastruktur akquiriert werden können.

Zu den RH₂INE-Pionierprojekten zählt auch der Schüttgutfrachter MS Antonie, der unter der Leitung des europaweit tätigen Befrachters NPRC entwickelt wurde. Mit einem hybriden Antriebssystem kann er sowohl emissionsfrei als auch mit konventionellen Energiequellen betrieben werden. Dies erhöht die Flexibilität bei der Energieversorgung.

Auch die niederländische Reederei Future Proof Shipping (FPS) entwickelte zwei Schiffe, die H2-Barge 1 und 2. Bei ihnen wird die Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie mit Batteriesystemen kombiniert, um eine vollständig emissionsfreie Fahrt zu ermöglichen. Bisher wurden mit den beiden Schiffen bereits etwa 20.000 Container von Delfzijl nach Rotterdam transportiert.

Rhenus Logistics setzt auf den Koppelverband „Mannheim I+II“, dessen Antrieb ebenfalls aus Brennstoffzellen, Batterien und bei Bedarf dieselelektrischen Generatoren besteht. Er wird regelmäßig Container zwischen Antwerpen bzw. Rotterdam und Mannheim, Ludwigshafen, Wörth sowie Karlsruhe transportieren. Wie die MS Letitia ist auch dieses Schiff mit bis zu drei Schubleichtern niedrigwasserangepasst.

MS Antonie
Größe: 135 x 11 m
Energieversorgung: 400 kW H2/FC / 1 MWh Batterie
Kapazität: 3.700 t Salztransport Delfzijl – Rotterdam (ersetzt 120 Lkw)
Einsparung: 880 t/a CO2 sowie 8 t/a NOx

Abb. 2: MS Antonie, Besuch des niederländischen Königs (Mitte) in Duisburg Ende 2023.
MS_ANTONIE_Foto_Robin Alysha Clemens.jpg, Quelle: Robin Alysha Clemens

H2-Barge 1+2
Größe: 110 x 11 m, retrofit
Energieversorgung: 3 x 275 kW Brennstoffzelle / 274 kWh Batterien
Route: Rotterdam – BCTN Terminal Meerhout (BE)
Einsparung: 2.000 t/a CO2 pro Schiff

Abb. 3: H2-Barge 2 FPS-H2BARGE2-Drone-HighRes-13.jpg Quelle: FutureProofShipping

MS Letitia
Größe: 135 x 17 m
Baujahr: 2023
Einsparung: 2.800 t/a CO2 (ersetzt 250 Lkw)
Route: Rotterdam – Duisburg dauert 20h und zurück 14h
Antriebsleistung: 1,2 MW (sechs 200-kW-Brennstoffzellen von Ballard in Containern), zusätzlich Batterien sowie Backup-Dieselelektrik mit gleicher Leistung
Im Schiff befinden sich 52 m Elektrikschaltschränke sowie 20 km Kabel.

Abb. 4: In der Mitte der MS Letitia sind mit zwei Trennwänden vier Containerflächen abgetrennt, auf denen insgesamt 16 Energiecontainer für die Brennstoffzellen, die Batterien und die Tankcontainer stehen können Letitia-2.jpg Quelle: RensenDriessen Shipbuilding, Photo Maritime Filming Group

Rhenus Mannheim I+II
Größe: Koppelverbund 193 x 11 m (mit drei Schubleichtern 193 x 22m)
Einsparung: Schiff und 1 Schubleichter: 72 % weniger CO2 und NOX
Route: Rotterdam/Antwerpen – Mannheim/Wörth
Antriebsleistung: 400 kW Brennstoffzellen, zusätzlich 840 kWh Batterien sowie Backup-Dieselelektrik

Erweiterung des Netzwerks Seit seiner Gründung hat RH₂INE eine beachtliche Entwicklung vom bilateralen Projekt zum breit aufgestellten EU-weiten Netzwerk vollzogen. Zu den Partnern gehören heute mehr als 45 Akteure aus öffentlicher Hand und Wirtschaft, darunter die bedeutenden Häfen Rotterdam, Duisburg, Basel und Antwerpen-Brügge. Neben den Niederlanden und Deutschland haben sich mittlerweile auch Akteure aus Belgien, Frankreich, Österreich und der Schweiz der Initiative angeschlossen. Dies erweitert die Reichweite des Projektes erheblich.

Seit 2025 wird die Initiative vom belgischen Cluster WaterstofNet koordiniert. Dieses übernimmt das neu gegründete Programmbüro, dessen Arbeitsplan verschiedene englischsprachige Arbeitsgruppen vorsieht, die die unterschiedlichsten Themen wie Standardisierung, Finanzierungs- und Fördermechanismen, notwendige Hafeninfrastruktur sowie TankTainer-Logistik bearbeiten. WaterstofNet war schon einmal stark in diese Themen involviert, insbesondere durch die Mitarbeit in CONDOR, einem niederländischen Projekt im Zuge der Initiative RH₂INE mit Fokus auf niederländische Wasserwege. Diese Erfahrung prädestiniert das Cluster für seine Aufgaben als RH₂INE-Koordinator.

Finanzielle und politische Unterstützung für RH₂INE Seit 2019 kann die Initiative umfangreiche Fördermittel aus EU-Programmen wie Connecting Europe Facility (CEF) oder Horizon Europe sowie von nationalen und regionalen Regierungen akquirieren. Diese verwendet sie, um Forschung und Entwicklung, den Bau von Infrastruktur und die Umstellung auf Wasserstofftechnologien voranzutreiben und das Netzwerk auszubauen.

Auch bei der Unterstützung der Politik sowie bei der Harmonisierung von Leitlinien mit europäischen und regionalen Institutionen spielt RH₂INE eine entscheidende Rolle. So hat die Initiative in der Vergangenheit mit ihren Vorschlägen aktiv die schnellere Regulierung der Wasserstoffnutzung in der Binnenschifffahrt vorangetrieben. Auch auf die politischen Dekarbonisierungspläne für den Verkehrssektor, insbesondere in NRW und den Niederlanden, konnte sie Einfluss nehmen.

Der Erfolg der Dekarbonisierung der Binnenschifffahrt zeigt sich in der vom MUNV (Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen) initiierten gemeinsamen Absichtserklärung „Perspektive nachhaltige Rheinschifffahrt 2030“ von 80 Partnern aus Deutschland, Belgien, Schweiz und den Niederlanden auf der Länderkonferenz Rhein 2024. Darin wird die Rheinschifffahrt als unverzichtbar für eine nachhaltige Logistik eingestuft.

Darüber hinaus trägt auch der Beschluss der deutschen Verkehrsministerkonferenz vom Oktober 2024 die Handschrift der Initiative: Er betont die Binnenschifffahrt als Verkehrsträger der Zukunft für Deutschland. Neue Maßnahmen für eine leistungsfähige Binnenschifffahrt sollen in der Strategie „Neue Märkte für die Binnenschifffahrt“ gebündelt werden.

Die Nationale Hafenstrategie des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr trägt ebenfalls der Transformation der Binnenschifffahrt Rechnung. Demnach soll diese bundesweit harmonisiert als „landesweit bedeutsam“ eingeordnet und entsprechend in die Landesplanung übernommen werden, um Hafengebiete für eine hafenaffine Nutzung zu sichern.

Und schließlich adressiert auch der Nationale Aktionsplan klimafreundliche Schifffahrt (NAPS) – in Ergänzung zur Nationalen Hafenstrategie – die Binnenschifffahrt, und zwar mit Maßnahmen, die auch RH₂INE umsetzt. Dazu gehören unter anderem standardisierte containerisierte Energiespeicher. Daneben fordert der Aktionsplan auch eine Verlängerung des Förderprogramms BordstromTech sowie zinsvergünstigte KfW-Kredite oder Absicherungen mit Bürgschaften.

Herausforderungen der Dekarbonisierung Trotz all dieser Erfolge steht die Dekarbonisierung der Schifffahrt noch am Anfang: Aktuell fahren auf dem Rhein rund 10.000 Schiffe mit einer Lebenszeit von jeweils bis zu 100 Jahren. Diese gilt es zukünftig klimaneutral zu betreiben. Eine Herausforderung stellt dabei vor allem die Wirtschaftlichkeit des Wasserstoffbetriebs dar. Derzeit sind entsprechende Schiffe in Anschaffung und Betrieb teurer als herkömmliche Dieselschiffe. Die Rentabilität der neuen Technologie hängt gleich von mehreren Faktoren ab, zu denen Anschubsubventionen genauso gehören wie sinkende Wasserstoffpreise und die Bereitschaft der Kunden, höhere Transportkosten zu tragen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es durchdachter Geschäftsmodelle.

Auch die Harmonisierung von Vorschriften auf europäischer Ebene bleibt eine komplexe Aufgabe. Insbesondere bei Lagerung und Transport von Wasserstoff bestehen noch Unsicherheiten, die die Einführung bremsen. Die technologische Entwicklung muss ebenfalls mit den Herausforderungen Schritt halten. Aktuell ist der Zugang zu grünem Wasserstoff begrenzt, er weitet sich jedoch sukzessive aus.

Und nicht zuletzt erfordert der Aufbau einer umfassenden Betankungsinfrastruktur, zunächst entlang des Rheins, erhebliche Investitionen und eine gezielte Koordination. Insbesondere das Befüllen der TankTainer sollte aufgrund der benötigten Wasserstoffmengen an größeren Hubs erfolgen.

Pläne von RH₂INE Auf all diese Herausforderungen reagiert RH₂INE mit einer Reihe ambitionierter Pläne. Diese zielen auf eine breite Akzeptanz und Skalierung der Technologie sowie auf die Nachrüstung der bestehenden Flotte ab.

So wollen die Akteure bis 2030 mindestens 50 wasserstoffbetriebene Schiffe im Einsatz haben. In puncto TankTainer soll ein Pool für H2-Wechselcontainer geschaffen werden, der allen Reedereien und weiteren Akteuren offensteht. Den hohen Anschaffungskosten muss dabei eine maximale Nutzungszeit gegenübergestellt werden. Dazu wird voraussichtlich in Zukunft ein Leasingunternehmen gegründet oder beauftragt.

Auch neue Partner – Regionen und Stakeholder – will das Netzwerk weiter einbinden, um eine flächendeckende Infrastruktur und Zusammenarbeit zu gewährleisten. Durch die Stärkung seiner Lobbyarbeit wird sich RH₂INE künftig verstärkt für eine zukunftsweisende Regulierung und finanzielle Unterstützung auf EU-Ebene einsetzen. In den Niederlanden konnte die Initiative bereits eine starke finanzielle Verpflichtung der Regierung durch einen „Climatfonds” für erneuerbare Schiffsantriebe erreichen. Mehr als 200 Millionen Euro für bis zu 150 Schiffe und deren Infrastruktur stehen bis 2030 bereit.

Fazit Auch die Binnenschifffahrt muss zur Erreichung der Verkehrsklimaziele Europas dekarbonisiert werden. RH₂INE beweist eindrucksvoll, wie internationale Zusammenarbeit in Kombination mit technischen Innovationen den Übergang zu einer emissionsfreien Binnenschifffahrt ermöglichen kann. Und die Initiative ist mit ihrem klaren Fokus auf Nachhaltigkeit, Innovation und Zusammenarbeit ein Vorbild für ähnliche Aktivitäten weltweit.

Die kommenden Jahre werden jedoch entscheidend sein: Kann die Anfangsvision von einem grünen Rheinkorridor als einem zentraleuropäischen Ansatz Wirklichkeit werden? Die Botschaft bleibt auf diesem Weg jedenfalls immer klar: Die Zukunft der Binnenschifffahrt liegt in der gemeinsamen Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Auf der Hannover Messe im NRW-Pavillon, Halle 13,
Autor: Stefan Garche, Wasserstoffleitstelle H2.NRW des Landes Nordrhein-Westfalen bei NRW.Energy4Climate, Düsseldorf
stefan.garche@energy4climate.nrw

Wasserstoff im ÖPNV: Perspektive der Unternehmen

Wasserstoff im ÖPNV: Perspektive der Unternehmen

Wie sehen ÖPNV-Unternehmen den Einsatz von Wasserstoff in ihrem Bereich? Das Spezialmaschinenbauunternehmen IMI hat hierzu 300 Fachleute aus Deutschland, Italien und dem Vereinigten Königreich befragen lassen.

Für seinen Fokus auf den ÖPNV nennt IMI drei Gründe. Erstens würden viele ÖPNV-Unternehmen bereits Wasserstoffflotten aufbauen, obwohl es noch keine zentrale Infrastruktur für Wasserstoff gibt. Zweitens ließen sich mit Wasserstoff Engpässe der Batterietechnologie wie Reichweite, Gewicht und Netzengpässe überwinden. Drittens würden die Kosten für dezentrale Elektrolyse nun beginnen zu fallen – wobei IMI einräumt, dass es hierzu wenige Daten gebe.

Die Befragung wurde vom Marktforschungsunternehmen Censuswide durchgeführt und fand im Juli 2024 statt. Es wurden 300 Entscheidungsträger aus ÖPNV-Unternehmen in einem halb-offenen Interviewformat befragt. Von den Befragten hatte ein Fünftel (21 %) bereits Wasserstofffahrzeuge in ihrem Betrieb, während 61 % planten, in den nächsten zwei Jahren in solche zu investieren.

Wasserstoff oder Batterie?

Interessant ist, dass die Antworten im Technologievergleich stark von der Frage abhängen. Von den Befragten zeigten sich 89 Prozent überzeugt, Wasserstoff sei ein effektives Mittel, um die Grenzen der Batterie-Technologien zu überwinden, 34 % davon halten Wasserstoff sogar für „sehr effektiv“ hierfür. Umgekehrt halten es aber auch m Schnitt 83 % der Befragten für machbar, den ÖPNV ohne Wasserstoff zu dekarbonisieren, in den UK sogar 89 %. Auf Nachfrage unterteilt sich auch diese Gruppe in 27 %, die eine Dekarbonisierung für „vollständig machbar“ halten und 56 % „teilweise machbar“ halten. Zusammengefasst kann man also sagen: Vieles geht mit Batterien – und wo das nicht geht, kann Wasserstoff häufig weiterhelfen.

Eine weitere Frage galt den Kriterien für den Kauf neuer Fahrzeuge. Die zur Auswahl stehenden Kriterien lagen eng beieinander. Vorn lag mit 85 % gleichauf: Kosten und technisches Wissen, an letzter Stelle mit 79 % die Reichweite der Fahrzeuge.

Viel Vertrauen in erneuerbare Energien aus dem Stromnetz

Mit 81 % der Befragten vertraut im Schnitt die breite Mehrheit der Befragten darauf, genügend erneuerbaren Strom aus dem Netz für E-Mobilität beziehen zu können. In Deutschland lag das Vertrauen mit 64 % am niedrigsten. IMI verweist auf Probleme mit verzögerten Netzanschlüssen und findet das Vertrauen der Befragten in das Netz zu groß.

Auch hier verschiebt sich die Antwort deutlich bei einer vermeintlich leichten Varianz der Frage. Wenn es darum geht, ob für künftige Batterie- oder Wasserstofffahrzeuge genügend Netzkapazität zur Verfügung stehen wird, zeigen sich 93 % der Befragten besorgt. Darunter war der Anteil der sehr besorgten ÖPNV-Unternehmen in Italien mit 52 % besonders hoch.

Wasserstoff-Anlagen: wohin bauen?

Bei den genannten Hindernissen für den Einsatz von Wasserstoff lagen Bebauungspläne mit 38 % vorne. Es folgten physische Platzknappheit (36 %) und erst an dritter Stelle die Finanzierung (35 %). Dicht darauf folgten Baugenehmigungen, fehlendes technisches Wissen und Bauleittechnik. Die Auswahl erfolgte aus vorgegebenen Optionen. Ein technisches Thema für die Befragten war die Lagerung von Wasserstoff. Laut der Umfrage war das sichere Lagern von Wasserstoff für 72 % Gegenstand größerer Bedenken.

 

IMI folgert aus den Daten, dass die dezentrale Erzeugung von Wasserstoff eine wachsende Rolle spielen wird. Laut Cornelia Neumann, Sales and Business Development Managerin für Hydrogen bei IMI, trifft das in Deutschland besonders auf den ÖPNV zu, da dieser im Vergleich zur energieintensiven Industrie seltener Zugang zum Wasserstoffkernnetz haben wird.

Die Erzeugung vor Ort durch dezentrale Elektrolyse könne helfen, die Lücke zwischen Produktion und Endverbrauchern zu schließen und gleichzeitig den Transportnetzen zu ermöglichen, Fahrzeuge ohne Tankstellen zu testen, so IMI. Fast drei Viertel der befragten ÖPNV-Unternehmen würden eine lokale Wasserstofferzeugung in Erwägung ziehen, wenn es dafür genügend finanzielle Unterstützung gäbe, zeigte die Studie. IMI ist ein britisches Unternehmen für Spezialmaschinenbau, das unter anderem Produkte für die dezentrale Wasserstofferzeugung anbietet.

H2-Produktion im Herzen von NRW

H2-Produktion im Herzen von NRW

Mit einer der größten Wasserstoffproduktionsstätten Europas und dem Abfüllcenter in Marl werden hier nicht nur lokale Unternehmen versorgt, sondern auch Chemiestandorte in ganz Nordrhein-Westfalen beliefert. Als H2EL-Wasserstoffkoordination halten wir alle Projekte der Region und deren Fortschritt im Blick und schaffen durch unser regelmäßiges Monitoring die notwendige Transparenz über den Markthochlauf. Unsere Wasserstoff-Roadmap 2024 ist gleichzeitig Fortschrittsbericht, Bestandsaufnahme und Ausblick auf die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft in der Emscher-Lippe Region.

Die Emscher-Lippe Region, gelegen im Herzen des nördlichen Ruhrgebiets in Nordrhein-Westfalen, erstreckt sich südlich des Münsterlands und gehört zum Regierungsbezirk Münster. Dies resultiert in einer engen Verzahnung der Region mit den benachbarten Gebieten, sowohl in politischer als auch in technologischer Hinsicht. Die Region zeichnet sich darüber hinaus durch die Kombination aus Ballungszentren im südlicheren Teil der Region und die ländlicheren Teile im Norden aus und bildet vielerorts Schnittstellen zwischen traditioneller Industrie und moderner Innovation. Mit den kreisfreien Städten Bottrop und Gelsenkirchen sowie den zehn Städten des Kreises Recklinghausen bildet die Emscher-Lippe-Region den Lebensmittelpunkt für rund eine Million Menschen.

Unsere Region ist für ihre industrielle Tradition bekannt, die sich nun schon seit vielen Jahren im Strukturwandel befindet. Sie verfügt über 30.000 Unternehmen, zwei Hochschulen und 15 Berufskollegs, die ihre Angebote bereits gezielt auf die technologischen Entwicklungen im Wasserstoffbereich angepasst haben. Neben einem gut ausgebauten Straßen- bzw. Autobahnnetz verfügt die Region auch über ein dichtes Schienen- und Kanalnetz sowie zahlreiche Pipelines. Darüber hinaus schaffen wir mit dem benachbarten Münsterland und der angrenzenden Hellweg-Zone Synergien für unsere Zukunftsstrategie. Auch mit den Niederlanden pflegen wir eine enge Zusammenarbeit, wie zum Beispiel mit dem Verbundprojekt TECH.LAND.

H2ier erlebt man Zukunft

Ein Alleinstellungsmerkmal unserer Region ist ihre besondere Eignung und Erfahrung für die Wasserstoffwirtschaft. Aufgrund der ausgeprägten Pipelineinfrastruktur und wesentlicher Großabnehmer von Wasserstoff kann dessen Hochlauf hier schneller und günstiger erfolgen als in anderen Teilen Europas. Neben den regionalen Abnehmern beziehen mehrere Chemiestandorte (z. B. in Köln oder Leverkusen) Wasserstoff aus unserer Region.

Wir decken aber nicht nur Erzeugung und Nutzung ab, sondern bilden auch die weiteren wichtigen Bereiche der Wertschöpfungskette umfassend ab. Dazu zählen eine Vielzahl von Unternehmen, die sich auf die Entwicklung und Herstellung von Komponenten spezialisiert haben, sowie andere Firmen, die als Anbieter von Technologien und innovativen Lösungen auftreten.



Abb. 2: Wasserstoff-Roadmap

In unserer neuen Roadmap bieten wir den aktuellen Überblick über entsprechende wasserstoffbezogene Projekte, die in unserer Region durchgeführt werden oder sich in der Planungs- beziehungsweise Ideenphase befinden. Über die H2-Roadmap hinaus betreiben wir das Monitoring der Projekte kontinuierlich weiter, um Transparenz und Orientierung für den Markthochlauf in der Region zu schaffen.

Breit aufgestellt

Das Projektportfolio stellt den Kern unserer Roadmap dar und gibt Aufschluss darüber, wie sich der H2-Bedarf von 2024 bis ins Jahr 2032 voraussichtlich entwickeln wird. Aufgeteilt sind die Projekte in die folgenden fünf Handlungsfelder: Quartiere, Qualifizierung, Forschung & Entwicklung, Industrie und Mobilität. Wenn wir die Gesamtzahl der Projekte betrachten, zeigt sich, dass wir in den letzten Jahren bedeutende Schritte gemacht haben. Aus ursprünglich 57 Projekten im Jahr 2021 sind in knapp drei Jahren über 100 geworden. Insbesondere bei den in Umsetzung befindlichen Projekten ist ein starker Zuwachs zu verzeichnen. Während es 2021 noch 17 waren, sind es inzwischen 53. Der Zuwachs ist dabei vor allem im Handlungsfeld Industrie auffällig.

Leuchtturmprojekte

Unser Projektportfolio enthält alle wasserstoffbezogenen Projekte in der Region, wobei einige von diesen hervorzuheben sind. Unter anderem der von Air Liquide geplante Elektrolyseur im Chemiepark Marl mit einer Leistung von 120 MW. Dieser wird grünen Wasserstoff erzeugen, der mittels Fernleitungen beziehungsweise über das Wasserstoffkernnetz zu den Kunden transportiert werden soll. Hierbei handelt es sich um ein IPCEI-Projekt, das im Juli 2024 den Förderbescheid erhalten hat.

In Gelsenkirchen finden sich unter anderem die folgenden beiden Leuchtturmprojekte:
Zum einen hat sich mit dem Stadthafen ein ganzes Industriegebiet auf den Weg gemacht, klimaneutral zu werden. Dazu haben sich die ansässigen Unternehmen zur Initiative „Klimahafen Gelsenkirchen“ zusammengeschlossen. Prozesswärme (rund 500.000 MWh) soll hier zukünftig nicht mehr durch Erdgas, sondern durch grünen Wasserstoff erzeugt werden. Bis der grüne Wasserstoff zur Verfügung steht, nutzen die Unternehmen ein wasserstoffreiches Energiegas.
Zum anderen stärkt die Westfälische Hochschule ihren Forschungsschwerpunkt im Bereich der Wasserstofftechnologien. Unter anderem entsteht mit dem „H2 Solution Lab“ ein Laborneubau zur Erarbeitung von Erkenntnissen im Hinblick auf Komponenten, Teilsysteme oder Gesamtsysteme für Forschung und Transfer.

In Haltern am See planen mehrere energieintensive Unternehmen, ihren CO2-Ausstoß durch den Einsatz von grünem Wasserstoff drastisch zu reduzieren. Es wird ein gemeinsamer jährlicher Wasserstoffbedarf von rund 200.000 MWh erwartet, der durch einen Elektrolyseur, gespeist aus lokalem Wind- und Solarstrom, gedeckt werden soll. Haltern am See könnte darüber hinaus künftig auch an das nahegelegene Wasserstoffkernnetz angeschlossen werden.

In Herten existiert seit 2009 das Anwenderzentrum H2Herten, ein kommunales Technologiezentrum für Wasserstoff, welches sich autark aus erneuerbaren Energien versorgt. Die vorhandenen Räumlichkeiten und das Technikum samt deutschlandweit erstem Energiekomplementärsystem können Unternehmen für Untersuchungen unterschiedlicher Art nutzen. Mit dem System können Komponenten unter realen Bedingungen getestet beziehungsweise spezielle Lastfälle simuliert werden. Das Komplementärsystem übernimmt dabei die intelligente Steuerung von Komponenten, Stromfluss und Wasserstofferzeugung. Im und um das Technologiezentrum siedeln sich seit Fertigstellung themenbezogene Firmen und Institutionen an, wie beispielsweise der Motorenhersteller Cummins Inc. oder der TÜV Nord.

In unmittelbarer Nähe des Anwenderzentrums befindet sich eine Anlage der AGR mbH. Diese erzeugt durch das Verbrennen von Abfällen Strom und Fernwärme zur Versorgung der anliegenden Wohngebiete. Im Jahr 2024 wurde hier ein 3-MW-PEM-Elektrolyseur eingeweiht, der Wasserstoff erzeugt und eine angeschlossene H2-Tankstelle versorgt. Der Strom kann dabei aus der Verbrennung von Abfall und eigenen regenerativen Energiequellen gewonnen werden (Solar und Wind). Die Tankstelle eignet sich durch die Druckstufen 700 bar und 350 bar zur Betankung von Pkw, Lkw und werkseigenen Müllfahrzeugen und ist derzeit die größte H2-Tankstelle europaweit.

Das Projekt E-BO(2)t ist ein Demonstrationsprojekt der Emschergenossenschaft und einiger Projektpartner in Bottrop. Es verfolgt das Ziel, die Machbarkeit einer großskaligen Produktion von grünem Methanol (e-Methanol) auf einer Kläranlage zu testen. Dazu wird biogenes CO2, das in den Faultürmen der Kläranlage Bottrop entsteht, vom Klärgas abgespalten und mit vor Ort produziertem grünem Wasserstoff zusammengebracht, um daraus das e-Methanol zu synthetisieren und es als alternativen Kraftstoff nutzen zu können. Als Nebenprodukt der Wasserstoffproduktion entsteht Reinsauerstoff, der zur ökologischen Verbesserung in ein nahegelegenes Gewässer geleitet wird.

Neben diesen Leuchtturmprojekten sind zahlreiche weitere Initiativen und Vorhaben in Planung. Viele dieser Vorhaben konzentrieren sich darauf, den Einsatz fossiler Energieträger, insbesondere Erdgas, in der Industrie signifikant zu reduzieren. Ein wesentlicher Ansatz dabei ist die Substitution von Erdgas durch grünen Wasserstoff als Energieträger für die Erzeugung von Prozesswärme, die in vielen industriellen Verfahren unerlässlich ist. Ziel dieser Umstellung ist selbstverständlich die Reduktion von Treibhausgasen und die damit verbundene Reduzierung des Erdgasbedarfs.

Ausblick

Auf Grundlage unseres Projektportfolios und der Mengenvorhersagen für das Jahr 2032 wird ein jährlicher Bedarf von etwa 6,5 TWh Wasserstoff in der Region erwartet, was etwa 200.000 Tonnen pro Jahr entspricht. Obwohl wir unsere selbst gesetzten Ausbauziele für Elektrolysekapazität für das Jahr 2032 voraussichtlich sogar übertreffen werden, können wir unseren wachsenden Bedarf nach Wasserstoff nicht durch Eigenproduktion decken und müssen daher künftig Wasserstoff in großem Maßstab importieren. Sollten alle bekannten Elektrolyseprojekte realisiert werden, läge die Eigenproduktionsmenge bei etwa 40 Prozent. Durch die Substituierung von Erdgas durch diesen grün produzierten Wasserstoff können wir über 1,3 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente einsparen.

Autor: Marc Luckhaus, WiN Emscher-Lippe Gesellschaft zur Strukturverbesserung mbH, Herten,
E-Mail:
marc.luckhaus@emscher-lippe.de

NOW-Studie über Wasserstoffdistribution

NOW-Studie über Wasserstoffdistribution

H₂-Hubs als Schlüssel für eine nachhaltige und effiziente Wasserstoffmobilität

Die Verkehrswende ist ein zentraler Baustein der deutschen Klimaschutzstrategie. Wasserstoff gilt dabei als entscheidender Energieträger, vor allem im Schwerlastverkehr. Doch wie können Wasserstofftankstellen (Hydrogen Refueling Stations – HRS) effizient, nachhaltig und wirtschaftlich mit Wasserstoff versorgt werden? Eine gemeinsame Studie der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW GmbH) und der Deutschen Energie-Agentur (dena) untersucht vier Versorgungsoptionen über ein zukünftiges H₂-Pipelinenetz. H₂-Hubs als Verbindungselementen zwischen dem entstehenden H₂-Netz und den HRS kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.

Der Wasserstoffbedarf im Straßengüterverkehr in Deutschland wird bis 2045 auf bis zu zwei Millionen Tonnen pro Jahr geschätzt. In diesem Szenario erfordert eine flächendeckende Versorgung die Errichtung von mehr als 2.000 H2-Tankstellen. Das geplante H₂-Kernnetz, das bis 2037 eine Gesamtlänge von 9.700 Kilometern erreichen soll, kann dabei eine zentrale Rolle spielen. Es besteht zu 60 Prozent aus umgenutzten Erdgasleitungen und soll Schritt für Schritt durch Verteilnetze ergänzt werden, um auch Regionen abseits der Haupttrassen zu erschließen. Das Netzwerk wird nicht nur Industrie und Kraftwerke, sondern auch andere Sektoren, wie z. B. den Mobilitätssektor, bedienen können, wodurch eine flexible und belastbare Wasserstoffinfrastruktur entsteht.

Die Rolle der H₂-Hubs
Ein zentrales Ergebnis der Studie: Eine ökonomisch attraktive und technisch machbare Versorgung der HRS über das H₂-Pipelinenetz ist möglich. Die techno-ökonomische Analyse der vier Versorgungsoptionen zeigt, dass ein H₂-Hub, der als zentrale Versorgungsstelle für eine Reihe von weiteren HRS fungiert und an das H₂-Kernnetz angeschlossen wird, die attraktivste Option darstellt.


HRS-Versorgung per Trailer von einem H₂-Hub, der an das H₂-Kernnetz angeschlossen ist. Dies ist die in der Studie präferierte Anbindungsoption an das H₂-Pipeline-Netz.

Die H₂-Hubs fungieren dabei als Bindeglieder zwischen dem H₂-Kernnetz und den regionalen Tankstellen und sind über eine Stichleitung direkt verbunden. Sie übernehmen zentrale Prozesse wie die Aufreinigung, Komprimierung und Speicherung des Wasserstoffs. Dadurch werden Skaleneffekte erzielt, die nicht nur Kosten reduzieren, sondern auch die technischen Anforderungen an den Betrieb der Tankstellen reduzieren. Der Wasserstoff wird anschließend per Trailer in unterschiedlichen Druckstufen an die umliegenden Tankstellen verteilt – die Studie unterstellt einen Radius von 50 Kilometern. Je nach Auslastung ist auch die Belieferung von Kunden denkbar, die nicht aus dem Mobilitätssektor kommen, aber ähnliche Anforderungen an die Wasserstoff-Qualität stellen.

H₂-Hubs bieten zudem Flexibilität bei der Einbindung unterschiedlicher Wasserstoffquellen. So können sie über Pipelines aus dem Kernnetz (Gegenstand der Studie), durch lokale Elektrolyse oder mittels anderer Transportmittel wie Zügen und Schiffen versorgt werden (dies wurde in der Studie nicht untersucht). Das macht sie zu einem Schlüsselbaustein für die effiziente und nachhaltige Wasserstoffmobilität in Deutschland.


Spezifische Transport- und Aufbereitungskosten für H₂-Versorgung per Trailer von einem H₂-Hub mit Anschluss an das H₂-Kernnetz: Kostenbestandteile in zwei unterschiedlichen Szenarien der präferierten Anbindungsoption für 2030.

Technische und regulatorische Herausforderungen
Die Sicherstellung der Wasserstoffqualität für den Einsatz in Brennstoffzellenfahrzeugen ist eine der entscheidenden Herausforderungen, vor denen die H₂-Hubs stehen. Der aus der Pipeline bezogene Wasserstoff muss entsprechend den Reinheitsanforderungen der DIN EN 17124 aufbereitet werden, was zusätzliche Investitionen in innovative Technologien erfordert. Ebenso wichtig ist die zeitnahe Festlegung von Netzentgelten und Netzanschlussgebühren, um Planungssicherheit für Investoren zu schaffen.

Transportdistanzen stellen einen wesentlichen Kostentreiber dar. Die Positionierung der H₂-Hubs in der Nähe von Regionen mit hohem Wasserstoffbedarf und hoher Tankstellendichte ist daher entscheidend. Gleichzeitig müssen regulatorische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine reibungslose Integration der H₂-Hubs in die bestehende Infrastruktur ermöglichen.

Handlungsempfehlungen für den Aufbau
Die Studie formuliert neun konkrete Handlungsempfehlungen, um eine effiziente Versorgung von Wasserstofftankstellen über ein H₂-Pipelinenetz zu schaffen:

  • Integration der Planungen: H₂-Netze und Tankstelleninfrastruktur müssen in der Entwicklung eng verzahnt werden, um Synergien zu nutzen.
  • Bedarfserfassung: Der Aufbau einer zentralen Plattform zur Erfassung des Wasserstoffbedarfs erleichtert die Planung und Identifikation geeigneter H₂-Hub-Standorte.
  • Standortkriterien: Die Entwicklung transparenter Kriterien für die Standortwahl von H₂-Hubs fördert eine zielgerichtete Planung.
  • Ermittlung von möglichen H₂-Hub-Betreibermodellen, in die auch lokale Akteure aktiv eingebunden werden sollten, um regionale Wertschöpfungsketten zu stärken.
  • Pilotierung: Ein erster H₂-Hub sollte bis 2030 pilotiert werden, um praktische Erfahrungen zu sammeln und Optimierungspotenziale zu identifizieren.
  • Weitere Untersuchung des Schlüsselaspekts „Wasserstoffqualität“: Wie und zu welchen Kosten kann die Aufreinigung des aus der Pipeline entnommenen Wasserstoffs gewährleistet werden (bei schwankender Qualität / unterschiedlichen Verunreinigungen)?
  • Technologieentwicklung: Weiterentwicklungen in der Wasserstoffaufbereitung und -verdichtung sind essenziell, um Skaleneffekte zu erzielen.
  • Netzentgelte: Frühzeitige Festlegungen von Netzentgelten und Anschlussgebühren schaffen Investitionssicherheit.
  • Ganzheitliche Analysen: Die Untersuchung der Auswirkungen der Pipeline-Versorgung über das H2-Netz sollte auch auf andere Bereiche (ökologisch, sozial etc.) ausgeweitet werden.

Fazit
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Wasserstofftankstellen in Zukunft effizient, nachhaltig und wirtschaftlich über ein H₂-Pipelinenetz mit Wasserstoff versorgt werden können. H₂-Hubs kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Handlungsempfehlungen könnten sie zu einem Schlüsselbaustein einer nachhaltigen Wasserstoffinfrastruktur werden.

Langfristig ist das Ziel, eine flächendeckende Wasserstoffversorgung zu gewährleisten, die nicht nur den Verkehrssektor, sondern alle Anwendungen integriert. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, um die technische Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit solch einer nachhaltigen Wasserstoffinfrastruktur zu gewährleisten. H₂-Hubs bieten hierbei eine flexible und skalierbare Lösung, die es erlaubt, die Infrastruktur schrittweise an den steigenden Bedarf anzupassen.

Literatur:
NOW GmbH & dena: „Versorgung der H₂-Tankstelleninfrastruktur in Deutschland über ein H₂-Pipeline-Netz“, 2024.

 
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