Start einer Wasserstoffregion

Start einer Wasserstoffregion

Regionen-Serie: HyExpert H2Ostwürttemberg

In ganz Deutschland sind aktuell die Auswirkungen der vielen seit Anfang der 2020er Jahre parallel verlaufenden weltweiten Krisen zu spüren: Pandemie, Krieg inmitten von Europa, Menschen auf der Flucht, Inflation, Fachkräftemangel und auch die Energie-, Rohstoff-, Lieferketten- und Versorgungsunsicherheiten sind die einflussgebenden Faktoren der letzten Jahre, die heute immer deutlicher und in voller Konsequenz jeden Standort im Land direkt betreffen.

Um diesen konzentrierten Herausforderungen zu begegnen, hat sich die Region Ostwürttemberg bereits 2021 auf den Weg gemacht, eine breite gesellschaftliche Unterstützung aufzubauen und mithilfe eines Bottom-up-Prozesses die Bevölkerung direkt mit einzubinden, um eine Zukunftsoffensive für die Region zu starten. Das Bestreben ist klar: Herausforderungen betrachten, Lösungswege aufzeigen, gesellschaftliche Impulse setzen und gemeinsam Ziele zum Wohle der Region definieren und diese dann als Gesellschaft konsequent verfolgen.

Ostwürttemberg
Die Region Ostwürttemberg liegt im Osten Baden-Württembergs direkt an der bayerischen Grenze und besteht aus den beiden Landkreisen Heidenheim und Ostalbkreis. Die 447.000 Einwohner verteilen sich auf 53 Städte und Gemeinden. Ostwürttemberg ist der Wirtschaftsraum mit den ältesten Industrieunternehmen Deutschlands. Die Region hat sich kontinuierlich weiterentwickelt und immer wieder neu erfunden. Deshalb hat sich hier ein Wirtschaftsraum mit Schwerpunkten im produzierenden Gewerbe und der Logistik herausgebildet, der durch Kreativität, Innovation und Leistungsfähigkeit überzeugt. Heute ist die Region eine Patenthochburg und beweist regelmäßig, dass sie zu Recht der „Raum für Talente und Patente“ ist.

Eines dieser Ziele, genauer gesagt das Ziel Nummer eins, ist die Wasserstoffregion Ostwürttemberg. Man will den Standort Ostwürttemberg energiesicherer aufstellen. Hilfreich für die Erreichung dieses Zieles ist der vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr im Jahr 2019 ausgerufene Wettbewerb „HyLand – Wasserstoffregionen in Deutschland“. Diesen Wettbewerb nahm Ostwürttemberg zum Anlass, sich als Region im Frühjahr 2021 mit einer Skizze als HyExpert-Region zu bewerben. Die Bewerbung war 2022 erfolgreich, so dass ein gefördertes und auf die Mobilität fokussiertes Konzept hin zu einer Wasserstoffregion entstehen konnte.

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Die Region steht vor der Herausforderung, den Wandel in der Mobilitätsbranche hin zu emissionsfreien und nachhaltigen Antriebsformen aktiv zu gestalten und das Ziel einer Wasserstoffregion damit zu verbinden. Das beantragte Projekt H2Ostwürttemberg zielt in diesem Gesamtumfeld darauf ab, den Wandel im Mobilitätssektor positiv für die Region voranzutreiben und die Suche des industriellen Sektors nach bezahlbaren Energieredundanzen zu unterstützen.

Wasserstoff – wo liegen die Bedarfe?
Wasserstoff wird spätestens seit 2022 besonders von der Industrie als wichtige Grundlage für eine energiesichere und resiliente Zukunft angesehen. Auch wenn der Preis momentan noch nicht den Vorstellungen vieler Firmen entspricht, war auch 2022 schon klar, dass einige Firmen bereits einen Businessplan auf Grundlage dieser Energieform aufgebaut und in der Schublade liegen hatten. Mit den Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise wurden mehr und mehr solcher Pläne auch herausgeholt. Doch eine genaue Übersicht lag der Region Ostwürttemberg und damit den beiden Landkreisen Heidenheim und Ostalbkreis nicht vor. Auch die IHK Ostwürttemberg konnte keine genauen Bedarfsmengen nennen.

Gleichzeitig mit der aufkommenden Bedarfsfrage kam auch ein Fernleitungsbetreiber auf die Region Ostwürttemberg zu und informierte die Verantwortlichen über Zukunftspläne hinsichtlich eines Wasserstofffernleitungsnetzes, das die Region direkt queren solle und nur dann komme, wenn genug Bedarfe von den Firmen vor Ort gemeldet würden. So war klar: Eine verlässliche Bedarfsabfrage musste her.

So startete das Projekt bereits im September 2022 über den ausgeschriebenen Dienstleister, die EurA AG, mit einer online-basierten und telefonisch ergänzten Umfrage bei allen Unternehmen der Region Ostwürttemberg. Ergebnis: Knapp 40 Unternehmen haben einen Wasserstoffbedarf in Höhe von etwa 122.000 Tonnen pro Jahr veranschlagt. Mit weiteren Hochrechnungen und Abschätzungen des Dienstleisters für weitere Mobilitätsanwendungen, Bedarfe der nicht abgefragten Industrie und Ersatzbedarfe für Heiz- und Mineralöl sowie eine Beimischung ins Erdgasnetz kam der Dienstleister auf einen geschätzten Bedarf in Höhe von etwa 200.000 Tonnen Wasserstoff pro Jahr oder knapp 7 TWh für die Region Ostwürttemberg.

Ein wesentlicher Teil des Bedarfs würde aktuell auf die Ankerkunden aus der Papier- und Zementindustrie entfallen. Vorausgesetzt, der Wasserstoff ist preislich auf einem kompetitiven Niveau zu anderen Energieformen und wird, insbesondere der grüne Wasserstoff, von den Firmen aufgrund der Kundenresonanz auch benötigt. Die Umfrage hat auch beim Land Baden-Württemberg für besondere Aufmerksamkeit gesorgt und wurde als Grundlage dafür genommen, die veraltete Umfrage des Fernleitungsbetreibers neu aufzusetzen und sich dabei an dem Beispiel aus Ostwürttemberg zu orientieren.

Die wichtigste Erkenntnis aus der Erhebung war relativ schnell deutlich: Diese enormen Mengen an Wasserstoff können nicht vor Ort hergestellt werden. Es muss weiterhin auf Importe und vor allem auch auf Wasserstoffleitungen gesetzt werden. Die angekündigte Fernleitung, die Süddeutsche Erdgasleitung (SEL), die in ihrem vierten Abschnitt den Landkreis Heidenheim kreuzt und bereits als Erdgasleitung seit 2017 planfestgestellt ist, soll umgewidmet und ab spätestens 2032, inzwischen auch im Zuge des Bundeskernnetzes, gebaut werden und Wasserstoff in die Region bringen.

Daraus ergab sich für die Region Ostwürttemberg die nächste relevante Aufgabenstellung: Den Wasserstoff von der Fernleitung zu den wichtigen Abnehmern der Region zu bringen. Es wird also ab 2032 ein H2-Verteilnetz benötigt, das im besten Falle alle großen Wasserstoffabnehmer und wichtige Mobilitätslösungen sowie andere sektorgekoppelte Lösungen verbindet.

Von der Bedarfsabfrage zum H2-Verteilnetz
Ein zentraler Punkt des Projekts H2Ostwürttemberg ist daher die Konzeption einer leitungsgebundenen Versorgung der Ankerkunden und der Wirtschaft der Region Ostwürttemberg mit grünem Wasserstoff. Das Konzept wird dabei im Wesentlichen durch zwei parallele Module definiert: Etablierung der leitungsgebundenen Verteilung von Wasserstoff in der Region über eine T-Leitung (s. Abb. 2) und die Anbindung an die SEL, die als Wasserstoffpipeline realisiert werden soll.

Mit der SEL wird perspektivisch der Anschluss der Region Ostwürttemberg an das Wasserstoffnetz ermöglicht, über das überregional Wasserstoff zu den Verteilnetzen transportiert wird. Die Ausbaustufe der SEL ist dabei abhängig von einem hinreichenden H2-Bedarf in der Region Ostwürttemberg. Die Bedarfsabfrage des Projekts H2Ostwürttemberg liefert somit einen wichtigen Beitrag zur Realisierung der SEL.

Mit der T-Leitung wurde ein erstes Konzept entwickelt, welches zum Ziel hat, die H2-Insellösungen zu integrieren. Die regionalen H2-Erzeuger und -Abnehmer der Ankerprojekte sowie die zu versorgenden Ankerkunden sollen über eine regionale Wasserstoffleitung miteinander verbunden werden. Eine (überregionale) leitungsgebundene Versorgung mit Wasserstoff hat einige Vorteile. So kann eine langfristige wirtschaftliche Versorgung gewährleistet werden. Ausgehend von der konzipierten Leitung können perspektivisch weitere Regionen, Kunden und Kommunen in das H2-Netz integriert werden. Zudem wird die Resilienz der Region gegenüber Ausfällen bzw. Problemen bei der Energieversorgung gesteigert.

Im nächsten Projektschritt wird das Grobkonzept der T-Leitung mit den relevanten Stakeholdern, insbesondere mit den regionalen Verteilnetzbetreibern, validiert. Ziel ist es, die grundsätzlichen Optionen der Umsetzung (bspw. Leitungsneubau oder Umstellung von Bestandsleitungen) zu bewerten.


Möglicher regionaler Pipelineausbau – Verbindung Ankerprojekte und Hauptstandorte

In weiteren Workshops und bilateralen Gesprächen mit sämtlichen Projektbeteiligten und Netzbetreibern wurden die Umstellungs- bzw. Neubauoptionen entlang der möglichen Routenverläufe des Grobkonzepts evaluiert. Schließlich erfolgten die Dimensionierung der neu zu bauenden Leitungsabschnitte auf Basis der im Projekt ermittelten H2-Bedarfe pro Abschnitt sowie die Erstellung einer annahmebasierten Kostenabschätzung.

Für das regionale Wasserstoffverteilnetz ist ein 84 km langes Leitungsnetz notwendig. Die Investitionskosten betragen bei vollumfänglicher Umsetzung des Grobkonzepts etwa 135 bis 185 Mio. Euro. Diese in Abbildung 3 visualisierten weiterführenden Planungen stellen dennoch nur ein Grobkonzept für ein regionales Verteilnetz dar. Die regionalen Verteilnetzbetreiber haben in mehreren Gesprächsrunden jedoch deutlich gemacht, dass Investitionen in ein regionales H2-Verteilnetz ohne Förderungen von Land, Bund oder EU nicht zu stemmen sind. Durch den parallelen Ausbau der Stromnetze und die Konzeptionierung der kommunalen Wärmeversorgung sind die Verteilnetzbetreiber bereits jetzt finanziell stark belastet.


Grobkonzept für die leitungsgebundene Versorgung der Region Ostwürttemberg, ausgehend von der SEL

H2Ostwürttemberg – quo vadis?
Am 15. November 2023 hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, dass die Mittel, die für die Bewältigung der Coronakrise bestimmt waren, nicht für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) umgewidmet werden dürfen. Die angestrebte Bewerbung der Region Ostwürttemberg als HyPerformer-Region auf Grundlage des HyExperts-Projekts H2Ostwürttemberg muss daher auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Aufgrund der momentanen Unsicherheiten bei bundesgeförderten Programmen sind keine Aussagen zu Förderhöhe, Termin der Programmausschreibung, Projektlaufzeit oder anderen projektbezogenen Fragestellungen möglich.

Um die geplanten Wasserstoffprojekte voranzutreiben, ist die Teilnahme an weiteren Förderprogrammen von entscheidender Bedeutung. Die Region Ostwürttemberg setzt daher bei der Planung und Realisierung der Einzelvorhaben aus H2Ostwürttemberg sowie bei der ganzheitlichen Bewältigung der Energiewende und des Transformationsprozesses auf andere Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten.

So wird für das in Abbildung 3 vorgestellte Grobkonzept eine Förderung durch das Programm „Regionale Wasserstoffkonzepte“ des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg angestrebt. Das Grobkonzept ist noch nicht finalisiert oder sofort umsetzungsfähig. Das Ziel des Projektes ist, die sieben regionalen Verteilnetzbetreiber wieder zusammenzubringen und mit dem Fernleitungsbetreiber Terranets BW eine Lösung für ein regionales H2-Netz, ausgehend von der SEL, auszuarbeiten, das auf den Vorleistungen aufbaut und danach genehmigungs- bzw. umsetzungsbereit ist. So können die bereits erhobenen Wasserstoffbedarfe zu den wichtigen Ankerkunden der Region gebracht werden und die zukünftigen Betreiber können sich auf Förderer- bzw. Investorensuche begeben.

Literatur: Abschlussberichtbericht-HyExperts-H2Ostwuerttemberg.pdf

Autoren: Michael Hueber, Landratsamt Ostalbkreis, Jan Blömacher, Landratsamt Heidenheim

Port of Rotterdam wird grün und blau

Port of Rotterdam wird grün und blau

Europas größter Hafen will nachhaltig werden

„Wie schnell können wir die Energiewende umsetzen?“ Diese Frage stellt sich seit geraumer Zeit der Hafen Rotterdam (Port of Rotterdam), der größte europäische Seegüterumschlagplatz. In der Vergangenheit – und auch heute noch – war das riesige Industrieareal von der Öl- und Gaswirtschaft geprägt. Unter anderem sind dort vier große Raffinerien angesiedelt, die jetzt dekarbonisiert werden müssen. Boudewijn Siemons, CEO und COO der Port of Rotterdam Authority, erklärte: „Wenn es elektrisch geht, sollte es so gemacht werden – ansonsten mit Wasserstoff.“

Um diesen Transformationsprozess voranzubringen, widmet sich die Hafengesellschaft gemeinsam mit dem Gasversorger Gasunie zunächst der Infrastruktur, denn „infrastructure is an enabler“, wie Gasunie-CEO Willemien Terpstra erklärt. Eines der Hauptvorhaben ist ein neues Pipeline-System – für Wasserstoff und Kohlendioxid. Der Neubau des Hydrogen Backbones (H2) sowie des Porthos-Rohrsystems (CO2) startete im Oktober 2023 mit dem ersten Spatenstich durch den niederländischen König Willem-Alexander.

Maßgebliche Unterstützung erhält der Hafen von politischer Seite. „Ich sehe eine Regierung, die wirklich daran arbeitet, Hemmnisse aus dem Weg zu räumen“, so der Hafenchef. Davon profitiert auch Deutschland, wohin ein Großteil der angelieferten Energie weitergeleitet wird. Dementsprechend sehen die Niederlande die Bundesrepublik als Hauptabnehmer auch für Wasserstoff – insbesondere Nordrhein-Westfalen.

Die Zeit des Wartens ist vorbei, denn 2030 werden große Kohlekraftwerke im Hafen abgeschaltet (s. Abb. 2). Die Eliminierung von CO2-Emissionen aus fossilen Energien ist aber nur ein Pfad, um bis 2030 den Kohlendioxidausstoß um 55 Prozent zu reduzieren. Neben der Effizienzsteigerung werden auch negative CO2-Emissionen nötig sein, entstehendes Kohlendioxid muss also per CCS (carbon capture & storage) eingelagert werden. „Wenn wir CO2-Emissionen reduzieren wollen, kommen wir an CCS nicht vorbei“, so Siemons.

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Das hinter dem Umspannwerk befindliche Kohlekraftwerk wird bis 2030 abgeschaltet

Ziel ist die CO2-Neutralität bis 2050. Bis dahin sollen die bislang rund 100 Mio. t Rohöl, die jährlich in Rotterdam eingeführt werden, durch andere Medien ersetzt werden. So sollen rund 15 Mio. t Öl durch 20 Mio. t Wasserstoff substituiert werden, wobei rund 90 Prozent des benötigten Wasserstoffs importiert werden wird.

Auf Nachfrage, wie lang denn die anvisierte „temporäre Nutzung von blauem Wasserstoff“ andauern könnte, kommt eine deutliche Antwort: „Dekaden.“ Blauer Wasserstoff beziehungsweise „low-carbon hydrogen“, wie er und andere nicht grüne H2-Zusammensetzungen seit einiger Zeit genannt werden, soll als Initialzünder zum Aufbau einer H2-Wirtschaft herhalten. Dabei dürfte schon heute klar sein, dass die damit verbundenen Lock-in-Effekte erheblich sein werden, da die investierten Milliarden über mindestens 15 Jahre abgeschrieben werden sollen.

Dabei stellt die CO2-Gewinnung (capture) nur einen Teil der zu bewältigenden Aufgabe dar. Einem Gasstrom geringe Mengen Kohlendioxid zu entnehmen ist noch relativ einfach und effizient, aber je größer der Prozentsatz werden soll, desto aufwändiger wird es. Erste Erfahrungen in diesem Bereich liegen im Hafen vor: So wird dort beispielsweise bereits CO2 „gecapturet“ und in Treibhäusern für ein besseres Pflanzenwachstum genutzt. Ulrich Bünger vom Energieberatungsunternehmen LBST ist dennoch skeptisch und erklärte in Rotterdam, CCS sei noch längst nicht da, wo es hingestellt werde. Es lägen „kaum Erfahrungen“ vor, so der Energieexperte, während der Eindruck vermittelt werde, die Technologie sei erprobt.

Infrastructure is key
Für die Infrastruktur und deren Betreiber ist es egal, wie der Wasserstoff erzeugt wurde. Terpstra sagte dazu: „Wir sind bereit, jede Farbe zu transportieren.“ Dementsprechend hat Gasunie bereits vergangenes Jahr die finale Investitionsentscheidung für den Pipelinebau getätigt, obwohl bislang erst fünf Prozent der Kapazität verkauft seien, wie die erst seit März 2024 in diesem Amt befindliche Gasunie-Chefin erläuterte. Entscheidend sei dabei natürlich das starke Commitment der Regierung gewesen, die sich zu 50 Prozent an den Kosten beteiligt. Gemeinsam wolle man bis 2030 das Rohrsystem, das dann 10 GW an Leistung bereitstellen kann, fertigstellen.


Abb. 3: Shell-Raffinerie im Hafen von Rotterdam

Auf HZwei-Nachfrage, wie denn der Wasserstoff nach Rotterdam transportiert werde, nannte Boudewijn Siemons alle Optionen: Ammoniak, Methanol, LH2 und LOHC – keine Variante werde von Beginn an ausgeschlossen. Auf Nachhaken hin, ob die Hafengesellschaft denn große Mengen Ammoniak sicher händeln könne, zögerte Siemons zunächst kurz, erwiderte dann aber selbstsicher: „Ja, ich denke, das können wir. Da bin ich ziemlich sicher.“ Gleichzeitig räumte er jedoch ein, es eigne sich „nicht jeder Ort im Hafen“.

Da schon seit langem Ammoniaktanks im Hafen vorhanden sind, existiert auch bereits entsprechende Expertise. Geplant ist, die Speicherkapazitäten für Ammoniak in den nächsten Jahren gegenüber 2023 zu verdreifachen. Eine derartige Veränderung bei den Kraftstoffen und Energiespeichermedien dürfte allerdings das Erscheinungsbild des weltweit elftgrößten Hafens gar nicht so wesentlich verändern, sind sich die Betreiber sicher. Auch wenn die Medien andere werden, werden viele Installationen ähnlich aussehen wie bisher. So ist bereits heute klar, dass auch eine Infrastruktur für LOHC und LH2 aufgebaut wird. Entsprechende Partnerschaften mit Chiyoda und Hydrogenious bestehen bereits.

200-MW-Elektrolyseur von Shell
Das Highlight im Hafen ist aber Holland Hydrogen 1 (s. Abb. 1), ein 200-MW-Elektrolyseur, der so dimensioniert ist, dass der mithilfe von Windkraftanlagen erzeugte grüne Wasserstoff dann die bisher im Port benötigte Menge grauen Wasserstoffs ersetzen kann. Der benötigte Strom wird aus einem 759-MW-Offshore-Windpark (Hollandse Kust Noord) nördlich von Rotterdam bezogen, der direkt angebunden ist. Damit alle EU-Regularien erfüllt werden, wird die H2-Produktion (ca. 20.000 t pro Jahr) dem jeweiligen Windangebot folgen, auch wenn dies bedeutet, dass die Elektrolyseure nicht 24/7 durchlaufen können.

Für dieses Vorhaben, für das bereits die finale Investitionsentscheidung gefallen ist, erhielt Shell den diesjährigen Green Hydrogen Project Award während des Summits. Das Areal, auf dem die insgesamt zehn 20-MW-Elektrolyseurmodule von ThyssenKrupp nucera installiert werden sollen, ist sogenanntes „proclaimed land“, wurde also der Nordsee abgerungen. Früher war dort, wo der Konversionspark aufgebaut wird, Wasser. Bis zur Inbetriebnahme dürfte es allerdings noch bis Ende des Jahrzehnts dauern. Perspektivisch könnte dann auch noch Holland Hydrogen 2 folgen, ein zweites Areal mit ebenfalls 200 MW. Bis 2030 könnten es bereits 2 GW sein.


Die H2-Rohre (schwarz) und die CO2-Rohre (weiß) liegen mitunter nur 40 cm voneinander entfernt

Die derzeit im Entstehen begriffene entsprechende H2-Pipeline verbindet dann die H2-Produktionsstätte mit den verschiedenen Raffinerien und anderen Abnehmern. Ausreichend Wind für eine grüne Wasserstoffproduktion ist in Rotterdam vorhanden. Allein auf dem Hafengebiet sind 300 MW Windkraft installiert. Da dies mehr Strom ist, als benötigt wird, wurde bereits ein großer stationärer Akkumulator installiert, um zumindest einen Teil dieses Grünstroms zwischenspeichern zu können.

Die Wasserstoffrohre messen 1,2 m (48 Inch) im Durchmesser und werden mit 30 bis 50 bar beaufschlagt. Der Neubau der ersten 30 Kilometer quer durch den Hafen kostet 100 Mio. Euro. Das gesamte H2-Backbone-Netz innerhalb der Niederlande (1.100 km) wird voraussichtlich 1,5 bis 2 Mrd. Euro teuer. 85 Prozent des zukünftigen H2-Pipelinesystems werden allerdings aus umgenutzten Gasröhren bestehen.

Parallel erfolgt der Bau der CO2-Pipeline Porthos. Dieses Rohrsystem verbindet zahlreiche Standorte im Hafen mit der vor der Küste gelegenen Plattform, über die dann das Kohlendioxid in unterseeische Gasfelder eingespeist werden soll.


Die H2-Rohre für den Hydrogen Backbone liegen parat und werden gerade unter die Erde gebracht

Future Land informiert über H2-Aktivitäten
Um über all diese Aktivitäten informieren zu können, hat der Hafen „Future Land“ eingerichtet, eine Anlaufstelle für Touristen, Schulklassen, Presse und Investoren, wo diese Antworten auf ihre Fragen zur Zukunft des Hafens erhalten. Das Informationszentrum liegt genau unterhalb der weltweit größten Windkraftanlage. Die Haliade-X 13 ist 260 m hoch und leistet 14 Megawatt. Sie ist für Offshore-Windparks in der Nordsee konzipiert, wird aber zunächst noch, seit 2021, an Land getestet und kann sechs Millionen Haushalte mit Strom versorgen.

Bezüglich der Tatsache, dass ein Drittel der in Deutschland benötigten Energie über Rotterdam ins Land kommt, erklärte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission: „Wenn es dem Hafen von Rotterdam gut geht, geht es der europäischen Wirtschaft gut.“

Autor: Sven Geitmann

Rotterdam etabliert sich als H2-Drehscheibe

Rotterdam etabliert sich als H2-Drehscheibe

Beeindruckende Größe und Professionalität

Eine ganz andere Liga als die Hannover Messe oder die hy-fcell in Stuttgart: Der World Hydrogen Summit & Exhibition in Rotterdam zeigte vom 13. bis zum 15. Mai 2024, wo es im H2-Eventsektor hingehen kann. Ähnlich wie bei der Hydrogen Technology Conference & Expo in Bremen organisierten die Veranstalter ein großes, professionelles Branchen-Gathering, von dem die meisten Teilnehmenden beeindruckt, wenn nicht sogar begeistert waren, so dass man sich fragt, warum die Messe nur zwei Tage dauerte.

Auf dem Parkett der Ahoy-Arena ging es an beiden Tagen nicht nur rührig zu, sondern geradezu aufgedreht, quirlig, lebendig, und alles sprühte nur so vor Energie. Volle Gänge, intensiver Austausch und lautes Stimmengewirr – nicht nur bei den abendlichen Standpartys. Eine ganz andere Dimension als auf den meisten bisherigen Events, insbesondere auf deutschen Veranstaltungen. Selbst langjährige Messegänger zeigten sich angetan angesichts dieser laut Veranstalterangaben „weltweit größten“ Ausstellung mit dem Schwerpunkt Wasserstoff.

Bemerkenswert war sowohl die Anzahl der einheimischen Aussteller als auch die der teilweise sehr großen Landesvertretungen (insg. 20 ), nicht zuletzt dank der Unterstützung der niederländischen Regierung als Mitveranstalter des Events. Mit eigenen Ständen waren beispielsweise Australien, Andalusien, Chile, Finnland, Indien, Japan, Kanada, Korea, Marokko, Namibia, Norwegen, Oman, Südafrika und Uruguay dabei. Der VDMA hatte einen eigenen PtX-Gemeinschaftsstand, zudem waren auch einige deutsche Unternehmen anzutreffen, häufig allerdings mit ihren niederländischen Vertretungen.


auf der Messe mit Teilnehmenden aus Australien und der ganzen Welt.

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Unter den Ausstellern war auch Hilux, ein Toyota-Tochterunternehmen, das einen umgebauten Pick-up vorstellte. Der Prototyp, von dem mittlerweile insgesamt zehn Exemplare gebaut wurden, verfügt über ein BZ-System des Mirai 2 anstelle des Dieselaggregats sowie drei H2-Druckgasbehälter, die hinter dem Fahrersitz unterflur installiert sind, während auf der Beifahrerseite der Akku sitzt. Derzeit befinden sich die Fahrzeuge bei Kunden im Test, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Modell tatsächlich Serienreife erlangt.


Unter den Messebesuchern war auch der niederländische Energieminister Rob Jetten (l.), hier am Norwegen-Stand im Gespräch mit Maurice Adriaensen, Direktor bei DNV Energy Systems

Den Hydrogen Transport Award des SEC gewann in diesem Jahr das australische Unternehmen Fortescue mit seinem ammoniakbetriebenen Schiff. Die Green Pioneer gilt als erstes Schiff seiner Art, das für die Verwendung von Ammoniak in Kombination mit Diesel als Schiffskraftstoff zertifiziert wurde. Mark Hutchinson, CEO von Fortescue Energy, sagte: „Die Green Pioneer ist ein Beweis für unsere Lieferfähigkeit und unser Engagement und zeigt die Zukunft von grünem Ammoniak als Schiffskraftstoff. Unsere Arbeit hört hier aber nicht auf. Wir rufen nun Regulierungsbehörden, Häfen und Institutionen auf, sich uns anzuschließen, um die Einführung von Ammoniak als Schiffskraftstoff zu beschleunigen. Lassen Sie uns gemeinsam grüne maritime Knotenpunkte und Korridore schaffen und damit eine neue Ära der nachhaltigen Schifffahrt einläuten.“

Emma White, Marketingchefin des britischen Veranstalters sustainable energy council (sec), sprach gegenüber HZwei von mehr als 15.000 Messe- und mehr als 2.000 Konferenzgästen (erscheint eine Person an drei Tagen, wird sie dreifach gezählt) sowie von 500 Ausstellern, die ihre Produkte bzw. Dienstleistungen präsentierten. Auf der Hydrogen Technology Conference & Expo in Bremen waren vergangenes Jahr rund 550 Aussteller und mehr als 10.000 Besucher.

Große, prominent besetzte Konferenz

Ähnlich wie in Hannover gab es zwei Präsentationsforen, wo in Form von Vorträgen über aktuelle Entwicklungen informiert wurde, und eine wirklich beeindruckend große dreitägige Konferenz, die sowohl von der Prominenz der Redner als auch von der Anzahl der Teilnehmer her deutsche Kongresse locker in den Schatten stellt. (Irritierend war lediglich, dass nicht alle Konferenzgäste davon wussten, dass die Messe nicht an allen Tagen parallel lief.) Darüber hinaus gab es ein Africa Hydrogen Forum sowie die Verleihung des World Hydrogen Awards.

Besuch aus New Mexico

Bemerkenswert war der Besuch der Gouverneurin von New Mexico: Michelle Lujan Grisham erschien mit einem Begleittross sowie Wirtschaftsvertretern in den Niederlanden, um für die Ansiedlung potentieller Interessenten auf den reichlich verfügbaren Flächen New Mexicos zu werben. Der bislang von Öl und Gas geprägte US-Bundesstaat setzt ganz bewusst auf den Transformationsprozess, um so eine neue Perspektive für das Land sowie die vielen im Energiesektor arbeitenden Menschen zu schaffen.

Während eines Vor-Ort-Gesprächs mit HZwei legte die Gouverneurin detailliert dar, dass New Mexico bestens für die Energiewende gewappnet sei und auch keine Befürchtungen hinsichtlich eines Präsidentschaftswechsels habe, sollte es darauf im November 2024 hinauslaufen. Das ausführliche Interview folgt im HZwei-Heft Oktober 2024.

Autor: Sven Geitmann

Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung

Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung

Industrie kritisiert aktuelle H2-Förderpolitik

„Vor zwei Jahre haben wir in Berlin noch über eine All Electric World diskutiert. Jetzt ist klar, wir brauchen beide – Moleküle und Elektronen.“ Mit diesen Worten hat der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies auf der diesjährigen Hannover Messe zwar gut zusammengefasst, wo wir heute stehen. Auf politischer Ebene scheint dies aber noch nicht bei allen angekommen zu sein. Anders lässt sich der Quasi-Förderstopp für H2-Aktivitäten derzeit kaum erklären. Grund genug für die Clean Energy Partnership (CEP) einen Brandbrief nach Berlin zu schicken (s. S. 33) – und Auslöser für einen handfesten Streit unter den Wirtschaftsweisen.

Der brandenburgische Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach brachte es im Mai 2024 in Neuruppin auf den Punkt: „Wir steuern derzeit teilweise in die falsche Richtung.“ So werden immer weniger Elektroautos verkauft, stattdessen nimmt die Diskussion erneut an Fahrt auf, ob das Verbrenner-Aus richtig war. Der Einbau von Wärmepumpen schwächelt, stattdessen werden verstärkt Ölbrenner installiert. Und der CO2-Preis, der 2022 schon mal bei über 90 Euro pro Tonne lag, fiel Anfang des Jahres auf rund 55 Euro (Mai 2024: ca. 70 Euro). Dabei bräuchte Wasserstoff einen Mindestpreis von schätzungsweise 100 Euro, um rentabel werden zu können.

Die verheißungsvolle Stimmung aus dem Jahr 2023 ist dahin. Stattdessen regiert Verunsicherung. Grund dafür ist unter anderem die 60-Mrd.-Euro-Lücke im Bundeshaushalt, die – wie befürchtet – Auswirkungen auf diverse Vorhaben hat. Hinzu kommt die Bonhoff-Affäre, die dazu führte, dass das Bundesverkehrsministerium einen Förderstopp erließ und seitdem rein batterieelektrisch unterwegs ist. Und auch die gesamtwirtschaftliche Lage mit minimalem Wachstum lässt derzeit nicht gerade Zuversicht aufkeimen.

Finale Investitionsentscheidungen (FID – final investment decision) werden daher, insbesondere in Deutschland, kaum gefällt (auch wenn sich etliche Rahmenbedingungen deutlich verbessert haben, s. HZwei-Heft April 2024), was Auswirkungen hat. Steinbach sagte dazu: „Unsere Unternehmen haben zum Teil die Marktführerschaft verloren.“

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Geeignete Förderinstrumente gefordert

Der Deutsche Wasserstoff-Verband e.V. (DWV) fordert deswegen ein „EEG für H2“ – also einen vergleichbaren Förderrahmen wie damals beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, an dem sich auch der US-amerikanische Inflation Reduction Act (IRA) orientiert. Der DWV-Vorsitzende Werner Diwald möchte darüber die von der Bundesregierung anvisierten „10 GW Elektrolyseurkapazitäten in den Markt bringen“, auch wenn heute schon klar ist, dass selbst diese nicht ausreichen werden.

Es gibt zwar Förderinstrumente, aber die reichen entweder nicht oder passen der Industrie nicht. Die IPCEI-Vorhaben (Important Projects of Common European Interest) der EU-Kommission benötigten bislang extrem lange bis zur Bewilligung, weshalb die damaligen Rahmenbedingungen teils nicht mehr gelten und einige Projekte nicht mehr wirtschaftlich erscheinen. Außerdem handelt es sich hier um Investitionszuschüsse, die für eine betriebskostenintensive H2-Produktion als nicht ausreichend gelten. Neben einer CAPEX- sei auch eine OPEX-Förderung erforderlich, heißt es seit Monaten aus der Branche.

Zwar könnten auch Gelder aus den Klimaschutzverträgen genutzt werden, aber einige Unternehmen sehen auch diese kritisch. Kilian Crone vom Energy Hub Wilhelmshaven erklärte gegenüber dem Handelsblatt: „Sie geben zwar den Abnehmern, also den energieintensiven Industrieunternehmen, Sicherheit für ihre Investitionen, aber als Basis für die Wasserstofflieferanten, also für eine Investition in einen Elektrolyseur, reichen sie nicht.“ In Wilhelmshaven, wo 5,5 der geplanten 10 GW Elektrolyseurkapazitäten aufgebaut werden sollen, fordert man daher „eine zusätzliche Anschubförderung für den Betrieb von Elektrolyseuren“ in Höhe von 40 Mrd. Euro.

Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies spielte den Ball allerdings zurück an die Industrie und erklärte, ihm fehle ein stärkeres Bekenntnis der Wirtschaft. Es sei zwar „jetzt echt Substanz da“, aber es benötige „eine stärkere Fokussierung“.

Die Industrie sieht dies naturgemäß ganz anders und versucht, sich bemerkbar zu machen. So initiierte die Clean Energy Partnership (CEP), ein Zusammenschluss verschiedener Stakeholder, insbesondere aus dem Automobil- und Energiesektor, ein gemeinsames Statement mit dem Deutschen Wasserstoff-Verband und wandte sich am 27. April 2024 mit drängenden Worten an die Bundesregierung (s. nächste Seite).

Es sei zwar „normal, dass einige Projekte abgesagt werden“, erklärte Peter Michael Holzapfel von Siemens angesichts der vorherrschenden Unsicherheit, aber derzeit drohe Deutschland seinen bisherigen Vorsprung im H2-Sektor zu verspielen.

Wirtschaftsweise Grimm gegen den Rat

Eine ganz neue Dimension erhält die Förderdebatte derzeit zudem, da sich darüber erstmals öffentlich auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR – die Wirtschaftsweisen) entzweit. Veronika Grimm gab kürzlich ein Minderheitsvotum zugunsten von H2-Nfz ab, während sich vier Ratsmitglieder gemeinsam für eine rein batterieelektrische Förderung aussprachen. Laut taz befürchtet Grimm im Falle einer Konzentration auf die Batteriemobilität, dass Deutschland im Bereich der Entwicklung von Brennstoffzellen für Mobilitätsanwendungen „technologisch möglicherweise unwiederbringlich hinter die internationalen Wettbewerber zurückgeworfen“ wird.

Dieses Votum habe nichts damit zu tun, dass sie einen Aufsichtsratsposten bei Siemens Energy übernommen habe oder im Vorstand des Zentrums Wasserstoff Bayern (H2.B) sei, so die Professorin, die an der TU Nürnberg lehrt. Minderheitsvoten gab es auch schon früher, allerdings nicht in Verbindung mit derartigen Compliance-Vorwürfen. Ihr gehe es allein um eine weniger riskante, mehrgleisige Positionierung Deutschlands, so Grimm. Und die Bundesregierung, die der Sachverständigenrat beraten soll, habe das Mandat als unbedenklich bewertet.

Gegenüber der WirtschaftsWoche erklärte sie: „Beim Ausbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Pkw und Lkw an Autobahnen entstehen Anforderungen an das Stromnetz und immense Flächenbedarfe. […] Ob die realisierbaren Infrastrukturen den Anforderungen der Verkehre gerecht werden können, steht in den Sternen.“

Kabinett einigt sich auf H2-Beschleunigungsgesetz

Ob das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, das am 29. Mai 2024 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, da noch viel helfen kann, bleibt abzuwarten. Denn bevor dieses wirklich in Kraft tritt, müssen sich zunächst noch der Bundesrat und dann auch der Bundestag mit dem Gesetzentwurf befassen. Ziel soll sein, rechtliche Weichen für den beschleunigten Auf- und Ausbau der Infrastruktur für die Erzeugung, die Speicherung sowie den Import von Wasserstoff zu stellen.

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, erklärte: „Eine leistungsfähige Wasserstoffinfrastruktur ist von entscheidender Bedeutung für die Dekarbonisierung der Industrie, die Wasserstoffleitungen werden die Lebensadern der Industriezentren sein. Die Zeit dafür drängt. Damit Elektrolyseure oder Importterminals so zügig wie möglich in Betrieb gehen können, brauchen wir schlankere und vor allem schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Mit dem Wasserstoffbeschleunigungsgesetz sind die Weichen nun gestellt. Das Gesetz beseitigt Hemmnisse bei der Zulassung von Infrastrukturvorhaben, die Wasserstoff erzeugen, speichern oder importieren. Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft.“

Der Gesetzentwurf zielt auf Änderungen im Umwelt- und Vergaberecht ab. Flankierend sollen Änderungen beim Energiewirtschaftsgesetz, Fernstraßen- und Raumordnungsgesetz sowie bei der Verwaltungsgerichtsordnung hinzukommen. So soll es Höchstfristen für wasserrechtliche Zulassungsverfahren, digitale Genehmigungsverfahren, Erleichterungen für den vorzeitigen Maßnahmenbeginn, beschleunigte Vergabeverfahren, verkürzte Instanzenzüge, beschleunigte Eilverfahren sowie die Verringerung des behördlichen Prüfaufwandes bei der Modernisierung von Elektrolyseuren geben.

Ganz wichtig: Die Infrastrukturvorhaben des Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes liegen dann im überragenden öffentlichen Interesse – ähnlich wie bei der Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Ergänzend sollen Genehmigungsverfahren für Elektrolyseure durch eine Novelle der 4. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) vereinfacht werden und teilweise (< 5 MW) gänzlich entfallen.

H2Regional-Konzept vom BdWR

Der Bund der Wasserstoffregionen (BdWR) forderte Mitte Mai 2024 eine spezielle Förderung, um den Transformationsprozess insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen zu unterstützen. Dieser Zusammenschluss verschiedener politischer Akteure, die regional Wasserstoffkonzepte umzusetzen versuchen, sieht ein Ungleichgewicht in der bisherigen Förderarchitektur. Denn die wenigen Investitionsentscheidungen, die bisher getroffen wurden, entfallen vorrangig auf die Großindustrie, damit diese ihre Energieversorgung dekarbonisieren kann. Eine „Einbindung von Wasserstoff wird für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und den Verkehrsbereich nicht möglich sein“, befürchten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte der aktuell über 30 Wasserstoffregionen sowie der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW).

Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr Quelle: Nadja Wohlleben

Das an Bundesverkehrsminister Volker Wissing überreichte H2Regional-Konzept sieht zielgenaue Impulse vor, die die regionalen Wirtschaftsakteure dazu befähigt, eigene Investitionen in die Transformation zu tätigen. Diese Impulse sollen sowohl bei den Investitionskosten (CAPEX – vornehmlich im Verkehrssektor) als auch bei den Betriebskosten (OPEX – vornehmlich H2-Erzeugung und Prozesswärmebereitstellung) ansetzen.

Dr. Stefan Kerth, Landrat des Landkreises Vorpommern-Rügen, betonte: „Der in den Regionen verwurzelte Mittelstand ist nicht nur das viel zitierte ‚Rückgrat der deutschen Wirtschaft‘, sondern nach wie vor ein entscheidender Wachstumsmotor. Es liegt auch an der Bundesregierung, diesen Akteuren die wirtschaftlich tragfähige Teilnahme am Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu ermöglichen.“ Prof. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW und einer der Sprecher des BdWR, ergänzte: „Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland kann nur gelingen, wenn er regional stattfindet. […] Jetzt benötigen diese Unternehmen dringend eine für sie maßgeschneiderte Förderkulisse. […] Von der Stärkung der regionalen Akteure profitiert das ganze Land.“

Autor: Sven Geitmann

Größte H2-Produktion der Schweiz

Größte H2-Produktion der Schweiz

Der Energiekonzern Axpo und das Unternehmen Rhiienergie haben die erste H2-Produktionsanlage für grünen Wasserstoff im Kanton Graubünden im Osten der Schweiz gestartet. Die Anlage mit 2,5 Megawatt Leistung produziert jährlich bis zu 350 Tonnen Wasserstoff und liegt direkt neben dem Wasserkraftwerk Reichenau in Domat/Ems. Nach Angaben von Axpo ist sie die größte Anlage dieser Art in der Schweiz.

Mit dem produzierten Wasserstoff werden jährlich bis zu 1,5 Millionen Liter Diesel eingespart. Der Wasserstoff wird direkt in der Anlage verdichtet. So kann das grüne Gas künftig an Tankstellen und Industriekunden geliefert werden. Die H2-Anlage ist direkt ans Wasserkraftwerk Reichenau angeschlossen, an dem Axpo eine Mehrheitsbeteiligung besitzt. Mit seinem Anschluss an ein Flusswasserkraftwerk ist die Anlage ein Pionierprojekt von Axpo und gleichzeitig die erste Anlage im Kanton Graubünden. Christian Capaul, CEO von Rhiienergie, beschreibt die neue Anlage als Leuchtturmprojekt.

Erste kommerzielle Produktion von grünem Wasserstoff

Erste kommerzielle Produktion von grünem Wasserstoff

Tschechien: Solar Global betreibt Elektrolyseanlage

Ein Elektrolyseur in der Kleinstadt Napajedla im Südosten der Tschechischen Republik hat den ersten grünen Wasserstoff des Landes aus Solarstrom produziert. Die industrielle grüne Wasserstoffproduktionsanlage wird von Solar Global betrieben, einem der führenden Akteure in der tschechischen Branche für erneuerbare Energien.

Diese Wasserstoffproduktionsanlage sollte vor allem als Pionierprojekt verstanden werden, denn ihre Leistung von 230 kW ist relativ gering. Es können bis zu 246 MWh Strom pro Jahr aufgenommen werden. Der Strom stammt aus einer Photovoltaikanlage mit 611 kW Peakleistung. Ein Batteriespeicher puffert die Differenzen zwischen Erzeugung und Verbrauch. Entsprechend der tschechischen Wasserstoffstrategie wird der Wasserstoff vor allem als Treibstoff eingesetzt.

„Der so erzeugte grüne Wasserstoff kann an der Tankstelle in Napajedla nicht nur in Lkw und Busse, sondern auch in Pkw mit umweltfreundlichem Wasserstoffantrieb getankt werden“, erklärte Vítězslav Skopal, Eigentümer der Solar Global Group. Laut Solar Global kann die Anlage jährlich rund acht Tonnen grünen Wasserstoff liefern. Damit kann ein Pkw 800.000 Kilometer und ein Wasserstoffbus 80.000 Kilometer weit fahren.

Gesamte Wertschöpfungskette abdecken

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Die Wasserstoffherstellung soll Schritt für Schritt zu einem wichtigen Industriezweig in Tschechien entwickelt werden. Dabei stellt sich die Solar Global Group eine Entwicklung der gesamten Wertschöpfungskette vor. Neben der Herstellung von Wasserstoff will das Unternehmen perspektivisch auch Fahrzeuge betreiben, die mit Brennstoffzellen ausgestattet sind. Schließlich will sich die Solar Global Group auch in der Bereitstellung von Wasserstoff über Tankstellen engagieren. „All dies setzt natürlich den Bau weiterer notwendiger Technologien voraus, das heißt Wasserstoffverdichtung, -speicherung und -tankstellen, die die nächsten Etappen unseres Pilotprojekts darstellen“, erklärte Skopal.

Die Herstellung des ersten Kilogramms tschechischen Wasserstoffs wurde finanziell vom Staatlichen Umweltfonds der Tschechischen Republik (SEF CR) gefördert, der seit 1992 besteht. Bislang hat das Umweltministerium vier Elektrolyseure aus dem Umweltfonds finanziell unterstützt. „Zwei weitere Projekte werden derzeit geprüft“, sagte Lucie Früblingová, Sprecherin des staatlichen Umweltfonds. Die Programme, aus denen heraus Wasserstoffprojekte gefördert werden können, werden derzeit erweitert. Die Anzahl der geförderten Projekte und die Summe der Subventionen sollen in der Zukunft steigen.

Fossile Firmen wollen grünen Wasserstoff produzieren

Auch Orlen Unipetrol, der größte Produzent von „grauem“, fossilem Wasserstoff in der Tschechischen Republik, soll Fördermittel erhalten. Das Unternehmen, das dem polnischen Mineralölriesen Orlen gehört, will einen Elektrolyseur in Verbindung mit einem Solarkraftwerk in Litvínov installieren. Mit dem Aufbau der Anlage soll zwischen 2024 und 2025 begonnen werden, die Produktion von grünem Wasserstoff soll Ende 2028 anlaufen. Unipetrol ist aber jetzt schon klar, dass die eigene Produktion nur einen Bruchteil seines Wasserstoffbedarfs decken kann. Man denkt bereits über H2-Importe nach.

Ein weiterer Elektrolyseur, der von dem Umweltfonds gefördert wird, gehört der Sev.en Energy Group. Das Bergbauunternehmen betreibt den einst großen Braunkohletagebau in Most, Komořany, der bald auslaufen soll, und die dazugehörigen Kohlekraftwerke. Sev.en plant einen massiven Ausbau von Solarkraftwerken mit einer Gesamtkapazität von 120 MW. Hier ist ein 17,5-MW-Elektrolyseur vorgesehen, der ab 2027 360 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr produzieren soll. Die Kosten für das Wasserstoffsystem belaufen sich laut Pavel Farkač, Geschäftsführer von Sev.en, auf etwa 700 Mio. CZK, was umgerechnet 28,5 Mio. Euro entspricht, wovon ein substanzieller Anteil durch die Subventionen des Umweltfonds gedeckt werden soll.

Tschechiens Regierung hat im Oktober 2023 einen Entwurf für einen Energie- und Klimaplan für die Jahre bis 2030 vorgelegt. Laut der Pressemitteilung des Umweltministeriums soll bis zum Ende des Jahrzehnts vermehrt Wasserstoff für Industrie und Mobilität eingesetzt werden. Der Plan sieht außerdem vor, keinen Braunkohlestrom mehr zu exportieren.

Autorin: Aleksandra Fedorska

Nationale Wasserstoffstrategie für Tschechien (auf Englisch): www.hytep.cz/images/dokumenty-ke-stazeni/Czech_Hydrogen_Strategy_2021.pdf

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