Port of Rotterdam wird grün und blau

Port of Rotterdam wird grün und blau

Europas größter Hafen will nachhaltig werden

„Wie schnell können wir die Energiewende umsetzen?“ Diese Frage stellt sich seit geraumer Zeit der Hafen Rotterdam (Port of Rotterdam), der größte europäische Seegüterumschlagplatz. In der Vergangenheit – und auch heute noch – war das riesige Industrieareal von der Öl- und Gaswirtschaft geprägt. Unter anderem sind dort vier große Raffinerien angesiedelt, die jetzt dekarbonisiert werden müssen. Boudewijn Siemons, CEO und COO der Port of Rotterdam Authority, erklärte: „Wenn es elektrisch geht, sollte es so gemacht werden – ansonsten mit Wasserstoff.“

Um diesen Transformationsprozess voranzubringen, widmet sich die Hafengesellschaft gemeinsam mit dem Gasversorger Gasunie zunächst der Infrastruktur, denn „infrastructure is an enabler“, wie Gasunie-CEO Willemien Terpstra erklärt. Eines der Hauptvorhaben ist ein neues Pipeline-System – für Wasserstoff und Kohlendioxid. Der Neubau des Hydrogen Backbones (H2) sowie des Porthos-Rohrsystems (CO2) startete im Oktober 2023 mit dem ersten Spatenstich durch den niederländischen König Willem-Alexander.

Maßgebliche Unterstützung erhält der Hafen von politischer Seite. „Ich sehe eine Regierung, die wirklich daran arbeitet, Hemmnisse aus dem Weg zu räumen“, so der Hafenchef. Davon profitiert auch Deutschland, wohin ein Großteil der angelieferten Energie weitergeleitet wird. Dementsprechend sehen die Niederlande die Bundesrepublik als Hauptabnehmer auch für Wasserstoff – insbesondere Nordrhein-Westfalen.

Die Zeit des Wartens ist vorbei, denn 2030 werden große Kohlekraftwerke im Hafen abgeschaltet (s. Abb. 2). Die Eliminierung von CO2-Emissionen aus fossilen Energien ist aber nur ein Pfad, um bis 2030 den Kohlendioxidausstoß um 55 Prozent zu reduzieren. Neben der Effizienzsteigerung werden auch negative CO2-Emissionen nötig sein, entstehendes Kohlendioxid muss also per CCS (carbon capture & storage) eingelagert werden. „Wenn wir CO2-Emissionen reduzieren wollen, kommen wir an CCS nicht vorbei“, so Siemons.

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Das hinter dem Umspannwerk befindliche Kohlekraftwerk wird bis 2030 abgeschaltet

Ziel ist die CO2-Neutralität bis 2050. Bis dahin sollen die bislang rund 100 Mio. t Rohöl, die jährlich in Rotterdam eingeführt werden, durch andere Medien ersetzt werden. So sollen rund 15 Mio. t Öl durch 20 Mio. t Wasserstoff substituiert werden, wobei rund 90 Prozent des benötigten Wasserstoffs importiert werden wird.

Auf Nachfrage, wie lang denn die anvisierte „temporäre Nutzung von blauem Wasserstoff“ andauern könnte, kommt eine deutliche Antwort: „Dekaden.“ Blauer Wasserstoff beziehungsweise „low-carbon hydrogen“, wie er und andere nicht grüne H2-Zusammensetzungen seit einiger Zeit genannt werden, soll als Initialzünder zum Aufbau einer H2-Wirtschaft herhalten. Dabei dürfte schon heute klar sein, dass die damit verbundenen Lock-in-Effekte erheblich sein werden, da die investierten Milliarden über mindestens 15 Jahre abgeschrieben werden sollen.

Dabei stellt die CO2-Gewinnung (capture) nur einen Teil der zu bewältigenden Aufgabe dar. Einem Gasstrom geringe Mengen Kohlendioxid zu entnehmen ist noch relativ einfach und effizient, aber je größer der Prozentsatz werden soll, desto aufwändiger wird es. Erste Erfahrungen in diesem Bereich liegen im Hafen vor: So wird dort beispielsweise bereits CO2 „gecapturet“ und in Treibhäusern für ein besseres Pflanzenwachstum genutzt. Ulrich Bünger vom Energieberatungsunternehmen LBST ist dennoch skeptisch und erklärte in Rotterdam, CCS sei noch längst nicht da, wo es hingestellt werde. Es lägen „kaum Erfahrungen“ vor, so der Energieexperte, während der Eindruck vermittelt werde, die Technologie sei erprobt.

Infrastructure is key
Für die Infrastruktur und deren Betreiber ist es egal, wie der Wasserstoff erzeugt wurde. Terpstra sagte dazu: „Wir sind bereit, jede Farbe zu transportieren.“ Dementsprechend hat Gasunie bereits vergangenes Jahr die finale Investitionsentscheidung für den Pipelinebau getätigt, obwohl bislang erst fünf Prozent der Kapazität verkauft seien, wie die erst seit März 2024 in diesem Amt befindliche Gasunie-Chefin erläuterte. Entscheidend sei dabei natürlich das starke Commitment der Regierung gewesen, die sich zu 50 Prozent an den Kosten beteiligt. Gemeinsam wolle man bis 2030 das Rohrsystem, das dann 10 GW an Leistung bereitstellen kann, fertigstellen.


Abb. 3: Shell-Raffinerie im Hafen von Rotterdam

Auf HZwei-Nachfrage, wie denn der Wasserstoff nach Rotterdam transportiert werde, nannte Boudewijn Siemons alle Optionen: Ammoniak, Methanol, LH2 und LOHC – keine Variante werde von Beginn an ausgeschlossen. Auf Nachhaken hin, ob die Hafengesellschaft denn große Mengen Ammoniak sicher händeln könne, zögerte Siemons zunächst kurz, erwiderte dann aber selbstsicher: „Ja, ich denke, das können wir. Da bin ich ziemlich sicher.“ Gleichzeitig räumte er jedoch ein, es eigne sich „nicht jeder Ort im Hafen“.

Da schon seit langem Ammoniaktanks im Hafen vorhanden sind, existiert auch bereits entsprechende Expertise. Geplant ist, die Speicherkapazitäten für Ammoniak in den nächsten Jahren gegenüber 2023 zu verdreifachen. Eine derartige Veränderung bei den Kraftstoffen und Energiespeichermedien dürfte allerdings das Erscheinungsbild des weltweit elftgrößten Hafens gar nicht so wesentlich verändern, sind sich die Betreiber sicher. Auch wenn die Medien andere werden, werden viele Installationen ähnlich aussehen wie bisher. So ist bereits heute klar, dass auch eine Infrastruktur für LOHC und LH2 aufgebaut wird. Entsprechende Partnerschaften mit Chiyoda und Hydrogenious bestehen bereits.

200-MW-Elektrolyseur von Shell
Das Highlight im Hafen ist aber Holland Hydrogen 1 (s. Abb. 1), ein 200-MW-Elektrolyseur, der so dimensioniert ist, dass der mithilfe von Windkraftanlagen erzeugte grüne Wasserstoff dann die bisher im Port benötigte Menge grauen Wasserstoffs ersetzen kann. Der benötigte Strom wird aus einem 759-MW-Offshore-Windpark (Hollandse Kust Noord) nördlich von Rotterdam bezogen, der direkt angebunden ist. Damit alle EU-Regularien erfüllt werden, wird die H2-Produktion (ca. 20.000 t pro Jahr) dem jeweiligen Windangebot folgen, auch wenn dies bedeutet, dass die Elektrolyseure nicht 24/7 durchlaufen können.

Für dieses Vorhaben, für das bereits die finale Investitionsentscheidung gefallen ist, erhielt Shell den diesjährigen Green Hydrogen Project Award während des Summits. Das Areal, auf dem die insgesamt zehn 20-MW-Elektrolyseurmodule von ThyssenKrupp nucera installiert werden sollen, ist sogenanntes „proclaimed land“, wurde also der Nordsee abgerungen. Früher war dort, wo der Konversionspark aufgebaut wird, Wasser. Bis zur Inbetriebnahme dürfte es allerdings noch bis Ende des Jahrzehnts dauern. Perspektivisch könnte dann auch noch Holland Hydrogen 2 folgen, ein zweites Areal mit ebenfalls 200 MW. Bis 2030 könnten es bereits 2 GW sein.


Die H2-Rohre (schwarz) und die CO2-Rohre (weiß) liegen mitunter nur 40 cm voneinander entfernt

Die derzeit im Entstehen begriffene entsprechende H2-Pipeline verbindet dann die H2-Produktionsstätte mit den verschiedenen Raffinerien und anderen Abnehmern. Ausreichend Wind für eine grüne Wasserstoffproduktion ist in Rotterdam vorhanden. Allein auf dem Hafengebiet sind 300 MW Windkraft installiert. Da dies mehr Strom ist, als benötigt wird, wurde bereits ein großer stationärer Akkumulator installiert, um zumindest einen Teil dieses Grünstroms zwischenspeichern zu können.

Die Wasserstoffrohre messen 1,2 m (48 Inch) im Durchmesser und werden mit 30 bis 50 bar beaufschlagt. Der Neubau der ersten 30 Kilometer quer durch den Hafen kostet 100 Mio. Euro. Das gesamte H2-Backbone-Netz innerhalb der Niederlande (1.100 km) wird voraussichtlich 1,5 bis 2 Mrd. Euro teuer. 85 Prozent des zukünftigen H2-Pipelinesystems werden allerdings aus umgenutzten Gasröhren bestehen.

Parallel erfolgt der Bau der CO2-Pipeline Porthos. Dieses Rohrsystem verbindet zahlreiche Standorte im Hafen mit der vor der Küste gelegenen Plattform, über die dann das Kohlendioxid in unterseeische Gasfelder eingespeist werden soll.


Die H2-Rohre für den Hydrogen Backbone liegen parat und werden gerade unter die Erde gebracht

Future Land informiert über H2-Aktivitäten
Um über all diese Aktivitäten informieren zu können, hat der Hafen „Future Land“ eingerichtet, eine Anlaufstelle für Touristen, Schulklassen, Presse und Investoren, wo diese Antworten auf ihre Fragen zur Zukunft des Hafens erhalten. Das Informationszentrum liegt genau unterhalb der weltweit größten Windkraftanlage. Die Haliade-X 13 ist 260 m hoch und leistet 14 Megawatt. Sie ist für Offshore-Windparks in der Nordsee konzipiert, wird aber zunächst noch, seit 2021, an Land getestet und kann sechs Millionen Haushalte mit Strom versorgen.

Bezüglich der Tatsache, dass ein Drittel der in Deutschland benötigten Energie über Rotterdam ins Land kommt, erklärte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission: „Wenn es dem Hafen von Rotterdam gut geht, geht es der europäischen Wirtschaft gut.“

Autor: Sven Geitmann

Rotterdam etabliert sich als H2-Drehscheibe

Rotterdam etabliert sich als H2-Drehscheibe

Beeindruckende Größe und Professionalität

Eine ganz andere Liga als die Hannover Messe oder die hy-fcell in Stuttgart: Der World Hydrogen Summit & Exhibition in Rotterdam zeigte vom 13. bis zum 15. Mai 2024, wo es im H2-Eventsektor hingehen kann. Ähnlich wie bei der Hydrogen Technology Conference & Expo in Bremen organisierten die Veranstalter ein großes, professionelles Branchen-Gathering, von dem die meisten Teilnehmenden beeindruckt, wenn nicht sogar begeistert waren, so dass man sich fragt, warum die Messe nur zwei Tage dauerte.

Auf dem Parkett der Ahoy-Arena ging es an beiden Tagen nicht nur rührig zu, sondern geradezu aufgedreht, quirlig, lebendig, und alles sprühte nur so vor Energie. Volle Gänge, intensiver Austausch und lautes Stimmengewirr – nicht nur bei den abendlichen Standpartys. Eine ganz andere Dimension als auf den meisten bisherigen Events, insbesondere auf deutschen Veranstaltungen. Selbst langjährige Messegänger zeigten sich angetan angesichts dieser laut Veranstalterangaben „weltweit größten“ Ausstellung mit dem Schwerpunkt Wasserstoff.

Bemerkenswert war sowohl die Anzahl der einheimischen Aussteller als auch die der teilweise sehr großen Landesvertretungen (insg. 20 ), nicht zuletzt dank der Unterstützung der niederländischen Regierung als Mitveranstalter des Events. Mit eigenen Ständen waren beispielsweise Australien, Andalusien, Chile, Finnland, Indien, Japan, Kanada, Korea, Marokko, Namibia, Norwegen, Oman, Südafrika und Uruguay dabei. Der VDMA hatte einen eigenen PtX-Gemeinschaftsstand, zudem waren auch einige deutsche Unternehmen anzutreffen, häufig allerdings mit ihren niederländischen Vertretungen.


auf der Messe mit Teilnehmenden aus Australien und der ganzen Welt.

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Unter den Ausstellern war auch Hilux, ein Toyota-Tochterunternehmen, das einen umgebauten Pick-up vorstellte. Der Prototyp, von dem mittlerweile insgesamt zehn Exemplare gebaut wurden, verfügt über ein BZ-System des Mirai 2 anstelle des Dieselaggregats sowie drei H2-Druckgasbehälter, die hinter dem Fahrersitz unterflur installiert sind, während auf der Beifahrerseite der Akku sitzt. Derzeit befinden sich die Fahrzeuge bei Kunden im Test, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieses Modell tatsächlich Serienreife erlangt.


Unter den Messebesuchern war auch der niederländische Energieminister Rob Jetten (l.), hier am Norwegen-Stand im Gespräch mit Maurice Adriaensen, Direktor bei DNV Energy Systems

Den Hydrogen Transport Award des SEC gewann in diesem Jahr das australische Unternehmen Fortescue mit seinem ammoniakbetriebenen Schiff. Die Green Pioneer gilt als erstes Schiff seiner Art, das für die Verwendung von Ammoniak in Kombination mit Diesel als Schiffskraftstoff zertifiziert wurde. Mark Hutchinson, CEO von Fortescue Energy, sagte: „Die Green Pioneer ist ein Beweis für unsere Lieferfähigkeit und unser Engagement und zeigt die Zukunft von grünem Ammoniak als Schiffskraftstoff. Unsere Arbeit hört hier aber nicht auf. Wir rufen nun Regulierungsbehörden, Häfen und Institutionen auf, sich uns anzuschließen, um die Einführung von Ammoniak als Schiffskraftstoff zu beschleunigen. Lassen Sie uns gemeinsam grüne maritime Knotenpunkte und Korridore schaffen und damit eine neue Ära der nachhaltigen Schifffahrt einläuten.“

Emma White, Marketingchefin des britischen Veranstalters sustainable energy council (sec), sprach gegenüber HZwei von mehr als 15.000 Messe- und mehr als 2.000 Konferenzgästen (erscheint eine Person an drei Tagen, wird sie dreifach gezählt) sowie von 500 Ausstellern, die ihre Produkte bzw. Dienstleistungen präsentierten. Auf der Hydrogen Technology Conference & Expo in Bremen waren vergangenes Jahr rund 550 Aussteller und mehr als 10.000 Besucher.

Große, prominent besetzte Konferenz

Ähnlich wie in Hannover gab es zwei Präsentationsforen, wo in Form von Vorträgen über aktuelle Entwicklungen informiert wurde, und eine wirklich beeindruckend große dreitägige Konferenz, die sowohl von der Prominenz der Redner als auch von der Anzahl der Teilnehmer her deutsche Kongresse locker in den Schatten stellt. (Irritierend war lediglich, dass nicht alle Konferenzgäste davon wussten, dass die Messe nicht an allen Tagen parallel lief.) Darüber hinaus gab es ein Africa Hydrogen Forum sowie die Verleihung des World Hydrogen Awards.

Besuch aus New Mexico

Bemerkenswert war der Besuch der Gouverneurin von New Mexico: Michelle Lujan Grisham erschien mit einem Begleittross sowie Wirtschaftsvertretern in den Niederlanden, um für die Ansiedlung potentieller Interessenten auf den reichlich verfügbaren Flächen New Mexicos zu werben. Der bislang von Öl und Gas geprägte US-Bundesstaat setzt ganz bewusst auf den Transformationsprozess, um so eine neue Perspektive für das Land sowie die vielen im Energiesektor arbeitenden Menschen zu schaffen.

Während eines Vor-Ort-Gesprächs mit HZwei legte die Gouverneurin detailliert dar, dass New Mexico bestens für die Energiewende gewappnet sei und auch keine Befürchtungen hinsichtlich eines Präsidentschaftswechsels habe, sollte es darauf im November 2024 hinauslaufen. Das ausführliche Interview folgt im HZwei-Heft Oktober 2024.

Autor: Sven Geitmann

Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung

Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung

Industrie kritisiert aktuelle H2-Förderpolitik

„Vor zwei Jahre haben wir in Berlin noch über eine All Electric World diskutiert. Jetzt ist klar, wir brauchen beide – Moleküle und Elektronen.“ Mit diesen Worten hat der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies auf der diesjährigen Hannover Messe zwar gut zusammengefasst, wo wir heute stehen. Auf politischer Ebene scheint dies aber noch nicht bei allen angekommen zu sein. Anders lässt sich der Quasi-Förderstopp für H2-Aktivitäten derzeit kaum erklären. Grund genug für die Clean Energy Partnership (CEP) einen Brandbrief nach Berlin zu schicken (s. S. 33) – und Auslöser für einen handfesten Streit unter den Wirtschaftsweisen.

Der brandenburgische Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach brachte es im Mai 2024 in Neuruppin auf den Punkt: „Wir steuern derzeit teilweise in die falsche Richtung.“ So werden immer weniger Elektroautos verkauft, stattdessen nimmt die Diskussion erneut an Fahrt auf, ob das Verbrenner-Aus richtig war. Der Einbau von Wärmepumpen schwächelt, stattdessen werden verstärkt Ölbrenner installiert. Und der CO2-Preis, der 2022 schon mal bei über 90 Euro pro Tonne lag, fiel Anfang des Jahres auf rund 55 Euro (Mai 2024: ca. 70 Euro). Dabei bräuchte Wasserstoff einen Mindestpreis von schätzungsweise 100 Euro, um rentabel werden zu können.

Die verheißungsvolle Stimmung aus dem Jahr 2023 ist dahin. Stattdessen regiert Verunsicherung. Grund dafür ist unter anderem die 60-Mrd.-Euro-Lücke im Bundeshaushalt, die – wie befürchtet – Auswirkungen auf diverse Vorhaben hat. Hinzu kommt die Bonhoff-Affäre, die dazu führte, dass das Bundesverkehrsministerium einen Förderstopp erließ und seitdem rein batterieelektrisch unterwegs ist. Und auch die gesamtwirtschaftliche Lage mit minimalem Wachstum lässt derzeit nicht gerade Zuversicht aufkeimen.

Finale Investitionsentscheidungen (FID – final investment decision) werden daher, insbesondere in Deutschland, kaum gefällt (auch wenn sich etliche Rahmenbedingungen deutlich verbessert haben, s. HZwei-Heft April 2024), was Auswirkungen hat. Steinbach sagte dazu: „Unsere Unternehmen haben zum Teil die Marktführerschaft verloren.“

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Geeignete Förderinstrumente gefordert

Der Deutsche Wasserstoff-Verband e.V. (DWV) fordert deswegen ein „EEG für H2“ – also einen vergleichbaren Förderrahmen wie damals beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, an dem sich auch der US-amerikanische Inflation Reduction Act (IRA) orientiert. Der DWV-Vorsitzende Werner Diwald möchte darüber die von der Bundesregierung anvisierten „10 GW Elektrolyseurkapazitäten in den Markt bringen“, auch wenn heute schon klar ist, dass selbst diese nicht ausreichen werden.

Es gibt zwar Förderinstrumente, aber die reichen entweder nicht oder passen der Industrie nicht. Die IPCEI-Vorhaben (Important Projects of Common European Interest) der EU-Kommission benötigten bislang extrem lange bis zur Bewilligung, weshalb die damaligen Rahmenbedingungen teils nicht mehr gelten und einige Projekte nicht mehr wirtschaftlich erscheinen. Außerdem handelt es sich hier um Investitionszuschüsse, die für eine betriebskostenintensive H2-Produktion als nicht ausreichend gelten. Neben einer CAPEX- sei auch eine OPEX-Förderung erforderlich, heißt es seit Monaten aus der Branche.

Zwar könnten auch Gelder aus den Klimaschutzverträgen genutzt werden, aber einige Unternehmen sehen auch diese kritisch. Kilian Crone vom Energy Hub Wilhelmshaven erklärte gegenüber dem Handelsblatt: „Sie geben zwar den Abnehmern, also den energieintensiven Industrieunternehmen, Sicherheit für ihre Investitionen, aber als Basis für die Wasserstofflieferanten, also für eine Investition in einen Elektrolyseur, reichen sie nicht.“ In Wilhelmshaven, wo 5,5 der geplanten 10 GW Elektrolyseurkapazitäten aufgebaut werden sollen, fordert man daher „eine zusätzliche Anschubförderung für den Betrieb von Elektrolyseuren“ in Höhe von 40 Mrd. Euro.

Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies spielte den Ball allerdings zurück an die Industrie und erklärte, ihm fehle ein stärkeres Bekenntnis der Wirtschaft. Es sei zwar „jetzt echt Substanz da“, aber es benötige „eine stärkere Fokussierung“.

Die Industrie sieht dies naturgemäß ganz anders und versucht, sich bemerkbar zu machen. So initiierte die Clean Energy Partnership (CEP), ein Zusammenschluss verschiedener Stakeholder, insbesondere aus dem Automobil- und Energiesektor, ein gemeinsames Statement mit dem Deutschen Wasserstoff-Verband und wandte sich am 27. April 2024 mit drängenden Worten an die Bundesregierung (s. nächste Seite).

Es sei zwar „normal, dass einige Projekte abgesagt werden“, erklärte Peter Michael Holzapfel von Siemens angesichts der vorherrschenden Unsicherheit, aber derzeit drohe Deutschland seinen bisherigen Vorsprung im H2-Sektor zu verspielen.

Wirtschaftsweise Grimm gegen den Rat

Eine ganz neue Dimension erhält die Förderdebatte derzeit zudem, da sich darüber erstmals öffentlich auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR – die Wirtschaftsweisen) entzweit. Veronika Grimm gab kürzlich ein Minderheitsvotum zugunsten von H2-Nfz ab, während sich vier Ratsmitglieder gemeinsam für eine rein batterieelektrische Förderung aussprachen. Laut taz befürchtet Grimm im Falle einer Konzentration auf die Batteriemobilität, dass Deutschland im Bereich der Entwicklung von Brennstoffzellen für Mobilitätsanwendungen „technologisch möglicherweise unwiederbringlich hinter die internationalen Wettbewerber zurückgeworfen“ wird.

Dieses Votum habe nichts damit zu tun, dass sie einen Aufsichtsratsposten bei Siemens Energy übernommen habe oder im Vorstand des Zentrums Wasserstoff Bayern (H2.B) sei, so die Professorin, die an der TU Nürnberg lehrt. Minderheitsvoten gab es auch schon früher, allerdings nicht in Verbindung mit derartigen Compliance-Vorwürfen. Ihr gehe es allein um eine weniger riskante, mehrgleisige Positionierung Deutschlands, so Grimm. Und die Bundesregierung, die der Sachverständigenrat beraten soll, habe das Mandat als unbedenklich bewertet.

Gegenüber der WirtschaftsWoche erklärte sie: „Beim Ausbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Pkw und Lkw an Autobahnen entstehen Anforderungen an das Stromnetz und immense Flächenbedarfe. […] Ob die realisierbaren Infrastrukturen den Anforderungen der Verkehre gerecht werden können, steht in den Sternen.“

Kabinett einigt sich auf H2-Beschleunigungsgesetz

Ob das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, das am 29. Mai 2024 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, da noch viel helfen kann, bleibt abzuwarten. Denn bevor dieses wirklich in Kraft tritt, müssen sich zunächst noch der Bundesrat und dann auch der Bundestag mit dem Gesetzentwurf befassen. Ziel soll sein, rechtliche Weichen für den beschleunigten Auf- und Ausbau der Infrastruktur für die Erzeugung, die Speicherung sowie den Import von Wasserstoff zu stellen.

Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, erklärte: „Eine leistungsfähige Wasserstoffinfrastruktur ist von entscheidender Bedeutung für die Dekarbonisierung der Industrie, die Wasserstoffleitungen werden die Lebensadern der Industriezentren sein. Die Zeit dafür drängt. Damit Elektrolyseure oder Importterminals so zügig wie möglich in Betrieb gehen können, brauchen wir schlankere und vor allem schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Mit dem Wasserstoffbeschleunigungsgesetz sind die Weichen nun gestellt. Das Gesetz beseitigt Hemmnisse bei der Zulassung von Infrastrukturvorhaben, die Wasserstoff erzeugen, speichern oder importieren. Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft.“

Der Gesetzentwurf zielt auf Änderungen im Umwelt- und Vergaberecht ab. Flankierend sollen Änderungen beim Energiewirtschaftsgesetz, Fernstraßen- und Raumordnungsgesetz sowie bei der Verwaltungsgerichtsordnung hinzukommen. So soll es Höchstfristen für wasserrechtliche Zulassungsverfahren, digitale Genehmigungsverfahren, Erleichterungen für den vorzeitigen Maßnahmenbeginn, beschleunigte Vergabeverfahren, verkürzte Instanzenzüge, beschleunigte Eilverfahren sowie die Verringerung des behördlichen Prüfaufwandes bei der Modernisierung von Elektrolyseuren geben.

Ganz wichtig: Die Infrastrukturvorhaben des Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes liegen dann im überragenden öffentlichen Interesse – ähnlich wie bei der Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Ergänzend sollen Genehmigungsverfahren für Elektrolyseure durch eine Novelle der 4. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) vereinfacht werden und teilweise (< 5 MW) gänzlich entfallen.

H2Regional-Konzept vom BdWR

Der Bund der Wasserstoffregionen (BdWR) forderte Mitte Mai 2024 eine spezielle Förderung, um den Transformationsprozess insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen zu unterstützen. Dieser Zusammenschluss verschiedener politischer Akteure, die regional Wasserstoffkonzepte umzusetzen versuchen, sieht ein Ungleichgewicht in der bisherigen Förderarchitektur. Denn die wenigen Investitionsentscheidungen, die bisher getroffen wurden, entfallen vorrangig auf die Großindustrie, damit diese ihre Energieversorgung dekarbonisieren kann. Eine „Einbindung von Wasserstoff wird für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und den Verkehrsbereich nicht möglich sein“, befürchten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte der aktuell über 30 Wasserstoffregionen sowie der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW).

Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr Quelle: Nadja Wohlleben

Das an Bundesverkehrsminister Volker Wissing überreichte H2Regional-Konzept sieht zielgenaue Impulse vor, die die regionalen Wirtschaftsakteure dazu befähigt, eigene Investitionen in die Transformation zu tätigen. Diese Impulse sollen sowohl bei den Investitionskosten (CAPEX – vornehmlich im Verkehrssektor) als auch bei den Betriebskosten (OPEX – vornehmlich H2-Erzeugung und Prozesswärmebereitstellung) ansetzen.

Dr. Stefan Kerth, Landrat des Landkreises Vorpommern-Rügen, betonte: „Der in den Regionen verwurzelte Mittelstand ist nicht nur das viel zitierte ‚Rückgrat der deutschen Wirtschaft‘, sondern nach wie vor ein entscheidender Wachstumsmotor. Es liegt auch an der Bundesregierung, diesen Akteuren die wirtschaftlich tragfähige Teilnahme am Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu ermöglichen.“ Prof. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW und einer der Sprecher des BdWR, ergänzte: „Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland kann nur gelingen, wenn er regional stattfindet. […] Jetzt benötigen diese Unternehmen dringend eine für sie maßgeschneiderte Förderkulisse. […] Von der Stärkung der regionalen Akteure profitiert das ganze Land.“

Autor: Sven Geitmann

Partnership is the new leadership

Partnership is the new leadership

Bundeskanzler Olaf Scholz besucht Hydrogen + Fuel Cells Europe

Die Stimmung war gut. Nicht euphorisch, wie teilweise noch im vergangenen Jahr, aber durchaus lebhaft. Insbesondere in Halle 13, wo die Hydrogen + Fuel Cells Europe stattfand, waren die Gänge gut gefüllt und das Stimmengewirr deutlich lauter als in den anderen Hallen auf dem Messegelände. Dennoch bleibt der Eindruck, dass auch im 30. Jahr dieser H2-Messe der Marktdurchbruch immer noch auf sich warten lässt und erst „in fünf Jahren“ erfolgt, so wie es schon seit 20 Jahren zu hören ist.

Die Hannover Messe nimmt immer noch für sich in Anspruch, die weltweit bedeutendste Industriemesse zu sein – laut Dr. Jochen Köckler, dem Vorsitzenden des Vorstandes der Deutschen Messe AG, ist sie sogar „die Mutter aller Messen“. Wie schon in den vergangenen Jahren profitierte sie auch vom 22. bis 26. April 2024 immens vom derzeitigen H2-Boom. Das große Interesse an Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie führte mal wieder zu akzeptablen Aussteller- und Besucherzahlen. Neue Impulse als Hinweis, in welche Richtung sich das klassische Messegeschäft entwickeln könnte, gab es jedoch nicht.

Man kann sagen, die H2-Messe hat der Deutschen Messe mal wieder die Bilanz gerettet.

Kanzler Scholz besucht H2-Unternehmen
Nicht ohne Grund stattete auch Bundeskanzler Olaf Scholz der Hydrogen + Fuel Cells Europe einen Besuch ab. Der Schwerpunkt seines Eröffnungsrundgangs lag in den Energie-Hallen, wo er neben Salzgitter („Wir begeben uns gemeinsam auf die Reise.“s. Abb. 2) auch bei GP Joule Station machte. Ove Petersen, Mitgründer und einer der Geschäftsführer von GP Joule, betonte dabei, wie wichtig die Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen sei, damit es tatsächlich zu einem Aufbau der Elektrolyseurkapazitäten kommen könne (s. dazu auch S. 18).

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Abb. 2: Kanzler O. Scholz mit dem norwegischen Ministerpräsidenten J. G. Støre, Salzgitter-Chef G. Groebler, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten S. Weil, der norwegischen Wirtschaftsministerin C. Myrseth, Bundesfamilienministerin L. Paus sowie Bundesforschungsministerin B. Stark-Watzinger

Aufschlussreiche Wortwahl
Interessant zu beobachten war, wie sich die Wortwahl auf manchen Gebieten verändert: So war in zahlreichen Vorträgen immer wieder die Rede von „Low-Carbon-Wasserstoff“. Mit dieser Wortschöpfung umgehen die Redner geschickt die Einordnung des Wasserstoffs in die mittlerweile bei einigen recht unbeliebt gewordene Farbskala. „Low-Carbon“ impliziert, dass während der H2-Herstellung wenig Kohlenstoffdioxid emittiert wurde, vermeidet aber eine Stigmatisierung durch die Attribute „grau“, „blau“ oder „türkis“, denn selbst kleinste Beimischungen von grünem Wasserstoff reichen aus, um ihn als kohlenstoffarm bezeichnen zu können.

Grün oder blau
Für Olaf Lies, den niedersächsischen Wirtschaftsminister, ist blauer Wasserstoff „ein Riesenthema zur Erreichung der Klimaziele“. Angesichts der leidigen Farbendiskussion gab er in Hannover zu bedenken, dass bei Strom keiner nach der Farbe frage. „Das muss bei Wasserstoff auch so kommen“, so der Minister.

Eine weitere Neuerung im Sprachstil scheint das Arbeitsprinzip in der Wasserstoffwirtschaft zu betreffen: So sind immer wieder Sätze wie „Partnership is the new leadership“ (Partnerschaft ist die neue Führerschaft) oder „Cooperation is key“ (Kooperation ist der Schlüssel) zu hören. Bei immer mehr Akteuren macht sich also die Erkenntnis breit, dass der derzeit stattfindende Transformationsprozess in der Energiebranche nicht allein, sondern nur gemeinsam gemeistert werden kann.

Gleich geblieben ist hingegen der Zeithorizont bis zum Markthochlauf. Hier liegen wir nach wie vor bei fünf Jahren. Während es in den vergangenen Jahren noch hieß, H2-Lkw würden ab 2025 in Serie gebaut, brachten Vertreter*innen der Fahrzeugindustrie sehr deutlich zum Ausdruck, dass hierzulande mit nennenswerten Stückzahlen frühestens 2029 zu rechnen sei. Anders sieht es in Asien aus: Refire warb beispielsweise damit, bereits heute 5.000 Brennstoffzellensysteme pro Jahr bauen zu können.

Immerhin bekannte sich Dr. Matthias Jurytko, CEO von Cellcentric, sowohl zur H2-Technik als auch zum Standort Deutschland, indem er sagte: „Viele reden von Fabriken – wie bauen eine.“ Weiter stellte er klar: „Wasserstoff wird der Treiber sein für den Langstreckenverkehr.“ Gleichzeitig räumte er jedoch ein: „Ein Anstieg der Stückzahlen wird erst 2029/30 kommen.“


Abb. 3: Dr. Jurytko: „Es wird keinen Langstreckenfernverkehr ohne Wasserstoff geben.“

Ungefähr zur gleichen Zeit könnte grauer Wasserstoff aufgrund steigender CO2-Preise genauso teuer sein wie grüner Wasserstoff, antizipierte Gilles Le Van von Air Liquide.

Lebhafter Austausch in den Foren
Darüber hinaus erläuterten im Public Forum der Hydrogen + Fuel Cells Europe (s. Abb. 3 u. 4) Aussteller auch in diesem Jahr wieder ihre Neuentwicklungen oder diskutierten mit Gästen aus Industrie und Politik. Etwa darüber, welche Rahmenbedingungen bzw. Anreize hinsichtlich Sektorenkopplung und Flexibilisierung des Energieverbrauchs noch fehlen oder wo und wie man grünen Wasserstoff weltweit in ausreichend großen Mengen erzeugen wird.

Auch die Frage, wie viel Wasserstoff Deutschland selbst produzieren und wie viel von europäischen Nachbarn importiert werden wird, erörterte Moderator Ulrich Walter mit verschiedenen Gästen. Christian Maaß, Leiter der Abteilung Energiepolitik – Wärme und Effizienz im Bundeswirtschaftsministerium (BMWK), berief sich bei seiner Antwort auf Schätzungen, wonach Deutschland knapp die Hälfte seines Bedarfs an klimaneutralem Wasserstoff selbst erzeugen könne, der Rest müsse dann importiert werden.

Auf Nachfrage des Moderators, warum die Elektrolysekapazitäten bis 2030 nicht gleich auf 20 GW hochgesetzt würden, antwortete Maaß: „Mit höheren Zielen wäre ich vorsichtig, da Elektrolyseure viel Strom brauchen.“ Deshalb plädiere er dafür, die Herstellung von grünem H2 am Ausbau der erneuerbaren Energie auszurichten. Nicht zuletzt um Zielkonflikte zu vermeiden, denn der direkte Verbrauch von Grünstrom solle ja Vorrang haben. Insofern gehe er davon aus, dass große Mengen an grünem Wasserstoff voraussichtlich aus Übersee importiert würden, in Form von Ammoniak, Methan und SAF. Insgesamt werde die Bundesrepublik jedoch rund zehn Prozent der weltweiten H2-Produktion benötigen, was sie zum Global Player mache.

Ganz anders sieht das Heinrich Gärtner, Gründer und CTO der GP Joule Gruppe. Er zeigte sich überzeugt, „dass wir viel mehr grünen Wasserstoff inländisch herstellen können, als wir heute denken“, und erläuterte: „Wir haben bereits ein großes Potenzial an erneuerbaren Energien, und dieses wächst weiter an. Damit nimmt auch die Menge an Überschussstrom zu, die man zur Erzeugung von Wasserstoff mittels Elektrolyse nutzen kann.“ Das sei nicht nur sinnvoll, sondern auch notwendig. Das entlaste die Netze und      ermögliche lokale Wertschöpfung. Seiner Ansicht nach braucht Deutschland nur einen winzigen Teil seiner Fläche, um den gesamten Bedarf an regenerativer Energie selbst herzustellen. „Wir haben alles hier: die Technik und die Infrastruktur.“


Abb. 4: Zahlreiche politische Vertreter*innen standen Rede und Antwort

Kooperation im europäischen Raum
Werner Diwald, Vorsitzender des Deutschen Wasserstoff-Verbands, sagte: „Die EU-Mitglieder sollten unsere Hauptimportländer sein, nicht zuletzt um die gegenseitigen Beziehungen zu stärken und die Stabilität innerhalb der Europäischen Union zu unterstützen.“ Er äußerte sich zudem optimistisch, dass es mit dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft schnell gehen könne, sowie es einen Markt und entsprechende Geschäftsmodelle gebe. Ähnliches habe man ja auch schon bei den erneuerbaren Energien gesehen. Man solle nicht vergessen: Die ganze Welt brauche grünen Wasserstoff. Deutschland habe deshalb große Konkurrenz, denn auch die anderen Länder machten sich mit ihren jeweils eigenen H2-Strategien auf den Weg, so Diwald.

Dass der anvisierte Transformationsprozess längst im Gange ist, bewiesen die anwesenden Politiker mit teils beeindruckenden Zahlen: So sprach Olaf Lies über 30 Großgaskraftwerke in Niedersachsen, die H2-ready gemacht werden sollen. Und seine Kollegin Mona Neubaur, Wirtschaftsministerin aus Nordrhein-Westfalen, kündigte 200 Wasserstofftankstellen bis 2030 an. „Wir setzen die Infrastruktur passgenau in die Region.“ Sie beteuerte, NRW solle die erste CO2-neutrale Industrieregion werden.

Hermes Startup Award: And the winner is …
Wie jedes Jahr prämierte die Messe ein besonders innovatives Unternehmen, das nicht älter als fünf Jahre ist. Für 2024 ging der Hermes Startup Award an Archigas aus Rüsselsheim. Das Unternehmen erhielt den Award für einen feuchtigkeitsresistenten Sensor zur Messung von Wasserstoff. Das Prinzip, das gemeinsam mit der Hochschule RheinMain entwickelt wurde, basiert nach Angaben des Herstellers auf einer verbesserten Messung der Wärmeleitfähigkeit auf einem Mikrochip. Die innovative Technologie zeichne sich durch „Miniaturisierung, robustes Design, kurze Messzeiten und vielfältige Einsatzmöglichkeiten“ aus, lobte Prof. Holger Hanselka, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft und Vorsitzender der Jury des Hermes Startup Awards. Archigas sei ein „exzellentes Beispiel für innovationsgetriebene Unternehmen“, welche die Grundlage schafften, um die Wasserstoffwirtschaft zu verwirklichen.

Norwegen als Pionier für grüne Industrietransformation
Das Partnerland Norwegen war mit einem eigenen Pavillon zu den Themenbereichen Energie, Prozessindustrie, Batterie- und Ladelösungen sowie Digitalisierung in Halle 12 und auch auf dem orangefarbenen Teppich der H2-Messe vertreten – mit dem Slogan „Pioneering the Green Industrial Transition“. Als Energieproduzent und Vorreiter in Sachen E-Mobilität sieht sich das skandinavische Land als eine Art Katalysator, um den grünen Wandel hin zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft zu beschleunigen. Etwa bei der Entwicklung im Bereich regenerativer Energien und dem Einsatz digitaler Lösungen, um die Industrie auf Netto-Null zu trimmen, wie der H2-Experte und ehemalige LBST-Mitarbeiter Ulrich Bünger erläuterte, der im „Ruhestand“ Norwegian Energy Partners (Norwep) berät. Ziel sei, ab 2030 etwa vier Prozent des europäischen Importbedarfs von schätzungsweise zehn Millionen Tonnen Wasserstoff selbst zu produzieren.

„Norwegen und Deutschland sind wichtige Handelspartner, und wir sind eine strategische Industriepartnerschaft für erneuerbare Energien und grüne Industrie eingegangen“, sagte der norwegische Handels- und Industrieminister Jan Christian Vestre zur Eröffnung der Messe. „Wir hoffen, dass die norwegische Präsenz auf der Hannover Messe diese enge Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern weiter stärken wird.“


Abb. 5: Honda zeigte sein neues BZ-System

Durch das EWR-Abkommen sei Norwegen vollständig in den europäischen Binnenmarkt integriert, so dass Handel und Investitionen nahtlos zwischen Norwegen, Deutschland und den anderen Ländern der Europäischen Union flössen. Während der Messe schloss die Bundesrepublik mit dem skandinavischen Partner außerdem ein Abkommen zur Speicherung von Kohlendioxid (Carbon Capture and Storage, CCS).

Einen Großauftrag konnte der norwegische Hersteller von Wasserstoffspeichersystemen, Hexagon Purus, verkünden. Ab dem zweiten Quartal 2024 wird er H2-Tanks an das Berliner Unternehmen Home Power Solutions (HPS) liefern, das nach eigenen Angaben den weltweit ersten Ganzjahres-Stromspeicher für Gebäude entwickelt hat. Das Picea-System wird vorrangig in Einfamilienhäusern in Kombination mit PV-Modulen eingesetzt. Überschüssiger Solarstrom, der vor allem im Sommer anfällt, wird mithilfe eines Elektrolyseurs in grünen Wasserstoff umgewandelt, der in Hochdrucktanks von Hexagon gespeichert wird. Im Winter dient dieser dann zur Rückverstromung. Auf diese Weise lassen sich Gebäude nach Angaben von HPS ganzjährig mit Sonnenenergie versorgen. „Unsere Hochdruck-Wasserstofftanks sind flexibel und skalierbar, deshalb eignen sie sich für ein breite Palette von Anwendungen“, etwa solche wie bei HPS, sagte Matthias Kötter, Geschäftsführer des Standorts in Weeze.

Kreativität und Erfindergeist in Halle 13
Eine Produktinnovation präsentierte zum Beispiel SFC Energy mit dem EFOY H2PowerPack X50, einer Pilotreihe für das bisher leistungsstärkste Brennstoffzellensystem mit bis zu 200 kW im Clusterbetrieb. Diese jüngste Entwicklung bietet dem Nutzer nach Angaben des BZ-Spezialisten aus Bayern eine kontinuierliche elektrische Ausgangsleistung von 50 kW. Es können jedoch bis zu vier dieser H2PowerPacks zusammengeschlossen werden, um eine Leistung von 200 kW zu erreichen. Ausgestattet ist die umwelt- und klimafreundliche Alternative zu Dieselgeneratoren mit Standard-400-V-AC-Anschlüssen, einer integrierten Lithium-Batterie sowie einer 300-bar-Wasserstoffschnittstelle.

Der Betrieb ist nach Herstellerangaben emissionsfrei, es werden weder CO2, Kohlenmonoxid, Stickoxide noch Feinpartikel ausgestoßen. Als Einsatzgebiet kommen beispielsweise die Notstromversorgung von Krankenhäusern oder Kommunikations- bzw. IT-Anlagen, die mobile Stromversorgung von Baustellen und Veranstaltungen oder eine kontinuierliche Stromversorgung von autarken Unternehmen infrage. „Mit dem Vorstoß in höhere Leistungsklassen reagiert SFC Energy auf eine entsprechend hohe Marktnachfrage“, teilte das im Jahr 2000 gegründete Unternehmen mit Hauptsitz Brunnthal bei München mit. Die Serienherstellung und Markteinführung sind für Anfang 2025 geplant.


Abb. 6: Der diesjährige H2 Eco Award ging an den Energiepark Bad Lauchstädt

Lhyfe baut aus
Wie der Wasserstoffhochlauf aus Sicht des mittlerweile in elf europäischen Ländern operierenden Lhyfe-Konzerns aussieht, berichtete Luc Graré, der den Geschäftsbereich für Mittel- und Osteuropa leitet: „Wir skalieren gerade unsere Produktion hoch.“ Die Philosophie des 2017 gegründeten Wasserstoffpioniers beschreibt er folgendermaßen: „Wir starten klein, lernen, wachsen, lernen wieder, wachsen weiter und skalieren dann auf.“ Nachdem das Unternehmen in Frankreich mit einer Elektrolysekapazität von einem Megawatt begonnen habe, liege die nun bei 10 MW.

Zurzeit sind sechs Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff geplant bzw. im Bau: Drei in Frankreich, drei in Deutschland. „Und es werden immer mehr.“ Eine 10-MW-Anlage befindet sich in der niedersächsischen Hafenstadt Brake (Unterweser) im Bau. Dort sollen jährlich bis zu 1.150 Tonnen an grünem H2 erzeugt werden, das an regionale Kunden aus dem Industrie- und Mobilitätssektor geht. Den Bezug von Grünstrom hat sich das Unternehmen durch langfristige Stromverträge (PPA) mit Betreibern von Windparks und Photovoltaikanlagen gesichert.

Eine weitere 10-MW-Anlage ist seit Herbst 2023 in Schwäbisch Gmünd, Baden-Württemberg, im Bau und soll in der zweiten Hälfte dieses Jahres in Betrieb gehen – mit einer Produktion von bis zu vier Tonnen grünem Wasserstoff pro Tag. Noch in der Entwicklung ist der Plan, bis 2029 eine 800-MW-Anlage im vorpommerschen Lubmin in Betrieb zu nehmen, die auf dem Gelände des stillgelegten Atomkraftwerks errichtet werden soll. Der künftig dort erzeugte Wasserstoff könnte nach Angaben von Lhyfe in das entstehende Wasserstoffnetz eingespeist werden.

Ameisensäure als H2-Speicher
Auch außerhalb der Halle 13 ging es viel um Wasserstoff. An manchen Ständen sah es aus wie in einem Chemielabor, mit blubberndem Wasser in Glasgefäßen oder einer trüben Nährflüssigkeit in transparenten Bioreaktoren. Damit zeigte Festo in Halle 7 seine neueste Errungenschaft in Sachen H2-Speicherung: die sogenannte BionicHydrogenBattery (s. Abb. 7). Darin enthalten sind Bakterien aus dem zentralafrikanischen Kivusee, die in einem natürlichen Prozess Wasserstoff in Ameisensäure umwandeln. In dieser chemisch gebundenen Form lässt sich Wasserstoff vergleichsweise einfach speichern und transportieren. Und auch klimafreundlicher, denn ein energieintensives Komprimieren entfällt ebenso wie das Kühlen auf -253 °C, um Wasserstoff zu verflüssigen. Die Bedingungen, unter denen die Mikroorganismen ihren Dienst tun, sind moderat: Sie brauchen eine Temperatur von 65 °C und einen Druck von 1,5 bar.


Abb. 7: Der Kultivierungsreaktor der BionicHydrogenBattery von Festo

Normalerweise leben die Bakterien namens Thermoanaerobacter kivui im Schlamm unter Sauerstoffabschluss (anaerob). Sie besitzen ein Enzym, mit dem sie Wasserstoff und Kohlendioxid in Ameisensäure (CH2O2) umwandeln können. Zudem können sie den Prozess auch umkehren. Die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet leistete das Team um Volker Müller, Professor an der Goethe-Universität Frankfurt und Leiter der Abteilung Molekulare Mikrobiologie und Bioenergetik, mit dem das Bionic-Projektteam von Festo nach eigenen Angaben eng zusammenarbeitet.

Das Spannende an diesem biologischen Prozess sei aus ökonomischer Sicht nicht nur die Geschwindigkeit der Reaktion, sondern auch, dass die Bakterien als Katalysatoren fungieren: „Sie werden nicht verbraucht“, erklärt das auf Automatisierungstechnik spezialisierte und weltweit tätige Unternehmen, das 1925 in Esslingen gegründet wurde. „Der Prozess lässt sich mit genügend Regenerationsphasen beliebig wiederholen – ganz im Sinne eines Kreislaufs.“ Da die Reaktion in beide Richtungen ablaufen kann, sind Bakterien dieser Art in der Lage, Ameisensäure am Zielort wieder in Wasserstoff und Kohlendioxid zu zerlegen. CO2 kann dann zum Beispiel in der Getränkeindustrie eingesetzt werden.

Positives Fazit
Auf der Abschluss-Pressekonferenz zog Jochen Köckler erwartungsgemäß eine positive Bilanz: Mehr als 130.000 Besucher aus über 150 Ländern trafen auf 4.000 Aussteller aus 60 Ländern. 40 Prozent der Besucher kamen aus dem Ausland: die meisten aus China und den benachbarten Niederlanden, dann folgten die USA, Korea und Japan. Gunnhild Brumm von der norwegischen Wirtschaftsförderungsorganisation Innovation Norway freute sich über gute Geschäfte und Vertragsabschlüsse: „Kurz gesagt: Es hat sich super gelohnt! Es war ein richtiger Boost für uns. Wir kommen gerne wieder.“ Natürlich nicht noch mal als Partnerland, denn das ist im nächsten Jahr Kanada.

„Wir legen den Grundstein für die H2-Wirtschaft der Zukunft. […] Bei künstlicher Intelligenz (KI) ist die Geschwindigkeit an einigen Stellen zu hoch, bei Wasserstoff brauchen wir unbedingt mehr Tempo.“
                                                                                                                                                                                                                                                                          Dr. Jochen Köckler, Vorstandsvorsitzender Deutsche Messe

Autoren: Monika Rößiger & Sven Geitmann

Erste kommerzielle Produktion von grünem Wasserstoff

Erste kommerzielle Produktion von grünem Wasserstoff

Tschechien: Solar Global betreibt Elektrolyseanlage

Ein Elektrolyseur in der Kleinstadt Napajedla im Südosten der Tschechischen Republik hat den ersten grünen Wasserstoff des Landes aus Solarstrom produziert. Die industrielle grüne Wasserstoffproduktionsanlage wird von Solar Global betrieben, einem der führenden Akteure in der tschechischen Branche für erneuerbare Energien.

Diese Wasserstoffproduktionsanlage sollte vor allem als Pionierprojekt verstanden werden, denn ihre Leistung von 230 kW ist relativ gering. Es können bis zu 246 MWh Strom pro Jahr aufgenommen werden. Der Strom stammt aus einer Photovoltaikanlage mit 611 kW Peakleistung. Ein Batteriespeicher puffert die Differenzen zwischen Erzeugung und Verbrauch. Entsprechend der tschechischen Wasserstoffstrategie wird der Wasserstoff vor allem als Treibstoff eingesetzt.

„Der so erzeugte grüne Wasserstoff kann an der Tankstelle in Napajedla nicht nur in Lkw und Busse, sondern auch in Pkw mit umweltfreundlichem Wasserstoffantrieb getankt werden“, erklärte Vítězslav Skopal, Eigentümer der Solar Global Group. Laut Solar Global kann die Anlage jährlich rund acht Tonnen grünen Wasserstoff liefern. Damit kann ein Pkw 800.000 Kilometer und ein Wasserstoffbus 80.000 Kilometer weit fahren.

Gesamte Wertschöpfungskette abdecken

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Die Wasserstoffherstellung soll Schritt für Schritt zu einem wichtigen Industriezweig in Tschechien entwickelt werden. Dabei stellt sich die Solar Global Group eine Entwicklung der gesamten Wertschöpfungskette vor. Neben der Herstellung von Wasserstoff will das Unternehmen perspektivisch auch Fahrzeuge betreiben, die mit Brennstoffzellen ausgestattet sind. Schließlich will sich die Solar Global Group auch in der Bereitstellung von Wasserstoff über Tankstellen engagieren. „All dies setzt natürlich den Bau weiterer notwendiger Technologien voraus, das heißt Wasserstoffverdichtung, -speicherung und -tankstellen, die die nächsten Etappen unseres Pilotprojekts darstellen“, erklärte Skopal.

Die Herstellung des ersten Kilogramms tschechischen Wasserstoffs wurde finanziell vom Staatlichen Umweltfonds der Tschechischen Republik (SEF CR) gefördert, der seit 1992 besteht. Bislang hat das Umweltministerium vier Elektrolyseure aus dem Umweltfonds finanziell unterstützt. „Zwei weitere Projekte werden derzeit geprüft“, sagte Lucie Früblingová, Sprecherin des staatlichen Umweltfonds. Die Programme, aus denen heraus Wasserstoffprojekte gefördert werden können, werden derzeit erweitert. Die Anzahl der geförderten Projekte und die Summe der Subventionen sollen in der Zukunft steigen.

Fossile Firmen wollen grünen Wasserstoff produzieren

Auch Orlen Unipetrol, der größte Produzent von „grauem“, fossilem Wasserstoff in der Tschechischen Republik, soll Fördermittel erhalten. Das Unternehmen, das dem polnischen Mineralölriesen Orlen gehört, will einen Elektrolyseur in Verbindung mit einem Solarkraftwerk in Litvínov installieren. Mit dem Aufbau der Anlage soll zwischen 2024 und 2025 begonnen werden, die Produktion von grünem Wasserstoff soll Ende 2028 anlaufen. Unipetrol ist aber jetzt schon klar, dass die eigene Produktion nur einen Bruchteil seines Wasserstoffbedarfs decken kann. Man denkt bereits über H2-Importe nach.

Ein weiterer Elektrolyseur, der von dem Umweltfonds gefördert wird, gehört der Sev.en Energy Group. Das Bergbauunternehmen betreibt den einst großen Braunkohletagebau in Most, Komořany, der bald auslaufen soll, und die dazugehörigen Kohlekraftwerke. Sev.en plant einen massiven Ausbau von Solarkraftwerken mit einer Gesamtkapazität von 120 MW. Hier ist ein 17,5-MW-Elektrolyseur vorgesehen, der ab 2027 360 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr produzieren soll. Die Kosten für das Wasserstoffsystem belaufen sich laut Pavel Farkač, Geschäftsführer von Sev.en, auf etwa 700 Mio. CZK, was umgerechnet 28,5 Mio. Euro entspricht, wovon ein substanzieller Anteil durch die Subventionen des Umweltfonds gedeckt werden soll.

Tschechiens Regierung hat im Oktober 2023 einen Entwurf für einen Energie- und Klimaplan für die Jahre bis 2030 vorgelegt. Laut der Pressemitteilung des Umweltministeriums soll bis zum Ende des Jahrzehnts vermehrt Wasserstoff für Industrie und Mobilität eingesetzt werden. Der Plan sieht außerdem vor, keinen Braunkohlestrom mehr zu exportieren.

Autorin: Aleksandra Fedorska

Nationale Wasserstoffstrategie für Tschechien (auf Englisch): www.hytep.cz/images/dokumenty-ke-stazeni/Czech_Hydrogen_Strategy_2021.pdf

FRHY-Stack, der Erste seiner Art!

FRHY-Stack, der Erste seiner Art!

Technologieplattform für hochratenfähige Elektrolyseurproduktion

Das Verbundprojekt FRHY im Wasserstoff-Leitprojekt H2Giga zielt auf die Hochskalierung der Elektrolyseurproduktion ab. Damit die Entwicklung der erforderlichen Technologielösungen gelingt, wurde der FRHY-Stack als Referenz geschaffen: ein Elektrolyseur mit hohem Wirkungsgrad und dem Potenzial für eine industrielle Massenfertigung, der zudem den Wissens- und Technologietransfer unterstützt.

Die insgesamt zehn Zellen des FRHY-Stacks bestehen jeweils aus zwei umgeformten und gefügten Blechplatten, den sogenannten Bipolarplatten (BPP). Diese beiden Halbplatten werden auf einer am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) neu entwickelten Anlage zunächst mit hoher Geschwindigkeit prägend gewalzt. Anschließend werden sie in einem hinsichtlich der Prozessgeschwindigkeit angepassten Fügeverfahren miteinander verschweißt.

FRHY – der Referenzstack
Eine weitere wesentliche Komponente ist die Protonen-Austausch-Membran (MEA). Diese wird in einem neuartigen lnkjet-Druckverfahren (Fraunhofer ENAS) hergestellt. BPP und MEA sind in einen stabilen Folienrahmen, das Subgasket, eingebettet und werden durch verschiedene Dichtungen und die porösen PTL/GDL-Matten (engl. Porous Transport Layer bzw. Gas Diffusion Layer) ergänzt. Somit entsteht ein auf industrielle Massenfertigung ausgelegtes Zelldesign.

Die Zu- und Abführung der Medien Wasser beziehungsweise Wasserstoff am Stack – dem Stapel mehrerer Zellen – erfolgt durch Kanäle am Rand jeder Zelle. Die beiden vergoldeten Kontaktplatten am Stapelende versorgen den Stack mit Energie.

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Der FRHY-Referenz-Stack ist für verschiedene Nutzungsszenarien geeignet und verfügt über einen hohen Wirkungsgrad. Damit stellt die Referenzfabrik.H2 erstmals eine Basis zur Verfügung, die es einer Vielzahl von Branchen beziehungsweise Unternehmen ermöglicht, einzelne Komponenten technologisch und wirtschaftlich zu bewerten, ihr individuelles Geschäftsmodell zu entwickeln und sich in der Lieferkette zu platzieren.

       
Abb. 1: FRHY-Referenz-Stac                                                                             Parameter
Quelle: Referenzfabrik.H2

In der ersten Entwicklungsphase entstand der Design-Baukasten. Dieser definiert wesentliche Parameter für die Auslegung der Zell- beziehungsweise Stack-Komponenten und stellt verschiedene Ausführungen gegenüber. Dabei konnten zunächst zwei sehr funktionale Designs herausgearbeitet werden, die für die Fertigung von Zellen in hohen Stückzahlen infrage kommen. Die Variante M ist die Basis für den FRHY-Stack; das fertigungstechnische Potenzial beruht auf metallischen BPP.

Zusätzlich wurde eine Variante K entwickelt. Diese zeichnet sich durch einen neu geschaffenen, intelligenten Kunststoffrahmen aus, der automatisiert in großen Stückzahlen gefertigt werden kann. Auf der Grundlage dieser Designs stellten die Ingenieure Komponenten her und führen diese im FRHY-Stack zusammen.

Für die Entwicklung der nächsten, hochratenfähigen Generation von Elektrolyseuren steht somit ein wertvoller Bezugsrahmen zur Verfügung. Gerade Elektrolyseure im (preissensiblen) kW-Bereich sind ohne hochratenfähige Produktionsprozesse kaum markttauglich. Sind die Verkaufspreise hingegen attraktiv, entsteht allein durch den Energiespeicherbedarf in Windparks oder Wohnhäusern ein riesiger Markt. Auch für Anwendungsszenarien im Megawatt-Bereich wäre der Stack einsetzbar. Durch die Kopplung von Stacks ließen sich Anlagen für die Produktion großer Mengen an Wasserstoff realisieren, um beispielsweise das verarbeitende Gewerbe und die Grundstoff-Industrie zu versorgen.

Stoßrichtung des Verbundvorhabens FRHY
FRHY verfolgt einen technologieoffenen Ansatz zur Entwicklung neuer Module für eine hochskalierbare Elektrolyseurproduktion und deren digitale Zwillinge. Das Ziel ist, einen Baukasten der wesentlichen Produktionsschritte zu deren technologischer und wirtschaftlicher Bewertung zu schaffen und damit die Industrie bei der Auswahl der Fertigungsverfahren unter Berücksichtigung wichtiger Parameter, wie insbesondere Skalierbarkeit, Qualität und Kosten, zu unterstützen. So lassen sich Produktionsvarianten berechnen und mögliche Fertigungsstrategien, etwa hinsichtlich Automatisierung oder einer integrativen kontinuierlichen Prozessführung, analysieren. Damit können nicht nur Investitionskosten beziffert, sondern auch Return-on-Investment-Aussagen im Verhältnis zur geplanten Produktionsmenge abgeleitet werden.

Die FRHY-Methodik gestattet auch eine Vernetzung von Produktionslinien zu einem gesamten Wertschöpfungssystem. Dadurch wird Transparenz geschaffen und der Aufbau von Lieferketten unterstützt. Zudem erleichtert sie die Fabrikplanung und Entscheidungen über eine effektive Fertigungstiefe.

Produktions- und Prüfverfahren für Elektrolyseure verleiht der FRHY-Ansatz typübergreifend einen enormen Schub und sorgt für einen hohen Technologie-Reifegrad. Ein wesentlicher Schwerpunkt dabei ist, den Nachweis robuster und skalierbarer Prozesse zu erbringen. Davon wird auch die Qualität und Lebensdauer des Produkts profitieren: Stabile Prozesse sorgen zudem für eine wirtschaftliche Massenproduktion hochwertiger Elektrolyseure und sind die Grundlage kontinuierlicher Weiterentwicklung sowohl der Produktion als auch des Produkts.

H2Giga und FRHY
Mit dem Wasserstoff-Leitprojekt H2Giga unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Deutschlands Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. In vier Jahren Laufzeit (bis März 2025) soll es vorhandene Hürden auf dem Weg zur serienmäßigen Herstellung großskaliger Wasserelektrolyseure überwinden. FRHY vereint die Fraunhofer-Institute IWU, ENAS, IPT, IPA, IMWS und IWES. Der dezentrale Aufbau ermöglicht es, regionale Partner und Netzwerke in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Mitteldeutschland einzubinden.

Potenziale
FRHY verknüpft physische und virtuelle Lösungen und sorgt so für einen enormen Innovationsimpact in der Elektrolyseurproduktion. Aus diesem Leitziel des Verbundvorhabens ergeben sich ehrgeizige Vorhaben, die den Weg in die Massenproduktion von Elektrolyseuren ebnen werden.

Die Entwicklung neuartiger, konfigurierbarer Produktions- und Prüfmodule für die Schlüsselprozessschritte der Stack-Herstellung wird die Fertigungskosten um mindestens 50 Prozent senken und die Produktqualität um 20 Prozent verbessern, bei einer erheblich verlängerten Lebensdauer der Elektrolyseur-Gesamtsysteme.

Die dabei zu lösenden Forschungsfragen umfassen vorrangig die Erweiterung der technologischen Grenzen der Elektrolyseurproduktion. Parallel dazu sind wissenschaftliche Impulse zur produktionsoptimierten „Next Generation“ der Elektrolyseure zu erwarten. FRHY, das Verbundprojekt in H2Giga, und insbesondere der FRHY-Stack haben dafür eine wesentliche Grundlage geschaffen.

Digital abgebildete Produktions- und Prüfmodule werden in einen Technologiebaukasten für die Stack-Produktion integriert. Dieser fasst die Resultate aus den physischen und digitalen Analysen zusammen. Dadurch lassen sich erstmals von der Industrie dringend benötigte quantifizierbare Aussagen zur Ausbringungsmenge, zu Kosten und zum Funktionsbereich in Abhängigkeit vom Fertigungsverfahren ableiten.

Chancen
Mit dem FRHY-Referenzstack wurde erstmals eine Lösung geschaffen, die die Basis für eine industrielle Massenfertigung von Elektrolyseurkomponenten darstellt. Nicht nur die konsequente Umsetzung von kontinuierlichen Rolle-zu-Rolle-Fertigungstechnologien führt zur Erhöhung der Produktionsmengen. Auch neue Verfahren, die bewusst auf den sparsamen Einsatz kritischer Materialien (z. B. Platin, Iridium, Titan) setzen, und In-situ-Prüftechnologien resultieren in einer substanziellen Senkung der Produktionskosten.

Entstanden sind eine echte Referenz und ein technologischer „Rohdiamant“, die für eine industrielle Umsetzung durch Unternehmen zur Verfügung stehen. Damit ist ein wichtiger Grundstein für die künftige Verfügbarkeit von Wasserstoffsystemen zu bezahlbaren Preisen gelegt – und letztlich für einen H2-Endpreis auf wirtschaftlich vertretbarem Niveau.


Abb. 2: Walzprägen von Bipolarplatten: Die Struktur der Bipolarplatte wird durch ein Walzenpaar geprägt. Hauptvorteil dieses Verfahrens ist die hohe Prozessgeschwindigkeit, die zu einer substanziellen Steigerung der Stückzahlausbringung, Skaleneffekten und schließlich zu einer deutlichen Reduktion der Kosten führt.

Die Referenzfabrik.H2
Die Gesamtkoordination für das Verbundprojekt FRHY liegt bei der Referenzfabrik.H2 des Fraunhofer IWU. Die Referenzfabrik.H2 hat sich das Ziel gesetzt, Schrittmacher für die industrielle Massenproduktion von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen zu sein. Industrie und Wissenschaft verstehen sich dabei als Wertschöpfungsgemeinschaft, die gemeinsam am zügigen Hochlauf einer effizienten, stückzahlskalierbaren Produktion von Wasserstoffsystemen arbeitet.

Die Referenzfabrik.H2 basiert auf den Forschungs- und Entwicklungsprojekten des Fraunhofer IWU. Daraus entstandene Lösungen bieten die fertigungstechnische Grundstruktur. Hier bringen die Industrieunternehmen ihre Kernkompetenzen ein und entwickeln diese gemeinsam mit den beteiligten Fraunhofer-Instituten sowie anderen Industrieunternehmen weiter. Nur mit diesem engen Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Industrie kann es gelingen, schneller leistungsstarke, kostengünstigere Systeme für den Masseneinsatz zu produzieren.

Autorin: Dr. Ulrike Beyer, Referenzfabrik.H2 am Fraunhofer IWU

 

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