von Sven Geitmann | Jan. 27, 2025 | 2024, 2025, Energiewirtschaft, International, Markt, News, Politik, USA, Wasserstoffwirtschaft
Interview mit Michelle Lujan Grisham, Gouverneurin von New Mexico
Die USA investieren viel Geld in erneuerbare Energien und auch Wasserstoff. Die Biden-Regierung hat mit dem Inflation Reduction Act (IRA – Inflationsminderungs-Gesetz) große Geldsummen freigesetzt, um nachhaltige Technologien zu fördern. Auch wenn unter einer neuen Trump-Regierung zumindest ein Teil davon wieder rückgängig gemacht werden dürfte, haben sich etliche Bundesstaaten auf den Weg gemacht und setzen – so wie New Mexico – auf Wasserstoff. HZwei-Herausgeber Sven Geitmann sprach darüber bereits im Sommer 2024 während des World Hydrogen Summits in Rotterdam mit Gouverneurin Michelle Lujan Grisham.
HZwei: Frau Gouverneurin, es ist mir eine Ehre, heute hier mit Ihnen sprechen zu können. Was hat Sie bewogen, hier nach Europa zu kommen?
Grisham: Wir haben 2,2 Mio. Einwohnende, die wir vertreten. Um das machen zu können, müssen wir wissen, was auf der Welt passiert und uns selbst einen eigenen Eindruck davon machen. Diese spezielle Konferenz ist wichtig für uns aus zwei Gründen: Erstens gibt es ausländische Investoren, die in New Mexico Wasserstoff-Campus aufbauen wollen. Für sie sind wir hier unterwegs, um New Mexico als interessanten Standort mit all seinen Assets vorzustellen. Und zweitens haben unsere weltweiten Partner die Überzeugung, dass Wasserstoff einen Kraftstoff für den Transformationsprozess des Energiesektors darstellt.
Das Bewusstsein über Klimagerechtigkeit in den Niederlanden sowie in Europa ist ein kraftvolles Vorbild für die Vereinigten Staaten sowie einige Gouverneure, um – wie soll ich sagen – die eigenen Klimaziele zu erreichen. Wir müssen Teil einer sehr viel größeren internationalen Bewegung werden, um Net-Zero wie geplant zu erreichen und den Temperaturanstieg aufzuhalten. Außerdem müssen wir uns um die Lebensbedingungen insbesondere der unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen kümmern – New Mexico ist ein armer Bundesstaat –, die vielen Emissionen ausgesetzt sind oder in Regionen wohnen, in denen fossile Energieträger dominieren.
Hier wird all das thematisiert, deswegen sind wir hier.
Um was für Unternehmen geht es dabei?
Bei uns sind bereits etliche Wasserstoffunternehmen angesiedelt. Gleichzeitig sind wir der zweitgrößte Öl- und Gasproduzent in den Vereinigten Staaten. Diese Unternehmen, so wie beispielsweise Exxon Mobile, müssen ihre Emissionen in unserem Bundesstaat reduzieren. Aber natürlich auch hier, schließlich sind sie der größte US-Arbeitgeber in den Niederlanden. Sie haben damit eine große Verantwortung. Wir wollen sie gerne im Land halten und gleichzeitig bei ihren Bemühungen zur Emissionsreduzierung unterstützen, indem wir den Übergang zu saubereren Kraftstoffen – wie Wasserstoff – erleichtern.
Bei den von Ihnen erwähnten H2-Campus – geht es dabei um Forschung und Entwicklung, um Produktion oder worum?
Um alles. Wir haben Fläche (fünftgrößter US-Bundesstaat). Und wir haben zwei der insgesamt fünf nationalen US-Forschungszentren, wir haben unglaublich ergiebige Böden, wir haben die größte Windfarm der USA, wobei noch weitere kommen, und wir haben sehr viel investiert in neue Stromtrassen. Wir können also grüne Elektronen ins Stromnetz bringen. Deswegen wollen wir alles: Brennstoffzellen, Wasserstoff als Kraftstoff, Produktion, Wärme- und Kälteerzeugung – in jeglicher Größenordnung.
Dabei haben wir natürlich interessante Herausforderungen beim Wasser: Wir haben Wüste und Dürre, bedingt durch die Klimakrise. Diese Wüstengeologie ist zwar gut für fossile Energievorkommen, aber wir haben vornehmlich Brackwasser. Im Förderprozess von Öl und Gas entsteht zudem Prozesswasser. Beides, Brack- und Prozesswasser, lässt sich mit moderner Technologie nutzbar machen, wie wir auf der COP in Dubai vom dortigen Umweltminister gelernt haben. So können auch wir unser Wasser reinigen bzw. entsalzen, um es für Wasserstoff einsetzen zu können, ohne unsere Trinkwasservorkommen zu reduzieren.
Da der Transformationsprozess von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern so komplex ist, wollen wir all diese Technologien nutzen und laden Investoren und Wirtschaftsunternehmen ein, sich bei uns anzusiedeln. So wie beispielsweise ein australisches Unternehmen, das kürzlich angekündigt hat, 100 Mio. US-Dollar in einen Produktions- und Forschungs-Campus zu investieren.
Wo sehen Sie da die Herausforderungen beziehungsweise Chancen?
Dieser Transformationsprozess ist kostenintensiv. Gleichzeitig ergeben sich da tolle Gelegenheiten zum Gestalten – nicht zuletzt durch den Inflation Reduction Act. Unser Bundesstaat hat da noch weitere Steuervergünstigungen draufgesetzt, und es gibt ja noch weitere wirtschaftliche Entwicklungsinstrumente, so dass wirklich gute Voraussetzungen herrschen. Dadurch ergeben sich bei der Mitgestaltung dieses neuen Marktes gute Konditionen mit hohen Gewinnmargen. Auf diese Weise bekommen wir einen Fuß in die Tür, bevor der Wettbewerb beginnt.
Wir haben dafür die geeigneten Standorte. Wenn es um Ansiedlungen geht, geht’s um Standortvorteile – die haben wir. Unsere Geologie, unsere Anbindungen an die Häfen an der Golfküste sowie in Los Angeles. Oder einfach die Anbindung per Truck sowie Bahn nach Kalifornien sowie Mexiko.
Was für zusätzliche Instrumente, ergänzend zum IRA. haben Sie in New Mexico?
In der Tat haben wir weitere Fördermaßnahmen, so wie beispielsweise seit März 2024 den Advanced Energy Equipment Tax Credit (Steuergutschrift für moderne Energieanlagen). Diese Gutschrift gleicht bis zu 20 Prozent der Herstellungskosten für Komponenten der erneuerbaren Energien aus – bis zu einem Höchstbetrag von 25 Millionen US-Dollar pro Projekt.
Wie beurteilen Sie den IRA?
Das war von Präsident Biden nicht nur produktiv, sondern auch strategisch ein wichtiger Schritt für die Transition, die wir alle wollen. Wir merken immer häufiger, dass wir diesen Übergang brauchen, andernfalls können wir gleich aufhören, den Planeten zu retten. Deswegen muss man einiges an Geld investieren, das ist richtig, weil die USA ein großer Energieverbraucher und ein großer Öl- und Gasproduzent sind. Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen und nicht anderen Menschen sagen, was sie tun sollen.
Zurück zu Ihrem Bundesstaat: Wie wollen Sie den Spagat zwischen der fossilen und einer nachhaltigen Energiewirtschaft hinbekommen?
Auf jeden Fall muss die Kohlenstoffintensität verringert werden in allen Bereichen – inklusive Öl und Gas. Die Fabriken müssen die Net-Zero-Ziele erreichen. Wir müssen jetzt den Mobilitätssektor dekarbonisieren und in Richtung Wasserstoff gehen. Dafür benötigen wir Arbeitskräfte und müssen schauen, wo wir die herbekommen. Ein großer Teil davon wird ganz offensichtlich – weltweit – aus dem Öl- und Gassektor kommen in den kommenden 25 bis 35 Jahren. Ich kann Ihnen genau sagen, wie viele Arbeitskräfte das sind, wo die herkommen, was die verdienen, wie deren familiäres Umfeld ist.
Wir haben 150.000 Menschen, die in der Öl- und Gasindustrie arbeiten und die einen möglichst einfachen Übergang in eine zukünftige Energieversorgung benötigen. Aufgrund ihrer bisherigen Erfahrungen brauchen sie alle vergleichsweise wenig Training für andere Sektoren. Wir haben bereits mit einem Energy Transition Act bewiesen, dass wir das hinbekommen, indem wir über 800 Nawaho-Mitarbeitern eines Kohlekraftwerks neue Beschäftigungsverhältnisse besorgt haben.
New Mexico ist da in vielen Belangen führend in den Vereinigten Staaten. Die Öl- und Gasfirmen werden zu Energieunternehmen, die kohlenstoffarme Lösungen entwickeln, um Wasserstoff von einer Idee in die Realität zu bringen. Wir unterstützen diese Unternehmen auf ihrem Weg. Und selbst wenn die Firmen den freiwerdenden Mitarbeitern nicht helfen, helfen wir diesen Arbeitern.
Wie sieht es mit Wasserstoff aus? Auf welche Herstellungspfade konzentrieren Sie sich?
Wir machen uns nicht so viele Gedanken um die Farben. Ich sorge mich eher um die Kohlenstoffintensität. Ihr Wasserstoff kann grün-plus oder weiß sein oder was auch immer. Es kommt doch darauf an, wo die Ursprünge liegen. Die steuerlichen Vergünstigungen sind dafür da, um Ihren Aufwand zur Reduzierung der CO2-Emissionen zu ersetzen. All die Firmen, die hier sind und ihre Produkte präsentieren, wollen doch dasselbe – und wir wollen sie unterstützen.
Die Leute da draußen verstehen doch die ganze Diskussion um die verschiedenen Wasserstofffarben gar nicht, denn es dreht sich doch alles um dieselben Moleküle. Und wir wollen grün – oder besser grüner – werden. Grüner Wasserstoff wird jedoch inzwischen mit einem größeren Wasserbedarf assoziiert. Deswegen müssen wir dahin kommen, dass wir letztendlich möglichst viele grüne Elektronen in die Stromleitung bekommen.
Dafür ist ein Übergangsszenario notwendig, allerdings dürfte es schwierig werden, mit grauem Wasserstoff wirtschaftlich agieren zu können. Denn Sie bekommen umso mehr Unterstützung von uns, je sauberer Sie sind. Wir sind technologieoffen, aber sicher hinsichtlich der Kohlenstoffintensität.
Wovon gehen Sie aus, wie kann dieser Wasserstoff dann am sinnvollsten transportiert werden? Per Pipeline? Gebunden in Ammoniak oder Methanol? Oder in LOHC?
Ja, alle von ihnen. Ammoniak scheint eine gute Lösung für den Überseetransport zu sein. Es gibt nicht genügend Pipelines rund um den Globus, also müssen es alle diese Formate sein.
Was erwarten Sie von der US-Wahl? Wird es grundlegende Veränderungen auch beim IRA geben, sollte Trump gewählt werden?
Selbst republikanische Staaten mögen es nicht, wenn Washington DC uns sagt, was wir zu tun haben. Man kann beispielsweise einen Staat nicht führen, wenn man nicht die richtige Infrastruktur hat. Trump wird sehr aggressiv sein mit seinen Äußerungen, kein Geld auszugeben, aber im Kongress dürfte es wieder eng werden. Präsidenten haben in der Regel nur begrenzte Möglichkeiten, Dinge zu tun oder zu lassen. Ich bin daher nicht wirklich besorgt.
Interview: Sven Geitmann
von Eva Augsten | Jan. 2, 2025 | 2024, Deutschland, Markt, Meldungen, Messen, News, Wasserstoffwirtschaft
Die Wasserstoff-Konferenz und -Messe Hydrogen Technology Expo hat im Oktober 2024 erstmals in Hamburg stattgefunden. Dort gibt es noch einiges Wachstumspotenzial. Das liegt nicht nur daran, dass die Hamburger Messe größer ist als die in Bremen – wo diese Veranstaltung in den vergangenen drei Jahren abgehalten wurde –, sondern auch daran, dass sich Hamburg zu einem Wasserstoff-Hub in Norddeutschland entwickelt.
Mit gut 800 Ausstellern, rund 15.000 Messegästen und 1.500 Konferenzbesuchern gehört die noch junge Veranstaltung bereits zu den größeren Branchentreffs. Die Aussteller zeigten sich zufrieden mit den auf der Messe geknüpften Kontakten. Laut Veranstalter sind bereits über 80 Prozent der Flächen für das kommende Jahr gebucht. Mit sechs parallelen Vortragsreihen war auch das Konferenzprogramm abwechslungsreich. Das reichte von übergreifenden Themen wie dem internationalen Handel mit Wasserstoff im „Strategic Forum“ bis zu technischen Details über Testverfahren von Brennstoffzellen.
Eine reine H2-Veranstaltung ist die Hydrogen Technology Expo allerdings nicht. In den Aussteller- und Besucherzahlen sind auch diejenigen enthalten, die sich mit dem zweiten Schwerpunkt der Kongressmesse befassen – Carbon Capture and Storage (CCS), also dem Auffangen und Lagern von Kohlendioxid. Sponsor des Strategic Forum ist zudem der Ölriese Exxon Mobil.
Diese thematische Verknüpfung rief auch Umweltaktivisten von Greenpeace auf den Plan, die auf dem Messegelände gegen CCS protestierten. Für 2025 wird die „Carbon Capture Technology Expo“ mit einer eigenen Webseite beworben. Auf dem Internetauftritt der Hydrogen Technology Expo ist das Thema CCS kaum zu finden. Mit einigen weiteren Klicks sieht man jedoch schnell, dass Ausstellungsfläche und Konferenzprogramm identisch sind.
von Anette Weingärtner | Jan. 2, 2025 | 2024, Energiespeicherung, Europa, Netze, News
Europäisches Multi-Gasnetzwerk geht an den Start
Im EU-Projekt SHIMMER arbeitet die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) an einer umfassenden Wissensdatenbank. Dort sollen wichtige Informationen zu Standards für sichere Materialien und Komponenten sowie zur europäischen Gasinfrastruktur bereitgestellt werden. SHIMMER wird von der norwegischen Forschungsorganisation SINTEF geleitet. Das Projekt vereint zwölf europäische Institutionen, darunter staatliche Einrichtungen und Gasnetzbetreiber aus Spanien, Italien, Norwegen, Polen, Belgien, den Niederlanden und Deutschland.
Die Einspeisung von Wasserstoff (H₂) in bestehende Gasnetze bringt sowohl technische als auch regulatorische Herausforderungen mit sich. Diese betreffen insbesondere die Materialintegrität von Pipelines und die Harmonisierung gesetzlicher Anforderungen. Im Projekt SHIMMER (Safe Hydrogen Injection Modelling and Management for European Gas Network Resilience) geht es darum, das Verständnis für die Integration von Wasserstoff in die bestehende Gasinfrastruktur zu verbessern und damit den Markthochlauf sicherer Wasserstofftechnologien insgesamt zu unterstützen. Das Forschungsvorhaben startete bereits im September 2023 und wird im August 2026 enden. Die Finanzierung erfolgt durch das EU-Programm „Horizon Europe – Clean Hydrogen Partnership“.
Funktionalität und Sicherheit des Gasnetzes
Bereits der Titel „Safe Hydrogen Injection Modelling and Management for European Gas Network Resilience“ verweist auf die mit dem Projekt verbundene Zielsetzung: Für eine geplante höhere Einspeisung von Wasserstoff ins existierende Gasnetz sollen zuverlässige Modelle beziehungsweise Simulationswerkzeuge und sicheres Management bereitgestellt werden, um die Ausfallsicherheit beziehungsweise Robustheit des europäischen Gasnetzes zu gewährleisten.
„Die Einspeisung von H₂ ins existierende Gasnetz in höheren Anteilen oder in höherer Konzentration ist mit technischen Herausforderungen verbunden, weil die Infrastruktur ursprünglich nicht dafür vorgesehen ist. Deshalb müssen Werkzeuge, Prüfmethoden, Simulationsprogramme zum Planen und zum Betrieb, aber auch eine Übersicht über die bereits existierende Infrastruktur geschaffen werden, um die Sicherheit des Netzes und dessen Funktionalität zu gewährleisten“, erläutert der Projektverantwortliche Dr.-Ing. Oded Sobol von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.
Im Rahmen des genannten übergeordneten Ziels werden weitere spezifische Ziele verfolgt, wie die Kartierung und Bereitstellung einer Übersicht über die existierende Infrastruktur in Bezug auf verwendete Materialien, Komponenten, Technologien und die Eignung dieser für H2. Diese Daten werden Bestandteil einer öffentlichen Wissensdatenbank sein, die dem Nutzer frühzeitig Informationen über die Eignung der Infrastruktur zur Verfügung stellt. Zudem sollen geeignete Materialtestverfahren sowie Werkzeuge oder Methoden für die Inspektion und zum Auffinden von Lecks bzw. Undichtigkeiten entwickelt werden.
Auch gelte es, Simulationswerkzeuge, zum Beispiel für die Planung oder Simulation der Gasqualität bei variierender Einspeisung und variierendem Verbrauch, bezogen auf Rate und Konzentration, zu schaffen. Die Gaszusammensetzung bei den Projektpartnern ist ebenfalls eine Fragestellung der Forschenden. Eine bestimmte Gasqualität soll durch das Projekt sichergestellt und Strategien für die Einspeisung von H₂ ins Gasnetz sollen entwickelt werden. Nicht zuletzt ist geplant, Guidelines für das Risikomanagement zu erstellen und Simulationsstudien für das Durchspielen verschiedener Szenarien zu erarbeiten.
Für die Projektpartner ist die Thematik indes nicht neu. So haben die Gasnetzbetreiber die H₂-Einspeisung in ihren Strategien und Zukunftsplänen fest verankert. Und auch die involvierten Forschungsgesellschaften haben auf ihren jeweiligen Spezialgebieten bereits Erfahrungen mit dem Thema sammeln können.
Vorgängerprojekte werden berücksichtigt
Somit werden in SHIMMER Daten von teilnehmenden Industriepartnern (hauptsächlich europäischen Fernnetz- und Verteilnetzbetreibern) gesammelt. Im Projekt wird auch auf den SyWeSt-H2-Bericht (Tests mit repräsentativen Materialproben von Rohren des deutschen Gasnetzes) zurückgegriffen. „Möglicherweise wird es auch eine Korrelation zur VerifHy-Datenbank (www.verifhy.de) geben, in der Hersteller für Rohrleitungen die Informationen zur H2-Readiness ihrer Produkte zusammengefasst haben“, erläutert der Projektverantwortliche bei SINTEF Industry, Dr. Heiner Schümann.
Weitere Projekte, die auf für die Datenbank nutzbare Resultate hin untersucht werden, sind zum Beispiel:
- das EU-Projekt HIGGS (Liste über Eignung von TSO-Rohrmaterial – unvollständig)
- das britische Projekt HyDeploy (Feldtests mit 20 % H2-Einspeisung in Großbritannien)
- die EU-Projekte THyGA (Testen von Verbraucherendgeräten und ihrer Eignung für H2-Erdgas-Mix, z. B. Wärmepumpen, Boiler, Öfen, CHP [combined heat and power], Verteiler etc.), CEN H2 PNR (Literaturrecherche für viele relevante Bereiche, unter anderem Gasqualität und Stahlrohre), CANDHy (Kompatibilität für nicht-metallische Materialien).
Mit den an diesen Projekten Beteiligten wird über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit diskutiert.

Europäische Projekte
Fünf Arbeitspakete
Inhaltlich besteht das Projekt aus fünf Arbeitspaketen, welche zeitgleich durchgeführt werden sollen. „Es gibt jedoch Abhängigkeiten von unterschiedlichen Aufgaben innerhalb der Arbeitspakete, die bei der zeitlichen Planung zu berücksichtigen sind“, sagt Schümann.
Das erste von SINTEF geleitete Arbeitspaket trägt den Titel „Project Manangement and Coordination“ (Projektmanagement und Koordination). „Hier geht es darum sicherzustellen, dass das Projekt mit den gegebenen Mitteln und der erwarteten Qualität innerhalb des Zeitplans durchgeführt wird“, so Schümann. „Gasinfrastruktur und Betriebsbedingungen“
Das zweite Arbeitspaket „Gas Infrastructure and Operational Conditions“ (Gasinfrastruktur und Betriebsbedingungen) steht unter der Regie der BAM. „Unsere Aufgabe ist es, Informationen über die existierende europäische Gasinfrastruktur in Bezug auf metallische Materialien (Rohre) zu beschaffen. Dabei nutzen wir sowohl existierende Daten von anderen Projekten als auch aus der Literatur und sammeln außerdem neue Angaben von unseren Partnern“, sagt Sobol. Zudem beschaffe man Informationen über Betriebsbedingungen. Auch geltende Standards und Gesetze würden gesichtet, zusammengestellt sowie hinsichtlich ihrer Eignung überprüft. „Letztendlich wollen wir alle Informationen in einer benutzerfreundlichen Datenbank organisieren und diese öffentlich zugänglich machen“, so Sobol.
Das dritte Arbeitspaket ist überschrieben mit „Integrity Management and Safety“ (Integritätsmanagement und Sicherheit) und fällt unter die Zuständigkeit des spanischen Forschungszentrums TECNALIA (Zentrum für angewandte Forschung und Technologieentwicklung). Hier geht es darum, die Eignung von gängigen Material- und Kompatibilitätstestverfahren für die geplante höhere H2-Einspeisung zu überprüfen. Außerdem erfolgt eine GAP-Analyse unter dem Gesichtspunkt des Bedarfs nach Anpassung, Änderungen oder neuen Verfahren und Vorschriften. Auch werden Guidelines für Inspektionsmethoden für Rohrleitungen erarbeitet und Empfehlungen für Lecktestmethoden konzipiert. Schließlich geht es darum, Empfehlungen für die Risikoanalyse in Bezug auf Lecks zu geben und Werkzeuge dafür zu erarbeiten.
Im vierten Arbeitspaket „Flow Assurance“ (Sicherung des Durchflusses), geleitet von der Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung (TNO), werden realistische Testverfahren beschrieben und existierende Simulationsprogramme auf ihre Eignung hin bewertet. Zudem soll eine Auswahl geeigneter Programme verbessert und angepasst werden, so dass damit entsprechende Szenarien durchgespielt werden können. Schließlich sollen geeignete Technologien für die Messung und Kontrolle der Gasqualität bewertet werden.
Im fünften und letzten Arbeitspaket „Dissemination, Communication and Exploitation“ (Verbreitung, Kommunikation und Verwertung), geleitet von GERG – Die Europäische Gas-Forschungsgruppe, wird die Verbreitung der Ergebnisse gesichert, das heißt, es wird dafür gesorgt, dass diese die richtigen Endnutzer, Entscheidungsgremien und Interessengruppen erreichen. Auch ist die GERG für die Publikation von Artikeln in Zeitschriften und weiteren öffentlichen Medien ebenso zuständig wie für die Organisation von Konferenzen. Des Weiteren besteht ihre Aufgabe in der Kommunikation mit Interessengruppen während der Projektphase, um Rückmeldung und notwendige Informationen zu bekommen.
Bei ihrer Arbeit sehen sich die Forschenden im Konsortium vor einige Herausforderungen gestellt: „Zunächst wäre die Vertraulichkeit der Informationen von Industriepartnern zu nennen. Gleichzeitig haben wir die Intention, so viel wie möglich zu veröffentlichen“, sagt Sobol. Außerdem sei die Bezeichnung von Materialien, zum Beispiel Stahlqualitäten, nicht hundertprozentig standardisiert, und es würden europaweit unterschiedliche Materialien mit teilweise unterschiedlicher Namensgebung verwendet. Auch differiere die Umgebung (Gasqualität, Klima), der die verschiedenen Materialien ausgesetzt sind. Zudem verfolgten die Industriepartner im Hinblick auf die Szenarien für Simulationsstudien verschiedene Interessen. Eine Einigkeit über die Beimischung von H₂ (z. B. 2,5 oder 20 %) bestehe ebenfalls nicht. „In unserem Projekt sind sieben Länder repräsentiert. Das Problem besteht auch darin, wie wir die Informationen aus den restlichen europäischen Ländern abdecken sollen“, sagt Schümann.
Publikation der Zwischenergebnisse steht kurz bevor
Erste Ergebnisse gibt es bereits. „Wir warten jedoch derzeit auf die Genehmigung und Freigabe durch die European Commission. Danach werden diese online zugänglich sein und auch auf unserer Webseite verlinkt werden“, sagt Schümann. Die Veröffentlichung der Datenbank auf der Projektwebseite (https://shimmerproject.eu/) sowie anderer wissenschaftlicher Publikationen sei, so Sobol, bis zum Projektende vorgesehen.
Industrie und Gesetzgebung profitieren
Nach Abschluss des Projekts im August 2026 sollen die meisten Ergebnisse, einschließlich der Datenbank, öffentlich zugänglich sein. Davon profitieren kann zum einen die Industrie: Die Planung bei der H2-Einspeisung wird vereinfacht. Netzbetreiber, Lieferanten und Hersteller von Rohren und Ausrüstung sparen Zeit und Kosten. Zum anderen können gesetzgebende Organe ihre Richtlinien anpassen. „Heutzutage gibt es für Europa weder harmonisierte Anforderungen oder Einspeiselimits noch Vorschriften für Prüf- und Eignungsverfahren für die H2-Einspeisung. Die Ergebnisse dieses Projektes sind eine Grundlage für einen solchen Standardisierungsprozess“, sagt Schümann.
https://shimmerproject.eu
von Sven Geitmann | Dez. 20, 2024 | 2024, Deutschland
Große Pläne und professionelles Marketing – das Auftreten der Firma HH2E war regelrecht beeindruckend, doch am 8. November 2024 beantragte das Hamburger Start-up Insolvenz in Eigenregie. Anlass dafür dürfte gewesen sein, dass der britische Mehrheitseigner Foresight Group das geplante H2-Großprojekt in Mecklenburg-Vorpommern doch nicht finanzieren wollte.
Geplant war unter anderem, sowohl bei Leipzig als auch in Lubmin Elektrolyseure zu errichten. An der Ostsee war die Rede vom Bau einer 100-MW-Anlage (bis 2030 1.000 MW) auf dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks und von Investitionen über 45 Mio. Euro. Die Planung dafür gehe zwar zunächst weiter, aber es fehle ein Investor, heißt es aktuell.
Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung sagte HH2E-Firmenchef Alexander Voigt: „Wir bleiben dem Ziel verpflichtet, Kontinuität und Stabilität in unseren Abläufen aufrechtzuerhalten, während wir an einer langfristigen Lösung arbeiten. Ich bin überzeugt, dass wir bald einen strategischen Partner finden werden, der unsere Leidenschaft für grüne Energie teilt und die Vision der HH2E AG unterstützen kann.“ Voigt gründete 1996 das Solarunternehmen Solon und gilt als Pionier der erneuerbaren Energien.
Das in Sachsen geplante HH2E-Projekt Thierbach bei Borna mit einem weiteren 100-MW-Elektrolyseur auf dem Areal des abgerissenen Braunkohlekraftwerks ist zunächst nur indirekt betroffen, da die HH2E-Thierbach-GmbH zwar eine hundertprozentige Tochter der 2021 gegründeten Hamburger Gesellschaft ist, selbst aber weiterhin zahlungsfähig ist. Im Rahmen dieses Projekts Net Zero LEJ sollte der Airport Leipzig/Halle zusammen mit DHL mit grünem Treibstoff versorgt werden.
Götz Ahmelmann, Leiter des Flughafens Leipzig/Halle, erklärte: „Als Unternehmen sind wir überzeugt von der umwelt- und wirtschaftspolitischen Bedeutung einer industriellen Produktion von Sustainable Aviation Fuel (SAF).“ Seiner Meinung nach bleiben die Voraussetzungen für die Herstellung nachhaltiger Flugkraftstoffe im industriellen Maßstab aber „weiterhin hervorragend“. „Mit starken Partnern und ausgedehnten Flächen, unterstützt durch einen wichtigen Kunden wie DHL, der sich dem klimaneutralen Fliegen verpflichtet hat, sind wir bestens aufgestellt.“
Bei einem Insolvenzverfahren in Eigenverantwortung kann die Firmenleitung die Geschäfte fortführen, wenn berechtigte Hoffnungen bestehen, das Unternehmen sanieren zu können. Ein vom Gericht ernannter Sachwalter überwacht dabei begleitend den Prozess. Berechtigte Hoffnung besteht, dass durch die Insolvenz bisherige Zwänge abgelegt und über neue Kooperationen mehr Handlungsspielraum gewonnen werden kann.
von Eva Augsten | Dez. 20, 2024 | 2024, Deutschland, Energiewirtschaft, Entwicklung, Markt, Meldungen, News, Wasserstoffwirtschaft
Die MAN-Tochterfirma Quest One, ehemals H-Tec Systems, feierte Ende September 2024 die Einweihung ihres Gigahub im Norden Hamburgs. Sie will in großem Maßstab flexible PEM-Elektrolyseure mit meterhohen Stacks herstellen.
Es war einer dieser Erfolgsmomente der Energiewende, bei denen alle gern auf der Bühne stehen und dessen Bedeutung man leicht am Promi-Faktor erkennen kann. An erster Stelle stand natürlich Bundeskanzler Olaf Scholz. In Hamburg-Rahlstedt sei er schon lange nicht mehr gewesen, sagte Scholz. Dabei war er dort zur Schule gegangen. „Dass man mit Wasserstoff Flugzeuge antreiben kann, haben wir damals aber noch nicht gelernt. Das war höchstens ein Thema für Forscher“, erzählte Scholz in der nagelneuen Fabrikhalle von Quest One.
Aus der Hamburger Politik waren sowohl der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher als auch die Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard erschienen – normalerweise kommt nur einer von beiden zu Feierlichkeiten. Aus Berlin kamen der Parlamentarische Staatssekretär Michael Kellner aus dem Wirtschafts- und Klimaschutzministerium und Till Mansmann, Beauftragter für grünen Wasserstoff des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Vom Quest-One-Mutterkonzern MAN Energy Solutions und dessen Mutterfirma Volkswagen waren jeweils die Aufsichtsratschefs angereist, Gunnar Kilian und Hans Dieter Pötsch.
Der Anlass des ganzen Rummels: Das Unternehmen Quest One, das am Tag zuvor noch H-Tec Systems hieß, will im Nordosten von Hamburg eine Elektrolyseurherstellung im Gigawatt-Maßstab starten.
Die PEM-Elektrolyse wird groß
Die Firmengeschichte von Quest One ist gleichzeitig eine Geschichte der Skalierung der PEM-Elektrolyseure. Die PEM-Elektrolyse läuft bei mäßigem Druck und mittleren Temperaturen, sie bietet daher einen guten Kompromiss zwischen Effizienz und Flexibilität. Damit ist sie die Technologie der Wahl, wenn es darum geht, Wasserstoff mithilfe der unsteten Energiequellen Wind und Sonne zu erzeugen. Doch im Vergleich zur Alkali-Elektrolyse hat sie Jahrzehnte der industriellen Skalierung nachzuholen.
Die H-Tec Wasserstoff-Energie-Systeme, wie Quest One bis Ende September hieß, begann 1997 damit, Mini-PEM-Elektrolyseure herzustellen. Diese waren vor allem dazu gedacht, Schulkindern das physikalische Prinzip der Elektrolyse nahezubringen. Mit Wasserkraft betriebene alkalische Elektrolyseure erzeugten zu jenem Zeitpunkt schon seit Jahrzehnten in Norwegen und Ägypten zehntausende Kubikmeter Wasserstoff stündlich für die Düngemittelproduktion. Dass Wasserstoff ernsthaft zu einer Speichertechnologie für Solar- und Windstrom werden könnte, glaubte damals aber höchstens eine Handvoll Visionäre.
Seither sind nicht nur die erneuerbaren Energien deutlich günstiger geworden. Auch die PEM-Technologie hat kräftig aufgeholt. Im Jahr 2010 kaufte das norddeutsche Energiewende-Unternehmen GP Joule die H-Tec. Die Elektrolyseure wuchsen auf einige hundert Kilowatt, immerhin tauglich für kleine Anwendungen. 2019 stieg MAN Energy Solutions ein und H-Tec brachte den ersten Megawatt-Elektrolyseur auf den Markt: neun Stacks à 110 kW, jeweils so groß wie eine Bierkiste, mitsamt den zugehörigen Peripheriesystemen, anschlussfertig montiert in einem 40-Fuß-Container, – eine praktische Lösung für kleine Windparks und einzelne Wasserstofftankstellen.

Erfolgsmoment der Energiewende: Kinder drückten symbolisch den Startknopf für die Elektrolyseurfertigung von Quest One.
Gigawatt-Pläne für grünen Wasserstoff
Um Stahlwerke, Düngerhersteller und Raffinerien mit Wasserstoff zu beliefern, reicht das noch lange nicht, ebenso wenig für das Ziel von 10 GW Elektrolyseleistung, das die Ampel-Bundesregierung seinerzeit für 2030 ausgegeben hatte. Das ist die Dimension, in der auch Quest One mitmischen will. Das soll schon der neue Name deutlich machen. Er solle nicht nur aussagen, dass Klimaschutz die wichtigste aller Aufgaben sei, sondern auch, dass das Unternehmen mit grünem Wasserstoff aus seinen Elektrolyseuren ein Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen vermeiden wolle, erklärte Robin von Plettenberg, CEO der Quest One bei der Eröffnungsfeier.
Die rund 800 Gäste applaudierten kräftig. Überhaupt wurde bei der offiziellen Inbetriebnahme des Gigahub mit Buzzwords und Pathos nicht gegeizt. Über die Leinwand flackerten Bilder von ausgedörrten Böden, reißenden Fluten, brennenden Wäldern, gefolgt von einer Sanduhr – und dem quecksilbrig glänzenden, donutförmigen Logo von Quest One. Das Projekt sei „Teil von etwas ganz Großem“, sagte von Plettenberg.
Von Handarbeit zur Serie
Bisher bietet die Produktionshalle vor allem Platz für große Pläne. Der Reinraum mit der eigentlichen Fertigung verschwand am Eröffnungstag fast komplett hinter der riesigen Video-Leinwand. Doch Innovationen zeigen sich nicht immer in großen Maschinen. Während man Solar- und Batteriefabriken mit dem nötigen Kleingeld heute schlüsselfertig kaufen kann, hat sich Quest One mit jedem Fertigungsschritt, der in Rahlstedt automatisiert und zuverlässig läuft, ein Stück technologisches Neuland erobert.
Dabei hilft das ebenfalls am Gigahub angesiedelte Forschungs- und Entwicklungszentrum. Bis vor Kurzem fügten die Mitarbeiter zum Beispiel die Elektrolysezellen noch in stundenlanger Handarbeit zu Stacks zusammen. Bei diesem Schritt ist absolute Präzision angesagt, denn die winzigen Wasserstoffmoleküle können durch die kleinste Fuge entweichen und so den ganzen Stack unbrauchbar machen. Als Quest One Ende September seine Einweihung feierte, war es bereits gelungen, diese Aufgabe an Roboter zu delegieren. Sie erledigen die Arbeit in einem Viertel der Zeit. Weniger als eine Stunde braucht es mittlerweile, um einen Stack zu produzieren.
Nun, da das automatisierte Handling läuft, traut sich Quest One auch, von einer neuen Generation von Megawatt-Stacks zu sprechen. Drei Meter hoch und drei Tonnen schwer sollen sie sein, heißt es. Ende 2026 soll die Halle weitgehend voll sein, dann soll die Produktion der Megawatt-Stacks laufen. Mit solchen Stacks könnten auch Projekte jenseits der 100-MW-Marke mit PEM-Elektrolyseuren besser umsetzbar werden. Im Laufe des Jahres 2026 will sich Quest One in die Richtung bewegen, die in der Pressemitteilung angekündigt ist – hin zu einer Fertigungskapazität von 5 GW jährlich.
Einige Monate nach der Einweihung ist bei Quest One Alltag eingekehrt. Für die Büros stehen noch einige Ausbauarbeiten an. In den Reinräumen läuft hingegen die Serienfertigung. In der riesigen Halle stehen statt Bistrotischen und Stühlen nun Regale, um die Stacks zu lagern. Sie werden an den Stammsitz der Firma nach Augsburg geschickt, wo sich die Fertigung für die Elektrolyseure befindet.
Damit diese Elektrolyseure wirklich sauberen Wasserstoff erzeugen können, muss aber auch außerhalb der Fabrik noch einiges passieren. Wind- und Solarparks müssen gebaut und finanziert werden, ebenso wie Netze und Speicher für den Wasserstoff.
Schon bei der Einweihung zeigte die Paneldiskussion nach dem feierlichen Knopfdruck, dass die Anwesenden sich der Herausforderungen sehr bewusst waren. „Die richtige Arbeit geht jetzt erst los“, fasste es Jürgen Klöpffer, Finanzchef von MAN Energy, zusammen.
von Michael Nallinger | Dez. 19, 2024 | 2024, Energiewirtschaft, Markt, Meldungen, News, Wasserstoffwirtschaft
„Der Wasserstoff kann kommen, das Gasverteilnetz ist bereit“
Die Bedarfe an Wasserstoff sind sowohl in Kommunen als auch in der Industrie umfassend vorhanden. Nun werden in diesem Umfeld die Planungen hinsichtlich einer Umsetzung dieser Marktbedürfnisse konkreter. Als Initialzündung dafür gilt der kürzlich beschlossene Aufbau eines H2-Kernnetzes (s. S. 18). Angesichts der Versorgungssituation ist jedoch klar, dass sich der Fokus zunehmend auf das Verteilnetz richten muss, was auch auf dem DVGW-Kongress deutlich wurde.
„Das Transformationstempo mit dem Ziel, den Wasserstoffhochlauf zu beschleunigen, muss aufrechterhalten, wenn nicht sogar erhöht werden“, betonte Prof. Dr. Gerald Linke Mitte September 2024 auf dem DVGW-Kongress in Berlin. Zudem forderte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches weitere regulatorische Maßnahmen, die über die bereits erfolgten politischen Beschlüsse hinausgehen, etwa was das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, die Importstrategie oder das Wasserstoffkernnetz betrifft.
Ähnlich sieht dies Stefan Dohler. Der Präsident des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und Vorstandsvorsitzende der EWE AG in Oldenburg unterstrich die Aufbruchstimmung unter anderem mit Blick auf den gestarteten Aufbau der Elektrolysekapazitäten sowie die im vergangenen Sommer auf den Weg gebrachten Klimaschutzverträge für die Industrie: „Wir müssen dranbleiben und dürfen das Momentum nicht verlieren.“ Dohler beobachtet hier im Versorgungsgebiet der EWE eine sehr hohe Nachfrage nach Wasserstoff.

Prof. Linke, DVGW: „Um den Wasserstoffhochlauf in Deutschland zu beschleunigen, muss der Fokus beim Ausbau der Wasserstoffinfrastrukturen stärker auf die Verteilnetze gelegt werden.“
Quelle: Bildschön GmbH/Vollmeyer
Diese Einschätzung teilt der DVGW-Präsident und Vorstandsvorsitzende der ESWE Versorgung in Wiesbaden, Jörg Höhler: „Wir müssen Druck auf dem Thema lassen.“ Dabei favorisiert Höhler einen möglichst breit angelegten Ansatz. Es gehe nicht darum, sich für Strom oder Wasserstoff in der Energieversorgung zu entscheiden, nein, man benötige beides. Gemeinsam mit den Energieversorgungsunternehmen Mainova und Entega erarbeitet ESWE eine Machbarkeitsstudie zum Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur im Rhein-Main-Gebiet – ein Projekt, das in der Zwischenzeit mit dem Innovationspreis Neue Gase ausgezeichnet wurde. Allerdings fordert auch Höhler klare Vorgaben und Unterstützung für die Verteilnetzbetreiber bei der Umstellung der Gasnetze auf Wasserstoff.
Portfolio CO2-freier Energieträger vonnöten
Dieser Appell stößt anscheinend auf offene Ohren bei der Bundesnetzagentur (BNetzA). „Die All-Electric-World ist ein volkswirtschaftlich ineffizienter Weg. Wir brauchen daher ein Portfolio CO2-freier Energieträger“, konstatierte Dr. Markus Doll auf der Veranstaltung. Für den Leiter Anlagen und Netzbetrieb bei der BNetzA ist klar, dass es zur konsistenten Planung der jeweiligen Infrastrukturen eines gemeinsamen Zielbilds bedarf. Ziel müsse eine über die Energieträger integrierte Netzentwicklung sein, betonte Doll in Berlin.
Als Initialzündung zur Lösung des Henne-Ei-Problems des Wasserstoffsektors sieht er den Beschluss zum Aufbau des rund 9.000 km langen H2-Kernnetzes. Dieses mittlerweile von der BNetzA genehmigte Vorhaben betrachtet man bei der Bonner Behörde als „Basis und Übergang in den zyklischen Prozess zur Netzentwicklungsplanung Wasserstoff/Erdgas“. Für den BNetzA-Experten Doll sind die nächsten Schritte klar: Für die CO2-freien Energieträger werden entsprechende Infrastrukturen benötigt. Dabei gibt es hinsichtlich der Einspeisung von Wasserstoff in die Netze laut Doll zwei Voraussetzungen. Einerseits ist der Einsatz dort sinnvoll, wo er volkswirtschaftlich effizient ist, und andererseits dort, wo keine anderen Dekarbonisierungsalternativen vorhanden sind. Im Konzert der klimaneutralen Gase spielt Biomethan nach der Einschätzung Dolls vor allem regional eine Rolle.
Hinsichtlich der benötigten Speicher, insbesondere der für Wasserstoff geeigneten Kavernenspeicher, hofft er, dass sich diese „aus dem Markt“ entwickeln werden. Er versprach jedoch eine entsprechende Berücksichtigung der Regulierungsbehörde bei der Netzentwicklungsplanung (NEP).
Wasserstoff in die Fläche bringen
Dr. Thomas Gößmann bezeichnet es als Mammutprojekt, parallel die Gasinfrastruktur zu erhalten und diejenige für Wasserstoff aufzubauen. Auf der Veranstaltung in Berlin erläuterte der Chef von Thyssengas am Beispiel von Nordrhein-Westfalen, wie sich Wasserstoff in die Fläche bringen lässt. Dazu sollen insgesamt sechs regionale Cluster als Potenzialregionen entlang der Hauptstränge des Kernnetzes entwickelt werden: Köln, Ruhrgebiet, Mittlerer Niederrhein, Niederrhein, Bentheim-Westmünsterland sowie Münster-Hamm. Diese Schwerpunktregionen sind aus Sicht von Thyssengas besonders geeignet als Keimzellen für die Entwicklung hin zu einer integrierten H2-Infrastruktur. Ein großes Augenmerk sollte nach der Einschätzung Gößmanns zudem auf den Aufbau grenzüberschreitender Kapazitäten gelegt werden. Diese ermöglichten eine breite Diversifizierung der Bezugsquellen.
Auch bei schwaben netz befindet man sich bereits mitten im Aufbau einer Umstellungsstrategie. Konkret sind die Aktivitäten in drei Großprojekte gegliedert. Projekt 1 beschäftigt sich mit dem Gasnetztransformationsplan. Wo befinden sich Kopplungspunkte zum H2-Kernetz? Wo und wann wird man auf Wasserstoff umstellen? Das sind die Fragen, denen man dort nachgeht. Ein weiteres Projekt ist die Zielnetzplanung: Die H2-Bedarfe großer Ankerkunden im Netzgebiet sowie Netzbereiche, die sich kosteneffizient transformieren lassen, sind die Herausforderungen, die der Netzbetreiber dort adressiert. Und das dritte Vorhaben ist ein Pilotprojekt zur Versorgung mit Wasserstoff. Konkret geht es um ein Gebiet mit mehreren Wohneinheiten, das mit Wasserstoff aus einer Chloralkali-Elektrolyse in einem Industriepark versorgt werden soll.
Diese Aktivitäten stoßen bereits heute auf ernsthaftes Interesse. Der Technische Geschäftsführer von schwaben netz, René Schoof, berichtet von „signifikanten“ Wasserstoffbedarfen seitens Industrie und Kommunen in Bayerisch-Schwaben mit Blick auf die Erreichung der Klimaziele 2030. Eine gemeinsame Web-Abfrage von bayernets, schwaben netz sowie der IHK Schwaben erbrachte hier konkrete Zahlen. Insgesamt wurde für das Jahr 2030 ein H2-Bedarf mit einer Leistung von 1.903 MW gemeldet. Dabei ist sich der Geschäftsführer sicher, dass eine reine Elektrifizierung der Energieversorgung viele überfordern würde. „Wir müssen auch den kleinen und mittleren Unternehmen die Chance geben, die richtige Lösung für sich zu finden“, unterstrich Schoof in Berlin.
Großer Zuspruch für Umstellung auf Wasserstoff
Dass sich die Gasnetzbetreiber auf breiter Fläche mit Umsetzungsszenarien beschäftigen, zeigt auch der diesjährige Gasnetztransformationsplan (GTP). Dabei handelt es sich um das zentrale Planungsinstrument für die Transformation der Gasverteilnetze hin zur Klimaneutralität. Nach dem Start 2022 stieg im dritten Planungsjahr die Anzahl der teilnehmenden Gasverteilnetzbetreiber auf 252. So deckt der GTP nun Gasleitungen mit einer Gesamtlänge von 450.000 km ab und erreicht 381 von 401 deutschen Landkreisen.
Abb. 3 a-c: Im Rahmen des Gasnetztransformationsplans (GTP) analysieren die Netzbetreiber die Bedarfe ihrer Kunden bis ins Jahr 2045

Im Rahmen des Gasnetztransformationsplans (GTP) analysieren die Netzbetreiber die Bedarfe ihrer Kunden bis ins Jahr 2045
Quelle: GTP 2024, DVGW/VKU)
Die Tendenz ist deutlich: Die Mehrheit der rund 1.100 durch die GTP-Teilnehmer versorgten Kommunen plant den langfristigen Einsatz klimaneutraler Gase sowohl in der Industrie als auch in Privathaushalten. (Lediglich zwei Prozent der Kommunen sprachen sich gegen den Einsatz in der Industrie aus, sieben Prozent lehnten einen solchen für Privathaushalte ab.) Und auch zwei Drittel der über 3.500 befragten Industrie- und Gewerbekunden sehen einen zukünftigen Bedarf an Wasserstoff, von den Großkunden ab 10 Mio. kWh sogar über 80 Prozent und davon ein Viertel bereits bis 2030.
„Umfangreiche Studien des DVGW und seiner Institute zeigen, dass die deutschen Gasverteilnetze mit volkswirtschaftlich vergleichsweise geringen Kosten technisch sicher für die Verteilung von Wasserstoff ertüchtigt werden können. Dies muss jetzt angegangen werden“, fordert DVGW-Chef Linke. Für die technische Umstellung bietet der DVGW mit verifHy die zentrale Plattform zur schnellen und komfortablen Überprüfung der Wasserstoffeignung von Gasnetzen und der verwendeten Produkte, Komponenten und Materialien an. Per Knopfdruck lassen sich zuverlässige Informationen zur H2-Readiness abrufen. verifHy unterstützt die Gasnetzbetreiber dabei, ihre Infrastrukturen auf die Eignung für Wasserstoff zu überprüfen. Die Datenbank soll so zum zentralen Beschleuniger für die H2-Netzumstellung werden.
Unproblematische Umstellung bei Avacon
Dass eine Umstellung auch in der Praxis möglich ist, hat man bei Avacon Netz nachgewiesen (s. HZwei-Heft Okt. 2022). Torsten Lotze aus dem Assetmanagement Gas/Wasserstoff verweist auf acht erfolgreiche Pilotprojekte mit PE- und Stahlnetzen im Rahmen des DVGW-Projektkreises „Wasserstoff in der Gasverteilung“. Die Netzbetreiber haben dort aufgrund der vorab durchgeführten Analysen keine Bauteile ausgetauscht. „Die oberirdische Überprüfung von erdverlegten Leitungen vor und nach der Umstellung bestätigte jeweils die technische Dichtheit“, berichtet Lotze. Während des Betriebs seien keine technischen Auffälligkeiten aufgetreten.
Eine Integritätsbeurteilung erfolgte vorab gemäß den DVGW-Merkblättern G407 (Umstellung von Stahlrohren bis 16 bar Betriebsdruck) sowie G408 (für PE-Rohre bis 16 bar Betriebsdruck). Die Materialien seien „safe“. Man habe in den Netzen nichts gefunden, was tatsächlich kritisch sei, betont Manager Lotze.
Mit diesem Wissen ist man in der Lage, bereits die nächsten Schritte zu gehen. „Wir können jetzt schon Netze bewerten und einen Umstellungsfahrplan aufstellen“, bilanziert der Avacon-Mitarbeiter. Dieser Plan sieht fünf konkrete Schritte vor:
- Bestandsaufnahme und Dokumentation der aktuellen Netzstruktur, Materialien und Betriebsbedingungen
- Netzanalyse, Materialanalyse und Bewertung der Wasserstoffbeständigkeit
- Ersatzmaßnahmen bei unvollständiger Dokumentation
- Technische Anpassungen
- Umstellung
Auf dieser Basis hat der Netzbetreiber den Avacon-Gasnetztransformationsfaktor (GTF) entwickelt. Konkret bewertet dieser, wie gut ein Gasnetz oder einzelne Komponenten in ein zukünftiges dekarbonisiertes Energiesystem überführt werden können. In der Integritätsbeurteilung werden eine H2-Bewertung sowie eine Bewertung der Sicherheit, des Zustands und des Datenbestands jeweils als Kennzahl dargestellt. Über den GTF lasse sich sofort sagen, wo hier das Gesamtnetz steht und wo einzelne lokale Abschnitte stehen, erläutert Lotze. Angesichts dieser Erkenntnisse und erzielten Fortschritte überrascht das Fazit des Avacon-Experten nicht: „Der Wasserstoff kann kommen, das Gasverteilnetz ist bereit.“

Klar ist: Das H2-Kernnetz erreicht nicht alle industriellen und gewerblichen Gasabnehmer mit Prozesswärmebedarf.
Quelle: Studie Prozesswärme – woher kommt die Energie? DVGW, DBI, DMT
Verteilnetz von besonderer Bedeutung
Bereit sind offensichtlich auch die Industriekunden: Laut dem H2-Marktindex (s. Infokasten) schätzen 76 Prozent der Marktakteure die Bedeutung von klimaneutral erzeugtem Wasserstoff für die zukünftige Energieversorgung in Deutschland als hoch und sehr hoch ein. Ein wichtiges Einsatzgebiet ist dort die Prozesswärme mit Temperaturen zwischen 100 und 1.500 Grad Celsius. Dieser Bedarf lag in den vergangenen Jahren bei rund 200 TWh. Das entspricht fast einem Zehntel des Endenergiebedarfs (Referenzjahr: 2020) von 2.318 TWh und einem Fünftel des Gasbedarfs in Deutschland.
Eine im Auftrag des DVGW erstellte Studie hat über 5.600 Industriestandorte hinsichtlich ihrer Versorgungssituation erfasst. Das Ergebnis zeigt die Bedeutung des Verteilnetzes: 27 Prozent der untersuchten Standorte sind weniger als einen Kilometer vom geplanten H2-Kernnetz entfernt und könnten direkt darüber versorgt werden. 78 Prozent des Gasbedarfs für Prozesswärme werden allerdings in einer Entfernung von über einem Kilometer zu diesem Netz entstehen. Zur Versorgung dieser Standorte wird daher ein wasserstofffähiges Verteilnetz benötigt. „Um den Wasserstoffhochlauf in Deutschland zu beschleunigen, muss der Fokus beim Ausbau der Wasserstoffinfrastrukturen stärker auf die Verteilnetze gelegt werden. Ihnen kommt eine besondere Bedeutung zu“, bringt DVGW-Chef Linke die Situation auf den Punkt.
Der H2-Marktindex – Barometer für den Markthochlauf
Der H2-Marktindex dient dazu, die Wahrnehmung von Marktakteuren bezüglich der Entwicklung eines Wasserstoffmarkts in Deutschland zu ermitteln. Zielsetzungen sind dabei die Abbildung der Wahrnehmungen von verschiedenen Stakeholdern, die Identifikation von Herausforderungen und möglichen Problemfeldern sowie das Erfassen relevanter Indikatoren zur Messung des Fortschritts des Wasserstoffmarkthochlaufs. Der H2-Marktindex umfasst die vier Themenfelder Innovationsumfeld, politisch-regulatorischer Rahmen, Infrastrukturausbau und Marktentwicklung. Die Indexergebnisse werden auf einer Skala von 0 (negativ) bis 100 (positiv) abgebildet.
Zur Erhebung des H2-Marktindexes 2024 wurde eine Online-Befragung von Stakeholdern der Wasserstoffwirtschaft durchgeführt. Insgesamt sind 311 indexrelevante Rückmeldungen in die Auswertung eingeflossen. Durchgeführt wurde die Befragung vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln gGmbH (EWI) im Auftrag des DVGW, des Verbands der Chemischen Industrie e.V. (VCI), des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) und der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl).
Autor: Michael Nallinger