RH2INE – Aufbau eines wasserstoffbetriebenen Binnenschiffnetzes
Wer im internationalen Schiffsverkehr unterwegs ist, weiß: Ohne den richtigen Kurs zu setzen und zu halten, sind Ziele kaum erreichbar. Diese Erkenntnis treibt auch Binnenschifffahrtsakteure diesseits und jenseits der deutsch-holländischen Grenze an und motiviert sie, das Ziel der Klimaneutralität aktiv und entschlossen voranzutreiben. Bei dieser komplexen Herausforderung unterstützt sie die länderübergreifende Initiative RH₂INE (Rhine Hydrogen Integration Network of Excellence). Zu den ersten Etappenzielen gehört der Aufbau einer schnellen und unkomplizierten Lösung zur Betankung der Binnenschiffe mit Wasserstoff.
RH₂INE startete 2019 auf Initiative der Provinz Zuid-Holland (PZH) und des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministeriums und wird seit 2021 auf deutscher Seite durch die Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate koordiniert. Das Ziel der beiden Rhein-Regionen: eine nachhaltige Alternative zu fossilen Brennstoffen für den Gütertransport auf dem Rhein zu schaffen. Schnell waren sich alle Beteiligten einig, dass auf schnell fließenden Wasserwegen wie dem Rhein einzig und allein Wasserstoff als zukunftsfähiger Energieträger für Binnenschiffe infrage kommt.
Mittlerweile hat sich RH₂INE zu einem internationalen Netzwerk aus öffentlichen und privaten Akteuren entwickelt. Ausgehend vom Nukleus entlang des Rheins wollen die Partner gemeinsam bis 2030 einen emissionsfreien Nordsee-Rhein-Mittelmeer-Korridor schaffen. Voraussetzung dafür sind geeignete Rahmenbedingungen und Infrastrukturen für den Einsatz von Wasserstoff in der Binnentransportkette.
Schlauchbetankung keine Lösung
„Ein Schiff muss bei einem Bunkervorgang, also der Energieaufnahme, mindestens zwei Tonnen Wasserstoff tanken. Mit einem Schlauch würde das zwölf Stunden oder länger dauern, und in dieser Zeit könnte aus Sicherheitsgründen nicht geladen oder gelöscht werden”, erläuterte Robert Graf-Potthoff, technischer Inspektor beim globalen Logistikdienstleister Rhenus Schiffsmanagement, kürzlich im RH2INE magazine.
H2-Betankung als zentrale Herausforderung Eine der wesentlichen Herausforderungen besteht darin, die Schiffe mit Wasserstoff zu betanken. Für die Schiffsbetreiber war deshalb von Anfang an klar: Der Wasserstoff muss in Wechselbehältern aufs Binnenschiff kommen. Denn der Austausch leerer gegen volle Tanks dauert im Hafen nur etwa dreißig Minuten und unterbricht dabei nicht die parallel stattfindenden Abläufe an Bord.
Eine Lösung fand sich in einem standardisierten Wechselbehälter für Wasserstoff – einem sogenannten Multiple-Element Gas Container (MEGC), auch „TankTainer“ genannt. Verschiedene Akteure wie Air Liquide oder Argo Anleg entwickeln verschiedene Formate für die unterschiedlichen Schiffstypen.
Standardisierung der Energieversorgung Bisher waren TankTainer nur als individuelle Komponente für ein einzelnes Schiff zulassungsfähig. Das machte ein Pooling unmöglich. Denn jedes Schiff bräuchte – unter immensen Investitionskosten – jeweils drei TankTainer-Sätze, um den kontinuierlichen Tankprozess zu gewährleisten.
Um Abhilfe zu schaffen, treiben verschiedene europäische Regierungsbehörden zusammen die Standardisierung dieser Technologie voran. Ihr Ziel: Die TankTainer sollen nicht nur europaweiter Standard für die Binnenschifffahrt werden, sondern auch für weitere Zwecke als Energiespeicher nutzbar sein. Dazu fassen sie die technischen Vorgaben bewusst breit. Schützenhilfe erhalten sie von RH₂INE-Partnern wie dem Port of Rotterdam, Air Liquide oder Argo Anleg. Mit einer Veröffentlichung des Standards ist im ersten Halbjahr 2025 zu rechnen.
Standardisierung der H2TankTainer bei CESNI / ES-TRIN
Druckstufen: max. 300, 500, 700 bar
Container: ISO 10”, 20”, 30” und 40”
Transportmöglichkeiten: Schiff, Lkw, Zug (Verordnungen: ADN, ADR, RID, Es-Trin, IMO)
Datenkommunikation: in jedem Abschnitt Druck, Temperatur, Auslegungsdruck
Kommunikationsprotokoll: J2799
Weitere RH₂INE-Pilotprojekte Neben der Einführung der H2TankTainer konnte RH₂INE weitere bemerkenswerte Erfolge in der Binnenschifffahrt erzielen. So wurden im Rahmen der Initiative sowohl Schiffe mit H2-fähigen Dualverbrennungsmotoren als auch mit Wasserstoff-/ Brennstoffzellenantrieb entwickelt. Das „Flaggschiff“ dieser Entwicklung ist die MS Letitia, ein Binnenschiff der HTS-Group, das unter intensiver Begleitung durch das Zentrum für BrennstoffzellenTechnik (ZBT) in Duisburg konzipiert wurde.
Verschiedene Förderungen ermöglichten die Finanzierung der Brennstoffzellen, eines ersten Satzes von TankTainern sowie einer EU-Begleitforschung (greenH2shipping). Letztere soll für die ersten 1.000 Betriebsstunden einen Zuverlässigkeits- und Wirtschaftlichkeitsnachweis erbringen. Dieser ist die Voraussetzung dafür, dass bei zukünftigen Förderaufrufen weitere Mittel für emissionsarme Binnenschiffe und deren Infrastruktur akquiriert werden können.
Zu den RH₂INE-Pionierprojekten zählt auch der Schüttgutfrachter MS Antonie, der unter der Leitung des europaweit tätigen Befrachters NPRC entwickelt wurde. Mit einem hybriden Antriebssystem kann er sowohl emissionsfrei als auch mit konventionellen Energiequellen betrieben werden. Dies erhöht die Flexibilität bei der Energieversorgung.
Auch die niederländische Reederei Future Proof Shipping (FPS) entwickelte zwei Schiffe, die H2-Barge 1 und 2. Bei ihnen wird die Wasserstoff-Brennstoffzellentechnologie mit Batteriesystemen kombiniert, um eine vollständig emissionsfreie Fahrt zu ermöglichen. Bisher wurden mit den beiden Schiffen bereits etwa 20.000 Container von Delfzijl nach Rotterdam transportiert.
Rhenus Logistics setzt auf den Koppelverband „Mannheim I+II“, dessen Antrieb ebenfalls aus Brennstoffzellen, Batterien und bei Bedarf dieselelektrischen Generatoren besteht. Er wird regelmäßig Container zwischen Antwerpen bzw. Rotterdam und Mannheim, Ludwigshafen, Wörth sowie Karlsruhe transportieren. Wie die MS Letitia ist auch dieses Schiff mit bis zu drei Schubleichtern niedrigwasserangepasst.
MS Antonie
Größe: 135 x 11 m
Energieversorgung: 400 kW H2/FC / 1 MWh Batterie
Kapazität: 3.700 t Salztransport Delfzijl – Rotterdam (ersetzt 120 Lkw)
Einsparung: 880 t/a CO2 sowie 8 t/a NOx
Abb. 2: MS Antonie, Besuch des niederländischen Königs (Mitte) in Duisburg Ende 2023.
MS_ANTONIE_Foto_Robin Alysha Clemens.jpg, Quelle: Robin Alysha Clemens
H2-Barge 1+2
Größe: 110 x 11 m, retrofit
Energieversorgung: 3 x 275 kW Brennstoffzelle / 274 kWh Batterien
Route: Rotterdam – BCTN Terminal Meerhout (BE)
Einsparung: 2.000 t/a CO2 pro Schiff
Abb. 3: H2-Barge 2 FPS-H2BARGE2-Drone-HighRes-13.jpg Quelle: FutureProofShipping
MS Letitia
Größe: 135 x 17 m
Baujahr: 2023
Einsparung: 2.800 t/a CO2 (ersetzt 250 Lkw)
Route: Rotterdam – Duisburg dauert 20h und zurück 14h
Antriebsleistung: 1,2 MW (sechs 200-kW-Brennstoffzellen von Ballard in Containern), zusätzlich Batterien sowie Backup-Dieselelektrik mit gleicher Leistung
Im Schiff befinden sich 52 m Elektrikschaltschränke sowie 20 km Kabel.
Abb. 4: In der Mitte der MS Letitia sind mit zwei Trennwänden vier Containerflächen abgetrennt, auf denen insgesamt 16 Energiecontainer für die Brennstoffzellen, die Batterien und die Tankcontainer stehen können Letitia-2.jpg Quelle: RensenDriessen Shipbuilding, Photo Maritime Filming Group
Rhenus Mannheim I+II
Größe: Koppelverbund 193 x 11 m (mit drei Schubleichtern 193 x 22m)
Einsparung: Schiff und 1 Schubleichter: 72 % weniger CO2 und NOX
Route: Rotterdam/Antwerpen – Mannheim/Wörth
Antriebsleistung: 400 kW Brennstoffzellen, zusätzlich 840 kWh Batterien sowie Backup-Dieselelektrik
Erweiterung des Netzwerks Seit seiner Gründung hat RH₂INE eine beachtliche Entwicklung vom bilateralen Projekt zum breit aufgestellten EU-weiten Netzwerk vollzogen. Zu den Partnern gehören heute mehr als 45 Akteure aus öffentlicher Hand und Wirtschaft, darunter die bedeutenden Häfen Rotterdam, Duisburg, Basel und Antwerpen-Brügge. Neben den Niederlanden und Deutschland haben sich mittlerweile auch Akteure aus Belgien, Frankreich, Österreich und der Schweiz der Initiative angeschlossen. Dies erweitert die Reichweite des Projektes erheblich.
Seit 2025 wird die Initiative vom belgischen Cluster WaterstofNet koordiniert. Dieses übernimmt das neu gegründete Programmbüro, dessen Arbeitsplan verschiedene englischsprachige Arbeitsgruppen vorsieht, die die unterschiedlichsten Themen wie Standardisierung, Finanzierungs- und Fördermechanismen, notwendige Hafeninfrastruktur sowie TankTainer-Logistik bearbeiten. WaterstofNet war schon einmal stark in diese Themen involviert, insbesondere durch die Mitarbeit in CONDOR, einem niederländischen Projekt im Zuge der Initiative RH₂INE mit Fokus auf niederländische Wasserwege. Diese Erfahrung prädestiniert das Cluster für seine Aufgaben als RH₂INE-Koordinator.
Finanzielle und politische Unterstützung für RH₂INE Seit 2019 kann die Initiative umfangreiche Fördermittel aus EU-Programmen wie Connecting Europe Facility (CEF) oder Horizon Europe sowie von nationalen und regionalen Regierungen akquirieren. Diese verwendet sie, um Forschung und Entwicklung, den Bau von Infrastruktur und die Umstellung auf Wasserstofftechnologien voranzutreiben und das Netzwerk auszubauen.
Auch bei der Unterstützung der Politik sowie bei der Harmonisierung von Leitlinien mit europäischen und regionalen Institutionen spielt RH₂INE eine entscheidende Rolle. So hat die Initiative in der Vergangenheit mit ihren Vorschlägen aktiv die schnellere Regulierung der Wasserstoffnutzung in der Binnenschifffahrt vorangetrieben. Auch auf die politischen Dekarbonisierungspläne für den Verkehrssektor, insbesondere in NRW und den Niederlanden, konnte sie Einfluss nehmen.
Der Erfolg der Dekarbonisierung der Binnenschifffahrt zeigt sich in der vom MUNV (Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen) initiierten gemeinsamen Absichtserklärung „Perspektive nachhaltige Rheinschifffahrt 2030“ von 80 Partnern aus Deutschland, Belgien, Schweiz und den Niederlanden auf der Länderkonferenz Rhein 2024. Darin wird die Rheinschifffahrt als unverzichtbar für eine nachhaltige Logistik eingestuft.
Darüber hinaus trägt auch der Beschluss der deutschen Verkehrsministerkonferenz vom Oktober 2024 die Handschrift der Initiative: Er betont die Binnenschifffahrt als Verkehrsträger der Zukunft für Deutschland. Neue Maßnahmen für eine leistungsfähige Binnenschifffahrt sollen in der Strategie „Neue Märkte für die Binnenschifffahrt“ gebündelt werden.
Die Nationale Hafenstrategie des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr trägt ebenfalls der Transformation der Binnenschifffahrt Rechnung. Demnach soll diese bundesweit harmonisiert als „landesweit bedeutsam“ eingeordnet und entsprechend in die Landesplanung übernommen werden, um Hafengebiete für eine hafenaffine Nutzung zu sichern.
Und schließlich adressiert auch der Nationale Aktionsplan klimafreundliche Schifffahrt (NAPS) – in Ergänzung zur Nationalen Hafenstrategie – die Binnenschifffahrt, und zwar mit Maßnahmen, die auch RH₂INE umsetzt. Dazu gehören unter anderem standardisierte containerisierte Energiespeicher. Daneben fordert der Aktionsplan auch eine Verlängerung des Förderprogramms BordstromTech sowie zinsvergünstigte KfW-Kredite oder Absicherungen mit Bürgschaften.
Herausforderungen der Dekarbonisierung Trotz all dieser Erfolge steht die Dekarbonisierung der Schifffahrt noch am Anfang: Aktuell fahren auf dem Rhein rund 10.000 Schiffe mit einer Lebenszeit von jeweils bis zu 100 Jahren. Diese gilt es zukünftig klimaneutral zu betreiben. Eine Herausforderung stellt dabei vor allem die Wirtschaftlichkeit des Wasserstoffbetriebs dar. Derzeit sind entsprechende Schiffe in Anschaffung und Betrieb teurer als herkömmliche Dieselschiffe. Die Rentabilität der neuen Technologie hängt gleich von mehreren Faktoren ab, zu denen Anschubsubventionen genauso gehören wie sinkende Wasserstoffpreise und die Bereitschaft der Kunden, höhere Transportkosten zu tragen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, bedarf es durchdachter Geschäftsmodelle.
Auch die Harmonisierung von Vorschriften auf europäischer Ebene bleibt eine komplexe Aufgabe. Insbesondere bei Lagerung und Transport von Wasserstoff bestehen noch Unsicherheiten, die die Einführung bremsen. Die technologische Entwicklung muss ebenfalls mit den Herausforderungen Schritt halten. Aktuell ist der Zugang zu grünem Wasserstoff begrenzt, er weitet sich jedoch sukzessive aus.
Und nicht zuletzt erfordert der Aufbau einer umfassenden Betankungsinfrastruktur, zunächst entlang des Rheins, erhebliche Investitionen und eine gezielte Koordination. Insbesondere das Befüllen der TankTainer sollte aufgrund der benötigten Wasserstoffmengen an größeren Hubs erfolgen.
Pläne von RH₂INE Auf all diese Herausforderungen reagiert RH₂INE mit einer Reihe ambitionierter Pläne. Diese zielen auf eine breite Akzeptanz und Skalierung der Technologie sowie auf die Nachrüstung der bestehenden Flotte ab.
So wollen die Akteure bis 2030 mindestens 50 wasserstoffbetriebene Schiffe im Einsatz haben. In puncto TankTainer soll ein Pool für H2-Wechselcontainer geschaffen werden, der allen Reedereien und weiteren Akteuren offensteht. Den hohen Anschaffungskosten muss dabei eine maximale Nutzungszeit gegenübergestellt werden. Dazu wird voraussichtlich in Zukunft ein Leasingunternehmen gegründet oder beauftragt.
Auch neue Partner – Regionen und Stakeholder – will das Netzwerk weiter einbinden, um eine flächendeckende Infrastruktur und Zusammenarbeit zu gewährleisten. Durch die Stärkung seiner Lobbyarbeit wird sich RH₂INE künftig verstärkt für eine zukunftsweisende Regulierung und finanzielle Unterstützung auf EU-Ebene einsetzen. In den Niederlanden konnte die Initiative bereits eine starke finanzielle Verpflichtung der Regierung durch einen „Climatfonds” für erneuerbare Schiffsantriebe erreichen. Mehr als 200 Millionen Euro für bis zu 150 Schiffe und deren Infrastruktur stehen bis 2030 bereit.
Fazit Auch die Binnenschifffahrt muss zur Erreichung der Verkehrsklimaziele Europas dekarbonisiert werden. RH₂INE beweist eindrucksvoll, wie internationale Zusammenarbeit in Kombination mit technischen Innovationen den Übergang zu einer emissionsfreien Binnenschifffahrt ermöglichen kann. Und die Initiative ist mit ihrem klaren Fokus auf Nachhaltigkeit, Innovation und Zusammenarbeit ein Vorbild für ähnliche Aktivitäten weltweit.
Die kommenden Jahre werden jedoch entscheidend sein: Kann die Anfangsvision von einem grünen Rheinkorridor als einem zentraleuropäischen Ansatz Wirklichkeit werden? Die Botschaft bleibt auf diesem Weg jedenfalls immer klar: Die Zukunft der Binnenschifffahrt liegt in der gemeinsamen Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Auf der Hannover Messe im NRW-Pavillon, Halle 13,
Autor: Stefan Garche, Wasserstoffleitstelle H2.NRW des Landes Nordrhein-Westfalen bei NRW.Energy4Climate, Düsseldorf
stefan.garche@energy4climate.nrw
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