Mit einer der größten Wasserstoffproduktionsstätten Europas und dem Abfüllcenter in Marl werden hier nicht nur lokale Unternehmen versorgt, sondern auch Chemiestandorte in ganz Nordrhein-Westfalen beliefert. Als H2EL-Wasserstoffkoordination halten wir alle Projekte der Region und deren Fortschritt im Blick und schaffen durch unser regelmäßiges Monitoring die notwendige Transparenz über den Markthochlauf. Unsere Wasserstoff-Roadmap 2024 ist gleichzeitig Fortschrittsbericht, Bestandsaufnahme und Ausblick auf die Entwicklung der Wasserstoffwirtschaft in der Emscher-Lippe Region.
Die Emscher-Lippe Region, gelegen im Herzen des nördlichen Ruhrgebiets in Nordrhein-Westfalen, erstreckt sich südlich des Münsterlands und gehört zum Regierungsbezirk Münster. Dies resultiert in einer engen Verzahnung der Region mit den benachbarten Gebieten, sowohl in politischer als auch in technologischer Hinsicht. Die Region zeichnet sich darüber hinaus durch die Kombination aus Ballungszentren im südlicheren Teil der Region und die ländlicheren Teile im Norden aus und bildet vielerorts Schnittstellen zwischen traditioneller Industrie und moderner Innovation. Mit den kreisfreien Städten Bottrop und Gelsenkirchen sowie den zehn Städten des Kreises Recklinghausen bildet die Emscher-Lippe-Region den Lebensmittelpunkt für rund eine Million Menschen.
Unsere Region ist für ihre industrielle Tradition bekannt, die sich nun schon seit vielen Jahren im Strukturwandel befindet. Sie verfügt über 30.000 Unternehmen, zwei Hochschulen und 15 Berufskollegs, die ihre Angebote bereits gezielt auf die technologischen Entwicklungen im Wasserstoffbereich angepasst haben. Neben einem gut ausgebauten Straßen- bzw. Autobahnnetz verfügt die Region auch über ein dichtes Schienen- und Kanalnetz sowie zahlreiche Pipelines. Darüber hinaus schaffen wir mit dem benachbarten Münsterland und der angrenzenden Hellweg-Zone Synergien für unsere Zukunftsstrategie. Auch mit den Niederlanden pflegen wir eine enge Zusammenarbeit, wie zum Beispiel mit dem Verbundprojekt TECH.LAND.
H2ier erlebt man Zukunft
Ein Alleinstellungsmerkmal unserer Region ist ihre besondere Eignung und Erfahrung für die Wasserstoffwirtschaft. Aufgrund der ausgeprägten Pipelineinfrastruktur und wesentlicher Großabnehmer von Wasserstoff kann dessen Hochlauf hier schneller und günstiger erfolgen als in anderen Teilen Europas. Neben den regionalen Abnehmern beziehen mehrere Chemiestandorte (z. B. in Köln oder Leverkusen) Wasserstoff aus unserer Region.
Wir decken aber nicht nur Erzeugung und Nutzung ab, sondern bilden auch die weiteren wichtigen Bereiche der Wertschöpfungskette umfassend ab. Dazu zählen eine Vielzahl von Unternehmen, die sich auf die Entwicklung und Herstellung von Komponenten spezialisiert haben, sowie andere Firmen, die als Anbieter von Technologien und innovativen Lösungen auftreten.
Abb. 2: Wasserstoff-Roadmap
In unserer neuen Roadmap bieten wir den aktuellen Überblick über entsprechende wasserstoffbezogene Projekte, die in unserer Region durchgeführt werden oder sich in der Planungs- beziehungsweise Ideenphase befinden. Über die H2-Roadmap hinaus betreiben wir das Monitoring der Projekte kontinuierlich weiter, um Transparenz und Orientierung für den Markthochlauf in der Region zu schaffen.
Breit aufgestellt
Das Projektportfolio stellt den Kern unserer Roadmap dar und gibt Aufschluss darüber, wie sich der H2-Bedarf von 2024 bis ins Jahr 2032 voraussichtlich entwickeln wird. Aufgeteilt sind die Projekte in die folgenden fünf Handlungsfelder: Quartiere, Qualifizierung, Forschung & Entwicklung, Industrie und Mobilität. Wenn wir die Gesamtzahl der Projekte betrachten, zeigt sich, dass wir in den letzten Jahren bedeutende Schritte gemacht haben. Aus ursprünglich 57 Projekten im Jahr 2021 sind in knapp drei Jahren über 100 geworden. Insbesondere bei den in Umsetzung befindlichen Projekten ist ein starker Zuwachs zu verzeichnen. Während es 2021 noch 17 waren, sind es inzwischen 53. Der Zuwachs ist dabei vor allem im Handlungsfeld Industrie auffällig.
Leuchtturmprojekte
Unser Projektportfolio enthält alle wasserstoffbezogenen Projekte in der Region, wobei einige von diesen hervorzuheben sind. Unter anderem der von Air Liquide geplante Elektrolyseur im Chemiepark Marl mit einer Leistung von 120 MW. Dieser wird grünen Wasserstoff erzeugen, der mittels Fernleitungen beziehungsweise über das Wasserstoffkernnetz zu den Kunden transportiert werden soll. Hierbei handelt es sich um ein IPCEI-Projekt, das im Juli 2024 den Förderbescheid erhalten hat.
In Gelsenkirchen finden sich unter anderem die folgenden beiden Leuchtturmprojekte:
Zum einen hat sich mit dem Stadthafen ein ganzes Industriegebiet auf den Weg gemacht, klimaneutral zu werden. Dazu haben sich die ansässigen Unternehmen zur Initiative „Klimahafen Gelsenkirchen“ zusammengeschlossen. Prozesswärme (rund 500.000 MWh) soll hier zukünftig nicht mehr durch Erdgas, sondern durch grünen Wasserstoff erzeugt werden. Bis der grüne Wasserstoff zur Verfügung steht, nutzen die Unternehmen ein wasserstoffreiches Energiegas.
Zum anderen stärkt die Westfälische Hochschule ihren Forschungsschwerpunkt im Bereich der Wasserstofftechnologien. Unter anderem entsteht mit dem „H2 Solution Lab“ ein Laborneubau zur Erarbeitung von Erkenntnissen im Hinblick auf Komponenten, Teilsysteme oder Gesamtsysteme für Forschung und Transfer.
In Haltern am See planen mehrere energieintensive Unternehmen, ihren CO2-Ausstoß durch den Einsatz von grünem Wasserstoff drastisch zu reduzieren. Es wird ein gemeinsamer jährlicher Wasserstoffbedarf von rund 200.000 MWh erwartet, der durch einen Elektrolyseur, gespeist aus lokalem Wind- und Solarstrom, gedeckt werden soll. Haltern am See könnte darüber hinaus künftig auch an das nahegelegene Wasserstoffkernnetz angeschlossen werden.
In Herten existiert seit 2009 das Anwenderzentrum H2Herten, ein kommunales Technologiezentrum für Wasserstoff, welches sich autark aus erneuerbaren Energien versorgt. Die vorhandenen Räumlichkeiten und das Technikum samt deutschlandweit erstem Energiekomplementärsystem können Unternehmen für Untersuchungen unterschiedlicher Art nutzen. Mit dem System können Komponenten unter realen Bedingungen getestet beziehungsweise spezielle Lastfälle simuliert werden. Das Komplementärsystem übernimmt dabei die intelligente Steuerung von Komponenten, Stromfluss und Wasserstofferzeugung. Im und um das Technologiezentrum siedeln sich seit Fertigstellung themenbezogene Firmen und Institutionen an, wie beispielsweise der Motorenhersteller Cummins Inc. oder der TÜV Nord.
In unmittelbarer Nähe des Anwenderzentrums befindet sich eine Anlage der AGR mbH. Diese erzeugt durch das Verbrennen von Abfällen Strom und Fernwärme zur Versorgung der anliegenden Wohngebiete. Im Jahr 2024 wurde hier ein 3-MW-PEM-Elektrolyseur eingeweiht, der Wasserstoff erzeugt und eine angeschlossene H2-Tankstelle versorgt. Der Strom kann dabei aus der Verbrennung von Abfall und eigenen regenerativen Energiequellen gewonnen werden (Solar und Wind). Die Tankstelle eignet sich durch die Druckstufen 700 bar und 350 bar zur Betankung von Pkw, Lkw und werkseigenen Müllfahrzeugen und ist derzeit die größte H2-Tankstelle europaweit.
Das Projekt E-BO(2)t ist ein Demonstrationsprojekt der Emschergenossenschaft und einiger Projektpartner in Bottrop. Es verfolgt das Ziel, die Machbarkeit einer großskaligen Produktion von grünem Methanol (e-Methanol) auf einer Kläranlage zu testen. Dazu wird biogenes CO2, das in den Faultürmen der Kläranlage Bottrop entsteht, vom Klärgas abgespalten und mit vor Ort produziertem grünem Wasserstoff zusammengebracht, um daraus das e-Methanol zu synthetisieren und es als alternativen Kraftstoff nutzen zu können. Als Nebenprodukt der Wasserstoffproduktion entsteht Reinsauerstoff, der zur ökologischen Verbesserung in ein nahegelegenes Gewässer geleitet wird.
Neben diesen Leuchtturmprojekten sind zahlreiche weitere Initiativen und Vorhaben in Planung. Viele dieser Vorhaben konzentrieren sich darauf, den Einsatz fossiler Energieträger, insbesondere Erdgas, in der Industrie signifikant zu reduzieren. Ein wesentlicher Ansatz dabei ist die Substitution von Erdgas durch grünen Wasserstoff als Energieträger für die Erzeugung von Prozesswärme, die in vielen industriellen Verfahren unerlässlich ist. Ziel dieser Umstellung ist selbstverständlich die Reduktion von Treibhausgasen und die damit verbundene Reduzierung des Erdgasbedarfs.
Ausblick
Auf Grundlage unseres Projektportfolios und der Mengenvorhersagen für das Jahr 2032 wird ein jährlicher Bedarf von etwa 6,5 TWh Wasserstoff in der Region erwartet, was etwa 200.000 Tonnen pro Jahr entspricht. Obwohl wir unsere selbst gesetzten Ausbauziele für Elektrolysekapazität für das Jahr 2032 voraussichtlich sogar übertreffen werden, können wir unseren wachsenden Bedarf nach Wasserstoff nicht durch Eigenproduktion decken und müssen daher künftig Wasserstoff in großem Maßstab importieren. Sollten alle bekannten Elektrolyseprojekte realisiert werden, läge die Eigenproduktionsmenge bei etwa 40 Prozent. Durch die Substituierung von Erdgas durch diesen grün produzierten Wasserstoff können wir über 1,3 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente einsparen.
Autor: Marc Luckhaus, WiN Emscher-Lippe Gesellschaft zur Strukturverbesserung mbH, Herten,
E-Mail: marc.luckhaus@emscher-lippe.de
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