Nationale Wasserstoffstrategie 2.0 – Bundesregierung verschärft das Tempo

Nationale Wasserstoffstrategie 2.0 – Bundesregierung verschärft das Tempo

Als sich „nur“ vier Bundesministerien um Wasserstoff gekümmert haben, war die Koordinierung schon schwer genug – inzwischen sind es sechs Ministerien, die sich auf Bundesebene mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie beschäftigt haben – plus Bundeskanzleramt. Diese breitflächige Beteiligung so vieler verschiedener Ressorts beweist endgültig, dass Wasserstoff zum Kernelement der Energiewende geworden ist.

„Wasserstoff wird als vielfältig einsetzbarer Energieträger beim Erreichen unserer ambitionierten Energie- und Klimaziele eine Schlüsselrolle einnehmen.“ Mit diesem Statement bekennt sich die Bundesregierung zu der herausragenden Bedeutung von Wasserstoff bei der zukünftigen Energieversorgung sowie beim Kampf gegen die Klimakrise. Nicht ohne Grund wurde jetzt bereits drei Jahre nach der Verabschiedung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) im Juni 2020 eine Neuauflage dieses Papiers verabschiedet, um die Inhalte und Ziele an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen.

Mit der Fortschreibung der NWS, die im Juli 2023 vom Bundeskabinett beschlossen wurde, hat die Bundesregierung nach eigenen Worten „einen kohärenten Handlungsrahmen für die gesamte H2-Wertschöpfungskette – von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung sowie Weiterverwendung – geschaffen“. Sie will damit wirtschaftliche Planungssicherheit schaffen, die Grundlage für zukünftige Investitionen ist, damit der angestrebte Markthochlauf von grünen Wasserstofftechnologien gelingen kann.Gleichzeitig erinnert sie daran, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ ist, zu deren Erfolg „alle Stakeholder ihren Beitrag leisten müssen“.

„Wasserstofftechnologien sind nicht nur ein wichtiges Werkzeug für den Klimaschutz. Sie können neue Industriezweige mit vielen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen und großen Exportchancen entstehen lassen. […] Die NWS soll somit auch dazu beitragen, dass der Industriestandort Deutschland seine starke Position bei Wasserstofftechnologien behält und weiter ausbaut.“

Bundesregierung

Konkrete Ziel definiert

Die erklärten Ziele bis 2030 sind insbesondere ein beschleunigter Markthochlauf von Wasserstoff sowie die Sicherstellung einer ausreichenden Verfügbarkeit von Wasserstoff und seiner Derivate. Dementsprechend wurde die bislang angepeilte Elektrolysekapazität von 5 GW auf mindestens 10 GW erhöht. Der restliche Bedarf wird durch Importe gedeckt, wofür noch eine gesonderte Importstrategie entwickelt werden soll. Zudem soll eine leistungsfähige Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut werden. Bis 2027/2028 soll mit Hilfe von Fördergeldern aus Brüssel ein H2-Startnetz mit mehr als 1.800 km auf den Weg gebracht werden. Dieses wird teils umgewidmete Erdgasleitungen sowie neu gebaute Wasserstoffleitungen beinhalten. Es wird Bestandteil des europaweit geplanten European Hydrogen Backbone sein, der H2-Pipelines mit einer Gesamtlänge von ca. 4.500 km umfasst.

Darüber hinaus sollen verschiedene Wasserstoffanwendungen in unterschiedlichen Sektoren etabliert werden – im Stromsektor, in der Industrie, bei schweren Nutzfahrzeugen sowie im Luft- und Schiffsverkehr. Dafür sollen geeignete Rahmenbedingungen (Planungs- und Genehmigungsverfahren, einheitliche Standards und Zertifizierungssysteme) geschaffen werden. Erklärtermaßen will Deutschland bis 2030 zum Leitanbieter für Wasserstofftechnologien werden.

„Wir haben das Ambitionsniveau nochmals deutlich gesteigert.“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck

„Wasserstoff ist das noch fehlende Puzzleteil der Energiewende. Er ist die große Chance, Energiesicherheit, Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden.“

Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger

„Der Weltmarkt für Wasserstoff muss fair sein und damit anders, als es die fossile Weltwirtschaft je war.“

Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze

 

Von der ursprünglichen Herangehensweise, ausschließlich grünen Wasserstoff finanziell mit Steuermitteln zu fördern, hat sich die Bundesregierung jetzt verabschiedet, was erwartungsgemäß insbesondere von der Gaslobby begrüßt wurde. Auch andersfarbiger Wasserstoff soll jetzt Fördergelder bekommen können, allerdings nur in begrenztem Maße und unter bestimmten Voraussetzungen, die im Kleingedruckten spezifiziert wurden.

So heißt es in der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie: „Die Nutzung von grünem und, soweit in der Markthochlaufphase notwendig, kohlenstoffarmem blauem, türkisem und orangem Wasserstoff wollen wir auf der Anwendungsseite in begrenztem Umfang unter Berücksichtigung von ambitionierten THG-Grenzwerten, einschließlich der Emissionen der Vorkette sowie der Erhaltung des gesetzlichen Ziels der Klimaneutralität, auch fördern.“

Bettina Stark-Watzinger, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, nannte dies eine „pragmatische und technologieoffene“ Entscheidung, dass zunächst „alle klimafreundlichen Wasserstoffsorten“ eingesetzt werden sollen. So werde Deutschland auf dem Weg zur Wasserstoffrepublik vorangebracht.

Ihre Kollegin, Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, ging noch einen Schritt weiter, indem sie sagte: „Wo Wind- und Sonnenstrom für Wasserstoff produziert wird, wird gleichzeitig die Energiewende vor Ort vorangetrieben und die lokale Bevölkerung mit Strom versorgt. Und wo Meerwasser für Wasserstoff entsalzt wird, wird auch die nächste Stadt mit Trinkwasser versorgt. Aus Entwicklungsperspektive ist dabei klar: Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ist nicht nur die beste Wahl für die Umwelt, er führt als günstige heimische Energiequelle auch zu besserer Entwicklung im Globalen Süden. Wir werden daher unsere Partnerländer dabei unterstützen, mit ihrem fairen Anteil am neuen Weltmarkt für Wasserstoff zu partizipieren.“

Bestehende Strukturen bleiben

Damit dies alles gelingen kann, wird auf die bestehenden Institutionen zurückgegriffen. So wurde bereits eine „Lotsenstelle Wasserstoff“ eingerichtet, die die Möglichkeit bietet, sich telefonisch oder per Mail bei Förderfragen beraten zu lassen. Der Ausschuss der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre für Wasserstoff fungiert als Entscheidungsgremium der NWS und ergreift falls erforderlich korrigierende Maßnahmen. Er trifft sich anlassbezogen nach Bedarf, was in der Vergangenheit nur selten der Fall war. Zentrales Organ ist der Nationale Wasserstoffrat (NWR), ein unabhängiges, überparteiliches Beratungsgremium mit 26 hochrangigen Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Unterstützt wird dieser von der Leitstelle Wasserstoff.

Die NWR-Vorsitzende Katherina Reiche erklärte: „Es ist ein wichtiger Meilenstein, dass die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie ambitioniert fortsetzt. […] Nur mit Wasserstoff können wir Wertschöpfungsketten erhalten und dafür sorgen, dass Schlüsselindustrien in Deutschland bleiben. […] Unternehmen investieren nur dann, wenn sie langfristige Planungssicherheit haben. Wir müssen daher bereits jetzt über das Jahr 2030 hinausblicken. Nach Prognosen des NWR steigt der Bedarf an Wasserstoff und Wasserstoffderivaten bis zum Jahr 2045 auf 964 bis 1.364 Terawattstunden. Der Inflation Reduction Act der USA und ähnliche Regelungen weltweit werden den Aufbau von umfassenden Wertschöpfungsketten in industriellem Maßstab beschleunigen. Angesichts der rasanten Fortschritte anderer Staaten sollte sich die Bundesregierung davon verabschieden, ausschließlich auf Leuchtturmprojekte zu setzen. Wichtiger ist es, effektive Anreize für die schnelle Skalierung der Wasserstoffwirtschaft und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zu schaffen.“

Zum teilweise heftig geführten Diskurs über den Einsatz von Wasserstoff im Wärmesektor teilte der NWR mit, er befürworte die kommunale Wärmeplanung als entscheidendes Planungsinstrument der Wärmewende. Für eine erfolgreiche Wärmewende würden aus seiner Sicht alle Technologieoptionen, Wärmepumpe, Wärmenetze, erneuerbare Wärme und Wasserstoff benötigt. Somit sollten alle Technologien als gleichberechtigte Erfüllungsoption im Gebäudeenergiegesetz verankert werden und beim Ausbau der Infrastruktur Berücksichtigung finden.

Weiter erklärte der NWR, es bedürfe einer stringenten Ausbildung der notwendigen Fachkräfte, sowohl auf Hochschulebene als auch im Bereich der beruflichen Bildung und Weiterbildung.

Kritik und Verbesserungsvorschläge

Während die Bundesregierung die NWS-Fortschreibung durchaus stolz präsentiert, hält die Opposition das 34-seitige Papier erwartungsgemäß für wenig gelungen. CDU-Vize Andreas Jung erklärte gegenüber dem Tagesspiegel: „Wasserstoff ist so entscheidend für Wirtschaft und Klimaneutralität, da bräuchte es jetzt einen Doppel-Wumms.“ Seine Kritik, die Regierung agiere „halbherzig“ und würde eine „dirigistische Zuteilung“ betreiben, verläuft allerdings im Sande, weil durchaus ambitionierte Ziele angepeilt werden und mit der NWS letztlich nur ein Rahmen gesetzt wird – ohne technologische Vorgaben.

So soll beispielsweise auch noch in diesem Jahr ein „Wasserstoffbeschleunigungsgesetz“ auf den Weg gebracht werden, um analog zu den bisherigen LNG-Terminals „weitere Terminals nur für Wasserstoff oder dessen Derivate“ installieren zu können. Eine „nationale Hafenstrategie“ soll dafür die entsprechenden Knotenpunkte der künftigen Wasserstoffwirtschaft definieren.

Jorgo Chatzimarkakis, CEO von Hydrogen Europe, sieht Deutschland damit auf einem guten Weg, in „neun Jahren die breite Nutzung von grünem Wasserstoff in der Industrie und im Wärmesektor“ realisieren zu können. Dennoch hält er konkrete Verbesserungsmaßnahmen für erforderlich, so wie beispielsweise eine bessere Integration von H2 Global in die EU-Wasserstoffbank, um so von den Hebeleffekten der EU-Ausschreibungsverfahren profitieren zu können sowie Abnahmeverträge für übergangsweise verstaatlichte Unternehmen, wie Uniper, die zur Versorgungssicherheit beitragen können.

Weiter hält der deutsch-griechische Verbands-Chef beispielsweise eine Verkürzung der IPCEI-Genehmigungszeiten auf EU-Ebene und auch auf Bundesebene für erforderlich. Und er schlägt die Initiierung eines „EU Tax Credit Clubs“ für Wasserstoff-Besteuerung für notwendig – quasi als Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA, der in vergleichbarer Form in der EU aufgrund der Steuergesetzgebung nicht eingeführt werden kann.

An der NWS 2.0 haben mitgewirkt: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt.

Autor: Sven Geitmann

Grüne Vollversorgung übers ganze Jahr

Grüne Vollversorgung übers ganze Jahr

HPS weiht Eigenheim mit solarem Wasserstoffspeicher ein

In Schöneiche, einem Vorort östlich von Berlin, startet das erste autarke Wasserstoffhaus in den Praxistest. Ein solarer Ganzjahresspeicher soll den Bedarf für das moderne Holzhaus decken. Mit dem Forschungsprojekt FlexEhome soll gezeigt werden, wie ein Eigenheim bei entsprechend guter Dämmung selbst mit Strom und Wärme versorgt werden kann. Im Rahmen dieses Projekts testen die Beteiligten zudem netzdienliche Leistungen.

Die Photovoltaikanlage des brandneuen Einfamilienhauses in der Schillerstraße wurde mit insgesamt knapp 30 Kilowatt Leistung bewusst sehr groß ausgelegt – so kann sie einen solaren Energieüberschuss für die Produktion von sauberem Wasserstoff erzeugen. Denn derzeit produzieren die meisten Gebäude mit Photovoltaikanlage und Batterie zwar zu viel Strom im Sommer, jedoch zu wenig Strom in den Wintermonaten. Es fehlt bislang ein Saisonspeicher.

In dem Forschungsprojekt FlexEhome soll nun in einem Praxistest gezeigt werden, dass es anders geht: Es soll nur Strom ins Netz abgegeben oder entnommen werden, wenn es auch für das Stromnetz dienlich ist. Dies ist aufgrund einer im Vergleich zu Batterien deutlich größeren Speicherkapazität und der Herstellung von Wasserstoff, der über längere Zeiträume bevorratet werden kann, möglich. Dank dieser Flexibilität wird die Netzstabilität verbessert und der Ausbaubedarf der dezentralen Verteilnetze minimiert. Die Bewohner eines solchen Gebäudes leisten auf diese Weise einen Beitrag zur Stromnetzstabilität und Versorgungssicherheit.

„In Zukunft sind solche dezentralen Flexibilitäten für den Erfolg der Energiewende unverzichtbar“, betont Zeyad Abul-Ella, Chef und Gründer von Home Power Solutions (HPS), bei der feierlichen Vorstellung dieses solaren Wasserstoffhauses. Ein wesentlicher Baustein des Projekts ist der Langzeitspeicher picea von HPS, der den überschüssigen Strom der Solaranlage im Sommer in Form von Wasserstoff mittels Elektrolyse speichert. Im Winter wird das grüne Gas über die Brennstoffzelle wieder zu Strom und Wärme umgewandelt.

AEM-Elektrolyseur von Enapter

Den Wasserstoff erzeugt ein AEM-Elektrolyseur 2.0 des deutsch-italienischen Herstellers Enapter. Das Modul kann relativ schnell starten und hochfahren. Der Batteriespeicher ist ein Blei-Gel-Akkumulator aus deutscher Produktion und verfügt über 20 kWh Kapazität (netto). Blei hat – obwohl es ein giftiges Schwermetall ist – den Vorteil, dass es bereits ein eingespieltes Recycling-System gibt – insbesondere bei Starterbatterien aus Kraftfahrzeugen.

Bauingenieur Abul-Ella hat das Komplettsystem aus Elektrolyseur, Brennstoffzelle, Wasserstofftank sowie Bleispeicher und Lüftungsgerät vor fast zehn Jahren selbst entwickelt. Billig ist das picea-System mit 120.000 Euro im Vollausbau allerdings nicht. Dennoch hat der Absatz der sogenannten Ganzjahresstromspeicher in den letzten Monaten stark zugelegt. Mehr als hundert Geräte sind schon in Betrieb, mehr als 500 Exemplare bestellt.

Das Berliner Unternehmen kommt bei den Bestellungen kaum hinterher. Die Wartezeit beträgt derzeit etwa zwölf Monate. Die Produktion von HPS soll deshalb weiter ausgebaut werden. Auch wegen Projekten wie FlexEhome: Beteiligte Partner sind beispielsweise der Wärmepumpenhersteller Vaillant, der Holzhausbauer Albert Haus sowie die Technische Universität Berlin.

Solar in Ost-West- und Südausrichtung

Um die solare Ernte vom Dach schon in der Produktion zu glätten, wurde das Gros der Photovoltaikmodule mit 27,4 Kilowatt als dachintegrierte Lösung in Ost-West-Ausrichtung installiert. Zusätzlich befinden sich sieben Module mit insgesamt 2,4 Kilowatt an der Balkonbrüstung in Südausrichtung. Beides zusammen reduziert die PV-Mittagsspitze um 30 Prozent (s. Abb. 2) – und verlängert so die Laufzeit des Elektrolyseurs im Sommer um vier Stunden pro Tag. „Dadurch erhöht sich der Wasserstoffertrag um satte 40 Prozent“, sagt Daniel Wolf von HPS. Der Ingenieur ist der Verbundkoordinator dieses innovativen Projekts.

Reduzierung der Mittagsspitze bei der Solarstromproduktion durch Ost-West-Ausrichtung

In einem Holzhäuschen an der Nordseite des Einfamilienhauses steht der Elektrolyseur mit insgesamt vier Bündeln an Druckgasflaschen mit je 300 kWh elektrischer Leistung (s. Abb. 3), um das H2-Gas aus den Sommermonaten für die Wintermonate zu speichern. Schon im Juli sei der Wasserstoffspeicher laut Berechnungen wieder komplett gefüllt, prognostiziert Wolf. Der Raumwärmebedarf des knapp 150 Quadratmeter großen Eigenheims liegt rund 40 Prozent unter dem eines KfW55-Hauses. Dieser hohe Dämmstandard ist auch nötig, damit sich das Haus selbst rund ums ganze Jahr mit Strom und Wärme versorgen kann. Das ist der Schlüssel und die Basis zur grünen Vollversorgung.

Aber auch ökonomisch soll sich die langfristige Speicherung von Strom künftig rechnen – und zwar über den Handel am Strommarkt. Denn immer wieder gibt es sehr hohe Börsenstrompreise, wie an einigen Tagen im Dezember 2022, als er bei umgerechnet 60 ct/kWh lag. Auf der anderen Seite gibt es das Extrem von negativen Strompreisen, wie Anfang Juni 2021, als minus 5 ct/kWh aufgerufen wurden. Hier könnte sich der H2-Speicher von HPS auszahlen, der jederzeit über Reserven verfügt, sagt Wolf.

H2-Druckgasbehälter als saisonaler Speicher

TU Berlin überwacht alle Energieflüsse

Der Wasserstoff wird in einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage wieder zu Strom und Wärme, wobei auch die Abwärme genutzt wird. In Verbindung mit einer Wärmepumpe wird so eine ganzjährige Versorgung des Hauses mit selbst erzeugtem Solarstrom gesichert. Gerade auch das Zusammenspiel mit der Wärmepumpe soll durch dieses Projekt in den nächsten Monaten näher untersucht werden.

Schon bald soll eine vierköpfige Familie zur Miete im Projekthaus wohnen. Sie zahlt im Ortsvergleich eine günstigere Miete, muss allerdings von Zeit zu Zeit Fachbesuchern und Technikern nach Anmeldung Zugang zum Technikraum gewähren. Um die Vollversorgung und eine netzdienliche Einspeisung zu dokumentieren, wird die TU Berlin zudem sämtliche Energieflüsse im Haus in den nächsten Monaten genau monitoren.

Die Forscher begleiten das Projekt noch mindestens bis Ende 2024. Sie gucken sich neben den Energiebilanzen auch die CO2-Emissionen an. „Am Ende wollen wir bewerten, ob sich so ein Gebäude für den Klimaschutz lohnt“, sagt Alexander Studniorz von der TU Berlin. Dafür machen die Wissenschaftler eine Lebenszyklusanalyse. Die Annahme des Wissenschaftlers ist, dass sich gerade die zeitliche Verschiebung des Stromverbrauchs positiv auf die CO2-Bilanz auswirken wird. Denn anders als in Eigenheimen mit PV-Anlage und einem Batteriespeicher muss in einer kalten Winternacht kein zusätzlicher Graustrom aus dem Netz gezogen werden, wenn viele fossile Kraftwerke im Einsatz sind. „Gerade der saisonale Puffer garantiert im Zusammenspiel mit der Wärmepumpe somit ganzjährig niedrige CO2-Emissionen“, prophezeit der TU-Forscher.

China nimmt Fahrt auf

China nimmt Fahrt auf

Aktienanalyse von Sven Jösting

In den vergangenen Wochen erreichten uns Nachrichten aus dem Reich der Mitte, wonach sich China beim Themenkomplex Wasserstoff neu aufstellt und Anstalten macht, eine führende Rolle in diversen Brennstoffzellen- und Wasserstoffmärkten auf der ganzen Welt einnehmen zu wollen. Wer denkt dabei nicht umgehend an die Solar- und Windenergiebranche oder auch die batterieelektrische Mobilität, die durch China mit Hilfe von umfassenden Förderprogrammen aufgemischt wurden, so dass die Volksrepublik schnell zum Weltmarktführer avanciert ist. Werden wir im H2– und BZ-Sektor jetzt dieselbe Entwicklung sehen?

China hat zunächst Ende Juli unter anderem über den CO2-Abdruck für sich die verschiedenen Farben von Wasserstoff definiert und dann am 8. August durch sechs zentrale Behörden (Standardization Administration, NDRC, Ministry of Industry and Information Technology, Ministry of Emergency Management und National Energy Administration) entsprechende Richtlinien festgelegt. Im Formation Guidance for Standard System of Hydrogen Industry werden die Standards für den Einsatz von Wasserstoff in den verschiedenen Märkten und Einsatzfeldern ab dem Jahr 2025 manifestiert. Darin geht es um die verschiedenen Produktionsverfahren von Wasserstoff, Sicherheitsaspekte, Lagerung und Transport, H2-Infrastruktur sowie unterschiedliche Einsatzfelder/Märkte.

Dies kann getrost als Rahmen angesehen werden, in dem die chinesische Regierung demnächst Förderprogramme für Unternehmen, Provinzen, Universitäten und Forschungsanstalten im großen Stil auf den Weg bringen könnte. Vielleicht schon 2024? Über drei Jahre warten wir bereits auf ein solches Programm, das vom Volumen vergleichbar mit dem US-amerikanischen Inflation Reduction Act (500 Mrd. US-$ oder gar 1 Billion?) sein könnte.

Da China große Probleme im Infrastruktursektor/Bauwesen hat, könnte der Schwenk in Richtung Wasserstoff und Klimaschutz den perfekten Ausgleich darstellen: Wachstum durch Nachhaltigkeit. Dies sollte nun in den kommenden ein bis zwei Jahren Realität werden. China ist schon lange mit großem Abstand der weltgrößte Produzent und auch Konsument von Wasserstoff (erdgasbasiert). Zukünftig soll der Wasserstoff perspektivisch grün werden, wenn sicherlich auch die Farbe Blau (Erdgasreformierung mit CCS) im Übergang genutzt werden wird.

Was hat dies mit den hier besprochenen H2-/BZ-Aktien zu tun?

China wird Vorgaben machen, die sich auf den gesamten H2-Komplex weltweit auswirken, so die Erwartung. Der Einsatz von Brennstoffzellen in Kraftfahrzeugen unterschiedlicher Art (vom Nfz bis hin zum Pkw) könnte dieser Technologie zum Durchbruch verhelfen, wenn beispielsweise eine Quotenregelung wie damals bei der Batterieeinführung kommen sollte. Dasselbe gilt für die entsprechende Infrastruktur und natürlich auch für die Produktion, Lagerung sowie den Transport.

Nach bisheriger Planung sollten in China 1 Mio. Kfz mit H2-Antrieb bis zum Jahr 2030 auf den Straßen fahren. Ein geeignetes Förderprogramm könnte dafür sorgen, dass es viele Millionen werden. Zum Vergleich: Südkorea plant, dass dort bis 2040 rund 6,1 Mio. BZ-Fahrzeuge fahren sollen.

Auf solch einen Hochlauf müssen sich viele Unternehmen, die in China in diesem Metier aktiv sind, vorbereiten. Toyota, Hyundai, aber auch Ballard, Cummins und Bosch sind bereits in Position mit großen Investments in Produktionsanlagen vor Ort u. a. für BZ-Stacks. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die weltweite Zulieferindustrie hier auch ihr Engagement zeigt.

Im Kleinen sieht man dies auch schon in einzelnen Provinzen und Großstädten: Shanghai plant, bis zum Jahr 2025 die Zahl der H2-Tankstellen von aktuell 14 auf 70 und die Zahl der BZ-Kfz von gegenwärtig 2.500 auf 10.000 (vor allem Busse und Nfz) aufzustocken. Das lässt den Schluss zu, dass Shanghai da vorbereitet sein will auf die Planungen (Förderung) der Zentralregierung.

Warum ist das Jahr 2023 der Beginn des Megatrends Wasserstoff?

Die Trendforschung setzt auf Grün – auch beim Wasserstoff. John Naisbitt mit seinem Bestseller „Megatrends“ hat in vielen Beispielen aufgezeigt, dass die Zahl 20 eine besondere Bedeutung hat: Vor genau 20 Jahren im Jahr 2003 erschien das Buch „Die H2-Revolution“ des Visionärs Jeremy Rifkin auf Deutsch (die englische Ausgabe ein Jahr davor in 2002). Nach der Lektüre weiß man, was da in Sachen Wasserstoff alles möglich ist.

Heute ist dies real. Das Buch war mein Entrée in dieses Themenfeld. Aus der Trendforschung weiß man, dass es bis zum Start- und Schmelzpunkt eines neuen Megatrends im Durchschnitt 20 Jahre dauert. Wir schreiben das Jahr 2023. Die Börse steht in den Startlöchern. Sollten Naisbitt und Rifkin Recht bekommen? Es sieht so aus.

Risikohinweis

Jeder Anleger muss sich immer seiner eigenen Risikoeinschätzung bei der Anlage in Aktien bewusst sein und auch eine sinnvolle Risikostreuung bedenken. Die hier genannten BZ-Unternehmen bzw. Aktien sind aus dem Bereich der Small- und Mid-Caps, d. h., es handelt sich nicht um Standardwerte, und ihre Volatilität ist auch wesentlich höher. Es handelt sich bei diesem Bericht nicht um Kaufempfehlungen – ohne Obligo. Alle Angaben beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen und stellen, was die Einschätzung angeht, ausschließlich die persönliche Meinung des Autors dar, der seinen Fokus auf eine mittel- und langfristige Bewertung und nicht auf einen kurzfristigen Gewinn legt. Der Autor kann im Besitz der hier vorgestellten Aktien sein.

Klimaneutralität als Wettbewerbsvorteil

Klimaneutralität als Wettbewerbsvorteil

Wettbewerbsfaktoren für den Mittelstand

Ohne den Einsatz von technologischen Entwicklungen ist an einen Erfolg der Klima- und Energiewende nicht zu denken. Ökologie und Ökonomie gehören dabei zusammen, denn die Unternehmen wollen decarbonsieren, ihre Lieferketten CO2-frei machen, regenerative Energie selbst erzeugen und auch nutzen. Sie wollen – im besten Fall – den Kunden wie auch den Konsumenten Produkte an die Hand geben, die klimaneutral erzeugt wurden und ein gutes Gewissen erzeugen. Gleichzeitig muss man damit auch Geld verdienen können. Wie dies gehen kann, darüber diskutierten die Teilnehmenden des 4. Weltmarktführer Innovation Days, der am 13. Und 14. September 2023 in Erlangen stattgefunden hat.

Bei diesem von der WirtschaftsWoche organisierten Event zum Thema Innovationen wurde unter anderem ein ganzes Themenspektrum rund um Wasserstoff aufgezeigt. Es ging vor allem darum, wie die Klima- und Energiewende pragmatisch und ökonomisch zu bewerkstelligen sein kann, wenn Innovationen, der Mittelstand, innovative Großunternehmen, Start-Ups und die Politik Hand in Hand geht.

Derzeit ist es noch so, dass die Regulatorik und die Parteienpolitik wie auch überbordende Einflüsse von Ministerien/Behörden mit ihrer Regelwut in Deutschland sowie der EU vielen guten Entwicklungen im Wege stehen. Der Begriff „Bürokratieabbau“ fand sich dementsprechend in fast allen Talkrunden und Unternehmenspräsentation als vorrangiger Wunsch wieder.

Inhaltlich ging es um die Transformation der Energiewirtschaft, um Systemintegration sowie Netzstabilisierung, um Klimaneutralität als Wettbewerbsvorteil und eben auch um die Wunderwaffe Wasserstoff. Und um die begleitenden Fragen: Wie agieren unsere Weltmarktführer im Spannungsfeld zwischen Klimaschutz und Profitabilität? Welche neuen Geschäftsmodelle entwickeln sich an dieser Schnittstelle? Welche Rolle spielt Wasserstoff im Energiemix der Zukunft?

Klar ist dabei der Energiepreis ein sehr wichtiger Standortfaktor. Viele energieintensive Unternehmen müssen sich derzeit an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen und manches wird perspektivisch den Standort Deutschland gerade deswegen sogar verlassen, da man nicht mehr international wettbewerbsfähig ist. Da nützt es auch gar nichts, dass es Ausnahmen über einen subventionierten Strompreis geben soll. Der Strompreis muss gesamt massiv runter, was angesichts des Ausstieges aus der Kernenergie und auch der Kohlekraft sehr theoretisch klingt.

Die Annahme, dass sich Deutschland regenerativ selbst versorgen könne, wirkt weltfremd angesichts dessen, dass der Strombedarf gesamt massiv steigen wird. Und dass da neue deutschlandweite Stromtrassen – unter Tage, im Boden verlegt – kommen, wirkt für einige Menschen verstörend, da man 40 Meter breite Korridore in Wälder schlagen wird. Das kostet circa sechs mal mehr, als wenn man über aufgehängte Stromtrassen geht, die zudem noch im Störfall viel einfacher – in Sekunden – lokalisiert werden können. Den grünen Strom wird man wie mit fossilen Energieträgern zu über 70 Prozent importieren – über Moleküle (Wasserstoff).

Da stellt sich für die Industrie und den Mittelstand in Sachen Klimawandel die Frage, ob die für die Umsetzung notwendigen Technologien aus Deutschland kommen werden und damit Auswirkungen auf das Weltgeschehen haben. Eine bislang noch mangelhafte Digitalisierung und eine aufgeblasene Bürokratie lassen viele notwendige Entwicklungen verlangsamen wenn nicht sogar scheitern. Da stellt sich für viele Teilnehmer die Frage, warum Deutschland Kernkraftwerke und Kohlekraftwerke abstellt, ohne einen Ersatz (Grundlast) zu haben. Müsste man nicht – wie jeder Unternehmer denken sollte – erst das Eine tun bevor man das Andere macht?

Welcher Unternehmer verschrottet eine Maschine, wenn er nicht schon parallel/vorher für Ersatz gesorgt hat? Wer stellt als Unternehmer eine Anlage ab, ohne parallel eine neue angeschlossen zu haben? Der Transport von Windturbinen kann Monate dauern, bis alle Formalien erfüllt sind.

Leider hat das förderale System auch Nachteile, wenn jedes Bundesland und manche Behörde/Ministerium – in meinen Worten – das Rad selbst erfinden will, während besser eine Koordination notwendig ist, um zügig Ergebnisse zu erzielen.

13 Mio. Menschen gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Kann sich Deutschland diesen Abgang überhaupt leisten? Da wird von H2-Beschleunigungsgesetzten gesprochen – aber kommt das auch wirklich?

Warum muss es eine Flut von Gutachten geben? Warum werden Entscheidungen (Genehmigungen u.a.) auf lokaler Ebene in den Gemeinden getroffen, statt an den sinnvolleren Stellen in der Verwaltung auf Landes- und Bundesebene? Da kommt große Skepsis auf, wenn sich etwas nicht marktwirtschaftlich regeln lässt und oftmals (Politik) ein Inseldenken auszumachen ist.

Es geht um Mut und Konsequenz, andere Wege einzuschlagen. Da wird es auch Verlierer geben, die sich nicht anpassen bzw. ändern wollen oder mit den neuen Herausforderungen nicht klarkommen. Die Politik muss sich die Frage gefallen lassen, welche Teile der Wertschöpfungskette sinnvoll gefördert werden muss/sollte. Und da ist Kritik im Raum: Wenn über die Verteilung staatlicher Gelder von Leuten entschieden wird, die keine (nicht wirklich) Ahnung haben. Warum meint die Politik für alles und nichts die richtige Antwort zu haben und die Deutungshoheit zu besitzen?

Zahlreiche Vorträge und Talkrunden prägte der Begriff Nachhaltigkeit. Daniel Schmid, Chief Sustainablity Officer von SAP, sah es als zielführender an, wenn nicht Papier bedruckt wird (Nachhaltigkeitsberichte), sondern konkrete Geschäftsstrategien darauf aufbauen. Bei SAP setzt man dabei auf Softwarelösungen, die u.a. Lieferketten perfekt analysieren, den CO2-Abdruck von Produktionsprozessen abbilden oder Zertifizierungen stattfinden, wie die Farben beim Wasserstoff. Der IT-Konzern KOMSA will die eingesetzte IT – vom Handy bis zum Laptop – nachhaltig zum Einsatz bringen, d.h. Altgeräte zurücknehmen und zu neuem Einsatz führen. Bei der Produktion von grünem Stahl stellt sich die Frage, ob der Wasserstoff via Elektrolyse vor Ort produziert werden soll oder eher dort, wo es so viel mehr Sinn ergibt. Welcher Teil der Wertschöpfung sollte an welcher Stelle nachhaltig geschaffen werden?

Keine Energiewende ohne die notwendigen Speicherkapazitäten, so Lisa Reehten, Mitglied der Geschäftsführung von Bosch Climate Solutions GmbH. Da muss an alles gedacht werden, auch an Biomethan sowie diverse Power-to-X-Ansätze. Die Netze müssen dem steigenden Bedarf angepasst werden – und zwar sehr schnell, so Tim Meyerjürgens, COO von TenneT Holding. Und da muss man reinschauen können. Stichwort: Digitalisierung, um den Strom so effizient wie möglich zum Einsatz zu bringen.

Der Netzausbau (Verteil- und Übertragungsnetze) müsste „physisch“ viel schneller gehen. Da ist die Regulatorik oft im Wege (Genehmigungsverfahren). Manches – Notfallverordnung – beruht dabei auf veralteten Gesetzen. Die ganze Energiesystem-Modellierung müsste neu aufgestellt werden. Zudem stellen sich Finanzierungsfragen – wer zahlt all das? Und auch versicherungstechnische Aspekte fließen da ein wie beispielsweise Risikoeinschätzung bei Naturkatastrophen.

Wasserstoff in der Welt

Die UNIDO (United Nations Industrial Development) sieht weltweit große Potentiale für den Wasserstoff, der sehr ökonomisch produziert werden kann und viele Ländern in die Lage versetzt, energieautark zu werden oder neue Märkte für sich zu erschließen, so Gunther Beger, Managing Director UNIDO, SDG Innovation Transformation. Allein Afrika hat das Potential, 10.000 GW an erneuerbaren Energien (Solar, Wind, Wasserkraft, Geothermie) zu schaffen. Das ist 20fache mehr als alle Kernkraftwerke der Welt an Leistung bringen. Es werden dort aktuell indes – leider – über 100 Kohlekraftwerke gebaut, zumal nur jeder zweite Haushalt in Afrika Zugang zu Strom hat. Über den Themenkomplex Wasserstoff ließe sich Afrika nicht nur decarbonisieren, sondern auch industrialisieren. Dazu bedarf es Investitionssicherheit, Anreize, Best-Practice-Beispiele, Standards und Normen sowie Koordination.

Mein Fazit: Veränderungen gehen von allen aus – Vorreiter ist dabei oft der Mittelstand. Es wird bislang – Stichwort Regulatorik – zu kleinteilig und zu kompliziert gedacht. Die Komplexität verschlingt nicht nur viel Kapital, sondern auch mögliche Erträge/Gewinne/Margen. Über-Regulatorik führt sogar dazu, dass technologische Entwicklungen in anderen Teilen der Welt eher kommen und dort schneller Realität werden als in Deutschland oder der EU. Dem Klima ist es egal, ob Klimaschutz umgesetzt wird, wenn denn der CO2-Abdruck in der Atmosphäre nicht weiter verringert wird.

Ein Land wie Deutschland muss und sollte „grüne Technologien“ in die Welt exportieren. Es muss immer auch an Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit gedacht werden, denn die Verlagerung von Produktionsstätten (aufgrund schlechter Rahmenbedingungen, zu hoher Energiepreise, Facharbeitermangel u.a.) verändert das Klima nicht, sondern verschiebt den CO2-Abdruck nur. Die notwendigen Technologien sind bereits vorhanden.

 

decarbXpo abgesagt

decarbXpo abgesagt

Die Messe Düsseldorf hat im August 2023 mitgeteilt, dass die für den 28. bis 30. November avisierte decarbXpo nicht stattfinden wird. Obwohl derzeit weltweit genau die Themen, die auf dieser Veranstaltung angesprochen werden sollten, heiß diskutiert werden, entschieden sich die Organisatoren gegen deren Durchführung. Auf der Homepage heißt es dazu lediglich: „Die im Rahmen der decarbXpo behandelten Themen wie alternative Energieträger, Energie- und Ressourceneffizienz, Dekarbonisierung sowie Wiederverwertung spielen für die Messe Düsseldorf GmbH nach wie vor eine ganz bedeutende Rolle.“ Wo und wann jedoch diese drängenden Themen bespielt werden sollen, war bis Redaktionsschluss nicht bekannt.

Auch im H2-Sektor herrscht Fachkräftemangel

Auch im H2-Sektor herrscht Fachkräftemangel

Riesiger Fortbildungsbedarf

Allerorts ist derzeit die Rede vom Fachkräftemangel – auch im Energiesektor, insbesondere im Wasserstoffbereich. Während in anderen Industriezweigen immerhin ein bereits existierendes Aus- und Weiterbildungssystem etabliert ist, geht es im H2– und BZ-Sektor jetzt erst so richtig los. Da noch kein Markt für Elektrolyseure oder Brennstoffzellenanwendungen existiert, müssen zunächst Fachkräfte ausgebildet werden, die diese neuen Produkte bauen sowie dann auch installieren, warten und reparieren können. Dafür bedarf es aber erst einmal entsprechender Ausbildungswege sowie fachkundiger Personen, die den zukünftigen TechnikerInnen etwas beibringen können. Die gute Nachricht ist, dass sich in den vergangenen Monaten mannigfaltige Akteure dieser verantwortungsvollen Aufgabe angenommen haben. Deutschlandweit sprießen derzeit H2-Akademien und BZ-Seminare aus dem Boden.

Vor Jahren gab es bereits zaghafte Versuche, das Thema Aus- und Weiterbildung im H2– und BZ-Sektor zu bespielen. Einige der damaligen Akteure sind allerdings auf der Strecke geblieben oder haben sich aus diesem Bereich wieder zurückgezogen, weil es bislang immer nur kurzzeitige Hypes um Wasserstoff gab, aber keinen Markt.

Dies ist heute anders: Nach einhelliger Meinung ist der derzeitige Boom rund um Wasserstoff kein Kurzzeitphänomen, sondern der Anfang einer Zeitenwende im Energiesektor. Dementsprechend groß ist die Nachfrage nach Personal, das sich mit H2– und BZ-Technik auskennt. Doch dies ist Mangelware. In den vergangenen Jahren existierten kaum adäquate Studiengänge oder auch Lehrberufe.

Vor 15 Jahren gab es einige zaghafte Bemühungen, im Rahmen des NIP-Leuchtturms Callux entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen für das Handwerk einzurichten, aber davon ist heute nichts mehr übrig. Auch das OTTI gibt es nicht mehr. Das Ostbayerische Technologie-Transfer-Institut e. V., das Fachveranstaltungen auch für H2-Technik angeboten hatte, hat 2017 seinen Betrieb nach vier Jahrzehnten eingestellt.

Immerhin hat das ehemalige Weiterbildungszentrum Brennstoffzelle Ulm (WBZU) trotz vieler magerer Jahre durchgehalten und mit Hilfe der Handwerkskammer Ulm überdauert. Seit vielen Jahren heißt es inzwischen Weiterbildungszentrum für innovative Energietechnologien. In den vergangenen Monaten war es damit beschäftigt, die alte Expertise im H2-Sektor wieder neu aufzubauen. So ist mittlerweile auf der Website ein neues Bildungsangebot für den Umgang mit Wasserstoff zu finden.

Andere Anbieter sind da schon deutlich weiter: Sowohl die verschiedenen Schwesterunternehmen des TÜV als auch der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) haben die Zeichen der Zeit erkannt und bieten seit geraumer Zeit Seminare rund um die rege nachgefragte H2-Technik an.

Verbandsebene

Ein entscheidender Akteur ist der Deutsche Verband des Gas- und Wasserfaches (DVGW). Der technisch-wissenschaftliche Verein mit Sitz in Bonn ist seit zig Jahren in der Normierung, Zertifizierung und Standardisierung im Erdgassektor tätig. Seit einigen Jahren hat er sich nun den grünen Gasen angenommen. Mit sehr viel Vehemenz versucht der Verband sowohl seine Mitglieder als auch die Politik sowie die gesamte Energiewirtschaft davon zu überzeugen, dass es zukünftig nicht nur Elektronen bedarf, sondern auch Moleküle – am besten grüner Moleküle.

Dementsprechend bietet der DVGW inzwischen bereits ein umfangreiches Programm an Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen an: Praxis-Workshops, Zertifikats- und Sachkundigenlehrgänge sowie Schulungen und E-Learning-Module rund um Wasserstoff.

Diesen Wandel von der fossilen zur nachhaltigen Energieversorgung nimmt ihm noch nicht jeder ab, deswegen scheint sich der DVGW umso stärker für eine grüne Wasserstoffwirtschaft einzusetzen, wobei allerdings ausdrücklich auch der Weg über blauen Wasserstoff befürwortet wird. Dass der DVGW weiterhin eine wichtige Rolle im Gassektor spielen wird, liegt in der Natur der Sache, da seine Mitglieder über millionenschwere Assets verfügen, die möglichst lange weiter genutzt werden sollen. Eine Stilllegung des gesamten Gasversorgungssystems erscheint gerade in der jetzigen Situation wenig sinnvoll, da es vergleichsweise einfach auf Wasserstoff umgerüstet werden kann.

Hochschulebene

Im Hochschulsektor bleibt das Angebot nach wie vor recht dünn. Lediglich in Dresden gibt es Bemühungen, einen Masterstudiengang für Wasserstoff zu etablieren. Die Teilnehmerzahlen sind allerdings bislang sehr überschaubar. Einer der Vorreiter war hier Prof. Hans Quack, der bereits 2008 einen Masterstudiengang Wasserstofftechnik an der Dresden International University (DIU) initiierte.

Der ehemalige Inhaber des Lehrstuhls für Kälte- und Kryotechnik der TUD konnte damals das Who-is-who (z. B. Dr. Johannes Töpler sowie Dr. Ulrich Schmidtchen vom DWV, Prof. Dr. Jürgen Garche vom WBZU Ulm, Prof. Dr. Ulrich Bünger vom LBST und Arno A. Evers) als Dozenten gewinnen. Auch ich durfte einmal über „H2 in den Medien“ referieren. Das Studium zum Master of Science in Hydrogen Technology umfasste 600 Präsenzstunden, die auf jeweils drei Wochen pro Semester innerhalb von zwei Jahren verteilt wurden (s. HZwei Oktober-Heft 2008). Heutige Lehrstuhlinhaberin an der TU Dresden ist seit September 2022 Prof. Christiane Thomas.

Schon damals stand Christoph Haberstroh an der Seite von Prof. Quack, der offiziell 2008 emeritierte, aber noch bis 2010 weiter lehrte. Seitdem kümmert sich Prof. Haberstroh als Gruppenleiter um die Kryogentechnik am Institut für Energietechnik in Dresden. Unter anderem arbeitete er mit seinem Team an der Entwicklung von Kryogenpumpen sowie den LH2-Tanks für die Brennstoffzellen-Trucks von Daimler und Volvo. Ein Ziel ist hierbei, das spezifische Tankgewicht deutlich zu reduzieren. Wogen herkömmliche Kryogenspeicherbehälter noch 17 kg pro Kilogramm Wasserstoff, liegt dieser Wert derzeit bei 11 bis 12 kg/kgH2. Mit Hilfe leichter Verbundwerkstoffe werden jedoch 1 kg/kgH2 angepeilt.

Derartige Entwicklungen spiegeln wider, dass momentan im gesamten Kryogensektor seit einigen Monaten eine merkliche Themenverschiebung von flüssigem Helium zu Wasserstoff festzustellen ist. Wie die Doktoranden Henrik-Gerd Bischoff, Thomas Just und Maximilian Grabowski (s. Abb. 1) gegenüber HZwei mitteilten und wie auch Prof. Haberstroh bestätigte, werden derzeit „klassische Kernthemen von flüssigem Wasserstoff an den Rand gedrängt“. Insbesondere in den USA steht LH2 stark im Fokus, auch weil dort infolge der Raumfahrttechnik bereits umfassende Erfahrungen beim Umgang mit flüssigem Wasserstoff vorliegen.


Bild: Präzisionsprüfstand von Sebastian Eisenhuth zur Ermittlung des Konzentrationsverhältnisses von Ortho- und Para-Wasserstoff

Wie Prof. Hans Müller-Steinhagen in den Räumlichkeiten der DIU gegenüber HZwei berichtete, starteten im Herbst 2022 zwölf Teilnehmer mit dem komplett neu gestalteten H2-Studiengang der DIU. Müller-Steinhagen war nach langjähriger Tätigkeit beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) von 2010 bis 2020 Rektor der TU Dresden und anschließend bis September 2022 Präsident der DIU. Inzwischen ist er im Ruhestand, ist aber noch wissenschaftlicher Leiter für den Studiengang Wasserstofftechnologie und -wirtschaft (M.Sc.).

Seinen Ausführungen zufolge sei es mit diesem Studiengang gelungen, ein attraktives Angebot für Fachleute zu schaffen, die berufsbegleitend Weiterbildung im Wasserstoffsektor anstreben. „Wir wollen Generalisten ausbilden, die das Thema aus mittlerer Flughöhe kennen und beurteilen können – keine Wissenschaftler“, so der Maschinenbau-Ingenieur. Häufig sei es so, dass die Betriebe die nicht ganz unerheblichen Weiterbildungskosten zumindest zum Teil übernehmen oder Mitarbeitende von der Arbeitszeit freistellen. Erklärtes Ziel sei, dieses Mal die Studierendenzahl bis auf 15 Personen zu erhöhen und zukünftig weiter auszubauen.

Auch für Dr. Johannes Töpler, der bei diesem Studiengang das Modul Mobilität leitet, ist die Aus- und Weiterbildung ein Herzensthema. Der Physiker war einer der H2-Pioniere bei Daimler und lange Jahre Vorsitzender des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands e. V. Obwohl er längst im Ruhestand ist, treibt er insbesondere im DWV Bildungsthemen unermüdlich voran, lehrte unter anderem durchgehend jahrelang seit 2004 an der Technischen Akademie Esslingen (TAE) sowie für das Haus der Technik (HdT) in Zusammenarbeit mit dem DWV und hat wesentlich am Zustandekommen dieses Studienganges mitgewirkt.

Studiengang „Wasserstofftechnologie und -wirtschaft (M.Sc.)“

Der neue Studiengang aus dem Fachbereich Ingenieurwissenschaften, der von der Dresden International University (DIU) auch in Kooperation mit der Technischen Akademie Esslingen angeboten wird, ist in Deutschland einzigartig. Er verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem Studierende berufsbegleitend sowohl die Fach- als auch die Managementkompetenz auf dem Gebiet von wasserstoffbasierten Energiesystemen erlangen. Er richtet sich an IngenieurInnen, NaturwissenschaftlerInnen sowie AbsolventInnen anderer techniknaher und wirtschaftlicher Studiengänge, die in der beruflichen Praxis tätig sind und ihre Kompetenzen im Hinblick auf die Gestaltung dieses Zukunftsfeldes erweitern wollen.

Die im Jahr 2003 gegründete DIU beschäftigt rund 40 Mitarbeitende, die wiederum 1.400 Studierende aus unterschiedlichen Bereichen (z. B. Gesundheitswesen, Medizin, Ingenieurwesen, Recht) betreuen. Insgesamt sind über 300 DozentInnen aus Wissenschaft und Wirtschaft über Werksverträge eingebunden.

An der DIU in Dresden und der TAE in Ostfildern kann nach drei Semestern und dem Erwerb von 60 ECTS-Punkten als Abschluss der Master of Science erlangt werden. In Dresden wird zusätzlich zum Master (895 € pro Monat) auch das CAS (Certificate of Advanced Studies – Small: 4.500 € und Advanced: 6.500 €) angeboten. Nächster Starttermin in Dresden und Esslingen ist nicht wie ursprünglich geplant das Wintersemester 2023, sondern das Sommersemester 2024.


Bild: Prof. Hans Müller-Steinhagen

Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) und der Leibniz Universität Hannover bietet die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg eine berufsbegleitende Weiterbildung für Fach- und Führungskräfte an. Diese praxisnahe Maßnahme mit Teamarbeiten und Exkursionen ist für ein Semester konzipiert und kostet 6.000 Euro.

In ähnlicher Weise offeriert auch das Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik (IST) vierteljährig einen Zertifikatkurs an, um Unternehmen fit für das Wasserstoffzeitalter zu machen. In Präsenz auf dem Wasserstoff-Campus Salzgitter bei der Robert Bosch Elektronik GmbH sowie mit Online-Kursen kann die gesamte Wertschöpfungskette der H2-Wirtschaft kennengelernt und ein Personenzertifikat als „Fachkundige*r Wasserstoff mit TÜV Rheinland geprüfter Qualifikation“ erworben werden – Teilnahmegebühren: ca. 5.700 Euro.

Akademieebene

Die Hydrogen Academy ist ein neuer Player im Weiterbildungssektor. Sie wurde im Sommer 2022 von Lifte H2 und TesTneT gegründet und verfügt inzwischen über rund 20 Personen, die sich um praxisorientierte, kundenspezifische Schulungen kümmern. Tom Elliger, der früher beim TÜV Süd arbeitete und im Sommer 2021 zu Lifte H2 wechselte, erklärte gegenüber HZwei: „Das Interesse ist riesig.“

Nach eigener Aussage ist die Hydrogen Academy das „derzeit einzige Trainingszentrum, das sich rein auf Wasserstoff spezialisiert“. Die Kurse werden teils online und teils bei TesTneT nahe München, bei Lifte H2 in Berlin oder beim Kunden durchgeführt.

Ein weiterer Akteur ist seit einigen Monaten die Heinze Akademie. Gemeinsam mit der Handwerkskammer Hamburg und anderen Partnern bietet diese norddeutsche Einrichtung ein Expertentraining in Vollzeit sowie eine berufsbegleitende Weiterbildung für Fachkräfte rund um Wasserstoffsysteme an.

Etwas internationaler geht es bei der Renewables Academy (RENAC) AG zu. Diese in Berlin ansässige Institution hat ein zertifiziertes 120-stündiges E-Learning-Programm zu Green Hydrogen and Renewable Power-to-X Professional (PtX) entwickelt, das asynchron (24/7) in Eigenregie durchgeführt werden kann und die wichtigen technischen und wirtschaftlichen Aspekte von PtX-Anwendungen wie Wasserstoff, Wärmepumpen und Elektromobilität abdeckt. Das nächste Semester startet im Oktober 2023 – Teilnahmegebühren: 1.710 Euro.

Im November beginnt dann auch die nächste Runde der HySchool, allerdings auf sehr viel einfacherem Niveau. Dieses Weiterbildungsangebot wird von dem Ferngasnetzbetreiber Open Grid Europe (OGE) sowie der RWTH Business School organisiert. Wahlweise kann das H2-Kick-Starter- zum Einstieg in die Materie oder das H2-Deep-Diver-Programm für einen vertieften Einblick belegt werden. Die Teilnehmenden erhalten dann an zwei Tagen das erforderliche Wissen, um die H2-Strategie in ihrem Unternehmen vorantreiben zu können – Teilnahmegebühren: 1.450 Euro.

Sollten dann auch irgendwann die Gelder für die Innovations- und Technologiezentren für Wasserstoff bewilligt werden, könnte auch in Duisburg unter Beteiligung des Zentrums für BrennstoffzellenTechnik (ZBT) ein großer Komplex für die Aus- und Weiterbildung entstehen (s. HZwei-Heft Jan. 2023). Dort wird beispielsweise bereits daran gearbeitet, dass der Sicherheitsleitfaden für Berufsfeuerwehren erneuert wird. Aber solange noch keine Freigabe vom Bund erfolgt ist (s. HZwei-Heft April 2023), darf noch nicht wie gewünscht losgelegt werden.

Derweil wird in Nordrhein-Westfalen ein „europaweit einzigartiges Schulungszentrum“ aufgebaut. Wie Open Grid Europe vermeldete, erfolgte am 7. August 2023 in Werne der erste Spatenstich durch Ministerpräsident Hendrik Wüst für eine H2-Trainingsstrecke, wo der Fernleitungsnetzbetreiber ab 2024 sein Personal zu Experten im praktischen Umgang mit Wasserstoff im Ferngasnetz schulen will.

www.di-uni.de, www.dvgw-veranstaltungen.de, www.heinze-akademie.de, www.hydrogen-academy.net, www.hyschool.eu, www.renac.de, www.tu-dresden.de, www.uol.de, www.tae-studium.de

Autor: Sven Geitmann

 

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