Als sich „nur“ vier Bundesministerien um Wasserstoff gekümmert haben, war die Koordinierung schon schwer genug – inzwischen sind es sechs Ministerien, die sich auf Bundesebene mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie beschäftigt haben – plus Bundeskanzleramt. Diese breitflächige Beteiligung so vieler verschiedener Ressorts beweist endgültig, dass Wasserstoff zum Kernelement der Energiewende geworden ist.
„Wasserstoff wird als vielfältig einsetzbarer Energieträger beim Erreichen unserer ambitionierten Energie- und Klimaziele eine Schlüsselrolle einnehmen.“ Mit diesem Statement bekennt sich die Bundesregierung zu der herausragenden Bedeutung von Wasserstoff bei der zukünftigen Energieversorgung sowie beim Kampf gegen die Klimakrise. Nicht ohne Grund wurde jetzt bereits drei Jahre nach der Verabschiedung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) im Juni 2020 eine Neuauflage dieses Papiers verabschiedet, um die Inhalte und Ziele an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen.
Mit der Fortschreibung der NWS, die im Juli 2023 vom Bundeskabinett beschlossen wurde, hat die Bundesregierung nach eigenen Worten „einen kohärenten Handlungsrahmen für die gesamte H2-Wertschöpfungskette – von der Erzeugung über den Transport bis zur Nutzung sowie Weiterverwendung – geschaffen“. Sie will damit wirtschaftliche Planungssicherheit schaffen, die Grundlage für zukünftige Investitionen ist, damit der angestrebte Markthochlauf von grünen Wasserstofftechnologien gelingen kann.Gleichzeitig erinnert sie daran, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ ist, zu deren Erfolg „alle Stakeholder ihren Beitrag leisten müssen“.
„Wasserstofftechnologien sind nicht nur ein wichtiges Werkzeug für den Klimaschutz. Sie können neue Industriezweige mit vielen zukunftsfähigen Arbeitsplätzen und großen Exportchancen entstehen lassen. […] Die NWS soll somit auch dazu beitragen, dass der Industriestandort Deutschland seine starke Position bei Wasserstofftechnologien behält und weiter ausbaut.“
Bundesregierung
Konkrete Ziel definiert
Die erklärten Ziele bis 2030 sind insbesondere ein beschleunigter Markthochlauf von Wasserstoff sowie die Sicherstellung einer ausreichenden Verfügbarkeit von Wasserstoff und seiner Derivate. Dementsprechend wurde die bislang angepeilte Elektrolysekapazität von 5 GW auf mindestens 10 GW erhöht. Der restliche Bedarf wird durch Importe gedeckt, wofür noch eine gesonderte Importstrategie entwickelt werden soll. Zudem soll eine leistungsfähige Wasserstoffinfrastruktur aufgebaut werden. Bis 2027/2028 soll mit Hilfe von Fördergeldern aus Brüssel ein H2-Startnetz mit mehr als 1.800 km auf den Weg gebracht werden. Dieses wird teils umgewidmete Erdgasleitungen sowie neu gebaute Wasserstoffleitungen beinhalten. Es wird Bestandteil des europaweit geplanten European Hydrogen Backbone sein, der H2-Pipelines mit einer Gesamtlänge von ca. 4.500 km umfasst.
Darüber hinaus sollen verschiedene Wasserstoffanwendungen in unterschiedlichen Sektoren etabliert werden – im Stromsektor, in der Industrie, bei schweren Nutzfahrzeugen sowie im Luft- und Schiffsverkehr. Dafür sollen geeignete Rahmenbedingungen (Planungs- und Genehmigungsverfahren, einheitliche Standards und Zertifizierungssysteme) geschaffen werden. Erklärtermaßen will Deutschland bis 2030 zum Leitanbieter für Wasserstofftechnologien werden.
„Wir haben das Ambitionsniveau nochmals deutlich gesteigert.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck
„Wasserstoff ist das noch fehlende Puzzleteil der Energiewende. Er ist die große Chance, Energiesicherheit, Klimaneutralität und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden.“
Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger
„Der Weltmarkt für Wasserstoff muss fair sein und damit anders, als es die fossile Weltwirtschaft je war.“
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze
Von der ursprünglichen Herangehensweise, ausschließlich grünen Wasserstoff finanziell mit Steuermitteln zu fördern, hat sich die Bundesregierung jetzt verabschiedet, was erwartungsgemäß insbesondere von der Gaslobby begrüßt wurde. Auch andersfarbiger Wasserstoff soll jetzt Fördergelder bekommen können, allerdings nur in begrenztem Maße und unter bestimmten Voraussetzungen, die im Kleingedruckten spezifiziert wurden.
So heißt es in der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie: „Die Nutzung von grünem und, soweit in der Markthochlaufphase notwendig, kohlenstoffarmem blauem, türkisem und orangem Wasserstoff wollen wir auf der Anwendungsseite in begrenztem Umfang unter Berücksichtigung von ambitionierten THG-Grenzwerten, einschließlich der Emissionen der Vorkette sowie der Erhaltung des gesetzlichen Ziels der Klimaneutralität, auch fördern.“
Bettina Stark-Watzinger, die Bundesministerin für Bildung und Forschung, nannte dies eine „pragmatische und technologieoffene“ Entscheidung, dass zunächst „alle klimafreundlichen Wasserstoffsorten“ eingesetzt werden sollen. So werde Deutschland auf dem Weg zur Wasserstoffrepublik vorangebracht.
Ihre Kollegin, Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze, ging noch einen Schritt weiter, indem sie sagte: „Wo Wind- und Sonnenstrom für Wasserstoff produziert wird, wird gleichzeitig die Energiewende vor Ort vorangetrieben und die lokale Bevölkerung mit Strom versorgt. Und wo Meerwasser für Wasserstoff entsalzt wird, wird auch die nächste Stadt mit Trinkwasser versorgt. Aus Entwicklungsperspektive ist dabei klar: Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ist nicht nur die beste Wahl für die Umwelt, er führt als günstige heimische Energiequelle auch zu besserer Entwicklung im Globalen Süden. Wir werden daher unsere Partnerländer dabei unterstützen, mit ihrem fairen Anteil am neuen Weltmarkt für Wasserstoff zu partizipieren.“
Bestehende Strukturen bleiben
Damit dies alles gelingen kann, wird auf die bestehenden Institutionen zurückgegriffen. So wurde bereits eine „Lotsenstelle Wasserstoff“ eingerichtet, die die Möglichkeit bietet, sich telefonisch oder per Mail bei Förderfragen beraten zu lassen. Der Ausschuss der Staatssekretärinnen und Staatssekretäre für Wasserstoff fungiert als Entscheidungsgremium der NWS und ergreift falls erforderlich korrigierende Maßnahmen. Er trifft sich anlassbezogen nach Bedarf, was in der Vergangenheit nur selten der Fall war. Zentrales Organ ist der Nationale Wasserstoffrat (NWR), ein unabhängiges, überparteiliches Beratungsgremium mit 26 hochrangigen Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Unterstützt wird dieser von der Leitstelle Wasserstoff.
Die NWR-Vorsitzende Katherina Reiche erklärte: „Es ist ein wichtiger Meilenstein, dass die Bundesregierung die Nationale Wasserstoffstrategie ambitioniert fortsetzt. […] Nur mit Wasserstoff können wir Wertschöpfungsketten erhalten und dafür sorgen, dass Schlüsselindustrien in Deutschland bleiben. […] Unternehmen investieren nur dann, wenn sie langfristige Planungssicherheit haben. Wir müssen daher bereits jetzt über das Jahr 2030 hinausblicken. Nach Prognosen des NWR steigt der Bedarf an Wasserstoff und Wasserstoffderivaten bis zum Jahr 2045 auf 964 bis 1.364 Terawattstunden. Der Inflation Reduction Act der USA und ähnliche Regelungen weltweit werden den Aufbau von umfassenden Wertschöpfungsketten in industriellem Maßstab beschleunigen. Angesichts der rasanten Fortschritte anderer Staaten sollte sich die Bundesregierung davon verabschieden, ausschließlich auf Leuchtturmprojekte zu setzen. Wichtiger ist es, effektive Anreize für die schnelle Skalierung der Wasserstoffwirtschaft und die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle zu schaffen.“
Zum teilweise heftig geführten Diskurs über den Einsatz von Wasserstoff im Wärmesektor teilte der NWR mit, er befürworte die kommunale Wärmeplanung als entscheidendes Planungsinstrument der Wärmewende. Für eine erfolgreiche Wärmewende würden aus seiner Sicht alle Technologieoptionen, Wärmepumpe, Wärmenetze, erneuerbare Wärme und Wasserstoff benötigt. Somit sollten alle Technologien als gleichberechtigte Erfüllungsoption im Gebäudeenergiegesetz verankert werden und beim Ausbau der Infrastruktur Berücksichtigung finden.
Weiter erklärte der NWR, es bedürfe einer stringenten Ausbildung der notwendigen Fachkräfte, sowohl auf Hochschulebene als auch im Bereich der beruflichen Bildung und Weiterbildung.
Kritik und Verbesserungsvorschläge
Während die Bundesregierung die NWS-Fortschreibung durchaus stolz präsentiert, hält die Opposition das 34-seitige Papier erwartungsgemäß für wenig gelungen. CDU-Vize Andreas Jung erklärte gegenüber dem Tagesspiegel: „Wasserstoff ist so entscheidend für Wirtschaft und Klimaneutralität, da bräuchte es jetzt einen Doppel-Wumms.“ Seine Kritik, die Regierung agiere „halbherzig“ und würde eine „dirigistische Zuteilung“ betreiben, verläuft allerdings im Sande, weil durchaus ambitionierte Ziele angepeilt werden und mit der NWS letztlich nur ein Rahmen gesetzt wird – ohne technologische Vorgaben.
So soll beispielsweise auch noch in diesem Jahr ein „Wasserstoffbeschleunigungsgesetz“ auf den Weg gebracht werden, um analog zu den bisherigen LNG-Terminals „weitere Terminals nur für Wasserstoff oder dessen Derivate“ installieren zu können. Eine „nationale Hafenstrategie“ soll dafür die entsprechenden Knotenpunkte der künftigen Wasserstoffwirtschaft definieren.
Jorgo Chatzimarkakis, CEO von Hydrogen Europe, sieht Deutschland damit auf einem guten Weg, in „neun Jahren die breite Nutzung von grünem Wasserstoff in der Industrie und im Wärmesektor“ realisieren zu können. Dennoch hält er konkrete Verbesserungsmaßnahmen für erforderlich, so wie beispielsweise eine bessere Integration von H2 Global in die EU-Wasserstoffbank, um so von den Hebeleffekten der EU-Ausschreibungsverfahren profitieren zu können sowie Abnahmeverträge für übergangsweise verstaatlichte Unternehmen, wie Uniper, die zur Versorgungssicherheit beitragen können.
Weiter hält der deutsch-griechische Verbands-Chef beispielsweise eine Verkürzung der IPCEI-Genehmigungszeiten auf EU-Ebene und auch auf Bundesebene für erforderlich. Und er schlägt die Initiierung eines „EU Tax Credit Clubs“ für Wasserstoff-Besteuerung für notwendig – quasi als Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA, der in vergleichbarer Form in der EU aufgrund der Steuergesetzgebung nicht eingeführt werden kann.
An der NWS 2.0 haben mitgewirkt: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Bundesministerium für Digitales und Verkehr, Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie das Auswärtige Amt und das Bundeskanzleramt.
Autor: Sven Geitmann
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