Picea 2 setzt auf Lithium statt Blei

Picea 2 setzt auf Lithium statt Blei

HPS stellt neue Produktgeneration vor

Energiespeicherung

Die Firma HPS Home Power Solutions hat eine neue Generation ihres saisonalen Energiespeichersystems vorgestellt. Die Picea 2 nutzt nun Lithiumbatterien, was die Installation im Haus aufgrund des geringeren Gewichts erleichtert. Mit doppelter Leistung ist das Gerät zudem für die Elektromobilität und Wärmepumpen gerüstet.

Der neue Forschungs- und Entwicklungsstandort befindet sich fast direkt neben dem Nachwuchszentrum des Bundesliga-Fußballvereins Union Berlin in einem Industriegebiet in Berlin-Niederschöneweide. Hier sollen künftig nicht nur Kicker, sondern auch Installateure und Partner geschult werden. Aber nicht nur das, auch die neue Version des Saisonspeichers soll hier gefertigt werden. „Die Montage vor Ort ist für uns sogar kostengünstiger, da die Transportkosten geringer ausfallen“, erläutert Firmengründer und CEO Zeyad Abul-Ella (im Dezember 2023 ausgeschieden und seitdem nur noch Aktionär) bei der ersten Präsentation des neuen Geräts einem exklusiven Kreis von Besuchern.

Neun Jahre nach der Gründung und gut fünf Jahre nach der ersten Präsentation eines Picea-Modells auf der Messe Energy Storage in Düsseldorf 2018 gibt es eine ganze Reihe von Weiterentwicklungen. Das Gerät muss mit der Zeit gehen. Mit Picea 2 hat sich deshalb die Ausgangsleistung auf nun 15 Kilowatt verdoppelt, was es ermöglicht, einen höheren Energiebedarf, beispielsweise für ein E-Auto oder eine Wärmepumpe, abzudecken. Bei einem Stromausfall gewährleistet die Ersatzstromversorgung, dass wichtige Verbraucher im Haushalt stabil mit Strom versorgt werden. „Für jede der drei Phasen des Drehstroms liefert das Gerät nun fünf Kilowatt Leistung“, erklärt Abul-Ella.

Die neue Generation des Speichers bietet auch eine erhöhte Anschlussleistung für Photovoltaikanlagen – und nimmt damit den Trend aus dem Markt auf. Durch neue Leistungselektronik konnte laut HPS die Effizienz gesteigert werden, womit nun höhere Selbstversorgungsgrade möglich sind. Der Nutzungsgrad inklusive Wärmenutzung beträgt 90 Prozent. Der elektrische Wirkungsgrad liegt zwischen 35 und 40 Prozent.

Kooperation mit kompetenten Partnern

Das Gerät nutzt nun einen externen Wechselrichter von SofarSolar, bei dem die Software für den Speicher entsprechend angepasst wurde. „Wir machen das, was wir richtig gut können. Bei allen anderen Komponenten setzen wir auf Kooperation mit Partnern“, sagt der gelernte Bauingenieur Abul-Ella. Das gilt für den Umrichter wie auch für die Lithium-Akkus.

Der AEM-Elektrolyseur kommt von der deutsch-italienischen Firma Enapter. Das Kürzel AEM steht für Anionen-Austausch-Membran. Die Technologie nutzt kostengünstigere Materialien wie Stahl statt Titan und kombiniert die Vorteile der Alkali-Elektrolyse mit der Flexibilität und der Kompaktheit der PEM-Elektrolyse. Enapter-Mitgründerin Vaitea Cowan ist ebenfalls bei der Produktvorstellung dabei, wie auch Hans-Peter Villis, ehemaliger EnBW-Chef sowie Teilhaber der ersten Stunde und heute Aufsichtsratsvorsitzender bei HPS.

Vorgaben an die Entwickler

„Eine harte Vorgabe an die technischen Entwickler war es, die Maße für die Einschubboxen für den Elektrolyseur und die Brennstoffzelle in der Energiezentrale der ursprünglichen Picea beizubehalten“, betont Abul-Ella. Die ersten Picea-Kunden seien Pioniere, sie sollten deshalb auch von den Innovationen profitieren und später einfach umrüsten können. Eine Weiterentwicklung im Elektrolysemodul kühlt den Wasserstoff auf 5 °C. Das ermöglicht, die vier- bis fünffache Menge des Gases aufzunehmen, weil die Feuchtigkeit nun vor der Speicherung entzogen wird.

Neu sind auch Statusanzeigen, die auf Knopfdruck am Gerät oder über die App über wichtige System- und Speicherzustände informieren. Das System besteht immer aus einer Energiezentrale und einem Wasserstoffspeicher mit einem Kompressor, der außerhalb des Hauses auf einem Betonfundament aufgestellt wird. Dieses Fundament ist zwingend notwendig.

Die Einheit der Energiezentrale hat ordentlich abgespeckt und wiegt nun 70 Prozent weniger: statt 2,2 Tonnen jetzt nur noch 700 Kilogramm. Grund ist der Wechsel von Blei- hin zu Lithiumbatterien der Firma Pylontech. Auch ist die Bauhöhe im Vergleich zum Vorgängergerät um 15 Zentimeter auf 1,85 Meter verringert. Klingt wenig, kann bei einer Installation im Keller aber entscheidend sein.

Die Picea 2 kostet ab 99.900 Euro

Das Picea-Modul wandelt den überschüssigen Solarstrom im Sommer in Wasserstoff um. So können große Energiemengen effizient und über lange Zeiträume gespeichert werden. Im Winter kann das Gas über eine Brennstoffzelle wieder in Strom und Wärme umgewandelt werden. Die langfristige Speicherkapazität liegt bei bis zu 1.500 Kilowattstunden elektrisch. In der kleinsten Version mit 16 Gasflaschen sind es 300 Kilowattstunden.

Die kleinste Version der Picea 2 kostet 99.900 Euro. Der Preis ist brutto gleich netto, da bei Speichern der Mehrwertsteuersatz von null Prozent gilt. Mit mehr Speicherkapazität steigen die Kosten auf bis zu 140.000 Euro. Das bezieht sich auf einen Neubau, bei dem die Installation mitgeplant werden kann. Im Bestand kann es noch etwas aufwändiger werden, so dass sich der Betrag gegebenenfalls auf bis zu 160.000 Euro erhöht.

Die Nachfrage scheint da zu sein. Denn bisher wurden über 500 Geräte der ersten Generation verkauft. Mehr als 100 sind bei Kunden installiert.

Autor: Niels Hendrik Petersen

Wasserstoff soll 2025 fließen

Wasserstoff soll 2025 fließen

Akteure arbeiten mit Hochdruck am H2-Kernnetz

Ein Kernnetz mit knapp 10.000 Kilometern Leitungslänge soll das Rückgrat der deutschen Wasserstoffversorgung werden. Noch 2024 sollen die Arbeiten starten. Eckpfeiler für den Verlauf, die Regulierung und Finanzierung des Netzes stehen bereits. Von der 60-Milliarden-Lücke im Bundeshaushalt ist das Wasserstoffkernnetz zwar nicht direkt betroffen, wohl aber viele der anzuschließenden Projekte.
Das Tempo ist für ein deutsches Infrastrukturprojekt mehr als ungewöhnlich. „Die Bagger müssen 2024 rollen, damit 2025 der erste Wasserstoff fließen kann“, sagte Thomas Gößmann, Vorstandsvorsitzender der FNB Gas, als er Mitte November 2023 gemeinsam mit dem Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck auf einer Pressekonferenz die Pläne für das neue Wasserstoffkernnetz vorstellte.

Die Vereinigung der Fernleitungsnetzbetreiber Gas, kurz FNB Gas, hat die Planungen für die künftige Wasserstoffautobahn koordiniert und am 15. November zur Genehmigung bei der Bundesnetzagentur eingereicht. Rund 9.700 Leitungskilometer soll das Kernnetz bis 2032 in Deutschland umfassen. Im Vergleich zu den im Juli 2023 von den Fernnetzbetreibern vorgelegten Plänen sind das 2.000 Kilometer weniger.

Um das Tempo zu halten, laufen nun mehrere Prozesse parallel. Die Bundesnetzagentur prüft den Antrag bereits, während bis zum 8. Januar 2024 noch die Konsultationen liefen, bei denen Dritte Änderungswünsche anmelden konnten. Innerhalb des ersten Quartals 2024 wollen die Fernnetzbetreiber unter Berücksichtigung der Rückmeldungen ihren finalen Entwurf für das Kernnetz vorlegen, den die Bundesnetzagentur dann – so die Hoffnung – schnell genehmigt.

Kernnetz für Wasserstoff, den es noch nicht gibt

Das Wasserstoffkernnetz soll ein Henne-Ei-Problem der Dekarbonisierung lösen: Ohne Wasserstoff lohnt sich der Bau von Infrastruktur nicht, und ohne Infrastruktur gibt es keinen Wasserstoffhochlauf. Mit dem Wasserstoffkernnetz setzt die Bundesregierung nun die Henne ins Nest. „Wir wollen jetzt ein Netz für einen Energieträger aufbauen, der noch nicht da ist“, machte Habeck Mitte November bei der Pressekonferenz deutlich.

Die meisten der auszubrütenden Eier – also die Wasserstoffprojekte – existieren bisher ebenfalls nur auf dem Papier. Die Anschlussleistung muss bei mindestens 100 MW liegen. Kleinere Projekte sollen im nächsten Schritt auf einer untergeordneten Netzebene angeschlossen werden. Schwer dekarbonisierbare Industrien sind ein Schwerpunkt, aber auch Reallabore und Elektrolyseure sind darunter – insbesondere in Regionen mit viel H2-Erzeugung. So ist zum Beispiel eine Neubauleitung zu Offshore-Windparks in der Nordsee verzeichnet.

Viele Projekte haben von der EU den Status „Important Project of Common European Interest“ (IPCEI) oder „Project of Common Interest“, kurz PCI, verliehen bekommen. Für IPCEI-Projekte gibt es Ausnahmen vom ansonsten strengen Wettbewerbsrecht der EU: Sie dürfen deutlich höhere Zuschüsse erhalten. Der IPCEI-Status bringt zudem die Aussicht auf schnellere Genehmigungen und eine Förderung aus EU-Töpfen.

Tab. 1: Ausspeisemengen nach Art der Projekte in TWh, Mehrfachnennungen sind möglich

KWK-Anlagen 157
Eisen und Stahl 50
IPCEI, PCI- und Reallabor-Projekte 49
Chemie 32
Raffinerien 30
Speicher 11
Glasindustrie (inkl. Glasfaser) 2
mittlere bis große Produktionsstätten für Keramik und Ziegelprodukte 1
gesamt 279

Quelle: FNB Gas

Das nach jetzigem Stand vorgesehene H2-Kernnetz soll laut Antragsentwurf eine Ausspeisung von 279 TWh decken. Die Industriezweige Stahl, Chemie, Raffinerien, Glas, Keramik und Ziegeleien machen davon 115 TWh aus, KWK-Anlagen 157 TWh. Der für 2030 erwartete Bedarf liegt in der fortgeschriebenen Wasserstoffstrategie je nach Szenario bei 95 bis 130 TWh, inklusive Derivaten wie Ammoniak und Methanol, zuzüglich des zu ersetzenden grauen Wasserstoffs für Industrieanwendungen. Nach 2030 soll der Wasserstoffbedarf „stark ansteigen“.

Etwa 30 bis 50 Prozent des erwarteten Bedarfs an Wasserstoff werde Deutschland selbst decken können, erklärte Habeck. Im Vergleich zu Öl, Erdgas und Kohle, die zu nahezu 100 Prozent importiert werden, sei das eine deutliche Verringerung der Abhängigkeit.

Finanzierung über Netzentgelte

Rund 19,8 Mrd. Euro soll das Kernnetz nach Kalkulation der Fernnetzbetreiber kosten. Einspielen sollen sich diese rein privatwirtschaftlich über die Netzentgelte – so zumindest sieht der Idealfall aus. Doch eine jahrzehntelange Investition in eine Infrastruktur für einen Energieträger, der noch eine ganze Weile auf politische Unterstützung angewiesen sein wird, ist kein Selbstläufer. Und auf der Verbraucherseite würde die direkte Entgeltfinanzierung bedeuten, dass die Entgelte für die ersten Kunden immens hoch wären, da sie das gesamte Netz zunächst allein finanzieren müssten.

Um diese absehbaren Probleme zu vermeiden, hat die Bundesregierung die mittlerweile dritte Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) in dieser Legislatur angeschoben. Der Entwurf vom 15. November setzt zwei Eckpfeiler. Erstens will die Regierung die Netzentgelte anfangs begrenzen. Das „Hochlaufentgelt“ soll im gesamten Kernnetzgebiet einheitlich sein und von der Bundesnetzagentur festgelegt werden. Die kalkulatorische Eigenkapitalverzinsung steht bereits im Gesetzentwurf: Sie soll bis Ende 2027 bei 6,69 Prozent liegen und danach dreijährlich neu festgesetzt werden.

Und zweitens soll die Refinanzierung zeitlich gestreckt werden. Erst im Jahr 2055 soll das Kernnetz die Investitionen mitsamt Renditen wieder eingespielt haben. Das ist Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem Deutschland klimaneutral sein soll.

Dreh- und Angelpunkt ist dabei ein sogenanntes Amortisationskonto, das Einnahmen und Ausgaben zeitlich und räumlich ausgleichen soll. Dass das Amortisationskonto in den Anfangsjahren im Minus sein wird, ist absehbar und auch im Gesetz so vorgesehen. Führen soll es die staatliche Förderbank KfW, die somit eine Art Überziehungskredit einräumen muss – auch wenn dies nicht die offizielle Formulierung ist. Doch nach und nach soll sich das Konto füllen und spätestens im Jahr 2055 ausgeglichen sein. Bleibt dann noch ein Minus, sollen die Netzbetreiber davon 24 Prozent selbst tragen – der Rest geht auf Staatskosten.

„Der Gesetzentwurf enthält viele wichtige Grundlagen für die Finanzierung des Wasserstoffkernnetzes. Einige Aspekte müssen allerdings noch geklärt werden. Wichtig ist, dass es nun vorwärts geht“, bilanziert Barbara Fischer, Geschäftsführerin der FNB Gas.

IPCEI-Projekte bangen um Finanzierung

Doch das Wasserstoffkernnetz kann sich nur amortisieren, wenn auch die vorgesehenen Projekte Realität werden. „Das H2-Kernnetz ist Teil eines größeren Szenarios, das von den Förderbescheiden für die Umstellung von Stahlwerken bis zu unserer Kraftwerksstrategie reicht“, sagte Habeck bei der Pressekonferenz zur Vorstellung des Kernnetzes im November, einen Tag vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transferfonds. Wer also im Jahr 2024 mit einem Förderbescheid für ein Wasserstoffprojekt rechnen darf, war bei Redaktionsschluss unklar und ist es vermutlich beim Erscheinen dieser Ausgabe immer noch.

Bereits ab April 2025 sind laut dem Entwurf der Fernnetzbetreiber die ersten Inbetriebnahmen für Leitungsabschnitte geplant. Bei den meisten handelt es sich um Umstellungen von Erdgasleitungen.

Leitungsabschnitt Betrieb ab Nenndurchmesser
(DN)
Länge
(km)
Druckstufe (bar) Projekt
Schepsdorf-Frenswegen 04/2025 450 20,6 64 GET H2 (IPCEI)
Frenswegen-Bad Bentheim 04/2025 400 19,7 64 GET H2 (IPCEI)
GET H2 Emsbüren-Bad Bentheim 04/2025 400 14,5 70 GET H2 (IPCEI)
GET H2 Bad Bentheim-Ledgen 04/2025 400 31,3 70 GET H2 (IPCEI)
Hanekenfähr-Schepsdorf (Neubau) 04/2025 500 5,8 64 GET H2 (IPCEI)
Bad Lauchstädt-Milzau 06/2025 500 8,5 40 Energiepark Bad Lauchstädt (Reallabor)
Milzau-Leuna 06/2025 500 10,9 40 Energiepark Bad Lauchstädt (Reallabor)
OPAL (Lubmin-Uckermark) 12/2025 1400 112,3 100 Flow – making hydrogen happen (PCI)
OPAL (Uckermark-Radeland) 12/2025 1400 169,5 100 Flow – making hydrogen happen (PCI)
JAGAL (Radeland-Bobbau) 12/2025 1200 114,0 100 Flow – making hydrogen happen (PCI)

Quelle: FNB Gas

Dabei sollen laut der Liste der Fernnetzbetreiber bereits im April 2025 die ersten Anlagen Wasserstoff ins Kernnetz ein- und ausspeisen können. Die entsprechenden Netzabschnitte befinden sich in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen und führen zu den Anlagen des „GET H2 Nukleus“, einem H2-Ökosystem mit IPCEI-Status, der höhere Zuschüsse von Bund und Land erlaubt. In Lingen will RWE einen 100-MW-Elektrolyseur mit Windstrom betreiben. Der Wasserstoff soll durch umgewidmete und neue Leitungen bis zum Chemiepark Marl und zur Ruhr Oel Raffinerie in Gelsenkirchen gelangen, und eine Kaverne in Gronau-Epe soll als Speicher dienen.

Doch bei Redaktionsschluss warteten die Projektpartner noch auf die Notifizierung aus Brüssel, die eigentlich schon zum Jahresende 2022 hätte erfolgen sollen. Erst wenn die EU grünes Licht gibt, dürfen Bund und Länder die Förderbescheide ausstellen, was angesichts der aktuellen Haushaltslage für Nervosität sorgt.


Rund um den GET H2 Nukleus in Nordrhein-Westfalen soll der Wasserstoff bereits im April 2025 fließen

Insgesamt 62 Wasserstoff-IPCEI gibt es in Deutschland, einige haben allerdings schon einen Förderbescheid erhalten. Dazu gehören zum Beispiel ein BASF-Elektrolyseur in Ludwigshafen, ein Stahlwerk der Salzgitter Flachstahl und das Werk von Thyssenkrupp in Duisburg. Viele Unternehmen haben bereits auf eigenes Risiko mit den Maßnahmen begonnen, um die knappen Zeitpläne einzuhalten. Ein Lichtblick dabei ist, dass „nur“ 70 Prozent der Zuschüsse in den IPCEI-Projekten vom Bund stammen, die übrigen 30 Prozent kommen von den jeweiligen Ländern.

Reallabore: Zuschuss über Energieforschungsprogramm

An zweiter Stelle auf der Projektliste steht der Energiepark Bad Lauchstädt, dessen Anschluss im Juni 2025 vorgesehen ist. Ein 30-MW-Elektrolyseur soll dort unter Einsatz von erneuerbarem Strom aus einem Windpark in der Nähe grünen Wasserstoff produzieren. Über eine umgestellte Erdgaspipeline von Ontras soll dieser zu den Chemiefabriken in Mitteldeutschland gelangen. Auch ein Speicher ist vorgesehen – zunächst oberirdisch, später soll eine eigens gesolte Salzkaverne folgen.

Insgesamt sind Kosten von rund 150 Mio. Euro veranschlagt, davon 34 Mio. Euro aus Bundesmitteln. Den Bescheid für die erste Ausbaustufe erhielt das Reallabor bereits im Jahr 2021. Seit dem ersten Spatenstich im Juni 2023 ist in Bad Lauchstädt der Leitungsumbau im Gange. Ontras trennt den umzustellenden Abschnitt nach und nach vom Erdgasnetz und tauscht Armaturen aus. Jüngster Schritt war der Einbau einer Molchschleuse (s. Abb. 3), um intelligente Messsonden – sogenannte Molche – im laufenden Betrieb in die Leitung einbringen zu können.

Im Reallabor Energiepark Bad Lauchstädt soll ab Juni 2025 der Wasserstoff von Bad Lauchstädt bis Leuna fließen können. Hier zu sehen ist die Molchschleuse, durch die intelligente Messsonden in die Leitungen gelangen können.

Foto: Tom Schulze

Das BMWK listet auf seiner Webseite sechs laufende Reallabore für Sektorenkopplung und Wasserstoff auf, vier davon sind bereits 2021 mit Zuschüssen aus dem 7. Energieforschungsprogramm gestartet. „Wir sind allerdings bisher das einzige großtechnische Reallabor entlang der gesamten H2-Wertschöpfungskette, das bereits eine positive Investitionsentscheidung getroffen hat und in der Umsetzung ist“, sagt Cornelia Müller-Pagel, Projektleiterin des Konsortiums. Dass es auch anders kommen kann, zeigt das Reallabor Westküste100, für das die Raffinerie Heide gerade die Umstellung auf grünen Wasserstoff abgeblasen hat (s. Editorial). Insgesamt finden sich in der Projektliste der Fernnetzbetreiber allerdings nur wenige Reallabore.

PCI-Projekte: Zuschüsse von der EU möglich

Bis Dezember 2025 sollen schließlich mehrere Leitungsabschnitte in Betrieb gehen, die Wasserstoff von Lubmin bis nach Bobbau bei Bitterfeld bringen sollen. Sie gehören zum Projekt „Flow – making hydrogen happen“. Laut den Plänen der Fernnetzbetreiber handelt es sich dabei um die zentrale ostdeutsche Importleitung des künftigen Wasserstoffkernnetzes, die Wasserstoff aus dem Ostseeraum und aus Elektrolyseanlagen entlang der Trasse einsammeln und in die Verbrauchszentren bringen soll.

Perspektivisch will der Netzbetreiber Gascade die Leitung bis nach Baden-Württemberg fortsetzen, heißt es in der Pressemitteilung. Ende November 2023 erklärte die EU die Pipeline zu einem Project of Common Interest (PCI). Laut Bundesnetzagentur sollen PCI Lücken in der Infrastruktur des europäischen Energienetzes schließen und sich durch einen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Nutzen für mindestens zwei Mitgliedstaaten auszeichnen. „Projekte mit PCI-Status haben die Möglichkeit, sich für europäische Förderinstrumente wie CEF oder Horizon Europe zu bewerben. Nationale Förderinstrumente sind davon unberührt, insofern spielen die Diskussionen rund um den Klima- und Transformationsfonds hier keine Rolle“, erklärt Gascade-Pressesprecher Arne Kupetz.

Die EU-Töpfe sind gut gefüllt. Im Unterprogramm CEF Energy der Connecting Europe Facility (CEF) hat die EU in den letzten zehn Jahren 4,7 Mrd. Euro an Zuschüssen an 107 Projekte verteilt – also im Schnitt 44 Mio. Euro pro Projekt. Im Forschungsprogramm Horizon Europe, das von 2021 bis 2027 läuft, sind 15,1 Mrd. Euro für Klima, Energie und Mobilität reserviert. Projekte auf der PCI-Liste der EU sollen zudem schneller genehmigt werden können.

Tempo machen bei unklarer Sicht

Dass die ersten Projekte so schnell in Betrieb gehen können, ist nur realistisch, weil es sich bei den ersten Teilleitungen fast komplett um umgewidmete Erdgasleitungen handelt. Das soll insgesamt bei 60 Prozent der Leitungskilometer der Fall sein. Dabei handelt es sich zu einem großen Teil um die Leitungen, in denen bisher sogenanntes L-Gas transportiert wurde. Das Erdgas, das einen etwas geringeren Brennwert als das heute gängige H-Gas hat, stammt aus den Niederlanden, die ihre Erdgasförderung bis zum Ende des Jahrzehnts schrittweise einstellen wollen. Vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sollen so Fernleitungen für Wasserstoff verfügbar werden.

Parallel gehe man auch von einem Abnehmen des Erdgasverbrauches aus, erklärt Gößmann auf der Pressekonferenz. Die finanzielle Wirkung lässt sich der Kalkulation der Fernnetzbetreiber entnehmen: Die Neubauleitungen an Land machen zwei Drittel der veranschlagten Investitionen aus, die Umwidmung nur knapp 17 Prozent. Der Rest verteilt sich auf Verdichterstationen und neue Offshore-Leitungen.


Neubauleitungen machen nur 40 Prozent der Leitungslänge im Kernnetz aus, aber zwei Drittel der veranschlagten Investitionen (in Milliarden Euro)

Verdichterstationen 1,7
Leitungen (inkl. Kosten für Nebenanlagen, wie GDRM-Anlagen)
–       umzustellende Leitungen der FNB 3,1
–       Neubauleitungen der FNB 12,8
–       Offshore-Leitungen der FNB 1,6
–       umzustellende Leitungen der weiteren potenziellen Netzbetreiber 0,2
–       Neubauleitungen der weiteren potenziellen Netzbetreiber 0,3
Gesamtinvestitionen 19,8

Quelle: FNB Gas

Die bisherigen Pläne für das Kernnetz gehen von einem zügigen Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft aus. Doch in der Energiewende kam schon vieles anders als gedacht. Deshalb ist eine gewisse Dynamik gleich eingeplant. Ein gemeinsamer Netzentwicklungsplan für Erdgas- und Wasserstoffnetz soll künftig als Planungsinstrument dienen. Er soll alle zwei Jahre neu erstellt werden und jeweils zehn Jahre in die Zukunft reichen.

Doch bevor es losgeht, sind noch einige Hürden zu nehmen – und die sind nicht kleiner geworden. Die meist langwierigen Genehmigungsprozesse abzukürzen, wie Habeck es mithilfe eines Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes vorhat, ist dabei nur eine der anstehenden Aufgaben. Der für 2023 angekündigte Entwurf des Gesetzes stand bei Redaktionsschluss noch aus. Eine weitere Hürde bleibt die Finanzierung. Denn selbst wenn der Bund nun das Geld für die IPCEI-Projekte zusammenkratzt, ist das Vertrauen dennoch ins Wanken geraten.

Ob die Projekte in der angepeilten engen Taktung umgesetzt werden, wird man sehen müssen. Ebenso wird nur der Praxistest zeigen, ob es genügend Investoren gibt, die ihr Geld zu den anvisierten Konditionen im deutschen Wasserstoffnetz anlegen wollen. Auch wenn einige Bagger 2024 wirklich rollen, wird das Wasserstoffkernnetz damit noch nicht zu einem Selbstläufer.

Autorin: Eva Augsten

Ansatzpunkte für einen umfassenden Wasserstoffhochlauf

Ansatzpunkte für einen umfassenden Wasserstoffhochlauf

Branchenkongress gat 2023 in Köln

Um eine funktionsfähige Wasserstoffwirtschaft zu etablieren, muss die gesamte Wertschöpfungskette adressiert werden. Dabei gilt es, sowohl die marktlichen und regulatorischen als auch die technischen Aspekte (Standardisierung) im Blick zu behalten. Auf der Veranstaltung gat 2023 im September in Köln bekam man einen Eindruck davon, wie intensiv die Branche an der Umsetzung arbeitet. Spannend sind hier unter anderem die Umstellpläne der Gasnetzbetreiber in Richtung klimaneutrale Gase. Die zweite Phase des sogenannten Gasnetzgebietstransformationsplans zeigt auch das große Interesse seitens Kommunen und Industrie.

Dr. Kirsten Westphal machte klar, wie man beim Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) die Zukunft auf dem Wärmemarkt sieht: „Anstelle von Erdgas werden zukünftig vor allem Wasserstoff und seine Derivate zum Einsatz kommen“, sagte das Mitglied der Hauptgeschäftsführung auf der Veranstaltung in Köln. Dabei werde der Wasserstoff sowohl aus heimischer Produktion als auch, zu erheblichen Anteilen, aus Importen stammen. Beim BDEW macht man sich keine Sorgen, dass es hier zu einer Mangelsituation kommt. „Die Studienlage zeigt, dass ausreichende Mengen an Wasserstoff verfügbar gemacht werden können“, konstatierte Westphal.

Allerdings benötigt der Hochlauf der Wasserstofferzeugung die richtigen Rahmenbedingungen. Dazu zählt die BDEW-Vertreterin neben der Beschleunigung und Stärkung des Ausbaus erneuerbarer Energien in Deutschland auch die schnelle Notifizierung der IPCEI-Projekte (IPCEI: Important Projects of Common European Interest) für Wasserstofferzeugung durch die EU, die dann Ende des Jahres tatsächlich erfolgte (s. S. 20), sowie weitere ergänzende Förderprogramme zur Erreichung des Elektrolyseziels von 10 GW im Jahr 2030.

Auf der Importseite fordert Westphal von der Politik die kurzfristige Vorlage einer Importstrategie ein. Zudem sollte auch die Finanzierung von Importprojekten durch Maßnahmen flankiert werden, etwa durch Hermesdeckungen oder Kapitalzuschüsse.

Aufbau eines funktionierenden H2-Handelsmarktes

Ein Aspekt von besonderer Bedeutung ist jedoch, den Hochlauf der Wasserstofferzeugung in die Entwicklung eines Marktes einzubetten. In den verschiedenen Phasen werden hier jeweils andere politische Instrumente benötigt: zu Beginn mehr Steuerung und Förderung, später zunehmend Markt und weniger Förderung. Zielbild ist ein funktionierender Handelsmarkt, auf dem Wasserstoffmengen nach marktwirtschaftlichen Mechanismen effizient verteilt werden.

Doch was kennzeichnet das Zielbild des eingeschwungenen Wasserstoffmarkts? Dazu nannte die BDEW-Expertin in Köln ein ganzes Bündel an Kriterien:

  • Erzeugung und Handel von Wasserstoff und seinen Derivaten in Deutschland, der EU und global in ausreichenden Mengen
  • Die Kombination aus Langfristverträgen (insbesondere auf der Importstufe) mit wettbewerbsfähigen Preisen, die die aktuellen Marktbedingungen reflektieren, sowie zunehmend Spotlieferungen
  • Der Handel von Herkunftsnachweisen, Zertifikaten und Commodity auf einem einheitlichen, standardisierten europäischen Markt inkl. eines internationalen Anschlusses
  • Wettbewerb beim Zugang zum Endkunden sowie auf der Anbieterseite transparente Preissignale und hinreichende Marktliquidität
  • Eine voll funktionsfähige und umspannende Netzinfrastruktur. Ein diskriminierungsfreier Netzzugang für alle wettbewerblichen Akteure auf dem Wasserstoffmarkt. Der H2-Netzzugang basiert dabei im Grundsatz auf dem Entry-Exit-System.
  • Klimaneutraler Wasserstoff wird überall dort eingesetzt, wo Nachfrage besteht. Dabei richtet sich die Nachfrage nach dem Marktpreis.
  • Speicher sichern die Versorgungssicherheit für Wasserstoff sowie Derivate ab und eröffnen verschiedene Flexibilisierungen des Wasserstoffmarktes. Es gibt sowohl dezentrale Erzeugung und Abnahme als auch zentrale Speicher.

Bei all diesen Vorhaben sind laut Westphal eine transparente und integre Standardisierung sowie Zertifizierungen vonnöten, auch um eine Akzeptanz für Wasserstoff und seine Derivate zu schaffen, wozu es zudem einen stabilen Regulierungsrahmen braucht.

Standardisierung von besonderer Bedeutung

Das Etablieren von Standards ist auch aus der Sicht von Dr. Thomas Gößmann das Mittel der Wahl. Dabei gilt es laut dem Thyssengas-Chef zu berücksichtigen, dass die Genehmigungsbehörden mit dem Thema Wasserstoff bislang nur wenige Berührungspunkte und daher in den meisten Fällen noch keine Erfahrung haben.

Für das Exportland Deutschland sei die Verständigung auf internationale Standards von besonderer Bedeutung, konstatierte auf der gat auch die Ministerialdirigentin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Oda Keppler. Dies gelte unter anderem auch für die Qualitätskriterien für das Produkt Wasserstoff, da sonst der internationale Handel nicht in Gang komme.

Für den Erfolg der Wasserstoffwirtschaft ist es laut Gößmann zudem entscheidend, die Bevölkerung einzubinden: „Wenn es dem Land der Ingenieure gelingt, die Menschen mitzunehmen, dann werden wir es auch schaffen“, ist sich der Thyssengas-Chef sicher. Dabei sei es auch wichtig, den Fokus nicht zu sehr auf die Farbenlehre des Wasserstoffs zu richten. Diese sei für viele Menschen sowieso kaum nachvollziehbar: „Wir sind farbenblind. Wir stellen die Autobahn, wer darüberfährt, ist uns egal“, sagte der Netzbetreiber.

Dr. Frank Reiners ist sich sicher, dass es mit der Wasserstoffwirtschaft nur richtig losgehen wird, wenn es gelingt, die gesamte Wertschöpfungskette zu bespielen. Nach Einschätzung des Mitglieds der Geschäftsführung von Open Grid Europe ist dabei jedoch der Leitungsbau von besonderer Bedeutung. Deutschland habe hier als Drehscheibe eine besondere Rolle und Verantwortung, da viele Gaspipelines hier anlanden beziehungsweise zusammenkommen. „Wir können es uns nicht leisten, nichts zu tun“, konstatierte Reiners in Köln.

Abb. 2: Prof. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW, sagte bei der Eröffnung der Branchenveranstaltung gat in Köln: „Das Backbone-Netz muss allen Regionen in Deutschland den Zugang zu klimaneutralem Wasserstoff ermöglichen.“

H2-Kernnetz für alle Regionen

Beim Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) begrüßt man den Vorstoß der Bundesregierung, in einer Novelle des Energiewirtschaftsgesetzes einen gesetzlichen Rahmen für die schnelle Genehmigung und den Aufbau eines Wasserstoffkernnetzes zu etablieren. Allerdings geht dem DVGW dieser Ansatz nicht weit genug: „Das Backbone-Netz muss allen Regionen in Deutschland den Zugang zu klimaneutralem Wasserstoff ermöglichen, da sonst eine Abwanderung ganzer Wirtschaftszweige droht, insbesondere im Bereich des Mittelstands“, sagte der DVGW-Chef Prof. Gerald Linke auf der Branchenveranstaltung.

In einem zweiten Schritt brauche es deshalb auch eine Transformationsregulierung für Gasverteilnetze. Ohne eine umfassende Umstellung der bestehenden Gasverteilinfrastruktur sei es nicht möglich, die Anschlüsse von 1,8 Mio. Industrie- und Gewerbekunden in Richtung Klimaneutralität zu transformieren, betont Linke.

Die Grundlage für den Transport zu den Endkunden hat der DVGW gemeinsam mit der Initiative H2vorOrt im sogenannten Gasnetzgebietstransformationsplan (GTP) geschaffen. Im aktuellen zweiten Planungsjahr haben sich daran 241 Gasverteilnetzbetreiber beteiligt, eine deutliche Steigerung gegenüber den 180 Unternehmen im Vorjahr. Aktuell deckt der GTP nun Gasleitungen mit einer Gesamtlänge von 415.000 km ab und erreicht 381 der insgesamt 401 deutschen Landkreise.

Der Planungsprozess beim GTP ist bewusst ergebnisoffen angelegt und umfasst sowohl die Umnutzung, die Stilllegung und den partiellen Neubau von Leitungen. Berücksichtigt werden sämtliche neuen, klimaneutralen Gase, also neben Wasserstoff etwa auch Biomethan. Ziel des GTP ist es, die Transformation auf Verteilnetzebene zu beschleunigen und durch die Einzelplanungen der Netzbetreiber in Abstimmung mit den anderen Stufen der Versorgungskette ein kohärentes Zielbild für ganz Deutschland zu schaffen. Im Rahmen der GTP-Planung analysieren die Netzbetreiber dabei auf Basis ihrer konkreten Situation vor Ort die Bedarfe ihrer Kunden, die dezentrale Einspeisesituation, die Entwicklung der Wasserstoffbereitstellung durch vorgelagerte Netzbetreiber und die technische Eignung ihrer Netze für Wasserstoff.


Erstmals in Deutschland wurde auf der OGE-Verdichterstation Emsbüren mit der Umstellung einer Ferngasleitung auf den Transport von Wasserstoff begonnen

Kommunen und Industrie planen mit Wasserstoff

Teil des GTP ist auch eine Befragung der Endkunden durch die jeweiligen Netzbetreiber. Diese ergab einen deutlichen Zuspruch zum Einsatz klimaneutraler Gase. So sehen langfristig lediglich fünf Prozent der knapp 1.000 befragten Kommunen keinen Bedarf für die Verwendung klimaneutraler Gase. Von den knapp 2.000 antwortenden industriellen Großkunden setzen mehr als drei Viertel auf Wasserstoff. 29 Prozent sehen bereits bis zum Jahr 2030 eine Option für den Einsatz von Wasserstoff, weitere 30 Prozent erwarten einen solchen in der kommenden Dekade.

Einige aktuelle Projekte zeigen, dass diese Visionen bereits in die Tat umgesetzt werden. So fiel Mitte Oktober auf der Verdichterstation Emsbüren des Netzbetreibers OGE in Niedersachsen der Startschuss zur Umstellung der ersten Ferngasleitung für den Transport von Wasserstoff (s. Abb. 3). Als Teil des Projekts GET H2 Nukleus soll damit der Kern für eine bundesweite Wasserstoffinfrastruktur etabliert werden. Mit der Umstellung wollen die beteiligten Netzbetreiber Abnehmern aus Industrie und Mittelstand einen Anschluss an die Wasserstoffversorgung ermöglichen.

Die meisten der befragten Kommunen setzen laut einer DVGW-Umfrage langfristig auf klimaneutrale Gase

Ein weiteres Projekt startete Anfang November im Energiepark Bad Lauchstädt mit dem Beginn der zweiten Phase der Umstellung einer Gastransportleitung für den Wasserstofftransport. Für den technisch einwandfreien Betrieb des Leitungsnetzes der Zukunft des Fernleitungsnetzbetreibers Ontras Gastransport wurde eine Molchschleuse eingehoben. In den folgenden Monaten wird die Inbetriebnahme der Wasserstoffleitung weiter vorbereitet. Dazu ist der Bau einer Übergabestation sowie die Einrichtung der Anlage zur Gasreinigung und -trocknung notwendig. Bis zur vollständigen Inbetriebnahme des Energieparks Bad Lauchstädt im Jahr 2025 folgen dann bereits Testtransporte von Wasserstoff, die wissenschaftlich durch das DBI – Gastechnologisches Institut gGmbH Freiberg begleitet werden.

Solche Projekte tragen dazu bei, zunehmend die Standortvorteile des Kontinents zu adressieren. Prof. Thomas Thiemann von Siemens Energy brachte die Situation auf der gat in Köln so auf den Punkt: „Europa hat mit dem großen Pipelinenetz und den Speichern ein riesiges Asset gegenüber anderen. Diesen Vorteil müssen wir ausspielen.“

    
76 Prozent der befragten Industriekunden haben Interesse an Wasserstoff

Studie: Grüner Wasserstoff langfristig nicht teurer als Gas
Die Endkundenpreise für grünen Wasserstoff könnten mittel- und langfristig im Bereich von Erdgas beziehungsweise der heute geltenden Gaspreisbremse von 12 ct/kWh liegen. Das hat eine Studie von Frontier Economics im Auftrag des DVGW ermittelt. Vergleicht man die Gesamtkosten – also Kosten für Anschaffung, Gebäudesanierung und Betrieb –, liegt danach sowohl bei Einfamilien- als auch bei Mehrfamilienhäusern eine mit Wasserstoff betriebene Gastherme je nach Gebäudetyp und Effizienzklasse auf einem ähnlichen Niveau wie eine elektrisch betriebene Wärmepumpe. In der Studie wurden die Gesamtkosten verschiedener Energieträger für Haushalte sowie für exemplarische Wärmeversorgungslösungen miteinander verglichen.

Für den Kostenvergleich wurden indikative Endkundenpreise, die auf Gestehungskosten basieren, herangezogen. Neben den Preisen für gasförmige Energieträger vergleicht die DVGW-Studie auch die Gesamtkosten, die auf Haushalte je nach Wärmeversorgungslösung zukommen können. Denn mit Blick auf die Einhaltung der Klimaziele muss die Wärmeerzeugung für die Gebäude in Deutschland grundlegend umgestellt werden, so der DVGW.

Ziel der Untersuchung ist es einerseits, die Endkundenpreise von grünem Wasserstoff ins Verhältnis zu alternativen Energieträgern für Haushalte in den Jahren 2035 und 2045 zu setzen. Andererseits fokussiert die Analyse auf die Gesamtkosten verschiedener Wärmeversorgungslösungen bei zwei ausgewählten Gebäudetypen der Effizienzklassen B und D. Betrachtet werden Grüngasthermen auf Basis von Biomethan und klimaneutralem Wasserstoff sowie Wärmepumpen.

Insgesamt zeigt der Vergleich, dass die Kostenrelationen der Energieträger sich über den betrachteten Zeitraum verändern: Während die Endkundenpreise für klimaneutralen Wasserstoff in Deutschland bis zum Jahr 2035 voraussichtlich noch über denen für Erdgas und Biomethan liegen, könnten sie bis 2045 ein vergleichbares Niveau erreichen.

Haushalte in Deutschland müssten demnach im Jahr 2035 zwischen 12 und 17 ct/kWh für Wasserstoff bezahlen. Der Preis für Erdgas läge hingegen, unter Berücksichtigung steigender CO2-Preise, zwischen 9 und 11 ct/kWh und der für Biomethan knapp darüber, bei etwa 10 bis 13 ct/kWh, je nach verwendeter Biomasse bei seiner Erzeugung.

Nach 2035 könnten die Endkundenpreise für Wasserstoff sinken und sich denen von Erdgas annähern. Wesentliche Treiber hierfür sind unter anderem die Degression der Kosten für die H2-Produktion sowie steigende CO2-Preise im Rahmen des Emissionshandels. Im Jahr 2045 könnten dann laut Studie die Bezugskosten für Wasserstoff auf rund 11 bis 15 ct/kWh sinken.

Autor: Michael Nallinger

Riesenpotenzial am Bosporus

Riesenpotenzial am Bosporus

Wie entwickelt sich die türkische Energiewirtschaft?

Manchmal reicht der Gang aufs Dach, um sich einen Überblick über die wesentlichen Anlagen für Energiewende und Klimaschutz zu verschaffen: Auf dem Technologiezentrum der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) stehen 26 Männer und Frauen, überwiegend Fachleute für erneuerbare Energien aus dem türkischen Izmir, zwischen Solarmodulen, roten Stahlflaschen mit Wasserstoff und einer Pilotanlage zur CO2-Aufnahme aus der Luft. Alles stößt auf lebhaftes Interesse und wird fotografiert, auch der Blick zum nahegelegenen Forschungswindpark. Die Delegation der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer (AHK) erfährt hier in Hamburg-Bergedorf, wie die Freiluft-Komponenten mit den Anlagen im Gebäude zusammenwirken – etwa mit dem Elektrolyseur und der Methanisierungsanlage – wie in einer Art Miniatur-Wunderland der Energiewende.

Nicht, dass es solche Anlagen nicht auch in der Türkei gäbe; zumal das Land seit Anfang diesen Jahres eine eigene Wasserstoffstrategie hat. Auch dort ist das Ziel, die heimische Industrie mit Hilfe des flüchtigen Elements zu defossilisieren. Aber die Systemintegration und Prozessoptimierung in Hamburg beeindrucken die Ingenieure aus Izmir sichtlich und so fragen sie beim Austausch mit HAW-Wissenschaftlern detailliert nach.

Die Informationsreise der Gäste aus der drittgrößten Stadt der Türkei zu den wichtigsten Erneuerbare-Energien-Projekten und -Unternehmen in der Metropolregion Hamburg dient neben dem fachlichen Austausch auch der Anbahnung von gemeinsamen Energiewende-Projekten. Die Region um Izmir will eine Drehscheibe für erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff werden. Ähnlich wie das hanseatische Pendant prägen Hafen, Industrie und Handel die an der Ägäis gelegene Stadt samt Umgebung. Weitere Städte und Regionen in der Türkei, die sich für Wasserstoff in Position bringen wollen, sind zum Beispiel Istanbul, Antalya und die südliche Marmara-Region.


Abb. 2: Energiecampus Hamburg: Wasserstoff. PV-Anlage. Windräder (Forschungswindpark Curslack)

Im Januar 2023 präsentierte das Ministerium für Energie und natürliche Ressourcen der Türkei die Strategien für den Ausbau von Wasserstofftechnologien – mit Fokus auf grünem Wasserstoff. Bis zum Jahr 2030 soll eine Kapazität von zwei GW erreicht werden, bis 2035 sollen es fünf GW sein und 70 GW bis 2053. Das ist am Anfang ziemlich wenig. Wahrscheinlich werden die Ziele noch erhöht. Die Türkei will Wasserstoff nämlich nicht nur lokal herstellen, um die eigene Industrie zu dekarbonisieren, sondern: „Der Überschuss an grünem Wasserstoff soll exportiert werden.“ So teilte es die AHK auf Nachfrage mit.

Deutsch-türkische Zusammenarbeit

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der türkische Energieminister Fatih Dönmez unterzeichneten passend dazu bereits im Oktober 2022 in Berlin eine Absichtserklärung „zur vertieften Zusammenarbeit im Bereich grüner Wasserstoff“, wie ein Sprecher des BMWK erläutert. „Die Vereinbarung wurde anlässlich des vierten Deutsch-Türkischen Energieforums abgeschlossen, einer wichtigen Plattform für den Dialog zwischen Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft beider Länder im Klima- und Energiebereich.“

Um die Türkei beim Klimaschutz zu unterstützen, stellt Deutschland über die KfW Kredite in Höhe von 200 Mio. Euro zur Verfügung, die „über türkische Partnerbanken dem Markt verfügbar gemacht werden sollen und insbesondere zur Förderung von EE und Energieeffizienz in der Türkei eingesetzt werden. Über die Internationale Klimaschutzinitiative (IKI) werden weitere 20 Mio. Euro für verbesserte Finanzierungskonditionen besonders innovativer Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt“, so das BMWK.


Abb. 3: Besichtigung des Elektrolyseurs im CC4E

Größtes Solarkraftwerk Europas

Und weil zur Herstellung von grünem Wasserstoff Ökostrom notwendig ist, will die Türkei ihre Windenergiekapazitäten auf knapp 30 GW bis 2035 erhöhen. Im Solarenergiebereich ist ein noch stärkerer Anstieg geplant: Von 9,4 GW (2022) auf rund 53 GW im Jahr 2035. Relativ unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit ging Anfang Mai in der zentraltürkischen Provinz Konya das größte Solarkraftwerk Europas (inklusive Kleinasiens) in Betrieb. Mit einer Leistung von 1,35 GW gehört es auch zu den größten weltweit. Rund drei Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr soll die Photovoltaik-Anlage in Karapınar liefern; genug für den Bedarf von zwei Millionen Menschen in der Türkei, teilt das Unternehmen Kalyon PV mit.

Mit Hilfe von Sonne, Wind, Wasser, Geothermie und Biomasse könnte das Land seinen Strombedarf in Zukunft komplett selbst decken, heißt es in einer Analyse der türkischen Wasserstoff-Gesellschaft (NHA). Zudem solle grüner Wasserstoff dazu beitragen, erst die eigene Industrie zu dekarbonisieren, insbesondere in den Bereichen Stahl, Zement und Düngemittelproduktion, um dann schließlich den weltweit begehrten Grundstoff und Energiespeicher auch exportieren zu können.

Deutsche Kooperationspartner gesucht

„Für deutsche Unternehmen bieten sich Potenziale in den Bereichen Know-how, Projektentwicklung und Technologielösungen“, so die AHK Türkei. Wie groß die Potenziale in dem südosteuropäischen Land tatsächlich sind, das immerhin mehr als doppelt so groß wie die Bundesrepublik ist, zeigt bereits ein Blick auf den derzeitigen Stand der erneuerbaren Energien: Denn trotz seiner Größe und trotz guter Windbedingungen ist die installierte Leistung an Windkraftanlagen mit 11,4 GW (im Jahr 2022) noch relativ gering. Eine Chance also für die deutsche Windenergieindustrie, um mit türkischen Partnern ins Geschäft zu kommen? Ja, heißt es aus der Delegation, und damit meinen die Teilnehmer nicht nur große Anlagenhersteller, sondern auch kleinere und mittelgroße Unternehmen, Zulieferer und Dienstleister.

„Mit der Ankündigung der Ausbauziele für Offshore-Wind gewinnt der türkische Windmarkt neue Dynamik und Bedeutung für den Export deutscher Technologie und Know-how“, bestätigt Jan Rispens, Geschäftsführer des Branchennetzwerks Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH), das rund 240 Unternehmen aus Norddeutschland zu seinen Mitgliedern zählt. „Seit vielen Jahren ist die Türkei ein wichtiger Windmarkt für deutsche und Hamburger Unternehmen.“ So seien beispielsweise Nordex, TÜV Nord und EnBW entweder durch eigene Niederlassungen oder Joint-Ventures mit türkischen Geschäftspartnern dort aktiv.

Doch die Umstellung von konventionellen auf erneuerbare Energien wird dauern. In den vergangenen Jahren hat das Land enorm viel Geld für die Einfuhr fossiler Rohstoffe ausgegeben, vor allem Erdgas und Öl. „Rund 97 Milliarden US-Dollar kostete der Import von Energie allein im letzten Jahr“, sagt Yıldız Onur, Handelsattaché im türkischen Generalkonsulat in Hamburg und Begleiterin der Izmir-Delegation. Damit seien die Kosten im Vergleich zum Vorjahr um beinahe 90 Prozent gestiegen. Schon aus wirtschaftlichen Gründen sei es daher sinnvoll, mehr auf Eigenproduktion von Energie zu setzen, um weniger abhängig von Importen zu sein.


Abb. 4: Methanisierungsanlage im CC4E

Nähe zu Russland

Dazu gehört für die Regierung Erdoğan bekanntlich auch Atomkraft. Ende April weihte der Staatspräsident das erste AKW des Landes ein, gebaut vom russischen Staatskonzern Rosatom, weshalb auch Kreml-Chef Wladimir Putin per Video an der Zeremonie teilnahm. Die fand übrigens am selben Tag statt, als in Deutschland und anderen Ländern die Wahllokale für die im Ausland lebenden Türken zur Stimmabgabe öffneten. Erdoğan hatte bei der AKW-Einweihung zugleich den Ausbau der Atomkraft angekündigt sowie die Ausbeutung neuer Gasvorkommen.

Das Oppositionsbündnis CHP war zwar nicht prinzipiell gegen Atomenergie, und auch nicht gegen die Suche nach neuen Gasfeldern im Schwarzen Meer. Allerdings kritisierte es die Abhängigkeit von Russland und wollte stattdessen auf „türkische Technologie“ setzen. Neue Kohlekraftwerke sollten jedoch nicht gebaut werden. Laut ihrem Programm setzte die CHP auf eine grüne Energiewende in allen Sektoren, auch in der Landwirtschaft.

Obwohl das Land am Bosporus mit der Wahl im Mai 2023 die alte Regierung bestätigt hat – am grünen Wasserstoff wird wohl trotzdem kein Weg vorbeiführen. Davon ist zumindest der Unternehmer Ali Köse überzeugt, nicht zuletzt wegen des Green Deal der Europäischen Union und dem Instrument des „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM), wodurch in Zukunft Ausgleichszahlungen für CO2-Emissionen fällig würden. Köse ist Gründungs- und Vorstandsmitglied im türkischen Wasserstoffverband H2DER und CEO der Firma H2Energy Solutions. Das erklärte Ziel seiner Firma lautet, die Türkei „fit“ für grünen Wasserstoff zu machen und diesen nach Deutschland zu exportieren. Beispielsweise arbeitet das Unternehmen an einem H2-Mobilitäts-Projekt in Istanbul.

Auch andere Unternehmer aus diesem Bereich sondieren den Markt in der Türkei, so Köses Beobachtung. Sie vernetzen sich und bauen Partnerschaften auf. Noch fehlen allerdings die Rahmenbedingungen, um Planungssicherheit für Investoren zu schaffen. Und noch hemme die Bürokratie sogar den Ausbau von Dachsolaranlagen. „In der Türkei sind weniger Dächer mit PV belegt als in Deutschland“, sagt Ali Köse, der regelmäßig zwischen beiden Ländern pendelt. „Dabei lässt sich hier aufgrund der Sonneneinstrahlung mit jedem Megawatt an installierter PV-Leistung ungefähr doppelt so viel Strom generieren wie in Deutschland.“

Chance für grünen Treibstoff

Chance für grünen Treibstoff

Der Schweizer Energiekonzern Axpo hat Wasserstoff als strategisches Wachstumsfeld definiert. Die Wasserstoffanlage beim Kraftwerk Reichenau ist eine von mehreren Anlagen bei Flusswasserkraftwerken, die Axpo in den nächsten Jahren plant. Denn die Schweiz strebt bis 2050 die Klimaneutralität an. Grüner Wasserstoff spielt dabei eine zentrale Rolle – insbesondere, um den Schwerverkehr zu dekarbonisieren.

Axpo ist der größte Ökostromerzeuger in der Schweiz. Bis 2030 will der Energiekonzern allein im Heimatmarkt Windkraftanlagen mit 3 GW und Solarkraftwerke mit 10 GW installieren. Der Versorger möchte aber auch die Zukunft des grünen Wasserstoffs in der Schweiz und in Europa mitgestalten. Denn derzeit hat die Alpenrepublik einen H2-Gesamtverbrauch von 430 GWh oder umgerechnet 130.000 Tonnen. Zum Vergleich: Das entspricht 0,2 Prozent des EU-Bedarfs. 85 Prozent des Verbrauchs entfällt dabei allein auf die Schweizer Erdöl-Raffinerie Cressier.

Erste H2-Produktion Ende 2023 in Graubünden

Schon gibt es erste sichtbare Ergebnisse im neuen Strategiefeld. Axpo und Rhiienergie haben am Wasserkraftwerk Reichenau in Domat/Ems eine H2-Produktionsanlage mit einer Leistung von 2,5 MW installiert. Ende 2023 soll die Anlage den Betrieb aufnehmen. Beide Unternehmen haben zusammen mehr als umgerechnet 8,35 Mio. Euro investiert. Die im Kanton Graubünden angesiedelte Produktionsanlage wird direkt ans Wasserkraftwerk Reichenau, an dem Axpo eine Mehrheitsbeteiligung besitzt, angeschlossen.

An diesem Standort sollen mithilfe von Wasserkraft jährlich bis zu 350 Tonnen grüner Wasserstoff erzeugt werden. Zum Vergleich: Das entspricht rund 1,3 Millionen Liter Dieseltreibstoff. Der grüne Wasserstoff wird von der Produktionsanlage direkt an Tankstellen geliefert. Alternativ kann der grüne Wasserstoff auch helfen, die Energieversorgung von Industriebetrieben ökologischer zu machen.

Bisher ist Wasserstoff auch in der Schweiz noch nicht als Treibstoff verbreitet. Ein Tankstellennetz befindet sich erst langsam im Aufbau, immerhin sind bereits erste H2-Lkw auf den Straßen unterwegs. Die H2-Mobilität bleibt jedoch vorerst eine Nische. Dennoch bieten die derzeit 53.000 schweren Fahrzeuge in der Schweiz ein großes Wachstumspotenzial für einen künftigen Wasserstoffmarkt in den nächsten Jahren. Ein Bedarf von etwa 5 t H2 pro Lkw und Jahr sind hier durchaus realistisch. 30 Prozent der Fahrzeuge würde dann 80.000 t H2 benötigen. Bei 5.000 Arbeitsstunden würde das eine Elektrolysekapazität von 1.000 MW voraussetzen.

Umwelt- und Heimatschutz verhindern Ausbau

Nicht immer können die innovativen Projekte am Ende erfolgreich umgesetzt werden: Der Widerstand von einigen Eidgenossen aus dem Umwelt- und Heimatschutz ist mancherorts einfach zu stark. Ein Beispiel ist die Windenergie: Die Planungszeit für Projekte ist enorm langwierig, immer wieder kommen sie nicht zustande. Resultat: In der gesamten Schweiz laufen erst 41 Windkraftanlagen. Axpo betreibt nur eine einzige davon über ihre Tochterfirma CKW.

Aber auf Windkraft allein bleibt der Protest nicht beschränkt: Anfang des Jahres wurde ein H2-Projekt an der deutsch-schweizerischen Grenze wegen privater Beschwerden von Anwohnern gestoppt (s. HZwei-Heft Apr. 2023). „Die H2-Produktionsanlage beim Wasserkraftwerk Eglisau-Glattfelden ist damit begraben“, bestätigt Axpo-CEO Christoph Brand. Drei Privatpersonen hatten geklagt. Sie wollten nicht, dass ein Lkw einmal pro Tag durch ihre Wohnsiedlung fährt und den Wasserstoff abholt, erklärt Brand. Zusätzlich hätte allerdings auch ein Kraftwerksgebäude außerhalb der geplanten Bauzone abgerissen und ersetzt werden müssen, wofür das Gericht eine Ausnahmegenehmigung verweigerte. Die H2-Anlage sollte ebenfalls 2,5 MW Leistung haben und jährlich rund 350 Tonnen grünen Wasserstoff erzeugen. Das ist nun Geschichte. Das grüne Gas muss woanders herkommen – unter anderem aus Nordeuropa.

Luka Cuderman, der als Energiemanager bei Axpo an der strategischen Ausrichtung des künftigen H2-Geschäfts arbeitet, fasste die generellen Anforderungen an einen H2-Produktionsstandort nochmal zusammen. So braucht das Kraftwerk selbst ausreichend Platz und Anschlussleistung. Außerhalb der Bauzone müssen seinen Ausführungen zufolge außerdem bestimmte Auflagen erfüllt sein (Zonenkonformität), um bauen zu dürfen. Ebenso wichtig sei die Nähe zu Endverbrauchern sowie eine gute Verkehrsanbindung. „Ein Zusatznutzen wie anfallende Abwärme ist ein weiteres Plus“, betonte Cuderman.

Der Strompreis ist dabei der bestimmende Faktor für die H2-Kosten. Der macht mehr als die Hälfte der Gesamtkosten aus. Die Investitionskosten (Capex) der Anlage wiederum sind direkt mit der Anzahl der Betriebsstunden verbunden. Eine Steigerung dieser Einsatzzeiten ist jedoch nur bedingt sinnvoll, weil der Betrieb bei hohen Stromkosten unwirtschaftlich wird. „In einem Beispiel für einen Elektrolyseur mit 2,5 MW gehen wir von 5.500 Betriebsstunden aus“, erklärte Cuderman. Die Kosten für den Betrieb der Anlage (Opex) verursachen demnach zwölf Prozent der H2-Kosten pro Kilogramm. Netzkosten fallen für den Betrieb nicht an, wenn die H2-Anlage direkt an die Stromquelle angeschlossen ist. Das ist aber nicht immer das Fall.

Fazit: Je mehr Stunden der Elektrolyseur ausgelastet werden kann, desto mehr fallen die Stromkosten auch ins Gewicht. Nah an der Vollauslastung machen die Stromkosten dann bis zu 80 Prozent der Kosten aus.

2.000 t H2 pro Jahr aus Aargau

Axpo will das Thema Wasserstoff in der Heimat weiter forcieren: Am Industriestandort Wildischachen im Kanton Aargau in der Nordschweiz soll bald eine noch größere Anlage entstehen. Die installierte Leistung ist auf bis zu 15 MW ausgelegt. Jährlich sollen rund 2.000 t Wasserstoff bereitgestellt werden können. Der für die Produktion benötigte Strom stammt vollständig aus dem nahegelegenen Flusskraftwerk Wildegg-Brugg. Mit der direkten Anbindung ans Wasserkraftwerk von Axpo wird die klimaneutrale Produktion von Wasserstoff gesichert.

Der produzierte H2 wird dann teils über eine Pipeline zur nahegelegenen Tankstelle der Firma Voegtlin-Meyer sowie teils zu weiteren Tankstellen in der Region geliefert. Der grüne Wasserstoff soll einerseits privaten Nutzern zur Verfügung stehen, andererseits sollen im Auftrag des Unternehmens PostAuto H2-Busse eingesetzt werden. Mit der produzierten H2-Menge können immerhin rund 300 Lastwagen, Postautos oder Busse pro Jahr betrieben werden.

Das Unternehmen IBB plant die Pipeline, die von der H2-Produktionsanlage bis zur Tankstelle in Wildischachen führt. Dabei soll die aus dem Elektrolyseverfahren resultierende Abwärme im Wärmenetz von benachbarten Industriebetrieben genutzt werden. Der Standort der Anlage ist somit ideal ausgewählt, da er sich unmittelbar in der Nähe des Axpo-Kraftwerks in Wildegg-Brugg und der Tankstelle von Voegtlin-Meyer befindet. Der Bau und die Inbetriebnahme der H2-Anlage ist im Verlauf des Jahres 2024 geplant. Dann soll auch die Flotte von PostAuto mit grünem Wasserstoff beliefert werden. Die Nische für grünen Treibstoff beginnt also auch in der Schweiz zu wachsen.

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