Hzwei Blogbeitrag

Beitrag von Monika Rößiger

4. Dezember 2023

Titelbild: Fachleute aus Izmir vor der DAC-Anlage im CC4E, Energiecampus Bergedorf

Bildquelle: Monika Rößiger

Riesenpotenzial am Bosporus

Wie entwickelt sich die türkische Energiewirtschaft?

Manchmal reicht der Gang aufs Dach, um sich einen Überblick über die wesentlichen Anlagen für Energiewende und Klimaschutz zu verschaffen: Auf dem Technologiezentrum der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) stehen 26 Männer und Frauen, überwiegend Fachleute für erneuerbare Energien aus dem türkischen Izmir, zwischen Solarmodulen, roten Stahlflaschen mit Wasserstoff und einer Pilotanlage zur CO2-Aufnahme aus der Luft. Alles stößt auf lebhaftes Interesse und wird fotografiert, auch der Blick zum nahegelegenen Forschungswindpark. Die Delegation der Deutsch-Türkischen Industrie- und Handelskammer (AHK) erfährt hier in Hamburg-Bergedorf, wie die Freiluft-Komponenten mit den Anlagen im Gebäude zusammenwirken – etwa mit dem Elektrolyseur und der Methanisierungsanlage – wie in einer Art Miniatur-Wunderland der Energiewende.

Nicht, dass es solche Anlagen nicht auch in der Türkei gäbe; zumal das Land seit Anfang diesen Jahres eine eigene Wasserstoffstrategie hat. Auch dort ist das Ziel, die heimische Industrie mit Hilfe des flüchtigen Elements zu defossilisieren. Aber die Systemintegration und Prozessoptimierung in Hamburg beeindrucken die Ingenieure aus Izmir sichtlich und so fragen sie beim Austausch mit HAW-Wissenschaftlern detailliert nach.

Die Informationsreise der Gäste aus der drittgrößten Stadt der Türkei zu den wichtigsten Erneuerbare-Energien-Projekten und -Unternehmen in der Metropolregion Hamburg dient neben dem fachlichen Austausch auch der Anbahnung von gemeinsamen Energiewende-Projekten. Die Region um Izmir will eine Drehscheibe für erneuerbare Energien und grünen Wasserstoff werden. Ähnlich wie das hanseatische Pendant prägen Hafen, Industrie und Handel die an der Ägäis gelegene Stadt samt Umgebung. Weitere Städte und Regionen in der Türkei, die sich für Wasserstoff in Position bringen wollen, sind zum Beispiel Istanbul, Antalya und die südliche Marmara-Region.

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Abb. 2: Energiecampus Hamburg: Wasserstoff. PV-Anlage. Windräder (Forschungswindpark Curslack)

Im Januar 2023 präsentierte das Ministerium für Energie und natürliche Ressourcen der Türkei die Strategien für den Ausbau von Wasserstofftechnologien – mit Fokus auf grünem Wasserstoff. Bis zum Jahr 2030 soll eine Kapazität von zwei GW erreicht werden, bis 2035 sollen es fünf GW sein und 70 GW bis 2053. Das ist am Anfang ziemlich wenig. Wahrscheinlich werden die Ziele noch erhöht. Die Türkei will Wasserstoff nämlich nicht nur lokal herstellen, um die eigene Industrie zu dekarbonisieren, sondern: „Der Überschuss an grünem Wasserstoff soll exportiert werden.“ So teilte es die AHK auf Nachfrage mit.

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Deutsch-türkische Zusammenarbeit

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und der türkische Energieminister Fatih Dönmez unterzeichneten passend dazu bereits im Oktober 2022 in Berlin eine Absichtserklärung „zur vertieften Zusammenarbeit im Bereich grüner Wasserstoff“, wie ein Sprecher des BMWK erläutert. „Die Vereinbarung wurde anlässlich des vierten Deutsch-Türkischen Energieforums abgeschlossen, einer wichtigen Plattform für den Dialog zwischen Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft beider Länder im Klima- und Energiebereich.“

Um die Türkei beim Klimaschutz zu unterstützen, stellt Deutschland über die KfW Kredite in Höhe von 200 Mio. Euro zur Verfügung, die „über türkische Partnerbanken dem Markt verfügbar gemacht werden sollen und insbesondere zur Förderung von EE und Energieeffizienz in der Türkei eingesetzt werden. Über die Internationale Klimaschutzinitiative (IKI) werden weitere 20 Mio. Euro für verbesserte Finanzierungskonditionen besonders innovativer Klimaschutzmaßnahmen zur Verfügung gestellt“, so das BMWK.

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Abb. 3: Besichtigung des Elektrolyseurs im CC4E

Größtes Solarkraftwerk Europas

Und weil zur Herstellung von grünem Wasserstoff Ökostrom notwendig ist, will die Türkei ihre Windenergiekapazitäten auf knapp 30 GW bis 2035 erhöhen. Im Solarenergiebereich ist ein noch stärkerer Anstieg geplant: Von 9,4 GW (2022) auf rund 53 GW im Jahr 2035. Relativ unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit ging Anfang Mai in der zentraltürkischen Provinz Konya das größte Solarkraftwerk Europas (inklusive Kleinasiens) in Betrieb. Mit einer Leistung von 1,35 GW gehört es auch zu den größten weltweit. Rund drei Milliarden Kilowattstunden Strom pro Jahr soll die Photovoltaik-Anlage in Karapınar liefern; genug für den Bedarf von zwei Millionen Menschen in der Türkei, teilt das Unternehmen Kalyon PV mit.

Mit Hilfe von Sonne, Wind, Wasser, Geothermie und Biomasse könnte das Land seinen Strombedarf in Zukunft komplett selbst decken, heißt es in einer Analyse der türkischen Wasserstoff-Gesellschaft (NHA). Zudem solle grüner Wasserstoff dazu beitragen, erst die eigene Industrie zu dekarbonisieren, insbesondere in den Bereichen Stahl, Zement und Düngemittelproduktion, um dann schließlich den weltweit begehrten Grundstoff und Energiespeicher auch exportieren zu können.

Deutsche Kooperationspartner gesucht

„Für deutsche Unternehmen bieten sich Potenziale in den Bereichen Know-how, Projektentwicklung und Technologielösungen“, so die AHK Türkei. Wie groß die Potenziale in dem südosteuropäischen Land tatsächlich sind, das immerhin mehr als doppelt so groß wie die Bundesrepublik ist, zeigt bereits ein Blick auf den derzeitigen Stand der erneuerbaren Energien: Denn trotz seiner Größe und trotz guter Windbedingungen ist die installierte Leistung an Windkraftanlagen mit 11,4 GW (im Jahr 2022) noch relativ gering. Eine Chance also für die deutsche Windenergieindustrie, um mit türkischen Partnern ins Geschäft zu kommen? Ja, heißt es aus der Delegation, und damit meinen die Teilnehmer nicht nur große Anlagenhersteller, sondern auch kleinere und mittelgroße Unternehmen, Zulieferer und Dienstleister.

„Mit der Ankündigung der Ausbauziele für Offshore-Wind gewinnt der türkische Windmarkt neue Dynamik und Bedeutung für den Export deutscher Technologie und Know-how“, bestätigt Jan Rispens, Geschäftsführer des Branchennetzwerks Erneuerbare Energien Hamburg (EEHH), das rund 240 Unternehmen aus Norddeutschland zu seinen Mitgliedern zählt. „Seit vielen Jahren ist die Türkei ein wichtiger Windmarkt für deutsche und Hamburger Unternehmen.“ So seien beispielsweise Nordex, TÜV Nord und EnBW entweder durch eigene Niederlassungen oder Joint-Ventures mit türkischen Geschäftspartnern dort aktiv.

Doch die Umstellung von konventionellen auf erneuerbare Energien wird dauern. In den vergangenen Jahren hat das Land enorm viel Geld für die Einfuhr fossiler Rohstoffe ausgegeben, vor allem Erdgas und Öl. „Rund 97 Milliarden US-Dollar kostete der Import von Energie allein im letzten Jahr“, sagt Yıldız Onur, Handelsattaché im türkischen Generalkonsulat in Hamburg und Begleiterin der Izmir-Delegation. Damit seien die Kosten im Vergleich zum Vorjahr um beinahe 90 Prozent gestiegen. Schon aus wirtschaftlichen Gründen sei es daher sinnvoll, mehr auf Eigenproduktion von Energie zu setzen, um weniger abhängig von Importen zu sein.

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Abb. 4: Methanisierungsanlage im CC4E

Nähe zu Russland

Dazu gehört für die Regierung Erdoğan bekanntlich auch Atomkraft. Ende April weihte der Staatspräsident das erste AKW des Landes ein, gebaut vom russischen Staatskonzern Rosatom, weshalb auch Kreml-Chef Wladimir Putin per Video an der Zeremonie teilnahm. Die fand übrigens am selben Tag statt, als in Deutschland und anderen Ländern die Wahllokale für die im Ausland lebenden Türken zur Stimmabgabe öffneten. Erdoğan hatte bei der AKW-Einweihung zugleich den Ausbau der Atomkraft angekündigt sowie die Ausbeutung neuer Gasvorkommen.

Das Oppositionsbündnis CHP war zwar nicht prinzipiell gegen Atomenergie, und auch nicht gegen die Suche nach neuen Gasfeldern im Schwarzen Meer. Allerdings kritisierte es die Abhängigkeit von Russland und wollte stattdessen auf „türkische Technologie“ setzen. Neue Kohlekraftwerke sollten jedoch nicht gebaut werden. Laut ihrem Programm setzte die CHP auf eine grüne Energiewende in allen Sektoren, auch in der Landwirtschaft.

Obwohl das Land am Bosporus mit der Wahl im Mai 2023 die alte Regierung bestätigt hat – am grünen Wasserstoff wird wohl trotzdem kein Weg vorbeiführen. Davon ist zumindest der Unternehmer Ali Köse überzeugt, nicht zuletzt wegen des Green Deal der Europäischen Union und dem Instrument des „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM), wodurch in Zukunft Ausgleichszahlungen für CO2-Emissionen fällig würden. Köse ist Gründungs- und Vorstandsmitglied im türkischen Wasserstoffverband H2DER und CEO der Firma H2Energy Solutions. Das erklärte Ziel seiner Firma lautet, die Türkei „fit“ für grünen Wasserstoff zu machen und diesen nach Deutschland zu exportieren. Beispielsweise arbeitet das Unternehmen an einem H2-Mobilitäts-Projekt in Istanbul.

Auch andere Unternehmer aus diesem Bereich sondieren den Markt in der Türkei, so Köses Beobachtung. Sie vernetzen sich und bauen Partnerschaften auf. Noch fehlen allerdings die Rahmenbedingungen, um Planungssicherheit für Investoren zu schaffen. Und noch hemme die Bürokratie sogar den Ausbau von Dachsolaranlagen. „In der Türkei sind weniger Dächer mit PV belegt als in Deutschland“, sagt Ali Köse, der regelmäßig zwischen beiden Ländern pendelt. „Dabei lässt sich hier aufgrund der Sonneneinstrahlung mit jedem Megawatt an installierter PV-Leistung ungefähr doppelt so viel Strom generieren wie in Deutschland.“

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