Belebung auf dem H2-Tankstellen-Markt

Belebung auf dem H2-Tankstellen-Markt

Mehr Anbieter und größere Standorte

Seit einigen Monaten drängen immer mehr Unternehmen auf den Markt für H2-Tankstellen. Obwohl deren Gesamtzahl nach wie vor nicht wesentlich ansteigt, kündigen immer häufiger sowohl altbekannte als auch zahlreiche neue Anbieter per Pressemeldung an, zusätzliche Standorte für die Versorgung mit Wasserstoff erschließen zu wollen.

Ein eher neuer Akteur ist beispielsweise Mint Hydrogen, das bis März 2024 noch unter Jet H2 Energy firmierte. Das in Hamburg ansässige Tochterunternehmen von H2 Energy Europe hat Mitte Mai dieses Jahres eine erste Wasserstofftankstelle in Giengen an der Brenz eröffnet. Angesiedelt ist der Standort auf dem Mobilitätshub der Jet Tankstellen Deutschland GmbH an der Bundesautobahn A7. Oliver Reichert, Manager Retail Germany von Jet, nannte den Jet-Mobilitätshub, auf dem Tankstellentechnik der Maximator Hydrogen GmbH zum Einsatz kommt, ein „Referenzprojekt für uns“.

Clifford zur Nieden, CEO der Mint Hydrogen Germany GmbH, ergänzte: „Eine verlässliche Betankungsinfrastruktur ist entscheidend für den Aufbau eines regionalen Ökosystems für erneuerbaren Wasserstoff und besonders wichtig für die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs.“ Geplant ist, dass an der neuen Tankstelle unter anderem Fahrzeuge von Partnerfirmen wie Hyundai Hydrogen Mobility, Hylane, Keyou, Stellantis und Arthur Bus tanken.

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TotalEnergies und Air Liquide gründen TEAL
Ein klares Bekenntniss zum Wasserstoff legten auch Air Liquide und TotalEnergies ab, indem sie auf der Hannover Messe 2024 bekanntgaben, dass sie gemeinsam eine neue Marke etablieren: Mit TEAL Mobility gründeten die beiden Schwergewichte ein Joint Venture, das innerhalb der nächsten zehn Jahre in Europa mehr als hundert H2-Tankstellen für schwere Nutzfahrzeuge unter der Marke TotalEnergies in Betrieb haben will. Ende 2024 werden es rund 20 Stationen in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Deutschland sein.

Währenddessen plant Tyczka Hydrogen ab Mitte 2025 den Bau seiner dritten Wasserstofftankstelle in Bayern. In Geretsried, unweit der Autobahnen A70, A71 und A7, soll in der ersten Jahreshälfte 2026 eine Station in Betrieb gehen, die über eine Betankungskapazität von einer Tonne pro Tag ausgelegt ist.

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Die zweite H2-Tankstelle von Tyczka, die mit 2 Mio. Euro durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie (StMWi) im Zuge des bayerischen Tankstellenförderprogramms gefördert wurde, ist am 17. Juni 2024 im Güterverkehrszentrum Augsburg eröffnet worden. Potentielle Nutzer dieses Standorts sind Arthur Bus, BMW, Daimler Bus, Hylane, Keyou, Kühl Entsorgung, MAN, Paul Group, Quantron, SFC sowie Still.

„Die neue Wasserstofftankstelle ist ein bedeutendes Signal für die gesamte Branche und ein Meilenstein für unsere gemeinsamen Bemühungen in der nachhaltigen Mobilität“, erklärte Thomas Zorn, Geschäftsführer der Tyczka Hydrogen GmbH.

Neue Hochleistungstankstellen
Parallel dazu wird der Bau einer Wasserstofftankstelle in Frankenthal von H2 Mobility und BASF vorangetrieben. Nachdem im Mai 2024 wichtige Komponenten angeliefert werden konnten, planen die Partner die Inbetriebnahme für das vierte Quartal 2024. Zunächst sollen dort 700 bis 800 Kilogramm Wasserstoff vertankt werden können (entspricht mehr als 30 Lkw bzw. Bussen). Bis 2027 ist eine Verdoppelung der Kapazität vorgesehen. „Die Nachfrage im Schwerlastverkehr wird auch in dieser Region deutlich zunehmen. Deshalb bauen wir neue Standorte wie in Frankenthal um ein Vielfaches größer als noch vor ein paar Jahren. Hier können zukünftig bis zu drei Fahrzeuge gleichzeitig tanken, darunter Bus und Lkw mit 350 bar sowie leichte Nutzfahrzeuge und Pkw mit 700 bar“, so Martin Jüngel, Geschäftsführer und CFO von H2 Mobility Deutschland.

Tilmann Hezel, Senior Vice President Infrastructure am BASF-Standort Ludwigshafen, ergänzte: „CO2-freier Wasserstoff ist integraler Bestandteil unserer Energietransformation am Standort Ludwigshafen. Gleichzeitig ist Wasserstoff und eine ausreichende H2-Infrastruktur grundlegend für einen Wandel hin zu alternativen Antrieben. Wir wollen diese Schnittmenge nutzen: Mit Projekten wie der H2-Tankstelle, aber auch dem im Bau befindlichen Wasserelektrolyseur möchten wir die regionale Mobilität genauso wie unsere Zulieferer und Transportunternehmen am Standort beim Umstieg auf Fahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb unterstützen.“

Dr. Doris Wittneben, Bereichsleiterin Zukunftsfelder und Innovation Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, freute sich, dass mit der Wasserstofftankstelle in Frankenthal, die Bestandteil des Projektes H2Rivers (Details dazu lesen Sie im HZwei-Heft Jan. 2025) ist, ein „weiterer wichtiger Baustein des Wasserstoffökosystems in der Rhein-Neckar-Region auf den Weg gebracht wird“.

H2 Mobility verfügt derzeit über 80 öffentliche 700-bar-Tankstellen. Vier weitere sind in Planung, Bau oder Inbetriebnahme. Zusätzlich besitzt der Infrastrukturanbieter 27 Stationen für die Betankung mit 350 bar. 15 weitere 350-bar-Betankungsoptionen befinden sich in der Umsetzung.

Frank Fronzke, Geschäftsführer und COO von H2 Mobility, erklärte im Frühjahr 2024 anlässlich einer Eröffnungsfeier: „In Heidelberg nimmt eines der bedeutendsten Tankstellenprojekte des Jahres heute offiziell seinen Betrieb auf. Die Größe und Leistungsfähigkeit der neuen Stationen [Heidelberg, Sommer 2024 in Mannheim, Ende 2024 in Frankenthal, Anfang 2025 in Ludwigshafen – Anm. d. Red.] stehen für eine neue H2-Tankstellengeneration. Unter Verwendung leistungsstarker Technik tanken mehrere 350- und 700-bar-Fahrzeugtypen am selben Standort – Busse, Lkw, leichte Nutzfahrzeuge und Pkw.”

„Europas leistungsstärkste H2-Tankstelle“

Im März 2024 hat der Bau einer Hochleistungswasserstofftankstelle in Düsseldorf begonnen, die über eine Tageskapazität von über fünf Tonnen verfügen wird – das ist mehr als die zehnfache Kapazität derzeit in Betrieb befindlicher H2-Stationen und über das Dreifache der Standorte, die vor vier, fünf Jahren errichtet wurden. Beteiligte Partner sind neben H2 Mobility sowohl Hoerbiger als auch Ariel.

Im Mittelpunkt dieser neuen Station steht ein kompakter und gleichzeitig leistungsstarker Verdichter, der nach Herstellerangaben auf die wesentlichen Kundenbedürfnisse der H2-Industrie eingeht. Dessen sogenanntes eHydroCOM-System ermöglicht einen Massenstrom von über 250 kg/h bei sowohl niedrigen als auch hohen Saugdrücken, so dass es ideal für Heavy-Duty-Tankstellen oder Trailer-Abfüllanlagen geeignet ist. Der hohe Standardisierungsgrad und die Bauweise mit kompaktem und platzsparenden Packaging ermöglicht zudem eine schnelle Skalierbarkeit, wodurch für die Anlagenbetreiber die Erreichung ihrer Total-Cost-of-Ownership-Ziele einfacher wird.

Bipolarplatten ohne Titan im Elektrolyse-Stack

Bipolarplatten ohne Titan im Elektrolyse-Stack

Bipolarplatten auf Kohlenstoffbasis können eine günstigere und zugleich skalierbare Alternative zu Titan sein, meinen Forscher des Fraunhofer Umsicht. Eine neue und patentierte kohlenstoffbasierte Bipolarplatte der Wissenschaftler besteht aus einer thermoplastischen polymergebundenen Kohlenstoffmatrix mit leitfähigen Additiven wie Ruß und Graphit. Sie wird in einem Pulver-zu-Rolle-Verfahren hergestellt. Denn die PEM-Elektrolyse ist momentan meist wenig wirtschaftlich, weil die Bipolarplatte als wichtige Schlüsselkomponente in der Regel aus dem korrosionsbeständigen Titan besteht, das aufgrund der aufwändigen Gewinnung und Verarbeitung teurer als andere Metalle ist.

Das neue Material und der innovative Produktionsprozess ermöglichen die kontinuierliche Fertigung einer Bipolarplatte, die sowohl leicht zu bearbeiten als auch verschweißbar ist und bereits kommerzielle Anwendung im Bereich der Redox-Flow-Batterien findet. Diese Bipolarplatte sowie eine Bipolarplatte aus Titan haben die Forscher bereits mehreren Tests unterzogen. Unter anderem wurden die Bipolarplatten über 500 Stunden lang beschleunigten Alterungstests ausgesetzt.

Im Kern haben die Wissenschaftler herausgefunden, dass die Bipolarplatte auf Kohlenstoffbasis eine niedrige Alterungsrate hat und demnach eine vielversprechende Leistung zeigt. Damit kann sie durchaus mit Titan-Bipolarplatten konkurrieren und stellt eine wesentlich kostengünstigere Alternative dar. Ein weiterer Vorteil: Aufgrund ihrer Materialeigenschaften beim Verschweißen ermöglicht das innovative Material neue Designs für PEM-Elektrolyseure.

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Weitere Artikel über Bipolarplatten ab Seite 37.

Autor: Niels Hendrik Petersen

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NOW strukturiert sich um

NOW strukturiert sich um

Früher als erwartet muss der bisherige NOW-Geschäftsführer Kurt-Christoph von Knobelsdorff seinen Posten räumen. Seit Mai 2020 hatte er sein Amt bei der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie GmbH inne. Offiziell ist von Umstrukturierungsmaßnahmen die Rede, aber nicht nur innerhalb der H2-Community wird dieser Schritt als deutliches Signal des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) interpretiert – weg vom Wasserstoff, stärker hin zur batteriebetriebenen Elektromobilität.

Über erforderliche Umbaumaßnahmen bei der 2008 gegründeten NOW war schon länger spekuliert worden. Die Agentur, die ursprünglich nur für H2– und BZ-Technologie zuständig war und das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) verwaltet, hatte in den vergangenen Jahren so viele Themen hinzubekommen, dass nicht nur die Räumlichkeiten in der Berliner Fasanenstraße zu eng geworden waren. Spätestens seit der 60-Mrd.-Euro-Lücke im November letzten Jahres war offen, wie es weitergehen würde – auch weil die H2-Förderung nach der sogenannten Bonhoff-Affäre faktisch auf null heruntergefahren wurde.

Seitens des BMDV heißt es zwar die NOW GmbH betreffend, „Themen in Bezug auf weitere Energieträger (insbesondere Wasserstoff und E-Fuels) werden weiterbearbeitet, um die strategische Anknüpfungsfähigkeit beizubehalten“. Gleichzeitig wird aber klar artikuliert, die wie auch immer umorganisierte NOW müsse „ihr Profil schärfen und sich prioritär auf das Themenfeld Elektromobilität und Ladeinfrastruktur konzentrieren“.

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„Ziel ist, die bundeseigene Gesellschaft als schlanke Fachorganisation für Lade- und Tankinfrastruktur mit dem Fokus auf Elektromobilität für die Zukunft aufzustellen.“

NOW-Pressemeldung

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Deswegen habe sich der „Gesellschafter in Vertretung des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr entschlossen, auch die Geschäftsführung in neue Hände zu legen“. Kurt-Christoph von Knobelsdorff wurde daraufhin als Geschäftsführer und Sprecher der NOW GmbH Ende August 2024 abberufen.

Dass übergangsweise Dagmar Fehler, NOW-Bereichsleiterin Batterieelektrische Mobilität & Ladeinfrastruktur und Leiterin der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur, die Geschäftsführung übernimmt, zeigt, wo die Reise zukünftig hingeht.

Kurt-Christoph von Knobelsdorff war als NOW-Geschäftsführer zwar der Nachfolger von Dr. Klaus Bonhoff, dem Abteilungsleiter, den Bundesverkehrsminister Volker Wissing Anfang 2024 freigestellt hatte. Hinweise darauf, dass die jetzige Abberufung damit in Zusammenhang stehen könnte, sind jedoch derzeit nicht bekannt.

Autor: Sven Geitmann

EU-Rechnungshof: H2-Strategie braucht „Realitätscheck“

EU-Rechnungshof: H2-Strategie braucht „Realitätscheck“

Prüfer halten Ziele für unklar und unrealistisch

Die EU hat sich in ihrer Wasserstoffstrategie für das Jahr 2030 zu hohe Ziele gesteckt. Zu diesem Fazit kommen die Prüfer des EU-Rechnungshofes in einem im Juli 2024 veröffentlichten Sonderbericht. Sie fordern nun eine Anpassung der Strategie und ein besseres Controlling.

Im Sommer legte der Europäische Rechnungshof einen Sonderbericht mit dem Titel „Die Industriepolitik der EU im Bereich erneuerbarer Wasserstoff“ vor. Auf 124 Seiten (inklusive Anhänge) durchleuchten die Prüfer dabei die bisherigen Pläne, Rechtsvorschriften und Maßnahmen der Europäischen Kommission. Dabei geht es unter anderem um deren mangelnde Konsistenz. Schon bei der Zieldefinition der EU-Pläne monieren die Prüfer viele Unklarheiten und Widersprüche: So ist in der EU-Wasserstoffstrategie die Rede von 40 GW bis 2030 installierter Elektrolyseleistung, mit denen 4,4 Mt Wasserstoff erzeugt werden sollen. Laut einer Arbeitsunterlage zum REPowerEU-Plan soll diese Elektrolyseleistung hingegen 6,6 Mt Wasserstoff liefern. Mit dem Produktionsziel von 10 Mt für das Jahr 2030 passt keiner der Werte zusammen.

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Die Prüfer führen zudem eine Reihe von Nachfrageschätzungen für das Jahr 2030 an. Auf Basis der EU-Regulierungen ergeben sich dabei Mengen zwischen 3,8 und 10,5 Mt. Die meisten liegen jedoch deutlich unter 10 Mt. Für einen Großteil der im REPowerEU-Plan vorgesehenen 20 Mt (10 Mt aus Europa, 10 Mt aus Importen) gebe es demnach keine Abnehmer.

Auch die Herleitung der Ziele steht für die Prüfer auf zu schwachen Beinen: Für das 40-GW-Ziel sehen sie im Wesentlichen ein Papier des Branchenverbandes Hydrogen Europe als Quelle. Das in der ersten EU-Wasserstoffstrategie festgelegte Produktionsziel von 10 Mt sei hauptsächlich am Bedarf für fossilen Wasserstoff aus dem Jahr 2020 abgeleitet.

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Im Markt zeige sich die Unsicherheit vor allem in Form des altbekannten Henne-Ei-Problems: Kein Industrieunternehmen setzt auf Wasserstoff, wenn dieser nicht sicher verfügbar ist. Und niemand will in teure Infrastruktur investieren, bevor die Kundschaft bereitsteht. „Ein Teufelskreis“, folgert der EU-Rechnungshof in seiner Pressemitteilung. Nötig wären staatlich gestützte Investitionen. Doch wie teuer der Umstieg auf Wasserstoff werden könnte und wie viel öffentliches Geld dafür verfügbar sei, überblicke die Kommission ebenfalls nicht komplett, so die Prüfer. Selbst die verfügbaren EU-Fördermittel für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft ließen sich nur schätzen, denn sie seien über mehrere Programme verstreut. Auf 18,8 Mrd. Euro für den Zeitraum 2021 bis 2027 kommen die Rechnungsprüfer.

Nicht alle ziehen an einem Strang
Dass die Mitgliedsstaaten unterschiedliche Ambitionen haben, die nicht immer mit denen der EU übereinstimmen, macht es nicht leichter. Der Rechnungshof hat vier Länder ausgemacht, in denen nach jetzigem Stand fast 80 Prozent der Elektrolyseurkapazität installiert werden sollen: Deutschland, Spanien, Frankreich und die Niederlande. Dort sei der Anteil der schwer dekarbonisierbaren Industriezweige hoch und die Wasserstoffprojekte vergleichsweise weit gediehen. Zugleich fließe ein Großteil der EU-Förderung in diese Länder.

Dafür, dass das Wasserstoffpotenzial der gesamten EU ausgeschöpft werde, gebe es hingegen keine Garantie – ebenso wenig dafür, dass dieser Wasserstoff dann in die Länder mit hoher industrieller Nachfrage komme. Nur wenige der möglichen Exportländer hätten bereits Pläne dafür vorgelegt. Eine konkrete Importstrategie (s. S. 7) gebe es lediglich in Deutschland.

Die Prüfer attestieren der Europäischen Kommission allerdings auch viele richtige Schritte. Insbesondere habe sie binnen kurzer Zeit einen fast vollständigen Rechtsrahmen geschaffen. Damit habe sie für die rechtliche Sicherheit gesorgt, die für den neuen Markt nötig sei. Zudem habe sie alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Genehmigungen zu beschleunigen.

„Welche Industriezweige will die EU behalten?“
Der Rechnungshof gibt der EU eine Reihe von Empfehlungen mit, die bis Ende 2025 umgesetzt werden sollen. Bereits die erste hat es in sich: Nach einem „Realitätscheck“ solle die Kommission „strategische Entscheidungen […] treffen, ohne neue strategische Abhängigkeiten zu schaffen“. Die Brisanz dieser Aussage verstecken die Prüfer allerdings in einer Klammer in einem Unterpunkt: „Welche Industriezweige will die EU behalten und zu welchem Preis?“ Dabei ist zu berücksichtigen: Die EU-Fördermittel sind begrenzt und die Kommission muss entscheiden, in welchen Teilen der Wertschöpfungskette sie die größte Wirkung entfalten. „Die EU sollte über den strategischen Weg zur CO₂-Neutralität entscheiden, ohne die Wettbewerbssituation ihrer Schlüsselindustrien zu beeinträchtigen oder neue strategische Abhängigkeiten zu schaffen“, sagt Stef Blok, das für die Prüfung zuständige Mitglied des Rechnungshofs. Dass es keinen perfekten Weg dafür gibt und es nicht um das Vermeiden von Importen per se geht, wird an den Formulierungen in der Pressemitteilung klar. Man müsse geopolitische Abwägungen bewusst treffen, präzisiert Blok. Zu vermeiden seien „sehr große Abhängigkeiten bei Grundprodukten“.

Die weiteren Empfehlungen sind deutlich technischer: Die Kommission soll einen Fahrplan festlegen und überwachen, sich einen Überblick über die nationale Finanzierung verschaffen, den Mitgliedsstaaten bei der Projektgenehmigung Dampf machen und sich besser mit der Industrie koordinieren.


Abb. 2: Stef Blok ist Mitglied des Europäischen Rechnungshofs und war für die Prüfung im Rahmen des Sonderberichts zuständig

Autorin: Eva Augsten
Sonderbericht: www.eca.europa.eu/ECAPublications/SR-2024-11/SR-2024-11_DE.pdf

Anm. d. Red.: Eine Zahl korrigiert am 13.09.2024

Wasserstoffhochlauf in Deutschland

Wasserstoffhochlauf in Deutschland

Baufortschritte sind sichtbar
„Aus Vergangenheit wird Zukunft“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, als er sich im August dieses Jahres in Hamburg über den Stand der Bauarbeiten für zwei IPCEI-geförderte Großprojekte informierte. In Begleitung der Hamburger Senatorin für Wirtschaft Melanie Leonhard sowie des Senators für Umwelt Jens Kerstan setzte Habeck gemeinsam mit Gabriele Eggers, kaufmännische Geschäftsführerin von Gasnetz Hamburg, symbolisch den großen Schraubenschlüssel an, während zugleich röhrende Bagger ein Gebäude auf dem Gelände des 2021 stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg abrissen.

Denn direkt an der Süderelbe wird nun Platz geschaffen für den sogenannten Hamburg Green Hydrogen Hub (HGHH), wo mit dem seit langem geplanten 100-Megawatt-Elektrolyseur eine der größten Wasserstofffabriken Deutschlands entsteht. Baubeginn ist 2025, sagte Christian Heine, Sprecher der Geschäftsführung der Hamburger Energiewerke, die den HGHH gemeinsam mit ihrem Konsortialpartner Luxcara realisieren. Parallel dazu hat Hamburg Gasnetz die Tunnelbohrer für das H2-Industrienetz (HH-WIN) im Einsatz, das im Hafen der Hansestadt mit einer Länge von anfangs 40 Kilometern angelegt wird. Später soll es auf 60 Kilometer ausgebaut und an den European Hydrogen Backbone angebunden werden.

Hamburg will Tor zur Wasserstoffwelt werden
Beide Projekte sollen 2027 in Betrieb gehen und zusammen das Fundament für den Aufbau einer H2-Infrastruktur in Norddeutschland bilden. 10.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr soll der Elektrolyseur dann mithilfe des reichlich vorhandenen Windstroms produzieren. Dieser kann direkt bis zum 380-kV-Netzknoten übertragen werden, der am Standort Moorburg bereits vorhanden ist.

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„Luxcara ist in einige europäische Wasserstoffprojekte eingebunden“, sagte deren Geschäftsführerin Alexandra von Bernstorff anlässlich des Ministerbesuchs. „Aber keines begeistert mich so wie dieses hier.“ Denn hier gehe es wirklich voran. Während andere noch redeten und planten, werde in der Hansestadt gebaut, sagte auch Umweltsenator Kerstan. Seit vergangenem Jahr ist der Rückbau des Kohlekraftwerks in vollem Gange, an dessen Standort neben dem Elektrolyseur auch eine Gasübergabestation und eine Lkw-Verladestation entstehen. Von dort kann Wasserstoff per Trailer abtransportiert werden, um kleinere und mittlere Unternehmen im Hamburger Hafen zu versorgen, die nicht an das Gasnetz angeschlossen sind. Der Elektrolyseur soll dazu beitragen, den Hafen samt seiner Schwer- und Chemieindustrie zu defossilisieren, und perspektivisch auf bis zu 800 MW-Elektrolyseleistung ausgebaut werden, woran seitens der Industrie großes Interesse bestehe.

4,6 Mrd. Euro von Bund und Ländern
HGHH und HH-WIN sind zwei der 23 großen IPCEI-Vorhaben in Deutschland, die mit insgesamt 4,6 Mrd. Euro an öffentlichen Geldern unterstützt werden. Weitere 3,3 Mrd. Euro sollen durch private Investitionen der beteiligten Unternehmen hinzukommen. Das Geld geht unter anderem in den Aufbau von 1,4 Gigawatt Elektrolyseleistung, rund 2.000 Kilometer Wasserstoffpipelines, 370 Gigawattstunden Speicherkapazität und in die Nutzung von flüssigen organischen H2-Trägern (LOHC). Entsprechende Terminals sollen auf diese Weise den Transport von etwa 1.800 Tonnen Wasserstoff pro Jahr ermöglichen.

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Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte am 15. Juli gemeinsam mit den Wirtschaftsministern von zehn Bundesländern in Berlin die Förderzusagen überreicht (s. HZwei-Heft Juli 2024). Die staatliche Unterstützung, die zu 70 Prozent vom Bund und zu 30 Prozent von den Ländern kommt, ist für Projekte der sogenannten Hy2Infra-Welle des Wasserstoff-IPCEI bestimmt. Die beihilferechtliche Genehmigung für die öffentliche Förderung hatte die EU-Kommission am 15. Februar erteilt.

Trotz des Baufortschritts in Moorburg bleibt für Industrievertreter die Unklarheit über den künftigen Wasserstoffpreis. Der muss noch verhandelt werden. Die Gespräche zwischen dem HGHH-Konsortium und den im Hafen ansässigen Unternehmen laufen bereits.

Abb.: Symbolische Montage am Standort Hamburg-Moorburg: Vizekanzler Robert Habeck und Gabriele Eggers, kaufmännische Geschäftsführerin von Gasnetz Hamburg, greifen zum Schraubenschlüssel. Dahinter Christian Heine (Hamburger Energiewerke), Michael Dammann (Gasnetz Hamburg) und Umweltsenator Jens Kerstan.

H2-Importstrategie – eher Kompendium als Fahrplan

H2-Importstrategie – eher Kompendium als Fahrplan

Ende Juli 2024 hat die Bundesregierung ihre lange erwartete Wasserstoff-Importstrategie vorgelegt – so zumindest legt der offizielle Titel des Papiers es nahe. Doch strategische Aussagen sind darin kaum zu finden. Der Maschinenbau-Verband VDMA bezeichnet sie treffend als „gute Bestandsaufnahme“. Wer einen Überblick gewinnen will, welche Regulierungen, Förderungen und Initiativen für den H2-Import nach Deutschland wichtig sind, hat mit der 38-seitigen „Importstrategie“ ein solides Kompendium. Positiv muss man allerdings auch anmerken, dass viele strategische Entscheidungen bereits getroffen sind und sich nun in der offiziellen Importstrategie wiederfinden, so zum Beispiel die Pläne für das Wasserstoffkernnetz.

Laut dem Bericht des Rechnungshofes der Europäischen Union (s. S. 10) ist Deutschland zudem der einzige EU-Mitgliedsstaat, der überhaupt eine Importstrategie für Wasserstoff besitzt. Unter der Annahme, dass Deutschland schon 2030 zwischen 95 und 130 TWh an Wasserstoff und Derivaten benötigen wird und 50 bis 70 Prozent davon aus dem Ausland stammen sollen, ist das eine gute Nachricht.

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