DWV wieder eigenständig

DWV wieder eigenständig

Seit August 2023 wird der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV) e.V. wieder allein von Werner Diwald vertreten. Thorsten Kasten, der vom Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. entsendete Vertreter, schied Ende Juli aus dem DWV-Vorstand aus und gab somit auch seinen Posten als gleichberechtigter zweiter Vorstandsvorsitzender ab. Gemäß Mitteilung des DWV sind damit die Restrukturierungs- und Professionalisierungsmaßnahmen der vergangenen zwei Jahre nunmehr abgeschlossen.

DVGW und DWV waren in den vergangenen Jahren zeitweise aufeinander zugegangen, um enger miteinander zu kooperieren (s. HZwei-Heft Jan. 2019), was unter anderem in einem „erfolgreichen Aufbau der Geschäftsstelle“ sowie eines „schlagkräftigen Teams“ in Berlin mündete, wie es vom DWV hieß. Es werde auch weiterhin eine Zusammenarbeit zwischen den Verbänden geben, ist zu hören. Aber die ursprünglich anvisierte engere Kooperation ist mit dem Ausscheiden Kastens endgültig vom Tisch.

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Ein Wasserstoffsystem für jedermann

Ein Wasserstoffsystem für jedermann

Das polnische Virtud

Vor rund 20 Jahren weckte das Sonnenenergie- und Passivhauskonzept die Begeisterung des Ehepaares Napierała. Die beiden fuhren damals regelmäßig nach Freiburg und lernten dort die Pioniere der Photovoltaiktechnologie kennen. „Ich habe dort sehr viele Ideen mitbekommen. Es war eine Zeit des Aufbruchs. Bei den Messen kamen wir zusammen und haben unsere Visionen und Gedanken ausgetauscht. Es war eine fantastische Stimmung“, schwärmt Piotr Napierała. Insbesondere die Passivhausidee hat ihn bis heute geprägt. Sein Augenmerk liegt stets auf den Vorteilen effizienter Mikronetze und energetischer Insellösungen. „Das ist einfach das, was mich begeistert. Bei meinen Besuchen in Freiburg habe ich mich gern mit den Lösungen von Hydrogenics beschäftigt und mit Leuten dort darüber diskutiert. Ich mag kleine, geschlossene Strukturen, die ich optimieren kann“, erzählt der gelernte Physiker.

Dorota und Piotr Napierała haben ihr Ziel klar vor Augen: Mit dem Wasserstoffhaus von Virtud sollen dessen jährlichen Energiekosten bei nicht mehr als 500 zl liegen, was ungefähr 123 Euro entspricht. Piotr hält nichts von Großprojekten und ist auch nicht von den überdimensionierten Wasserstoffplänen vieler prominenter Großunternehmen überzeugt. Er glaubt, dass sich in vielen kleinen Schritten und mit passgenauen Maßnahmen vor Ort, insbesondere mit Wasserstoff, viel erreichen lässt.

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Großes Potential in der polnischen PV-Branche

Ehepaar Napierała empfängt seine Geschäftspartner und Interessenten in einem schönen, weißen Neubau in einem Vorort von Poznań auf dem Firmengelände von Virtud. Die beiden Inhaber eines Photovoltaikinstallationsbetriebs besaßen in der Vergangenheit schon mehrere Unternehmen in der Erneuerbare-Energien-Branche. Seit 2015 sind sie auf PV-Technik spezialisiert. Die Entwicklung des Virtud-Wasserstoffsystems verstehen die Eheleute als logische Weiterentwicklung zur Verbreitung erneuerbarer Energien in der ganzen Welt – speziell in Polen, wo die Photovoltaikbranche gerade boomt.

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Ende Januar dieses Jahres betrug die Gesamtleistung installierter PV-Anlagen bei dem östlichen Nachbarn Deutschlands insgesamt über 12,5 GW. Im Jahr davor lag sie noch bei 7,6 GW. Damit hat sich die Photovoltaikleistung in Polen binnen eines Jahres fast verdoppelt. Auf Sonnenenergie entfällt damit gut 54 Prozent der gesamten Erneuerbare-Energien-Leistung in Polen.

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Autoakkus als Solarstromspeicher

Mit der massiven Steigerung der Stromproduktion aus Photovoltaik kommen aber auch große Herausforderungen auf die Branche zu. Es geht vor allem um die Energiespeicherung in den Nachtstunden und während der sonnenarmen Jahreszeiten Herbst und Winter.

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Virtud hat diese Probleme auf eine interessante Art gelöst. Statt horrende Summen für Energiespeicher auszugeben, hat das Unternehmen für eine relativ kleine Summe große Mengen an gebrauchten Batterien aus dem in Polen beliebten Nissan Leaf ersteigert. Die Batterien werden zu Blöcken zusammengefügt, die die tagsüber produzierte Solarenergie speichern und in den Nachtstunden wieder abgeben können. Der Unternehmer rechnet vor, dass der Preis der Lösung mit den E-Autobatterien lediglich einem Zwölftel des Preises für einen neuen Energiespeicher entspricht.

Wenn man aber die Schwankungen zwischen den Sommer- und Wintermonaten überwinden will, reichen die Batterien nicht aus. In diesem Fall ist Wasserstoff gefragt. „Mithilfe von Sonne und Wind produzieren wir grünen Wasserstoff, der in den Zeiten des Jahres, in denen der Bedarf am größten ist, als Energieträger dienen wird”, erklärt Piotr Napierała.

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Weiterentwicklung der Energiebranche

Dass sich die erneuerbaren Energien stetig weiterentwickeln und der Wasserstoff nur ein logischer Schritt ist, davon sind die Napierałas überzeugt. Als Unternehmer haben sie in Polen schon mehrere Etappen der Entwicklung der Erneuerbaren mitgemacht und immer wieder festgestellt, wie dynamisch dieser Prozess abgelaufen ist. Das gilt auch für die bürokratischen und rechtlichen Aspekte, wie Dorota Napierała ausführt. Sie ist für alle Genehmigungen und Anträge im Unternehmen verantwortlich. „Beim Wasserstoff liegt ein langer Weg des Lernens vor uns“, sagt sie.

In Polen wurden in den letzten Jahrzehnten viele sehr komplexe Gesetze zu erneuerbaren Energien erlassen. Im Jahr 2014 wurde die Einspeisung des Stroms ins Netz möglich gemacht. Für die Buchhaltung und Verwaltung war das eine ganz neue Welt. Frau Napierała hat viel Zeit mit Gesprächen und Telefonaten mit den zuständigen Behörden verbracht, bis beide Seiten die neuen Gesetze verinnerlicht hatten. „Es ist immer ein Lernprozess. Wir lernen voneinander. Beim Wasserstoff wird es ähnlich sein. Die Behörden sind heute viel offener geworden. Bei Fragen und Unklarheiten rufen sie sogar an, und man geht die Formulare nochmals durch. Wir sind seit Jahren in einem beidseitigen Lern- und Kommunikationsprozess. Das macht alles leichter”, erklärt die Mitinhaberin von Virtud.

Ein Modell für die Zukunft

In dem 200-m2-Haus, das die Napierałas energetisch durchoptimieren und als Modellhaus präsentieren, fallen nicht nur die Nutzung der Sonnenenergie und eine Wärmepumpe auf, sondern auch der große Raum rechts des Eingangs. Hier steht ein 2,4-kW-Elektrolyseur des deutschen Herstellers Enapter, das erste von Piotr Napierała eingebaute Gerät. „Es sollen noch viele, viele weitere folgen“, sagt der Mittvierziger. Im Modulschrank sind noch weitere Geräte installiert, die unter anderem das Wasser reinigen. Es ist aber noch ausreichend Platz für weitere Elektrolyseure da.

Aus dem Vorführraum wird gerade ein Zugang zum H2-Speicher gelegt. Der Tank ist schon bestellt. Dann wird es möglich sein, Fahrzeuge mit Wasserstoff zu betanken. Das ist der nächste Schritt, an dem Piotr Napierała arbeitet.

Ein Landkreis wird zum H2-Pionier

Ein Landkreis wird zum H2-Pionier

Ein früherer Sportfernsehsender hat einmal mit dem Slogan „Mittendrin statt nur dabei“ für sich Werbung gemacht. Wären diese Worte deswegen nicht urheberrechtlich blockiert, könnte der Kreis Düren überlegen, sie für sich zu reklamieren. Denn noch mehr mittendrin im Rheinischen Revier zu liegen, ist nicht möglich. Die drei Braunkohletagebaue Inden, Hambach und Garzweiler befinden sich wenigstens zu großen Teilen innerhalb des Kreisgebietes. Was die Geschwindigkeit angeht, mit der Ideen für eine saubere Energietechnologie umgesetzt werden, ist der Kreis Düren nicht nur mittendrin, sondern ganz vorne mit dabei. Wasserstoff spielt dabei von Anfang an eine Schlüsselrolle.

Das größte kreiseigene Projekt ist der Umstieg der kompletten Bahn- und Bus-Flotte auf grünen Wasserstoff. Der nachhaltige Kraftstoff soll ab Anfang 2025 mit einer 9-MW-PEM-Elektrolyse direkt vor Ort hergestellt werden. Darüber hinaus werden derzeit immer mehr Wasserstoffprojekte überdurchschnittlich schnell sichtbar, die dem Kreis dabei helfen, sein Ziel, bis 2035 klimaneutral zu sein, zu erreichen (s. S. 26). Sie taugen außerdem auch als gutes Vorbild für andere. Produktionsanlagen für grünen Wasserstoff im industriellen Maßstab, wie sie bei Jülich entstehen, gibt es noch nicht viele. Laut der Internationalen Agentur für Erneuerbare Energien IRENA waren weltweit 2021 nur vier Prozent des hergestellten Wasserstoffs grün.

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„Wir brauchen Pioniere, die vorangehen“, sagte Bundesverkehrsminister Volker Wissing, als er im Mai 2023 Förderbescheide über 81,6 Mio. Euro überreichte. Das Geld fließt unter anderem in den Aufbau der Elektrolyse, in die Anschaffung von 17 H2-Triebwagen, die bis 2026 die bisherigen Dieseltriebwagen ersetzen sollen, und in die Installation einer H2-Zugtankstelle auf Kreisgebiet. In einem anderen Projekt rüstet der Kreis die Flotte der Rurtalbus GmbH um. Aktuell fahren fünf H2-getriebene Busse durch den Kreis. Bis Ende des kommenden Jahres sollen 20 weitere über die Straßen des Kreises rollen.

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Die Pionierleistung im Kreis Düren sieht Minister Wissing vor allem darin, dass nicht nur mit Wasserstoff angetriebene Züge auf die Schiene gesetzt werden, sondern die klimaneutrale Produktion des grünen Wasserstoffs gleich mit realisiert wird. „Wasserstoffprojekte sind wunderbar. Aber wo soll der grüne Wasserstoff herkommen? Klug ist es, wenn man diese Frage direkt beantwortet und sagt: Am besten ist, wenn wir ihn selbst herstellen.“

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Vor den Fördergeldern angefangen

Dass ein solches Vorzeigeprojekt schon jetzt im Kreis Düren sichtbar wird, liegt daran, dass Landrat Wolfgang Spelthahn (s. Abb. 3) sehr früh angefangen hat, die Zukunft mit der Nutzung von Wasserstoff zu planen. Die 2020 im Strukturstärkungsgesetz festgelegten 14,8 Mrd. Euro Fördergelder für den Strukturwandel im Rheinischen Revier, der den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bedeutet, standen noch gar nicht in Aussicht, als er das Ziel formulierte, den Kreis Düren zu einer H2-Modellregion zu machen. „Wir haben schon früh die Vorteile von grünem Wasserstoff erkannt und mit Weitblick in die Zukunft investiert. So konnten wir uns einen erheblichen Vorsprung aufbauen“, sagt Landrat Spelthahn.

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2020 hat der Bund den Ausstieg aus der Braunkohle bis 2038 beschlossen und die Förder-Milliarden zugesagt. Ein Jahr später war der damalige NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart im Kreis Düren zu Besuch. Damals bezeichnete er das Rheinische Revier als „größtes Klimaschutzprojekt der Welt“. Die Aussage steht bis heute faktisch auf solidem Fundament: Das Rheinische Revier ist das größte Abbaugebiet für Braunkohle in Europa und damit zwangsweise ein großer Emittent für klimawirksame Gase wie CO2.

Was Pinkwart (FDP) nicht wissen konnte: Die schwarz-grüne Nachfolgeregierung sollte die Schlagzahl im Strukturwandel ein Jahr später noch einmal deutlich verschärfen. Nicht 2038 wird die letzte Braunkohle in Deutschlands Westen gefördert, sondern schon 2030.

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Danach ist viel Kritik lautgeworden, beispielsweise aus der Industrie. Die bemängelt, dass der Ausstieg zu schnell sei, weil der Aufbau der neuen Technologien zu langsam funktioniere. So weigerte sich die Industrie- und Handelskammer Köln im Frühsommer, den sogenannten Reviervertrag 2.0 zu unterzeichnen. Beweggrund war eine einfache Rechnung: Um die mit dem Braunkohleausstieg wegfallende Energie auszugleichen, müssten im Revier 1.500 Windräder zusätzlich aufgebaut werden. Aktuell dauere es laut IHK Köln viel zu lange vom ersten Plan für ein Windrad bis zur Inbetriebnahme, nämlich sieben Jahre. Die Schlussfolgerung: Nicht nur die energieintensive Industrie im und um das Revier herum fürchtet um die Versorgungssicherheit.

Schon jetzt sichtbar

Aus diesem Szenario sticht der Kreis Düren mit seinen H2-Aktivitäten heraus. Denn ein Großteil der Projekte, die im Revier trotz alldem schon jetzt sichtbar werden, sind dort beheimatet. Der Solarpark mit einer Leistung von bis zu 9,2 MW, der einen Großteil der grünen Energie für die Elektrolyse liefern soll, ist schon installiert. Die 18.200 Solarmodule erreichen eine Leistung, mit der knapp 3.000 Haushalte versorgt werden können. Die CO2-Ersparnis pro Jahr liegt bei 4.604 Tonnen.

Die gewonnene Energie reicht allerdings nicht, um dauerhaft die angestrebte Zahl von 162 Kilogramm Wasserstoff pro Stunde bei angepeilten 4.000 bis 5.000 Volllaststunden pro Jahr herzustellen. Deswegen plant der Kreis, weitere regenerative Quellen zu nutzen. Errichtet und betrieben wird der Elektrolyseur von der HyDN GmbH, einer Gesellschaft, an der die Beteiligungsgesellschaft Kreis Düren mbH und die Messer Industriegase GmbH aus Bad Soden beteiligt sind.

Zeigen, was Wasserstoff kann

Ein wichtiges Anliegen des Kreises ist es, den Menschen zu zeigen, was Wasserstoff kann. Seit Ende 2022 ist ein sogenannter Kommandowagen bei der Rettungsdienst Kreis Düren AöR (Anstalt öffentlichen Rechts) mit Wasserstoffantrieb im Fuhrpark. Mit ihm, einem Hyundai Nexo, fahren die Führungskräfte zu ihren Einsätzen. Außerdem ist das Notwendigste an Bord, um Unfallopfer zu versorgen.

Noch in diesem Jahr soll auch ein erster Rettungswagen mit Wasserstoffantrieb in Dienst gestellt werden. Das Fahrzeug wird eine Spezialanfertigung, für die mehrere Unternehmen zusammenarbeiten. „Wenn wir einen mit Wasserstoff betriebenen Rettungswagen auf die Straßen im Kreisgebiet bringen, dann sehen die Menschen, dass diese Antriebsform in der alltäglichen Praxis funktioniert. Das sendet genau das richtige Signal an die Öffentlichkeit“, schilderte Landrat Wolfgang Spelthahn bei der Unterzeichnung der Absichtserklärung (Letter of Intent) für die Fertigung des H2-Rettungswagens.

Die Vorteile von Wasserstoff liegen laut Spelthahn auf der Hand: Anstelle der längeren Ladezyklen für Elektrofahrzeuge wird Wasserstoff getankt. Rund acht Minuten dauert der gesamte Vorgang bei diesem Fahrzeug. Die Reichweite ist höher als bei einem batteriegetriebenen Rettungswagen. Kurzum: Der Rettungswagen steht länger und flexibler zur Verfügung. Erst recht mit dem Aufbau der Wasserstofftankstellen im Kreisgebiet. Die erste in direkter Nähe zur Autobahn A4 wurde im September 2022 eröffnet und befindet sich seit dem Sommer im Gewerbegebiet „Im Großen Tal“ in Düren im Regelbetrieb.

Dass der Kreis auf Wasserstoff setzt, wird auch im sogenannten Welcome-Center in Düren sichtbar. Teil des Welcome-Centers ist ein H2-Infozentrum. Dieses bietet ab Oktober 2023 eine frei zugängliche Ausstellung, in der auf interaktive Art und Weise das Thema Wasserstoff von den Grundlagen über die Wertschöpfungsketten bis hin zur Anwendung aufgezeigt wird.

Eine H2-Messe fördert das Netzwerk

Eine weitere Botschaft transportiert der Kreis Düren einmal im Jahr auf seiner Wasserstoffmesse, die im August 2023 zum dritten Mal stattfindet: Ein Akteur allein kann zwar viel erreichen, aber die Energiewende mit Wasserstoff als wesentlicher Schlüsseltechnologie gelingt nur, wenn viele gemeinsam daran arbeiten. Die H2-Messe in der Jülicher Kulturmuschel bringt Expertinnen und Experten zusammen und bietet auch Bürgerinnen und Bürgern umfassende Informationsmöglichkeiten. Neue Ideen, Netzwerke und Kooperationen entstehen. Am Vorabend der eigentlichen Messe verleiht der Kreis den „Hygo“. Der Wasserstoff-Preis in den Kategorien Young Researchers, Start Up Innovation und Hydrogen Champion zeichnet Persönlichkeiten aus, die die Energiewende vorantreiben und dabei Wasserstoff als Energieträger der Zukunft im Fokus haben.

Von Anfang an Bestandteil dieser Ausstellung ist das Forschungszentrum Jülich. Die Grundlagenforschung, die hier zum Beispiel zur Elektrolyse oder zur Brennstoffzelle betrieben wird, findet seit vielen Jahren weltweit Beachtung. Das Forschungszentrum gehört zu den großen Triebfedern im Strukturwandel im Rheinischen Revier. Das wird ganz besonders an seinem jüngsten Institut deutlich.

Seit knapp zwei Jahren befindet sich das Institut für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW) im Aufbau, das im sogenannten Brainergy Park bei Jülich wächst, einem Gewerbepark, dessen Versorgungsinfrastruktur nach dem neuesten Stand der Technik angelegt wird. Der Kreis Düren, der am Rand des Gebiets mit Partnern seine PEM-Elektrolyse aufbaut, gehört zu den Gesellschaftern des Parks. Das INW betreibt Grundlagenforschung zu den Themen Speicherung und Transport von Wasserstoff. Es bildet aber auch den Kern eines Clusters, in dem Forschungsergebnisse direkt in die Anwendung gebracht werden sollen.

Das Helmholtz-Cluster Wasserstoff (HC-H2) ist das größte Förderprojekt beim Strukturwandel im Rheinischen Revier mit einem Volumen von etwas mehr als einer Milliarde Euro. Und es ist das größte H2-Infrastrukturprojekt in Deutschland. Es soll eine Sogwirkung entwickeln und mit dem eigenen Wachstum auf über 500 Mitarbeitende dafür sorgen, dass sich in der Umgebung weitere Firmen ansiedeln, die mit Wasserstoff in die klimaneutrale Zukunft gehen wollen.

„Es hilft sehr, dass wir im Kreis Düren in einer Region angesiedelt sind, die so schnell ist, wenn es darum geht, Wasserstoff in die Anwendung zu bringen“, sagt INW-Direktor Andreas Peschel. „Es bringt das Thema Wasserstoff stark voran, wenn die Menschen beispielsweise sehen, wie Züge mit Wasserstoff rollen und Rettungswagen fahren.“

AutorInnen: Guido Jansen, Forschungszentrum Jülich GmbH, Institut für nachhaltige Wasserstoffwirtschaft (INW) / Anne Schüssler, Kreis Düren

Grenzen überwinden – Strukturen wandeln – Wissen schaffen

Grenzen überwinden – Strukturen wandeln – Wissen schaffen

Die HyExperts-Region AachenPLUS steht vor der Herausforderung, den Strukturwandel durch den Braunkohleausstieg nachhaltig zu gestalten. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft soll dafür genutzt werden, um regionale Wertschöpfung zu erhalten, eine nachhaltige Energieversorgung aufzubauen und die Verkehrswende umzusetzen. Im Mittelpunkt stehen dabei der Austausch und die Vernetzung der unterschiedlichen Wasserstoffprojekte, um diese Erfahrungen für eine schnelle Umsetzung in der Region zu nutzen.

Im Westen gibt es viel Neues! Ob im industriellen Mittelstand, im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Schienenpersonennahverkehr (SPNV), in Quartierslösungen sowie in der Forschung wird im Südwesten Nordrhein-Westfalens zwischen der Rheinschiene im Osten und der Grenze zu Belgien sowie den Niederlanden im Westen Wasserstoff genutzt. Die HyExperts-Region AachenPLUS umfasst die Stadt und Städteregion Aachen, die Kreise Düren, Euskirchen und Heinsberg sowie die Kolpingstadt Kerpen und bringt alle Voraussetzungen mit, eine starke und nachhaltige Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Diese Vielzahl von Akteuren sorgt auch für eine große Zahl unterschiedlicher Ansätze und Bedarfe.

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Mit der RWTH Aachen, der FH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich verfügt die Region über herausragende Forschungskompetenzen. Gleichzeitig gibt es einen innovativen und agilen industriellen Mittelstand, der nahezu die gesamte Wasserstoffwertschöpfungskette von der Grünstromerzeugung über H2-Produktion und -Speicherung bis hin zur Anwendung abdeckt. Zudem nutzen auch die beteiligten Gebietskörperschaften der Region Wasserstoff, um ihren öffentlichen Nahverkehr CO2-neutral zu entwickeln.

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Auftakt im Mai 2021

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Ziel des HyExperts-Projekts war es, eine Strategie zu entwickeln, wie die Region die verschiedenen Ansätze für einen erfolgreichen Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft nutzen kann. Da die Region ein Strukturwandelgebiet mit den Braunkohletagebauen Garzweiler, Hambach und Inden ist, kommt dem Erhalt und der Schaffung von Wertschöpfung ebenfalls große Bedeutung zu. Schon vor Projektbeginn wurde erkannt, dass eine regionale Koordination der Aktivitäten vorteilhaft ist. Daher wurde bereits im Mai 2021 die Initiative „Hydrogen Hub Aachen“ gegründet.

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Im Rahmen dieser Initiative koordiniert ein Projektbüro, das bei der Industrie- und Handelskammer Aachen angesiedelt ist, die regionalen Wasserstoffaktivitäten der Kreise Düren, Euskirchen und Heinsberg sowie von Stadt und StädteRegion Aachen. Unterstützt wird es dabei durch die Aachener Gesellschaft für Innovation und Technologietransfer (AGIT).

Der Blick auf eine zukünftige Wasserstoffversorgung macht deutlich, dass für einen erfolgreichen Markthochlauf in der Region AachenPLUS ein Zusammenspiel aus verschiedenen Versorgungspfaden notwendig ist. Die Region AachenPLUS bietet für eine Region im Binnenland gutes Potenzial für den Ausbau der erneuerbaren Energien im Bereich Wind und Photovoltaik. Der Kreis Heinsberg beispielsweise erweitert aktuell sein eigenes Grünstromportfolio, um in naher Zukunft lokale Elektrolysekapazitäten zu schaffen. Ein erster Elektrolysestandort ist bereits in Heinsberg-Oberbruch auf den Weg gebracht worden. Weitere dezentrale Standorte sollen folgen.

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H2-Pipelines als Lebensadern

Trotz dieses Potenzials bleibt die Region mit ihrer energieintensiven mittelständischen Industrie und dem Durchgangsverkehr auf den großen Autobahnen eine Wasserstoffsenke, die ihren H2-Bedarf nicht aus eigener Produktion decken kann. Darum muss die Region neben lokaler Produktion auch auf Importe von Wasserstoff setzen. Hier erweist sich die Grenzlage zu Belgien und den Niederlanden mit der Nähe zu den dortigen Häfen als Standortvorteil: Die Planungen des Wasserstoffkernnetzes sehen den Neubau einer H2-Pipeline vor, die vom Grenzübergangspunkt Eynatten (B) kommend die Region von West nach Ost quert. Seitens Thyssengas bestehen Planungen für die Umstellung der Leitung Weisweiler-Düren auf Wasserstoff ab 2027.

Neben diesem sehr wahrscheinlichen Anschluss an den geplanten H2-Backbone bietet der Delta-Rhein-Korridor eine weitere Option, die Region AachenPLUS mit Wasserstoff zu versorgen. Die bisherigen Planungen sehen zwar einen Bau dieser Pipeline nur bis Sittard (NL) vor, es wird jedoch Aufgabe der Region sein, sich für eine Weiterführung dieser Leitungsinfrastruktur stark zu machen. In diesem Zusammenhang wird es für die Region bedeutsam sein, sinnvolle Ausspeisepunkte für die Versorgung lokaler Verbraucher zu schaffen und grenzüberschreitende Aktivitäten auszubauen.

Zahlreiche Einzelvorhaben

Die Chancen, die sich durch den Anschluss an das Wasserstoffkernnetz bieten, dürfen jedoch nicht den Blick auf dezentrale und lokale Lösungen verhindern. Hierzu gibt es in der Region eine Vielzahl von Ansätzen: Am Brainergy Park Jülich wird ein Solarpark mit angeschlossener Elektrolyse zur Versorgung der zukünftigen Brennstoffzellenzüge der Rurtalbahn sowie der Brennstoffzellenbusse der Rurtalbus gebaut. In Hellenthal ist ein Elektrolyseprojekt zur Stromspeicherung geplant. In Mechernich entsteht ein Projekt zur Gewinnung von Wasserstoff aus Grünabfällen. In Aachen ist eine Elektrolyse zur Versorgung des öffentlichen Nahverkehrsbetreibers ASEAG geplant und in Herzogenrath plant die Firma Saint-Gobain den Aufbau von Elektrolysekapazitäten für die Energieversorgung der Glasproduktion.

Mit den Projekten „Speicherstadt“ und dem „Mobilitätshafen“ wird zudem in Kerpen an der Wasserstoffversorgung des ÖPNV gearbeitet. In Heinsberg entsteht mit dem Projekt H2HS ein komplettes Wasserstoffökosystem. Hier soll der Wasserstoff zur Versorgung von Gewerbe und Industrie, ÖPNV, Logistik und Schwerlastverkehr sowie für die Versorgung des Wohnsektors dienen. Des Weiteren ist geplant, die Abwärme des Elektrolyseurs in ein Nahwärmenetz einzuspeisen und den Sauerstoff in einer nahegelegenen Kläranlage zu nutzen.

Weitere Anwendungsbeispiele in der Region gibt es überraschenderweise im Wärmesektor. In Linnich wird Wasserstoff über ein Inselnetz zur Wärmeerzeugung eingesetzt und in Euskirchen als saisonaler Energiespeicher für ein Wohnquartier.

All diese Projekte bieten Lösungsmöglichkeiten, die einen wertvollen Beitrag zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft leisten. Hier können Business-Cases geschaffen und noch offene technische Fragestellungen geklärt werden. Zudem können wichtige Erfahrungen in Bezug auf Genehmigungsverfahren und rechtliche Rahmenbedingungen gesammelt werden. Darüber hinaus können aus diesen Projekten langfristige Lösungen für Wasserstoffsenken abseits der Backbones entwickelt werden.

Für die Weiterentwicklung der HyExperts-Region AachenPLUS wird es von entscheidender Bedeutung sein, die in diesen Projekten gewonnenen Erkenntnisse nutzbar zu machen. Dies soll dadurch geschehen, dass im Kontext des Hydrogen Hubs ein Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zwischen den Projekten organisiert werden soll. Gleichzeitig gilt es, ein Matchmaking zwischen Erzeugern und potenziellen Abnehmern zu schaffen, um weitere Projekte zu initiieren und die Wirtschaftlichkeit geplanter Projekte sicherzustellen.

Ein weiteres Anwendungsfeld zeichnet sich in der Mobilität ab. Alle regionalen ÖPNV-Anbieter haben entweder bereits Brennstoffzellenbusse angeschafft oder planen eine Anschaffung. Im Kreis Düren wird zudem das Schienennetz der Rurtalbahn in Kürze mit Brennstoffzellenzügen betrieben. Die entsprechenden Förderbescheide wurden im Mai 2023 von Verkehrsminister Wissing übergeben. Weitere Informationen zu den Projekten des Kreis Düren finden Sie auf Seite 28.

Die im Rahmen des HyExperts-Projekts erstellte Studie hat ergeben, dass auch in der Logistik Flottenumstellungen auf Brennstoffzellenfahrzeuge zu erwarten sind. Um den Bedarf dieser Fahrzeuge zu decken, wird es notwendig sein, bis 2035 mindestens 13 H2-Tankstellen in der Region installiert zu haben. Es ist daher angedacht, die im HyExperts-Projekt etablierte Arbeitsgruppe aus ÖPNV und Logistik weiterzuführen, um diese Infrastruktur zielgerichtet und koordiniert zu planen.

Suche nach geeigneten Fachkräften

Ein wichtiges Feld für die Implementierung ist die Sicherung von Fachkräften zur Umsetzung sowie eine Inwertsetzung der Forschungs- und Entwicklungskompetenzen für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft vor Ort. Hierzu soll der über die Netzwerkaktivitäten des Hydrogen-meet&connect-Netzwerks initiierte Austausch zwischen mittelständischer Wirtschaft und Wissenschaft intensiviert werden. Damit eine flächendeckende Aus- und Weiterbildung sichergestellt ist, sollen Informationsformate an Schulen geschaffen werden. Darüber hinaus müssen neue spezialisierte Berufsbildungszentren und Berufsschullehrgänge, zum Beispiel für den sicheren Umgang mit Wasserstoff, H2-Heizungen, -Transport, Brennstoffzellen und H2-Mobilität initiiert werden. Da die Ausbildung neuer Fachkräfte den Personalbedarf allein nicht bedienen kann, sollen zusätzlich umfängliche Weiterbildungsmaßnahmen beispielsweise über die Handwerks- oder Industrie- und Handelskammern koordiniert und angeboten werden.

Photovoltaik und Wasserstoff in der realen Welt

Photovoltaik und Wasserstoff in der realen Welt

Gastbeitrag von Karl-Heinz Remmers, Photovoltaik-Pionier

Solarenergie wie auch Wasserstoff üben auf die Öffentlichkeit bereits seit langer Zeit eine hohe Faszination aus. Beiden werden global große Chancen und die Lösung der Energiefragen zugeschrieben. H2 wird dabei in der aktuellen öffentlichen Diskussion sogar eine Lösungskompetenz in allen Bereichen zugetraut. Wie steht es um diese Lösungen? Woher kommt der grüne Strom dafür? Und wie können (grüner) Wasserstoff und Photovoltaik das große gemeinsame Potenzial noch schneller heben?

Als wir 1992 mit der Planung und dem Bau von Solaranlagen begannen, war die Faszination für H2 und Solar bereits sehr groß. PV-Anlagen waren aber sehr teuer. Sie wurden in Deutschland nur von Enthusiasten gekauft, und auch diese Käufe waren von (massiven) Förderungen abhängig. Diese (verlorenen) Förderungen kamen und gingen, ebenso immer neue Pilot- oder Vorzeigeprojekte. Global einigermaßen stabil liefen nur die Märkte in der Raumfahrt (Kosten egal) und Off-Grid, wo es passte. Netzgekoppelte Photovoltaik kam in der Skalierung der Produktion nicht voran, und so blieben die Anlagen teuer und quasi ohne Relevanz für die Energieversorgung.

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In der Photovoltaik hat sich seit dem Jahr 2000 (globaler PV-Markt damals: 200 Megawatt), maßgeblich durch den massiven globalen Impuls des deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetzes, eine Massenanwendung entwickelt. Für 2023 wird ein globaler Markt von über 380 Gigawatt an Neuinstallationen erwartet. Diese neu installierte Leistung wird global eine Strommenge erzeugen, die den gesamten heutigen deutsche Strombedarf decken könnte.

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PV-Kraftwerke haben die niedrigsten Stromerzeugungskosten aller Neuanlagen. Seit dem Jahr 2000 sind diese um 95 Prozent gefallen. Bis 2035 wird eine Verzehnfachung des globalen PV-Marktes erwartet – bei weiteren Effizienzsteigerungen und Kostensenkungen. All dies wurde durch die Schaffung eines Marktes in den früheren Phasen ermöglicht, die mittlerweile auch in Deutschland vollkommen subventionsfreie solare Stromerzeugung ermöglichen.

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Aus unserer Sicht haben wir bisher keinen vergleichbaren Ansatz, um die entsprechenden (nötigen) Skaleneffekte im H2-Bereich sicher und für die Industrie planbar umzusetzen. Zwar gibt es überall H2-Regionen, Pilotprojekte, erste Marktplätze und viel medialen und politischen Goodwill. Geht es dann aber um den Markt für neuen Wasserstoff, wird es schnell schwierig oder gar unmöglich. Es ist nicht verwunderlich, dass von den ganz großen (z. B. Stahlwerken, die mit der Umstellung auf die H2-Strecke begonnen haben) bis zu den mittelständischen Abnehmern zögerlich oder gar nicht gekauft wird.

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Dem einen fehlen die sicheren Mengen, die anderen wollen nicht die derzeit nötigen hohen Preise zahlen. Denn es ist zu erwarten, dass H2 billiger wird. Hinzu kommt, dass nahezu jeden Tag von irgendwelchen – in der Realität nicht absehbaren – H2-Importen geträumt wird. Oder von der „Brücke“: blauer Wasserstoff nebst CCS. Preisschilder klebt bislang allerdings keiner an diese potenziellen Quellen.

Der massive Erfolg der Photovoltaik war einst, dieses Henne-Ei-Problem durch das EEG gelöst zu haben: Es gab für die jeweiligen Erzeuger (egal welcher Größe) eine gesicherte Abnahme über den nötigen Amortisationszeitraum nebst Preisgarantie. Die Käufer des Stroms zahlten hingegen die jeweiligen Marktpreise. Da die Förderung stark degressiv war, wurde der gewünschten Kostenreduktion Rechnung getragen bzw. diese massiv vorangetrieben.

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Heute ist diese Förderung kaum noch oder nicht mehr nötig, sie wird zudem nun in vielen Bereichen und Ländern über Ausschreibungen den Marktverhältnissen angepasst. Über ähnliche Systeme für den H2-Hochlauf wird in der EU diskutiert, bzw. EU-Ausschreibungen sind angekündigt. Wie für den Solar- und Windbereich könnten für den H2-Bereich mit der Schaffung von H2-Börsenpreisen als Referenz ebenfalls CFDs (Contracts for Difference) eingeführt werden.

Warum ist das ein entscheidendes Thema?

Wer heute in eine Elektrolyse (nebst Speicherung etc.) investiert, kann sich sicher sein, in drei bis fünf Jahren wesentlich günstigere und effizientere Geräte erwerben zu können. Auch wird sich die Zuverlässigkeit weiter verbessern. Damit werden absehbar sowohl CAPEX als auch OPEX massiv sinken, oder einfacher gesagt der Preis pro kg H2. Ohne eine sichere Abnahme zu dem heute nötigen Preis ist das Projekt schnell bankrott.

Umgekehrt wird sich z. B. der H2-Einkäufer eines Stahlwerks oder auch eines Stadtwerks sicher weigern, heute einen langfristigen H2-Einkauf zu unterschreiben, wo doch klar ist, dass in den kommenden Jahren die Preise massiv sinken werden. Wird diese Hürde z. B. durch „verlorene“ Zuschüsse bzw. Einmalförderungen zu überbrücken versucht, kann nach deren Einsatz eine Pleite oder die Einstellung des Elektrolysebetriebs drohen, da die Förderung ja „verloren“ ist.

Zudem hat diese Variante in der Vergangenheit große Schwierigkeiten in der richtigen Ausgestaltung der Förderung gezeigt. Vor allem aber war sie stets von der jeweiligen Haushaltslage der Förderer abhängig.

Ein „H2-CFD“ oder ein ähnliches Instrument kann eine große Akteursvielfalt anreizen und sowohl die schnelle Marktausweitung als auch ein höheres Innovationstempo fördern.

Anwendungen werden „konstruiert“

Waren wasserstoffbetriebene Pkw noch vor 15 Jahren die einzige aussichtsreiche Technologie für reale Reichweiten über 100 km, so hat die technologische Evolution der Batteriespeicher diese schon heute, also vor ihrer massenhaften Anwendung, verdrängt. Und das, obwohl die Entwicklung der batteriebasierten Fahrzeuge ebenso wie von deren Batterien erst am Anfang steht.

Bereits 2025 dürften auch in Deutschland batteriebasierte Elektrofahrzeuge billiger zu haben sein als ihre verbrennerbasierten Schwestermodelle. Ob man diese Realität mag oder nicht, der sprichwörtliche Zug ist abgefahren. Sieht man sich die Entwicklung auch bei den Lkw an, wird auch hier das Rennen wohl zugunsten der Batterien ausgehen.

Wie es bei den jeweiligen Kategorien der Nutzfahrzeuge oder Schienenfahrzeuge ausgehen wird, ist noch offen. Allerdings haben auch all diese Kategorien in den Hunderten von Millionen neuer Batterien, die jedes Jahr global in den Markt kommen, einen mächtigen Gegner. Denn diese Batterien puffern auch die Netze und machen „Massenladungen“ möglich. Und eine Elektrifizierung von Bahnstrecken mittels banalen Fahrdrahts ist auch ein veritabler Gegner, wenn es um Kosten für Anschaffung und Betrieb geht, denn ein Batterie- oder H2-Zug ist kein Selbstzweck.

Mir erscheint es wichtig, nicht an Anwendungen, die einfach wirklich nicht groß rauskommen, festzuhalten, da es die Menschen frustriert, wenn diese versprochenen Technologien dann einfach nicht kommen. Auch ist das Verheizen von Wasserstoff in uralten Brennwertgeräten so unsinnig und teuer, dass die H2-Branche sich hier dringend von der genau dies propagierenden Erdgasbranche distanzieren sollte, um die eigene Glaubwürdigkeit und vor allem auch die Deutungshoheit über die eigene Technologie zu behalten.

Anwendungen wie die Produktion von H2-basiertem Flugbenzin oder Schiffstreibstoffen sowie die gesamten weiteren stofflichen Anwendungen sind ebenso wie die ebenfalls neu zu definierenden Speicheranwendungen von H2 ein so gigantischer kommender Markt, dass man darüber auch nicht zu trauern braucht.

Warum gilt es die Speicheranwendungen von Wasserstoff neu zu definieren?

Es gibt in den diversen Langzeitszenarien der Forschungsinstitute für die Regierungen kein Szenario, welches die nun bereits anlaufende Welle von Millionen (bidirektionaler) Speicher in Fahrzeugen sowie den bereits heute sehr kostengünstigen mittelgroßen und großen dezentralen Speicher berechnet. Ab 2024 wird deutschlandweit wohl kein Solarpark mehr realisiert, der nicht einen eigenen Speicher enthält, um Energie auch nachts zu verkaufen – ohne die Notwendigkeit von Förderungen.

Millionen kleinerer Speicher kommen hinzu, die alle vor Ort die vorhandenen realen Netzmöglichkeiten massiv erweitern. Die internationalen Entwicklungen beschleunigen sich noch schneller als die PV einst. Batteriespeicher werden in kurzer Zeit Solar „über die Nacht“ und „den Wind in die Flaute bringen“ – über Stunden, dann Tage, dann Wochen. Und das massenverfügbar für wenige Cent/kWh. Dies wird alle bisherigen Szenarien für H2 als Speicher massiv verändern.

Es geht auch ohne Stromnetz

H2-Produktion kann auch im Gigawattmaßstab „offgrid“ realisiert werden, sofern der Abtransport des Produktes (H2 oder auch E-Fuels) verlässlich und kostengünstig möglich ist. Das ist ein sehr interessanter Aspekt, der überall auf der Welt machbar ist, mit jeweils unterschiedlichen Anteilen von Solar- und Windenergie (oder, wo sinnvoll verfügbar, anderen erneuerbaren Energien). Diese ergänzen sich vor Ort und können speichergeschützt sehr hohe Laufzeiten für die Elektrolyse ohne den kostspieligen und zeitraubenden Anschluss an das Verbundnetz ermöglichen. Denn ihr Endprodukt ist nicht Strom, sondern H2-basierte Stoffe. Projekte in diesem Stil gibt es in verschiedenen Ländern, und auch für Deutschland ist dies eine realistische Variante geworden.

Von kostspieligen „Brückentechniken“ distanzieren

In einer aktuellen Verbands- und medialen Diskussion wird CCS als Brückentechnik zur Erlangung von blauem H2 aus Erdgas bis zu Beginn der 2030er-Jahre in der Bundesrepublik ernsthaft diskutiert. Hier wird eine Technologie, die nach Jahrzehnten politischer Diskussion noch im Prototypstadium steckt, in eine schlicht nicht machbare Zeitschiene geschoben. Und das ohne jede Diskussion über die Gesamtkosten einer solchen Variante, sofern sie dann (irgendwann) großtechnisch verfügbar ist.

Schließlich ist CCS auch seit den Nullerjahren immer wieder als Option für Kohlekraftwerke verkauft worden und kam nie – aus Kostengründen. Hinzu kommt, dass alle Probleme mit der Versorgungssicherheit, den Kosten und der Endlichkeit von Erdgas bei solchen Gedankenspielen bestehen bleiben. CCS ist eine gefährliche, substanzlose Ablenkung von dem dauerhaften und schnell skalierbaren Technologiepfad der erneuerbaren Elektrolyse in der EU.

Chancen werden unterschätzt

In der Öffentlichkeit vergeht kaum ein Tag, an dem nicht alle möglichen Ideen für die H2-Wirtschaft diskutiert werden. Es ist fast schon egal, wo Bundeskanzler oder Minister auf Reisen sind, fast immer geht es um den Import von H2. Natürlich zum „H2-Schnäppchenpreis“, wobei weder Kosten noch Preise überhaupt thematisiert werden. Bereits heute bestehende, massive politische Spannungen und Risiken potenzieller Lieferländer werden völlig ausgeblendet. Es ist schon erschreckend, wie wenig im politischen und medialen Umfeld die eigenen Potenziale in der EU und vor allem die Kosten der Optionen für H2 diskutiert werden. Daher will ich mal einen „Bierdeckel“-Vergleich machen, auch zu H2-Mindestkosten:

Wenn ich H2 „in der Wüste“ produzieren will, muss ich …

  • – (höhere) Kosten als in der EU für Elektrolyseure, Anlagenbau, Sicherheit etc. bezahlen.
  • – Meerwasser entsalzen (CAPEX-Kosten und Stromverbrauch).
  • – Wind und Sonne auch mit Mindestkosten von 1,5 Cent/kWh ansetzen, mit Batteriestabilisierung für hohe Auslastung der Elektrolyse darüber, die Preise werden aber in der Regel über den osten liegen.
  • – die Verluste durch die Abwärme berechnen (20 bis 40 % des eingesetzten Stroms), da thermische Energie in dem Klima vor Ort nicht genutzt werden wird.
  • – den Aufwand u. a. der Kompression für den Transport berechnen.
  • – die Kosten für Pipeline oder Tankertransport und deren Verluste im Betrieb ansetzen.
  • – einen kalkulatorischen Risikoansatz für instabile Regionen ansetzen.- …

Wenn ich H2 in Deutschland bzw. in der EU produzieren will, muss ich …

  • – geringere Kosten als in der Wüste für Elektrolyseure, Anlagenbau, Sicherheit etc. bezahlen.
  • – Wasser bezahlen.
  • – Wind und Sonne eher mit 4 bis 7 Cent/kWh Kosten ansetzen, auch hier etwas mehr für Stabilisierung, wobei vermiedene Abregelungen aus dem Stromnetz den Preis senken können.
  • – die Abwärme in eine Fern- oder Prozesswärme geben. Dann hätte ich 20 bis 40 % weniger Stromkosten, weil diese als Wärme verkauft werden können – oder ebenfalls „abschreiben“.
  • – den Aufwand u. a. der Kompression für den Transport berechnen.
  • – einen direkten Verbrauch vor Ort oder kurze Wege per Tanker/Pipeline (geringere Verluste und Kosten) gewährleisten.
  • – keine Risikoansätze für instabile Region einrechnen.- …

Ich glaube abschließend, dass eine Verfeinerung obiger „Bierdeckelberechnung“ mit realen Zahlen, die die zu erwartenden massiven Kostendegressionen berücksichtigen, erforderlich wäre. Vor allem, um auch (endlich) zu realistischen Einschätzungen darüber zu kommen, was grüner H2 2030/2040 kosten kann und welche Preise sich darauf basierend einstellen – in der EU und außerhalb –, abseits von abseitigen Schlagworten wie „H2 ist der Champagner der Energiewende“ oder „Mit H2 in Zukunft günstig heizen“.


Autor: Karl-Heinz Remmers

Grüne Vollversorgung übers ganze Jahr

Grüne Vollversorgung übers ganze Jahr

HPS weiht Eigenheim mit solarem Wasserstoffspeicher ein

In Schöneiche, einem Vorort östlich von Berlin, startet das erste autarke Wasserstoffhaus in den Praxistest. Ein solarer Ganzjahresspeicher soll den Bedarf für das moderne Holzhaus decken. Mit dem Forschungsprojekt FlexEhome soll gezeigt werden, wie ein Eigenheim bei entsprechend guter Dämmung selbst mit Strom und Wärme versorgt werden kann. Im Rahmen dieses Projekts testen die Beteiligten zudem netzdienliche Leistungen.

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Die Photovoltaikanlage des brandneuen Einfamilienhauses in der Schillerstraße wurde mit insgesamt knapp 30 Kilowatt Leistung bewusst sehr groß ausgelegt – so kann sie einen solaren Energieüberschuss für die Produktion von sauberem Wasserstoff erzeugen. Denn derzeit produzieren die meisten Gebäude mit Photovoltaikanlage und Batterie zwar zu viel Strom im Sommer, jedoch zu wenig Strom in den Wintermonaten. Es fehlt bislang ein Saisonspeicher.

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In dem Forschungsprojekt FlexEhome soll nun in einem Praxistest gezeigt werden, dass es anders geht: Es soll nur Strom ins Netz abgegeben oder entnommen werden, wenn es auch für das Stromnetz dienlich ist. Dies ist aufgrund einer im Vergleich zu Batterien deutlich größeren Speicherkapazität und der Herstellung von Wasserstoff, der über längere Zeiträume bevorratet werden kann, möglich. Dank dieser Flexibilität wird die Netzstabilität verbessert und der Ausbaubedarf der dezentralen Verteilnetze minimiert. Die Bewohner eines solchen Gebäudes leisten auf diese Weise einen Beitrag zur Stromnetzstabilität und Versorgungssicherheit.

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„In Zukunft sind solche dezentralen Flexibilitäten für den Erfolg der Energiewende unverzichtbar“, betont Zeyad Abul-Ella, Chef und Gründer von Home Power Solutions (HPS), bei der feierlichen Vorstellung dieses solaren Wasserstoffhauses. Ein wesentlicher Baustein des Projekts ist der Langzeitspeicher picea von HPS, der den überschüssigen Strom der Solaranlage im Sommer in Form von Wasserstoff mittels Elektrolyse speichert. Im Winter wird das grüne Gas über die Brennstoffzelle wieder zu Strom und Wärme umgewandelt.

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AEM-Elektrolyseur von Enapter

Den Wasserstoff erzeugt ein AEM-Elektrolyseur 2.0 des deutsch-italienischen Herstellers Enapter. Das Modul kann relativ schnell starten und hochfahren. Der Batteriespeicher ist ein Blei-Gel-Akkumulator aus deutscher Produktion und verfügt über 20 kWh Kapazität (netto). Blei hat – obwohl es ein giftiges Schwermetall ist – den Vorteil, dass es bereits ein eingespieltes Recycling-System gibt – insbesondere bei Starterbatterien aus Kraftfahrzeugen.

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Bauingenieur Abul-Ella hat das Komplettsystem aus Elektrolyseur, Brennstoffzelle, Wasserstofftank sowie Bleispeicher und Lüftungsgerät vor fast zehn Jahren selbst entwickelt. Billig ist das picea-System mit 120.000 Euro im Vollausbau allerdings nicht. Dennoch hat der Absatz der sogenannten Ganzjahresstromspeicher in den letzten Monaten stark zugelegt. Mehr als hundert Geräte sind schon in Betrieb, mehr als 500 Exemplare bestellt.

Das Berliner Unternehmen kommt bei den Bestellungen kaum hinterher. Die Wartezeit beträgt derzeit etwa zwölf Monate. Die Produktion von HPS soll deshalb weiter ausgebaut werden. Auch wegen Projekten wie FlexEhome: Beteiligte Partner sind beispielsweise der Wärmepumpenhersteller Vaillant, der Holzhausbauer Albert Haus sowie die Technische Universität Berlin.

Solar in Ost-West- und Südausrichtung

Um die solare Ernte vom Dach schon in der Produktion zu glätten, wurde das Gros der Photovoltaikmodule mit 27,4 Kilowatt als dachintegrierte Lösung in Ost-West-Ausrichtung installiert. Zusätzlich befinden sich sieben Module mit insgesamt 2,4 Kilowatt an der Balkonbrüstung in Südausrichtung. Beides zusammen reduziert die PV-Mittagsspitze um 30 Prozent (s. Abb. 2) – und verlängert so die Laufzeit des Elektrolyseurs im Sommer um vier Stunden pro Tag. „Dadurch erhöht sich der Wasserstoffertrag um satte 40 Prozent“, sagt Daniel Wolf von HPS. Der Ingenieur ist der Verbundkoordinator dieses innovativen Projekts.

Reduzierung der Mittagsspitze bei der Solarstromproduktion durch Ost-West-Ausrichtung

In einem Holzhäuschen an der Nordseite des Einfamilienhauses steht der Elektrolyseur mit insgesamt vier Bündeln an Druckgasflaschen mit je 300 kWh elektrischer Leistung (s. Abb. 3), um das H2-Gas aus den Sommermonaten für die Wintermonate zu speichern. Schon im Juli sei der Wasserstoffspeicher laut Berechnungen wieder komplett gefüllt, prognostiziert Wolf. Der Raumwärmebedarf des knapp 150 Quadratmeter großen Eigenheims liegt rund 40 Prozent unter dem eines KfW55-Hauses. Dieser hohe Dämmstandard ist auch nötig, damit sich das Haus selbst rund ums ganze Jahr mit Strom und Wärme versorgen kann. Das ist der Schlüssel und die Basis zur grünen Vollversorgung.

Aber auch ökonomisch soll sich die langfristige Speicherung von Strom künftig rechnen – und zwar über den Handel am Strommarkt. Denn immer wieder gibt es sehr hohe Börsenstrompreise, wie an einigen Tagen im Dezember 2022, als er bei umgerechnet 60 ct/kWh lag. Auf der anderen Seite gibt es das Extrem von negativen Strompreisen, wie Anfang Juni 2021, als minus 5 ct/kWh aufgerufen wurden. Hier könnte sich der H2-Speicher von HPS auszahlen, der jederzeit über Reserven verfügt, sagt Wolf.

H2-Druckgasbehälter als saisonaler Speicher

TU Berlin überwacht alle Energieflüsse

Der Wasserstoff wird in einer Kraft-Wärme-Kopplungsanlage wieder zu Strom und Wärme, wobei auch die Abwärme genutzt wird. In Verbindung mit einer Wärmepumpe wird so eine ganzjährige Versorgung des Hauses mit selbst erzeugtem Solarstrom gesichert. Gerade auch das Zusammenspiel mit der Wärmepumpe soll durch dieses Projekt in den nächsten Monaten näher untersucht werden.

Schon bald soll eine vierköpfige Familie zur Miete im Projekthaus wohnen. Sie zahlt im Ortsvergleich eine günstigere Miete, muss allerdings von Zeit zu Zeit Fachbesuchern und Technikern nach Anmeldung Zugang zum Technikraum gewähren. Um die Vollversorgung und eine netzdienliche Einspeisung zu dokumentieren, wird die TU Berlin zudem sämtliche Energieflüsse im Haus in den nächsten Monaten genau monitoren.

Die Forscher begleiten das Projekt noch mindestens bis Ende 2024. Sie gucken sich neben den Energiebilanzen auch die CO2-Emissionen an. „Am Ende wollen wir bewerten, ob sich so ein Gebäude für den Klimaschutz lohnt“, sagt Alexander Studniorz von der TU Berlin. Dafür machen die Wissenschaftler eine Lebenszyklusanalyse. Die Annahme des Wissenschaftlers ist, dass sich gerade die zeitliche Verschiebung des Stromverbrauchs positiv auf die CO2-Bilanz auswirken wird. Denn anders als in Eigenheimen mit PV-Anlage und einem Batteriespeicher muss in einer kalten Winternacht kein zusätzlicher Graustrom aus dem Netz gezogen werden, wenn viele fossile Kraftwerke im Einsatz sind. „Gerade der saisonale Puffer garantiert im Zusammenspiel mit der Wärmepumpe somit ganzjährig niedrige CO2-Emissionen“, prophezeit der TU-Forscher.

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