Die HyExperts-Region AachenPLUS steht vor der Herausforderung, den Strukturwandel durch den Braunkohleausstieg nachhaltig zu gestalten. Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft soll dafür genutzt werden, um regionale Wertschöpfung zu erhalten, eine nachhaltige Energieversorgung aufzubauen und die Verkehrswende umzusetzen. Im Mittelpunkt stehen dabei der Austausch und die Vernetzung der unterschiedlichen Wasserstoffprojekte, um diese Erfahrungen für eine schnelle Umsetzung in der Region zu nutzen.
Im Westen gibt es viel Neues! Ob im industriellen Mittelstand, im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) und Schienenpersonennahverkehr (SPNV), in Quartierslösungen sowie in der Forschung wird im Südwesten Nordrhein-Westfalens zwischen der Rheinschiene im Osten und der Grenze zu Belgien sowie den Niederlanden im Westen Wasserstoff genutzt. Die HyExperts-Region AachenPLUS umfasst die Stadt und Städteregion Aachen, die Kreise Düren, Euskirchen und Heinsberg sowie die Kolpingstadt Kerpen und bringt alle Voraussetzungen mit, eine starke und nachhaltige Wasserstoffwirtschaft aufzubauen. Diese Vielzahl von Akteuren sorgt auch für eine große Zahl unterschiedlicher Ansätze und Bedarfe.
Mit der RWTH Aachen, der FH Aachen und dem Forschungszentrum Jülich verfügt die Region über herausragende Forschungskompetenzen. Gleichzeitig gibt es einen innovativen und agilen industriellen Mittelstand, der nahezu die gesamte Wasserstoffwertschöpfungskette von der Grünstromerzeugung über H2-Produktion und -Speicherung bis hin zur Anwendung abdeckt. Zudem nutzen auch die beteiligten Gebietskörperschaften der Region Wasserstoff, um ihren öffentlichen Nahverkehr CO2-neutral zu entwickeln.
Auftakt im Mai 2021
Ziel des HyExperts-Projekts war es, eine Strategie zu entwickeln, wie die Region die verschiedenen Ansätze für einen erfolgreichen Markthochlauf der Wasserstoffwirtschaft nutzen kann. Da die Region ein Strukturwandelgebiet mit den Braunkohletagebauen Garzweiler, Hambach und Inden ist, kommt dem Erhalt und der Schaffung von Wertschöpfung ebenfalls große Bedeutung zu. Schon vor Projektbeginn wurde erkannt, dass eine regionale Koordination der Aktivitäten vorteilhaft ist. Daher wurde bereits im Mai 2021 die Initiative „Hydrogen Hub Aachen“ gegründet.
Im Rahmen dieser Initiative koordiniert ein Projektbüro, das bei der Industrie- und Handelskammer Aachen angesiedelt ist, die regionalen Wasserstoffaktivitäten der Kreise Düren, Euskirchen und Heinsberg sowie von Stadt und StädteRegion Aachen. Unterstützt wird es dabei durch die Aachener Gesellschaft für Innovation und Technologietransfer (AGIT).
Der Blick auf eine zukünftige Wasserstoffversorgung macht deutlich, dass für einen erfolgreichen Markthochlauf in der Region AachenPLUS ein Zusammenspiel aus verschiedenen Versorgungspfaden notwendig ist. Die Region AachenPLUS bietet für eine Region im Binnenland gutes Potenzial für den Ausbau der erneuerbaren Energien im Bereich Wind und Photovoltaik. Der Kreis Heinsberg beispielsweise erweitert aktuell sein eigenes Grünstromportfolio, um in naher Zukunft lokale Elektrolysekapazitäten zu schaffen. Ein erster Elektrolysestandort ist bereits in Heinsberg-Oberbruch auf den Weg gebracht worden. Weitere dezentrale Standorte sollen folgen.
H2-Pipelines als Lebensadern
Trotz dieses Potenzials bleibt die Region mit ihrer energieintensiven mittelständischen Industrie und dem Durchgangsverkehr auf den großen Autobahnen eine Wasserstoffsenke, die ihren H2-Bedarf nicht aus eigener Produktion decken kann. Darum muss die Region neben lokaler Produktion auch auf Importe von Wasserstoff setzen. Hier erweist sich die Grenzlage zu Belgien und den Niederlanden mit der Nähe zu den dortigen Häfen als Standortvorteil: Die Planungen des Wasserstoffkernnetzes sehen den Neubau einer H2-Pipeline vor, die vom Grenzübergangspunkt Eynatten (B) kommend die Region von West nach Ost quert. Seitens Thyssengas bestehen Planungen für die Umstellung der Leitung Weisweiler-Düren auf Wasserstoff ab 2027.
Neben diesem sehr wahrscheinlichen Anschluss an den geplanten H2-Backbone bietet der Delta-Rhein-Korridor eine weitere Option, die Region AachenPLUS mit Wasserstoff zu versorgen. Die bisherigen Planungen sehen zwar einen Bau dieser Pipeline nur bis Sittard (NL) vor, es wird jedoch Aufgabe der Region sein, sich für eine Weiterführung dieser Leitungsinfrastruktur stark zu machen. In diesem Zusammenhang wird es für die Region bedeutsam sein, sinnvolle Ausspeisepunkte für die Versorgung lokaler Verbraucher zu schaffen und grenzüberschreitende Aktivitäten auszubauen.
Zahlreiche Einzelvorhaben
Die Chancen, die sich durch den Anschluss an das Wasserstoffkernnetz bieten, dürfen jedoch nicht den Blick auf dezentrale und lokale Lösungen verhindern. Hierzu gibt es in der Region eine Vielzahl von Ansätzen: Am Brainergy Park Jülich wird ein Solarpark mit angeschlossener Elektrolyse zur Versorgung der zukünftigen Brennstoffzellenzüge der Rurtalbahn sowie der Brennstoffzellenbusse der Rurtalbus gebaut. In Hellenthal ist ein Elektrolyseprojekt zur Stromspeicherung geplant. In Mechernich entsteht ein Projekt zur Gewinnung von Wasserstoff aus Grünabfällen. In Aachen ist eine Elektrolyse zur Versorgung des öffentlichen Nahverkehrsbetreibers ASEAG geplant und in Herzogenrath plant die Firma Saint-Gobain den Aufbau von Elektrolysekapazitäten für die Energieversorgung der Glasproduktion.
Mit den Projekten „Speicherstadt“ und dem „Mobilitätshafen“ wird zudem in Kerpen an der Wasserstoffversorgung des ÖPNV gearbeitet. In Heinsberg entsteht mit dem Projekt H2HS ein komplettes Wasserstoffökosystem. Hier soll der Wasserstoff zur Versorgung von Gewerbe und Industrie, ÖPNV, Logistik und Schwerlastverkehr sowie für die Versorgung des Wohnsektors dienen. Des Weiteren ist geplant, die Abwärme des Elektrolyseurs in ein Nahwärmenetz einzuspeisen und den Sauerstoff in einer nahegelegenen Kläranlage zu nutzen.
Weitere Anwendungsbeispiele in der Region gibt es überraschenderweise im Wärmesektor. In Linnich wird Wasserstoff über ein Inselnetz zur Wärmeerzeugung eingesetzt und in Euskirchen als saisonaler Energiespeicher für ein Wohnquartier.
All diese Projekte bieten Lösungsmöglichkeiten, die einen wertvollen Beitrag zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft leisten. Hier können Business-Cases geschaffen und noch offene technische Fragestellungen geklärt werden. Zudem können wichtige Erfahrungen in Bezug auf Genehmigungsverfahren und rechtliche Rahmenbedingungen gesammelt werden. Darüber hinaus können aus diesen Projekten langfristige Lösungen für Wasserstoffsenken abseits der Backbones entwickelt werden.
Für die Weiterentwicklung der HyExperts-Region AachenPLUS wird es von entscheidender Bedeutung sein, die in diesen Projekten gewonnenen Erkenntnisse nutzbar zu machen. Dies soll dadurch geschehen, dass im Kontext des Hydrogen Hubs ein Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zwischen den Projekten organisiert werden soll. Gleichzeitig gilt es, ein Matchmaking zwischen Erzeugern und potenziellen Abnehmern zu schaffen, um weitere Projekte zu initiieren und die Wirtschaftlichkeit geplanter Projekte sicherzustellen.
Ein weiteres Anwendungsfeld zeichnet sich in der Mobilität ab. Alle regionalen ÖPNV-Anbieter haben entweder bereits Brennstoffzellenbusse angeschafft oder planen eine Anschaffung. Im Kreis Düren wird zudem das Schienennetz der Rurtalbahn in Kürze mit Brennstoffzellenzügen betrieben. Die entsprechenden Förderbescheide wurden im Mai 2023 von Verkehrsminister Wissing übergeben. Weitere Informationen zu den Projekten des Kreis Düren finden Sie auf Seite 28.
Die im Rahmen des HyExperts-Projekts erstellte Studie hat ergeben, dass auch in der Logistik Flottenumstellungen auf Brennstoffzellenfahrzeuge zu erwarten sind. Um den Bedarf dieser Fahrzeuge zu decken, wird es notwendig sein, bis 2035 mindestens 13 H2-Tankstellen in der Region installiert zu haben. Es ist daher angedacht, die im HyExperts-Projekt etablierte Arbeitsgruppe aus ÖPNV und Logistik weiterzuführen, um diese Infrastruktur zielgerichtet und koordiniert zu planen.
Suche nach geeigneten Fachkräften
Ein wichtiges Feld für die Implementierung ist die Sicherung von Fachkräften zur Umsetzung sowie eine Inwertsetzung der Forschungs- und Entwicklungskompetenzen für den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft vor Ort. Hierzu soll der über die Netzwerkaktivitäten des Hydrogen-meet&connect-Netzwerks initiierte Austausch zwischen mittelständischer Wirtschaft und Wissenschaft intensiviert werden. Damit eine flächendeckende Aus- und Weiterbildung sichergestellt ist, sollen Informationsformate an Schulen geschaffen werden. Darüber hinaus müssen neue spezialisierte Berufsbildungszentren und Berufsschullehrgänge, zum Beispiel für den sicheren Umgang mit Wasserstoff, H2-Heizungen, -Transport, Brennstoffzellen und H2-Mobilität initiiert werden. Da die Ausbildung neuer Fachkräfte den Personalbedarf allein nicht bedienen kann, sollen zusätzlich umfängliche Weiterbildungsmaßnahmen beispielsweise über die Handwerks- oder Industrie- und Handelskammern koordiniert und angeboten werden.
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