Industrie will klimafreundlichen Wasserstoff

Industrie will klimafreundlichen Wasserstoff

Laut einer repräsentativen Umfrage sehen mehr als zwei Drittel der Deutschen (69 %) grünen Wasserstoff als Energieträger der Zukunft an. Hauptgründe sind die niedrigere Importabhängigkeit (56%), besserer Klimaschutz (51%) und größere Sicherheit bei der Energieversorgung (40%).

Fast jeder zweite Befragte (48 %) ist davon überzeugt, dass grüner Wasserstoff zum Umbau zu einer CO2-freien Industrie notwendig ist. In der Industrie setzen 61 % der Entscheider und sogar 81 % der Führungskräfte aus dem Energiesektor auf grünen Wasserstoff. Dementsprechend fordern drei Viertel der deutschen Bevölkerung (74 %) und der Entscheider aus der Industrie (75%) von der EU-Politik eine stärkere Förderung von grünem Wasserstoff – insbesondere die SPD-Wähler (annähernd 90%).

Vor allem SPD-Wähler haben großes Vertrauen in das nachhaltig erzeugte Gas (83 %). Von den Wählern der CDU/CSU gaben dies rund 75 % an, unter den Wählern der Linken und der AfD jeweils nur jeder Zweite, so das Ergebnis der Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey, die von thyssenkrupp nucera in Auftrag gegeben wurde.

TH2ECO zeigt den zukünftigen Wasserstoffmarkt

TH2ECO zeigt den zukünftigen Wasserstoffmarkt

Thüringens größtes H2-Ökosystem im Aufbau

Im Herzen Thüringens – rund um Erfurt und nördlich im Thüringer Becken – zeigt TH2ECO einen im Aufbau befindlichen regionalen Wasserstoffmarkt. Seit 2021 entwickelt ein partnerschaftliches Konsortium aus regionalen Spezialisten dieses Vorhaben. Die Partner kommen aus den Bereichen der erneuerbaren Energien, sind Netzbetreiber sowie Energie- und Stromanbieter, die den Auf- und Ausbau einer nachhaltigen H2-Infrastruktur und die Etablierung des neuen Energieträgers Wasserstoff vorantreiben. Von Beginn an mit dabei ist Projektmanager Kilian Fromm von Green Wind Innovation, der für dieses Projekt während der diesjährigen Hannover Messe von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den H2Eco Award überreicht bekommen hat.

TH2ECO will einen regionalen Wasserstoffmarkt schaffen, der zeigt, dass das komplexe System eines Marktes mit verschiedenen wirtschaftlichen, technischen und regulatorischen Anforderungen über die komplette Wertschöpfungskette – von grüner H2-Erzeugung bis hin zur -Anwendung – regional funktioniert und langfristig die lokale Wertschöpfung in einem überregionalen Markt einbindet.

TH2ECO hat sich drei Kernzielen verschrieben: Dekarbonisierung, Regionalität und Nachhaltigkeit. Durch den Hochlauf einer kohlenstoffarmen Wirtschaft werden die CO2-Emissionen in Thüringen erheblich reduziert. Mit einer netzdienlichen Integration in bestehende Netze werden regionale bereits vorhandene Strukturen integriert.

Von der Erzeugung bis zur Anwendung

Im Verbund und in koordinierter Projektsteuerung arbeiten derzeit drei Energieerzeuger (Green Wind Innovation, Boreas Energie, TEAG Thüringer Energie AG), drei Gasnetzbetreiber (Ferngas Netzgesellschaft, SWE Netz und TEN Thüringer Energienetze) und ein Gasspeicherbetreiber (TEP Thüringer Energie Speichergesellschaft) sowie mehrere Abnehmer zusammen. Die H2-Hauptanwendungen erfolgen im Bereich Mobilität, in der zentralen Wärmeerzeugung im Rahmen der Fernwärmeversorgung von Erfurt (SWE Energie) sowie im Industriesektor:

  • Mobilität: Güterverkehrszentrum (GVZ) Erfurt Ost mit einer Tankstelle für Nutzfahrzeuge von der Jet H2 Energy sowie Intralogistikanwendungen und die Nutzung im Schienenverkehr
  • Industrie: Unternehmen am Erfurter Kreuz
  • Wärme: GuD-Heizkraftwerk der Stadtwerke Erfurt zur Wärme- und Stromerzeugung, Gasnetzbeimischung in die Verteilnetze

Phase 1: Gasleitung bereits in Umwidmung
TH2ECO ist in drei Phasen gegliedert, die aufeinander aufbauende Stufen des entstehenden Wasserstoffmarktes abbilden. In der Initialphase bis 2025 ist geplant, dass drei Elektrolyseanlagen mit einer Gesamtkapazität von 25 MW im Thüringer Becken in Betrieb gehen. Der H2-Transport erfolgt vorrangig über die bestehende, in der Umwidmung auf 100 Prozent grünen Wasserstoff befindliche 42 km lange Ferngasleitung. Im Erfurter Stadtgebiet sorgt die SWE Netz für die weitere Versorgung per H2-Leitung.

Das GuD-Heizkraftwerk in Erfurt, das Industriegebiet am Erfurter Kreuz und das Ortsnetz von Kirchheiligen werden somit über diese Pipeline angeschlossen. Unidirektional wird der Porengasspeicher bei Kirchheiligen eingebunden, welcher für die H2-Nutzung bereits untersucht und für den die Realisierbarkeit bestätigt wurde. Auch das GVZ in Erfurt wird bereits in der Initialphase zum zweiten Quartal 2025 versorgt, wobei aufgrund der neu zu erbauenden Gasnetzanbindung zunächst eine Belieferung über Hochdrucktrailer erfolgen soll.

Phase 2: Erweiterung auf 40 MW Erzeugungsleistung
In der zweiten Phase zur Erweiterung des entstandenen regionalen H2-Marktes ist bei einem Hochlauf des deutschen Wasserstoffmarktes ein Ausbau der Erzeugungskapazitäten auf 40 MW vorgesehen. Die H2-Netzstruktur soll erweitert werden, wofür die Gasverteilnetze der TEN Thüringer Energienetze angeschlossen werden und der H2-Speicher bidirektional genutzt wird. Abnahmeseitig wird das Erfurter Gasnetz angeschlossen und die Anbindung im GVZ leitungsgebunden erfolgen. Der H2-Einsatz im GuD-Heizkraftwerk wird erhöht und der Schienenverkehr eingebunden.

Phase 3: Überregionale Einbindung
Anschließend wird das TH2ECO-Projekt durch die zusätzliche Aufnahme von regionalen H2-Erzeugungen und den H2-Import aus anderen Regionen weiter skaliert. Die Netzstruktur wird in das überregionale H2-Backbone-Netz eingebunden, so dass eine Versorgung von großen Industriebetrieben gewährleistet wird und die Stadtwerke ihre Klimaneutralität erreichen können.

Beispielhaft für Deutschland
Einen hohen Innovationsgrad zeigt TH2ECO bereits in der Initialphase: Aufgrund des potenten Netzwerks auf der Erzeugungs- und Abnahmeseite entstehen auf beiden Seiten der Wertschöpfungskette Marktstrukturen, die TH2ECO von anderen Projekten unterscheiden.

Durch drei H2-Erzeuger und verschiedene -Abnehmer in unterschiedlichen Branchen ergibt sich eine Vielzahl von neuen Fragestellungen, die im TH2ECO-Projekt beispielhaft angegangen werden und die eine Blaupause für H2 in Deutschland darstellen:

  • Wie etablieren sich praxisorientierte Vertragsstrukturen zwischen H2-Produzenten und -Abnehmern? Sind es bilaterale Vertragsstrukturen oder gibt es zentrale H2-Händler, die erzeugungsseitig Kapazitäten bündeln und zwischen den Abnehmern verteilen?
  • Wie wird mit Energieüberschüssen im Markt umgegangen? Wer ist verantwortlich für Abregelungen und Ausgleichsenergiemengen?
  • Hohe H2-Qualitäten (Wasserstoff 5.0) können in einer umgewidmeten Pipeline bei der Entnahme nicht garantiert werden, wie kann hier ein effizienter Mechanismus gefunden werden?
  • Im Wärme- oder Industriesektor bestehen andere regulatorische Rahmen als im Mobilitätsbereich (Anrechnung bei der THG-Quote). Wie können die unterschiedlichen Erlöspotentiale in einem Markt zusammengebracht werden?

Modular aufgebaute Elektrolysecontainer
Durch die gemeinsame Planung und enge Abstimmung im Konsortium werden verlässliche und funktionierende Strukturen geschaffen, die das Risiko für alle Vorhabensträger reduzieren und einen gleichzeitigen Hochlauf von H2-Angebot und -Nachfrage ermöglichen.

Die H2-Erzeuger gewährleisten in der Initialphase eine wirtschaftliche H2-Produktion durch die intelligente Kombination der Energie aus eigenen Wind- und PV-Freiflächenanlagen, die die Elektrolyseure mit CO2-freier Energie versorgen. Durch die eigenen EE-Anlagen der H2-Erzeuger ist hier eine langfristige, planbare Stromversorgung mit festen Preisen gewährleistet.

Durch einen modularen Aufbau und die flexible Anlagenstruktur von mehreren MW-Elektrolysecontainern wird die Anpassung an die physischen und rechtlichen Anforderungen des Wasserstoffs für verschiedene Versorgungsstränge im TH2ECO-Projekt an einem Elektrolysestandort ermöglicht. So kann einerseits von Beginn an eine Hochdruck-Trailerbefüllung mit 5.0-REDII-grünem Wasserstoff und andererseits mit CO2-freiem grünen Wasserstoff mit 30 bar für die H2-Leitungseinspeisung erfolgen. Synergien der H2-Nachfrage und unterschiedliche Erlösströme werden so genutzt, um wirtschaftliche Einnahmen in den verschiedenen Anwendungsbereichen zu ermöglichen.

Im Rahmen der Hannover Messe wurde TH2ECO, und hier namentlich Green Wind Innovation, mit dem H2Eco-Award ausgezeichnet – eine Auszeichnung des DWV und der Deutschen Messe für Unternehmen, die mit ihren Projekten einen herausragenden Beitrag zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft leisten. Green Wind Innovation ist im TH2ECO für den Aufbau einer modularen 10-MW-Elektrolyseanlage innerhalb des Konsortiums zuständig. Das Vorhaben zeichnet sich gemäß der Bewertung der namenhaft besetzten Jury durch einen besonderen systemtechnischen, volkswirtschaftlichen Beitrag zum Klimaschutz und zur CO2-Einsparung aus.

TH2ECO MOBILITY wird HyPerformer
Im Bereich Mobilität wird durch die geplante Tankstelle im GVZ Erfurt der Zugriff auf höhere Erlöspotentiale für Wasserstoff ermöglicht. Aktuell wurde TH2ECO MOBILITY, federführend koordiniert von der EurA Innovationsberatung, im TH2ECO-Projekt vom Bundesverkehrsministerium zum HyPerformer 2023 ernannt. Um die Entwicklung eines H2-Mobilitätshubs im GVZ zu realisieren, werden in diesem Rahmen bis zu 15 Mio. Euro Fördergelder des Bundes bereitgestellt.

Im Bereich der Industrie wird mit einem abgestimmten H2-Produkt ein CO2-freier Energieträger geschaffen, welcher auch stofflich genutzt werden kann. Für die zentralen Wärmeanwendungen bei den Stadtwerken Erfurt wird ein CO2-freies Wärmeprodukt im Markt ermöglicht.

Versorgungssicherheit erhöht sich
Mit TH2ECO wird ein H2-Ökosystem geschaffen, welches die Potentiale der günstigen erneuerbaren Energien aus Wind- und PV-Anlagen nutzt und die Fluktuation der Energiequellen durch die Puffer- und Speichermöglichkeiten der H2-Leitung einbindet. So können die konstanten Nachfragen der Industrie, tagesschwankende Nachfragen der Mobilität und die jahreszeitlich schwankenden Nachfragen im Bereich der Wärme mit der erneuerbaren Energie aus regionalen Quellen zusammengebracht werden.

Im Heizkraftwerk der Stadtwerke Erfurt soll Wasserstoff zur Erzeugung von Fernwärme genutzt werden. Etwa 40 Prozent der Einwohner Erfurts können anteilig und unmittelbar davon profitieren. Darüber hinaus sollen durch H2-Beimischung in das bestehende Erdgasnetz Haushalte in Inselnetzen mit grünem Wasserstoff versorgt werden.

Mittelfristig soll einer der größten Wirtschaftsstandorte Thüringens, das Industriegebiet am Erfurter Kreuz, sowie der Schienenverkehr eingebunden werden. Die geplante Anbindung an das deutsche und europäische H2-Backbone-Netz (EHB, European Hydrogen Backbone) ab 2030 unterstützt die langfristige unternehmerische Perspektive über die Grenzen Thüringens und Deutschlands hinaus. So werden der Standort Deutschland und insbesondere Thüringen durch das TH2ECO Projekt gestärkt.

Projektentwicklung von Elektrolyseanlagen
Wie sieht beispielhaft die Vorgehensweise in der Projektentwicklung von Elektrolyseuren aus?
Fromm: Bei der Umsetzung der Elektrolyseanlage von Green Wind wurde die Gemeinde vor Ort frühzeitig durch eine Vorstellung beim Bürgermeister, im Bauausschuss und in Gemeindevertretersitzungen aktiv eingebunden. Wie bei der Windenergie in Thüringen sind wir überzeugt, dass eine faire Einbindung der Gemeinde in die Projekte notwendig ist. Zusätzlich sind Absprachen mit relevanten Stakeholdern, wie den regionalen Wasserversorgern, aufgenommen worden, um eine umweltverträgliche Wasserversorgung zu gewährleisten.

Welche Vorteile entstehen am Standort der Elektrolyse?
Unser Ansatz ist es, die komplette Einspeiseenergie der Elektrolyseanlage zu nutzen. Daher ist neben der Erzeugung von grünem Wasserstoff die Auskopplung von Nahwärme vor Ort bei der Elektrolyseanlage vorgesehen. Ein hilfreiches Potential, da beim Betrieb kostengünstige Abwärme entsteht, die – lokal genutzt – ein hilfreicher Baustein bei der kommunalen Wärmewende ist, beispielsweise innerhalb eines kalten Wärmenetzes.

Gibt es über das Thema der Abwärme hinaus weitere Vorteile vor Ort?
Ja, definitiv: Wir sehen vor, dass am Standort der Elektrolyse eine Besuchsmöglichkeit und somit ein Ort der Wissenserweiterung und des Lernens entsteht. Durch die Präsenz vor Ort möchten wir ein erlebbares Praxisbeispiel entwickeln, das den so wichtigen Themen Energiewende und Sektorenkopplung die verdiente Sichtbarkeit verschafft.

 

Ein Wasserstoffkongress mit Tiefgang

Ein Wasserstoffkongress mit Tiefgang

Am 6. und 7. Juni 2023 hat das H2-Forum in Berlin stattgefunden – zwei Tage, die an Inhalt zum Themenkomplex Wasserstoff nichts an Argumenten und Sichtweisen vermissen lassen, was die Perspektiven des Supermoleküls in der Welt angeht. Es gab einerseits viel Kritik an der Umsetzung der ambitionierten Ziele in der Welt, an mancher Regulatorik und auch dem fehlenden Realitätssinn hinsichtlich der Zeitschiene der Umsetzung und Umsetzungsfähigkeit. Andererseits zeigte sich, dass die Perspektiven stimmen und besser nicht sein können.

CO2-Verringerung, die Dekarbonisierung, ist derzeit das oberste Ziel und viele technologische Wege führen dahin. Man kann auch sagen: der Weg ist das Ziel. Farbenspiele bezüglich der Produktionsart und der Energiequellen sollten demgegenüber – so die mehrheitliche Mehrheitsmeinung – in den Hintergrund treten.

Häufig wird der Inflation Reduction Act der Amerikaner angeführt, der unternehmerisch gedacht wird und die Unternehmen in die Lage versetzt, selbst zu entscheiden, welchen H2-Weg man geht und wie dies durch Förderprogramme genutzt werden kann. Auf die EU bezogen gibt es da einfach noch zu viel Dirigismus – sei es auf EU-Ebene wie auch auf nationaler. In meinen Worten: der große Wurf ist es noch nicht, was die EU in Sachen Wasserstoff auf den Weg bringt, wenn auch viele einzelne Maßnahmen zielführend sind. Man verliert sich leider noch in zu vielen Details. Der Kongress hat dazu interessante Aspekte geliefert.

Europa sei in vielerlei Hinsicht (technologisch) in führender Position – muss dies aber auch nach Möglichkeit bleiben, hieß es. Es gehe darum, wie die Nachfrage nach Wasserstoff definiert wird, aber auch in der Definition, wie Wasserstoff in verschiedenen Farben zum Einsatz kommen kann. Das grüne H2 ist das zielführende, aber halt lange – auf viele Jahre Sicht – nicht in den Mengen verfügbar, sodass der Übergang u.a. in blauem zu sehen ist.

Dazu kommt das notwendige Grundverständnis, wie und in welchen Märkten und Anwendungen Wasserstoff zum Einsatz kommen sollte. Die Politik – so mein Eindruck – sollte sich da heraushalten und es den Unternehmen selbst überlassen, wie und wo sie auf die Karte Wasserstoff setzen wollen, wobei Förderungen wie die in den USA mittels IRA (3 $ Zuschuss pro kg grünem H2) sinnvoll wären.

Das Grundverständnis für die Potentiale von Wasserstoff ist indes voll da und ausgeprägt, so sinngemäß ein Statement von Nils Aldag, dem CEO von Sunfire. Europa hat viel erreicht und man kann optimistisch sein. Lieferkettenprobleme müssten gelöst werden, bevor es in Sachen Wasserstoff richtig losgehen kann. Und Fachpersonal muss dringend ausgebildet werden – das Thema in die Universitäten bringen – denn das fehlt in ausreichender Zahl.

Ana Quelhas, zuständige Vorstandsfrau des portugisisch-spanischen Windparkkonzerns EDP (einer der größten der Welt) ist da nicht so optimistisch, da man auch viele Falschinformationen in Sachen Wasserstoff vernehmen könne und all die Erwartungen an diesen neuen Markt so nicht kompatibel seien, wenn man auf die Realitäten schaut. Da gibt es erst einmal viele Herausforderungen („a lot of challenges“), die es zu lösen gilt, u.a. was Zeitpläne und Abläufe für die Umsetzung angeht.

Politische Aspekte (Regulatorik) wie auch Fragen der Finanzierung dauern länger, als es viele Marktteilnehmer wünschen würden. Dazu kommt, so ein Vertreter von Nel Asa, dass man die Zulieferer gut einbeziehen muss (Lieferketten) und sich Fragen der Risikoübernahme in der Finanzierung bei Projekten stellt.

Daneben wurde darüber diskutiert, wie Wasserstoff über Ammoniak und Methanol auf der Langstrecke transportierbar gemacht wird und beide Chemikalien verstärkt in den Raffinerien zum Einsatz kommen werden. Die Lagerung von Wasserstoff in Salzkavernen und Porenspeichern in Kombination von Windparks und vor Ort einsetzbaren Elektrolyseuren als Kombinationsmodell zeigen einen guten Weg auf, so Dr. Wietfeld, CEO von Uniper Hydrogen. Da es sich seinen Worten zufolge um sehr komplexe Zusammenhänge handelt, müsse man erst einmal Erfahrungen sammeln und sich von einer gewissen Form der Naivität lösen, wie schnell das alles umgesetzt werden soll und kann. Da braucht man Abnahmeverträge und Power Purchasing Agreements (PPA). Klar sein aber: Things are moving in the right direction.

Auch der Handel von Wasserstoffderivaten wie Ammoniak muss neu entwickelt werden, wenn auch hier schon umfassende Erfahrung bei Ammoniak als Düngemittel vorhanden sind. Initiativen wie H2Global als Mechanismus für den subventionierten Einkauf von Wasserstoff aus der ganzen Welt (von außerhalb Europas) sind da eine gute Grundlage, so Wietfeld, der auch der CEO dieser Initiative ist.

Einerseits entwickelt sich die Art der Diskussionen rund um Wasserstoff positiv. Andererseits fehlen noch finale Investmententscheidungen für die Wasserstoffproduktion und den Handel. Leider warten noch viele/fast alle Player darauf, wer den Anfang macht, d.h. die Bereitschaft für den Wasserstoff auf Termin zu zahlen (PPA, offtaker u.a.) und sich für die Abnahme zu verpflichten. Uniper hat selbst einen solchen Offtaker mit der indischen Greenko abgeschlossen, wo der Kauf von Ammoniak preislich erst zu einem späteren Zeitpunkt bei Lieferfähigkeit dessen basierend auf allgemeinen Markt- und Benchmarkpreisen erfolgt.

Da Wasserstoff (grün bis gelb) noch keinen allgemeinen Marktpreis hat (wie Erdgas und Erdöl) und noch nicht als handelsbares Commodity gilt, ist dies sicherlich noch ein Hindernis, welches aber ausgeräumt wird, wenn sich hier der Weltmarkt entwickelt. Es verhält sich sogar exakt so, wie beim Hochlauf der erneuerbaren Energien wie Windkraft und Photovoltaik vor 20 Jahren – daraus sollte man Schlüsse ziehen, um den Kickstart zu beschleunigen.

Man sollte erst einmal mit vielen kleinen Projekten in der Welt starten, die dann nach oben skaliert werden können, als gleich immer auf Giga zu setzen. Auf jeden Fall ist viel mehr Pragmatismus von Nöten. Statt auf Klimawechsel „Climate Change“ und Untergangsszenarien als Grundlage für Wasserstoff zu setzen, sollte die Motivation mehr auf der Vermeidung von CO2 liegen – egal welche Farbe der Wasserstoff hat, wenn er nicht erdgasbasiert ist.

Kurzum: Alle Zutaten sind da, um Wasserstoff zum Höhenflug zu verhelfen – 63 % der Teilnehmer teilten diese Sicht.

Die französische Lyhfe wies darauf hin, dass gerade der auf dem Meer (offshore) erzeugte Wasserstoff mittels Windenergie und Meerwasser via Entsalzung das beste Potential besitzt – auch gegenüber onshore erzeugtem Windstrom. Der Vertreter von Air Liquide sieht allerdings viele Hürden beim Hochlauf. Technologieoffenheit sei extrem wichtig und da geben die USA ein gutes Beispiel ab, da sie es den Unternehmen selbst überlassen, wie sie die Förderprogramme in Sachen Wasserstoff für sich zu nutzen wissen.

In Europa verhält es sich leider noch so, dass die Politik dem Nutzer/Unternehmen Vorgaben macht, was man denn als richtig ansieht. Ein pragmatisches Beispiel: Aurubis, vertreten durch den Vorstand Gehrkens, ist die Nr. 1 in der Welt für das Recyclen von Kupfer. Hier sind die Kosten für Energie der entscheidende Standortfaktor. Kupfer hat seinen Weltmarktpreis, wo eben diese Energiekosten erheblich zu Buche schlagen und die Nutzung von CO2-freier Energie wie durch Wasserstoff sich rechnen müssen. Man investiert massiv darin und setzt auf technologische Verbesserungen, aber es geht immer auch um Märkte und Kosten. Da muss es sich rechnen, so Gehrkens, zumal der Strompreis in Deutschland zu den höchsten in der Welt zählt. Wasserstoff wird eine wichtige Rolle spielen, aber zu welchem Preis? Blauer Wasserstoff via Erdgasreformierung ist sehr wichtig und den Kohlenstoff kann man auch wieder industriell verwerten.

Man bedenke: In batterieelektrischen Kfz ist viermal so viel Kupfer wie in Verbrennern. In einem Windrad offshore finden 50 Tonnen Kupfer ihren Einsatz. Die Kosten der Verfügbarkeit von Energie (Wasserstoff) sind ein elementarer Anteil für das Unternehmen. Aktuell werden 20 Mio. Tonnen Kupfer pro Jahr in der Welt produziert – es sollen 57 Mio. Tonnen im Jahr 2035 werden. Auf die Weltmärkte bezogen wird es einen Wettbewerb um Wasserstoff geben, sodass Förderungen für den Bau der Infrastruktur wie im Fall der LNG-Terminals in Deutschland (diese H2-ready machen) unerlässlich sind. Wasserstoff wird sich wie LNG durchsetzen und LNG ersetzen.

Klar ist, dass die Gasnetze H2-ready gemacht werden müssen – neben dem Bau neuer Pipelines, in denen dann sogar 100 % Wasserstoff transportiert werden. Von 560.000 km in Deutschland gelten 500.000 als nutzbar – mit Innenbeschichtungen (Coating) aus einem Kunststoff, der keine Diffusion zulässt. Die Kosten des Transportes des Wasserstoffs müssen noch definiert werden. Vorschlag: Indien als Vorbild nehmen. Dort übernimmt der Staat die Transportgebühren via Pipeline. Und es geht auch um ein pan-European-Hydrogen-grid/backbone. Das Fitting müsste modernisiert werden wie auch manches Ventil und neue Kompressoren. Zudem stellt sich die Frage, an welchen Standorten sich die Etablierung von Elektrolyseuren am besten eignet.

Lkw & Schiene

Beim Einsatz von Wasserstoff im Nutzlastverkehr geht es vor allem um die Langstrecke. 600 bis 700 H2-Tankstellen gelten als ideale Basis für Europa. Dabei geht es um den Preis von Wasserstoff, die Verfügbarkeit, das Netz (Standorte) und die Regulatorik – u.a. CO2-Abgaben bei Diesel-Lkw bzw. Förderungen für batterieelektrische und wasserstoffbetriebene Lkw. Wichtig für die Logistik ist der Radius des Lkw, Tankzeit, Kosten. Wasserstoff dezentral zu produzieren (Wind- oder Solarpark mit angeschlossener Elektrolyse) und an H2-Tankstellen anzudocken (Trailer, Pipeline, mobile Tankstelle) sei ebenfalls eine interessante Option. Bei Zügen würden 150 bis 200 H2-Tankstellen reichen.

Fazit

Ein Kongress, der an Pragmatismus in Sachen Wasserstoff nichts vermissen lässt und klar aufzeigt, was wie besser gemacht werden könnte bzw. was noch schlecht läuft im Hochlauf. Die Politik sollte sich mit den Ergebnissen konstruktiv auseinandersetzen und diese am besten auch umsetzen. Der Worte sind genug gewechselt – die Welt schläft nicht.

www.h2-forum.eu

Autor: Sven Jösting

Enapter eröffnet Elektrolyseurfabrik in Saerbeck

Enapter eröffnet Elektrolyseurfabrik in Saerbeck

In der Klimakommune Saerbeck bei Münster in Nordrhein-Westfalen ist im Mai 2023 ein AEM-Megawatt-Elektrolyseur in Betrieb genommen worden. Nach Aussage des Herstellers Enapter handelt es sich hierbei um die „weltweit erste“ Anlage dieser Art. Vaitea Cowan, Co-Founderin und CCO bei Enapter, erklärte: „Mit dem Multicore leitet Enapter eine neue Ära im Bereich umweltfreundlicher Lösungen für […]
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Deutscher Maschinenbau kann Elektrolyse

Deutscher Maschinenbau kann Elektrolyse

So groß war die Hydrogen + Fuel Cells Europe noch nie – auch nicht in den besten Zeiten der Hannover Messe. Mehr als 270 Aussteller präsentierten in der Energy-Halle 13 am Eingang West ihre Produkte, und zahlreiche Besucher tummelten sich an den Ständen, auf den Gängen sowie auf den Foren. Auf dem gesamten Messegelände zeigten mehr als 500 Aussteller H2– und BZ-Technologie, allerdings war es in den anderen Hallen weitaus leerer als auf dem orangefarbigen Teppich von Organisator Tobias Renz. Wasserstoff zählte laut der Deutschen Messe AG neben künstlicher Intelligenz und Energiemanagement in diesem Jahr „zu den Kernthemen der Hannover Messe“ und trug damit wesentlich dazu bei, dass 130.000 in die niedersächsische Metropole kamen.

Die Stimmung war gut und das Interesse groß – sowohl bei den Ausstellern als auch bei den Besuchern. Die Standgrößen der Hydrogen + Fuel Cells Europe reichten zwar bei weitem nicht an die Quadratmeterzahlen auf dem World Hydrogen Summit in Rotterdam oder an frühere Jahre, wo Energieversorger und Windkrafthersteller riesige doppelstöckige Messebauten präsentierten, heran. Aber insgesamt buchten relativ viele bislang unbekannte Unternehmen vom 17. bis zum 21. April eine Präsenz bei Tobias Renz und belegten auch vergleichsweise große Flächen.

Prominente Besucher

Mehr als 100 politische Delegationen aus mehr als 50 Ländern fanden in diesem Jahr den Weg an die Leine. Neben Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit dem indonesischen Präsidenten Joko Widodo die Messe eröffnete, kamen zahlreiche Delegationen aus ganz Europa, Argentinien, Mexiko, Kanada, Japan, China, den USA und Indien. Speziell Europa-Politiker aus Brüssel waren so stark vertreten wie nie zuvor.

Beeindruckend war, dass viele dieser ranghohen politischen Vertreter auch auf den rund 10.000 m2 (Bruttofläche) der H2– und BZ-Messe erschienen. Bemerkenswert war beispielsweise der Besuch zahlreicher VertreterInnen des SPD-Präsidiums. Neben dem Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil und der Parteivorsitzenden Saskia Esken waren auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, die Europa-Abgeordnete Katarina Barley, Generalsekretär Kevin Kühnert, Serpil Midyatli sowie aus der SPD-Fraktion der H2-Verantwortliche Andreas Rimkus vor Ort. Klingbeil betonte gegenüber HZwei, Wasserstoff sei ein „großes Thema einer aktiven Industriepolitik“.

Bundeskanzler Olaf Scholz kam zwar nur bis in die Halle 12, aber über NOW-Chef Kurt-Christoph von Knobelsdorff ließ er ausrichten: „Wir werden uns noch wundern, wie schnell die Skalierung dann geht, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.“ Seitens des Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands e. V. hieß es dazu: „Die Hersteller sind bereit, die Technologien sind vorhanden. Was jetzt fehlt, sind die regulatorischen Rahmenbedingungen, die einen investitionssicheren Hochlauf garantieren – so wie beispielsweise das EEG.“

H2Eco Award geht an TH2ECO

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erschien am zweiten Tag auf dem Messegelände und überreichte unter anderem den H2Eco Award, der zum zweiten Mal gemeinsam vom Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV) e.V. und der Deutsche Messe AG ausgeschrieben worden war. Auf dem Public Forum der Hydrogen + Fuel Cells Europe händigte Habeck den mit 5.000 Euro dotierten Preis an Kilian Fromm von der Green Wind Innovation GmbH & Co. KG aus, und zwar für deren TH2ECO-Projekt, das ab Seite 14 ausführlich vorgestellt wird.

„Als systemischer Bestandteil ist Wasserstoff bei der Sektorenkopplung nicht wegzudenken. […] Insgesamt nimmt das System wieder Fahrt auf. […] Nutzen Sie diese Dynamik. Tut euch zusammen und macht was Cooles daraus. […] Bei Elektrolyseuren sind wir ganz vorne mit dabei. Der deutsche Maschinenbau kann Elektrolyse.“

Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck

Bemerkenswerte Aussagen

Im Laufe der fünf Messetage fielen während der zahlreichen Gespräche, Präsentationen und Podiumsdiskussionen etliche erwähnenswerte Äußerungen. So erklärte Dr. Gerald Linke vom DVGW öffentlich, dass nach seiner Kenntnis die Gasnetze zeitnah H2-ready seien, aber auf der Verbraucherseite noch etliches zu tun sei. Bislang hieß es, dass in zahlreichen Abschnitten nur 2 Vol.-% Wasserstoff im Gasnetz möglich seien – maximal 10 Vol.-%. Einschränkende Faktoren seien sowohl Anwender wie Industrie und Erdgastankstellen, aber auch alte Stahlrohre, so die bisherige Sprechweise. Dass die Gasinfrastruktur als „H2-fähig“ bezeichnet wird, ist neu und bedarf daher noch einer gewissen Konkretisierung.

Eine ähnlich weitreichende Bemerkung machte Kurt-Christoph von Knobelsdorff, indem er durchblicken ließ, dass nicht krampfhaft an einer Energieimportquote von 70 Prozent festgehalten werden müsse. Bislang werden mehr als zwei Drittel des deutschen Energiebedarfs mittels fossiler Energieträger aus dem Ausland herantransportiert. Bislang hieß es, dass auch in einer zukünftigen Wasserstoffwirtschaft weiterhin ähnlich viel Energie importiert werden solle. Wenn sich allerdings der heimische Markt besser als erwartet entwickeln sollte, könnte diese Quote auch niedriger liegen, so der NOW-Geschäftsführer in Hannover.

Direkt davor hatte Dr. Tobias Bischof-Niemz vorgerechnet, dass zwei Drittel des deutschen Primärenergiebedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden könnten – die eine Hälfte davon per Elektrizität, die andere per Wasserstoff. Somit müsste nach Aussage des Enertrag-Bereichsleiters nur etwa ein Drittel des Gesamtbedarfs in Form von Wasserstoff importiert werden, was jedoch Dr. Linke – erwartungsgemäß – so nicht stehen lassen wollte.

Bischof-Niemz erläuterte weiterhin, dass es eine „merkliche Diversifizierung“ geben werde und Enertrag „Verbundkraftwerke auflegen“ wird. Etwa 40 bis 60 dieser Verbundkraftwerke könnten bundesweit aufgebaut und über ein Einsammelnetz, in das große Solar- und Windparks einspeisen, miteinander verbunden werden. Betreiber dieser Kraftwerke werden voraussichtlich Projektierer wie Enertrag oder GP Joule sein, aber eventuell auch Energieversorger oder Elektrolyseurhersteller.

Interessante Informationen drangen auch aus den auf EU-Ebene geführten Clean-Room-Gesprächen der Nfz-Industrie nach außen. Demnach wird erwartet, dass 2030 bereits 25 Prozent der Neufahrzeuge Zero-Emission-Vehicles sein werden – ein Viertel davon Fuel-Cell-Electric-Vehicles.

Ein voller Erfolg

Entsprechend positiv fiel das Resümee von Dr. Jochen Köckler, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Messe AG, auf der Abschlusspressekonferenz aus: „In den Messehallen war die industrielle Transformation live erlebbar.“ Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), konkretisierte: „Klimaschutz und Nachhaltigkeit stehen in der ganzen Welt inzwischen ganz oben auf der Agenda der Industrie. Um die angestrebte Klimaneutralität zu erreichen, braucht es neue, intelligente Technologien und Lösungen für eine ressourcenschonende und effiziente Produktion quer durch alle Lebensbereiche. Gerade hier auf der Hannover Messe haben wir das große Interesse der Kunden an den Lösungen gespürt, die der Maschinen- und Anlagenbau dafür bereitstellt. Deshalb war die Messe für unsere Branche in diesem Jahr ein voller Erfolg.“

Modell für eine fossilfreie Energiezukunft

Modell für eine fossilfreie Energiezukunft

Seit einiger Zeit macht eine kleine Gemeinde in Nordfriesland energietechnologisch von sich reden, denn die energetische Versorgung des neuen Wärmenetzes von Bosbüll ist alles andere als Standard. Durch ein Power-to-X-Konzept und eine dreifache Sektorenkopplung bleiben die Ü20-Wind- und Solaranlagen auch im Post-EEG-Betrieb rentabel, während die Wärmeversorgung der 250-Seelen-Gemeinde gesichert bleibt. Das nordfriesische Leuchtturmprojekt zeigt, wie grüne Energiezukunft intelligent geschrieben werden kann.

Am 8. September 2021 hat die nordfriesische Gemeinde nahe der dänischen Grenze das erste Power-to-Heat-Wärmenetz (PtH) Schleswig-Holsteins mit einem „Wärmefest“ feierlich eröffnet. Doch schon vor der Einweihung profitierten die bereits angeschlossenen Haushalte und ein landwirtschaftliches Großunternehmen von dem neuen, 2.680 Meter langen Fernwärmenetz.

Startpunkt war die Heizzentrale, die die Yados GmbH, die für die technische Realisierung der PtH-Lösung und das Leitsystem verantwortlich zeichnet, konstruiert und in Bosbüll aufgestellt hat. Die in einer 60 Tonnen schweren Betonzelle untergebrachte Energiezentrale steht direkt neben dem ersten Abnehmer, einer Muttersauenzucht. In unmittelbarer Nähe der Energiezentrale hat auch eFarm seinen Sitz, an den das Wärmenetzsystem sektorengekoppelt ist. In etwa einem Kilometer Entfernung erreicht das neu ausgebaute Wärmenetz die 25 Bosbüller Haushalte, die in der ersten Bauphase angeschlossen wurden. Weitere private und gewerbliche Abnehmer sollen in einem zweiten Schritt folgen.

Vom Post-EEG-Betrieb zur energietechnologischen Blaupause

Zwei Bürgerwind- und -solarparks liefern seit Jahren elektrische Energie für die Gemeinde Bosbüll. Das hat ökonomische Vorteile zum einen für die BürgerInnen, die an den Parks finanziell beteiligt sind, und zum anderen für die Gemeinde selbst, die durch die Gewerbesteuereinnahmen zahlreiche neue Projekte finanzieren kann. So bleibt die Wertschöpfung in der Region und trägt zu deren ökonomischer Stabilität bei. Ende 2021 lief die EEG-Förderung für zwei der Windenergieanlagen aus, weitere fallen in den kommenden Jahren aus dem Förderrahmen heraus. Auch der Solarpark verliert seine Bezuschussung Ende des Jahrzehnts. Doch mit dem Power-to-X-Projekt, das die Sektoren Stromerzeugung, Wärmebereitstellung und Kraftstoffproduktion koppelt, bleiben die alternativen Energiequellen weiterhin wirtschaftlich, und die Gemeinde profitiert durch eine zukunftsweisende ökologische und ökonomische Versorgungslösung.

BAFA-Förderung – kompliziert, aber lohnend

Um den Förderantrag beim BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) zu stellen, wurden die Bosbüll Energie GmbH und die Bosbüll Energie GbR gegründet. Da die Gemeinde laut schleswig-holsteinischem Kommunalrecht nicht an einer GbR beteiligt sein darf und gleichzeitig Energieerzeuger und Energieverbraucher in einer Hand sein müssen, war die Kommune gezwungen, aus der eigentlich geplanten Teilhabe selbst auszusteigen. Nach langen, umfangreichen Planungsarbeiten konnte der Antrag für das Förderprogramm „Wärmenetzsysteme 4.0“ des BAFA schließlich gestellt werden, und das mit lohnendem Ergebnis: Von 1,9 Mio. Euro Aufwand sind 1,6 Mio. Euro förderfähig.

Verantwortlich für die Konzeption, Planung und Umsetzung des Verbundprojekts ist die GP Joule GmbH. Die Zusammenarbeit mit Akteuren in der Gemeinde hat bereits 2009 begonnen, als das nordfriesische Unternehmen den Solarpark projektiert und gebaut hat. Seitdem ist es für die technische Betriebsführung zuständig. Darüber hinaus ist GP Joule zusammen mit dem Windpark Bosbüll Gesellschafter der Bosbüll Energie GmbH und als Initiator für das Wasserstoffprojekt eFarm zuständig.

Mit Power-to-Heat ins Wärmenetz

Das PtX-Projekt steht auf zwei Säulen: Zum einen sorgt eine ausgeklügelte Power-to-Heat-Lösung über Luft-Wasser-Wärmepumpen für die Wärmeversorgung via eigenes Fernwärmenetz, und auf der anderen Seite produziert eine Power-to-Gas-Anlage Wasserstoff für ein überregionales H2-Mobilitätskonzept.

Um den jährlichen Bedarf der angeschlossenen Haushalte mit insgesamt rund 500 MWhtherm und des landwirtschaftlichen Großbetriebs mit etwa 600 MWhtherm zu decken, stehen in Bosbüll drei vorlaufgeregelte Luft-Wasser-Wärmepumpen. Sie wandeln den regenerativ erzeugten Strom aus den Bürgerenergieparks mit einer Gesamtleistung von 240 kW in Wärmeenergie für das Wärmenetz um. Ein Elektroheizeinsatz mit einer Leistung von 750 kW ergänzt die thermische Energie, indem er in einem 14 Meter hohen und 84 Kubikmeter großen Speicher Wasser erhitzt. Auf diese Weise kann die Energie bis zu vier Wochen zwischengespeichert werden. In der Energiezentrale stehen darüber hinaus ein Hoval-Max-3-Gasheizkessel zur Spitzenlastabdeckung sowie eine Hydraulikstation zur Wärmeverteilung bereit.

Ist die Hydraulik im Fluss, ist die Anlage in Balance

Um das Maximum an Effizienz bezogen auf das gesamte thermische Energiesystem zu erreichen, müssen die beteiligten Erzeuger und Verbraucher aufeinander abgestimmt und möglichst nah an ihrem jeweiligen Wirkungsgradoptimum betrieben werden. Hierfür ist die Hydraulikstation des in Hoyerswerda ansässigen Unternehmens Yados zuständig: Sie optimiert zum einen das Zusammenwirken von Energieerzeuger, Wärmeerzeuger, Wärmespeicher und Wärmeverteiler. Zum anderen stellt die Hydraulikstation grundsätzlich sicher, dass thermische Energie zur geplanten Zeit in der gefragten Menge am richtigen Ort zur Verfügung steht – und das Ganze unter Verwendung möglichst geringer Antriebsenergie.

Außerdem bindet sie nicht nur den Wärmespeicher so ins System ein, dass nur Lade- und Entladevolumenströme durch den Speicher fließen, sondern verbessert auch die Schichtung der Temperaturen. Für den bedarfsgerechten Fernwärmenetzbetrieb sind niedrige Rücklauftemperaturen maßgeblich. Sie beeinflussen nicht nur die Volumenströme, die Übertragungskapazität und den elektrischen Pumpenaufwand, sondern minimieren auch gleichzeitig Strömungs- und Wärmeverluste. Die Vorlauftemperatur liegt bei 70 bis 85 °C, während die Rücklauftemperatur etwa 50 bis 55 °C beträgt.

Smarte Anlagensteuerung

Ein weiterer wichtiger Punkt, um das hohe Effizienzpotenzial eines intelligenten Sektorenkopplungskonzepts vollumfänglich ausschöpfen zu können, ist eine gut abgestimmte Mess-, Steuer- und Regelungstechnik (MSR). Sie übernimmt die komplexe Aufgabe der exakt aufeinander abgestimmten Systemintegration aller am Prozess beteiligten Komponenten. Die ostdeutschen Wärmenetzspezialisten haben hierfür das Leit- und Kommunikationssystem YADO|LINK installiert. Um die wichtigsten Anlagenparameter direkt zu koordinieren, regelt und vernetzt das Steuersystem neben sämtlichen Anlagen der Energiezentrale auch die Wärmeübergabestationen und ihre eingebauten DDC-Regler. Auf einem großflächigen und bedienerfreundlich eingerichteten 21,5-Zoll-Display können die Zuständigen durch das Prinzip des Echtzeit-Monitorings alle anlagenrelevanten Daten und Informationen abrufen und einsehen: Temperaturen, Drücke, Störmeldungen usw. Um die Installation und die Inbetriebnahme der Steuertechnik so einfach wie möglich zu gestalten, lieferten die Ingenieure das Ganze in zwei kombinierbaren Schaltschrankgehäusen fertig vormontiert und verdrahtet in Bosbüll an.

Sicherheit und Effizienzverbesserung durch MSR-Technologie

Die Leittechnik dient generell als Koordinationsinstrument aller dezentralen Erzeugungs-, Verteil- und Übergabeprozesse von Wärmeenergie, Strom und Kälte. Zu ihrer Aufgabe gehört es, den gesamten Anlagenbetrieb nach definierten Soll-Vorgaben zu realisieren. Hierzu erfasst ein automatisiertes Echtzeit-Monitoring alle relevanten Daten und wertet diese schließlich aus. Kommt es auf der Verbraucher- oder der Erzeugerseite zu Abweichungen, greift die Regelungsfunktion und passt den entsprechenden Betrieb der betroffenen Komponente an.

Vernetzte Sensoren, Aktoren und modulare Regelungseinheiten liefern dem Leitsystem die hierfür erforderlichen Informationen. Dabei wird eine Vielzahl komplexer Funktionsabfragen verarbeitet. Im akuten Bedarfsfall kann so automatisiert oder manuell regulierend in laufende Produktions-, Speicher- oder Verteilvorgänge eingegriffen werden. Diese Bedarfsfälle treten nicht nur bei technischen Störungen, in Ausfallsituationen oder bei plötzlich veränderten Leistungsabfragen ein, auch die äußeren Bedingungen wie eine unvorhergesehene Hitzewelle oder ein spontaner Temperatursturz können dazu führen.

Eine strategische Optimierung der Anlagenführung ist ebenfalls durch eine kontinuierliche Auswertung aller systemimmanenten Soll- und Ist-Werte möglich, indem sich aus den gesammelten Informationen wiederkehrende Trends oder auch langfristige Vorhersagen ableiten lassen. MSR-Systeme der neuesten Generation gelten als wichtige Stellschraube für die weitere Effizienzverbesserung in der Energieversorgung.

Darüber hinaus kann die Leittechnik zur Stabilisierung und zu einem höheren Komfort bei der Wärmebereitstellung beitragen. Der Primärenergieeinsatz lässt sich durchschnittlich um acht bis zehn Prozent (in besonders nutzungsintensiven Fällen auch um bis zu 30 Prozent) durch die systembasierte Überwachung und Steuerung der Anlagenfahrweise und durch die Ausregelung der Rücklauftemperaturen per MSR-Technologie senken.

Wärmeübergabestationen für stabile Netzführung

Neben einer intelligenten übergeordneten Anlagensteuerung sind für den optimalen Betrieb eines Fernwärmenetzes die Wärmeübergabekomponenten von zentraler Bedeutung. In der kleinen nordfriesischen Gemeinde verbinden Smart-Home-fähige Wärmeübergabestationen die Gebäudeheizungsanlagen der Verbraucherseite mit dem Fernwärmenetz. Sie übertragen als regulierende Verbindungseinheit, hydraulisch durch einen Plattenübertrager getrennt, das Wärmemedium abhängig von Bedarf, Temperatur und Druck. Eine in den Übergabestationen verbaute Direct-Digital-Control-Regelung (DDC) berechnet dabei die erforderlichen Vorlauftemperaturen unter Einbezug aller relevanten – externen und individuell definierten – Parameter wie Witterungsverhältnisse oder Zeit- und Komfortvorgaben der Nutzer. In Planung sind weitere zusätzliche Anpassungen der Heizsysteme auf Seite der Verbraucher. Darüber hinaus sorgen in der nordfriesischen Kommune maximal gedämmte Rohre dafür, die Wärmeverluste im Fernwärmenetz so niedrig wie möglich zu halten.

Mit Power-to-Gas auf die Straße

Die Energie der Bürgerwind- und -solarparks dient neben dem Betrieb des Fernwärmenetzes auch der Produktion von grünem Wasserstoff. Dieser ist unverzichtbar für die langfristige Dekarbonisierung der Sektoren Mobilität, Wärme und Industrie. Der in Bosbüll produzierte Wasserstoff wird zur Betankung von Wasserstofffahrzeugen genutzt.

Die Power-to-Heat-Anlage erhält durch den Anschluss an das eFarm-Projekt die ideale Ergänzung durch ein Power-to-Gas- bzw. Power-to-Fuel-Konzept. Dieses nachhaltige H2-Mobilitätsprojekt zielt auf eine modular erweiterbare Wasserstoffinfrastruktur im Kreisgebiet Nordfriesland. Von den dort mittlerweile installierten fünf Polymer-Elektrolyt-Membran-Elektrolyseuren (PEM) stehen zwei in Bosbüll. Die beiden generieren mit einer Gesamtleistung von 450 kW insgesamt täglich etwa 200 kg Wasserstoff aus dem regional erzeugten Solar- und Windstrom.

Dabei spaltet der Elektrolyseur mithilfe des elektrischen Stroms auf der Anodenseite seiner Elektroden destilliertes Wasser in Sauerstoff, freie Elektronen und positiv geladene H+-Ionen. Die H+-Ionen diffundieren durch die protonenleitende Membran auf die Kathodenseite, wo sie mit den Elektronen zu Wasserstoff werden.

Der Wirkungsgrad der Elektrolyseure in Bosbüll liegt bei bis zu 95 Prozent. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Abwärme der H2-Erzeugung (etwa 100 MWhtherm) dem Wärmenetz zugeführt bzw. im Wärmespeicher zwischengepuffert wird. Der grüne Wasserstoff wird nach seiner Produktion an zwei H2-Tankstellen in Niebüll und Husum transportiert. Eine Verdichtungsanlage sorgt für die benötigten Betankungsdrücke von 350 bar für Busbetankungen und andere Nutzfahrzeuge mit 350-bar-Tanks und 700 bar für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.

Zwei im Rahmen des Projektes angeschaffte Brennstoffzellen-Busse des öffentlichen Personennahverkehrs nutzen die bei der Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff freigesetzte Energie als Antriebsenergie. Dabei reicht eine Tankfüllung der Busse für 400 Kilometer, was einem regulären Betriebstag im Linienverkehr entspricht. Neben den beiden Linienbussen wurden auch 30 Pkw mit Brennstoffzellenantrieb im Projektvolumen verankert. Diese werden nach und nach an die neuen Besitzer übergeben. Neu hinzugekommen ist eine Fahrschule aus dem Kreisgebiet, die nun statt zweier Dieselfahrzeuge zwei BZ-Fahrzeuge für ihren Fahrunterricht nutzt. Bei den Pkw reicht eine Tankfüllung für bis zu 600 Kilometer und kostet rund 60 Euro.

Gezielte Nutzung von Ausfallarbeit

Ein großes Problem der Erzeugung regenerativer Energie ist und bleibt es, Energien aus Sonne, Wind und Wasser in größeren Mengen und über längere Zeit zu speichern. Durch volatile Leistungsspitzen und negative Residuallasten aus alternativen Energiequellen erhöht sich der Bedarf an Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen wie den Einsman-Schaltungen, die auch als Einspeisemanagement bezeichnet werden und in § 14 EEG 2021 geregelt sind. Die durch diese Zwangsabregelungen verloren gegangene Energie, die sogenannte Ausfallarbeit, erreichte in Deutschland im Jahr 2021 die enorme Summe von 6,1 TWhel.

Um dieses große Dekarbonisierungspotenzial zu nutzen, wandeln PtX-Projekte die überschüssige regenerative Energie in elektrische Wärme bzw. thermische Last oder einen anderen Energieträger, wie in diesem Fall Wasserstoff, um. Auch das Energiekonzept von Bosbüll nutzt gezielt bevorzugt die Überschusserträge aus den Wind- und Solarparks, die sonst zu einer Überlastung des Netzes und damit zu Abregelungen führen würden. So dient die ansonsten überschüssige Energie dazu, die BürgerInnen warm zu halten und für ihre Mobilität zu sorgen.

Vielversprechende Energiezukunftsmusik

Und es geht noch weiter: Die Gemeinde Bosbüll ist aktuell dabei, für dieses Jahr ein weiteres Baugebiet auszuweisen, in dem das neue regenerativ betriebene Wärmenetz vorverlegt werden soll. Und aufgrund der aktuellen welt- und geopolitischen Entwicklungen häufen sich bei Ingo Böhm, dem Bürgermeister von Bosbüll, die Anfragen nach weiteren Haushaltsanschlüssen an das neue Wärmenetz. Auch der Bau einer weiteren Freiflächen-Photovoltaik-Anlage 2023 ist planmäßig bereits in trockenen Tüchern. Die Energie der Anlage wird vor allem in die Wasserstoffproduktion fließen. Darüber hinaus sollen in der nächsten Zeit zehn weitere wasserstoffbetriebene BZ-Busse des öffentlichen Personennahverkehrs angeschafft werden.

Das Modell Bosbüll ist ein Leuchtturmprojekt, das gerade in diesen Zeiten, in denen die schnellstmögliche Dekarbonisierung oberste Priorität hat, als Blaupause für die Energiekonzepte anderer Kommunen dienen kann. Allein durch die Power-to-Heat-Anlage konnte die nordfriesische Gemeinde 180.000 Liter Heizöl jährlich einsparen. Darüber hinaus haben lokale Energiebezugslösungen immer auch den Vorteil einer weitgehenden Marktunabhängigkeit – und zwar nicht nur bezogen auf die Versorgungssicherheit, sondern auch auf den Schutz vor Preisvolatilität. Und nicht zu vergessen: Die aus dem Projekt resultierende Wertschöpfung bleibt in der Kommune und kommt allen Bürgern zugute.

Um die Effizienz solch gekoppelter regenerativer Energiesysteme auf einem hohen Niveau zu halten, spielen die Qualität des Gesamtsystems und das über die Steuerungstechnologie gelenkte Zusammenspiel der einzelnen Komponenten eine enorme Rolle. Die Kombination aus regenerativ erzeugter elektrischer und thermischer Energie und smarten Speicher- und Verteilkonzepten ist sicherlich eines der Zugpferde, die zu einem schnellen Gelingen der Energiewende beitragen können.

Erstveröffentlichung des Artikels in der Zeitschrift bbr Leitungsbau|Brunnenbau|Geothermie.

Autor:Martin Gentner, YADOS GmbH, Hoyerswerda

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