Ein riesiger Hebel, den es nun zu nutzen gilt

Ein riesiger Hebel, den es nun zu nutzen gilt

Kürzlich hat die Bundesregierung den Entwurf für eine Richtlinie zu Klimaschutzverträgen, auch Carbon Contracts for Difference (CCfD) genannt, vorgelegt. Wer seine Produktion klimafreundlich macht, soll auf der Basis eines 15-jährigen Vertrags zwischen Staat und Betrieb sowohl Geld für Investitionen als auch jährlich Mittel für die teurere grüne Produktion bekommen. Ziel der Maßnahme ist vor allem, die Umsetzung zu ermöglichen und zu beschleunigen. Interessant ist dieses Instrument unter anderem für die Transformation der Industrie in Richtung einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Dr. Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender der MAN Energy Solutions, bewertet das Instrument aus Sicht eines Anlagenherstellers.

HZwei: Wie bewerten Sie diesen Aufschlag zu Klimaschutzverträgen aus der Bundespolitik?

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Dr. Lauber: Wir sehen die von der Bundesregierung geplanten Klimaschutzverträge als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Der deutsche Industriesektor hat 2021 120 Mio. Tonnen CO2 ausgestoßen. Hier hat die Politik einen riesigen Hebel, den es nun zu nutzen gilt. Wichtig ist, dass Unternehmen, die auf CO2-ärmere oder CO2-freie Technologien umsteigen, in einem marktkonformen Rahmen vor wirtschaftlichen Nachteilen geschützt werden. Die geplanten Klimaschutzverträge geben eine solche Perspektive, werden sich aktuell aber nur auf einige wenige Industrieunternehmen beschränken.

Unter anderem muss laut Entwurf nach zwei Jahren die geförderte Anlage im Vergleich zur herkömmlichen Technologie eine CO2-Ersparnis von 60 Prozent erzielen. Zudem wird gefordert, mit der eingesetzten Technologie oder dem Energieträger theoretisch eine Reduktion um 95 Prozent zu ermöglichen. Inwieweit sehen Sie die Vorgaben als realistisch an? Sind diese zu hochgesteckt oder könnten sie sogar noch ambitionierter sein?

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Technologisch ist diese Zielerreichung möglich, denn die Technologien zur CO2-Vermeidung liegen bereits vor und sind ausgereift. Wichtig ist, dass die Messlatte mit Augenmaß und wirtschaftlichem wie technischem Sachverstand gelegt wird. Entscheidend für die deutsche Volkswirtschaft ist im Moment, dass es endlich gelingt, industrielle Großprojekte auf den Weg zu bringen – etwa im Bereich der Wasserstoffwirtschaft, synthetischen Kraftstoffe oder der CO2-Abscheidung.

Welche weiteren Verbesserungsvorschläge für den Richtlinienentwurf haben Sie?

Der aktuellen Fassung zufolge werden nur einige wenige große Industriebetriebe von den Klimaschutzverträgen profitieren. Das ist sinnvoll, um Erfahrungen mit dem neuen Instrument zu sammeln und Projekte mit besonders großer Hebelwirkung vorrangig anzustoßen. Mittelfristig müssen Klimaschutzverträge aber auch für kleine und mittelgroße Industrieunternehmen möglich werden. Wir dürfen zudem nicht aus den Augen verlieren, dass ein wirkungsvoller CO2-Preis nach wie vor der bedeutendste und marktgängigste Hebel ist. Derzeit ist aber der Preis deutlich zu niedrig.

Wie wichtig ist das Thema Geschwindigkeit? Wie schnell sollte die Richtlinie in Kraft gesetzt werden?

Die Zeit läuft uns davon und wir müssen endlich anfangen, klimafreundliche Technologien in industriellen Größenordnungen umzusetzen. Nur so können wichtige Betriebserfahrungen gewonnen und vor allem Skaleneffekte erzielt werden, die lang- und mittelfristig zu Kostensenkungen und Wettbewerbsvorteilen führen und letztlich gut bezahlte Industriearbeitsplätze sichern und schaffen. Die aktuellen Pläne der Bundesregierung zu Klimaschutzverträgen sind ein Schritt in die richtige Richtung.

Details des Entwurfs zu Klimaschutzverträgen (Carbon Contracts for Difference, CCfD)

Laut dem Ende vergangenen Jahres vorgelegten Entwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hinsichtlich einer Förderrichtlinie sollen sich Unternehmen in Ausschreibungen für Klimaschutzverträge bewerben können.

•           Dabei handelt es sich um Verträge zwischen dem Staat und einem Unternehmen für die klimafreundliche Produktion eines Gutes. Dies gilt etwa für den Wechsel vom Hochofen auf die Direktreduktion mit Wasserstoff in der Stahlerzeugung.

•           Solch ein Vertrag garantiert dem Unternehmen für einen Zeitraum von 15 Jahren eine Ausgleichszahlung, die es für die höheren Kosten der klimaneutralen Produktion entschädigt. Gleichzeitig sichert er das Unternehmen gegen Schwankungen des CO2-Preises und andere Risiken ab.

Die Umsetzung soll an diverse Kriterien gebunden sein:

•           Für das Vorhaben muss grüner oder blauer Wasserstoff als Energieträger vorhanden sein bzw. muss der eingesetzte Strom aus erneuerbaren Energien stammen.

•           Wer einen Vertrag abschließt, ist gefordert, seine Anlage innerhalb von zwei Jahren in Betrieb zu nehmen.

•           Die CO2-Ersparnis im Vergleich zu herkömmlichen Technologien muss nach zwei Jahren bei 60 Prozent liegen, und mit der eingesetzten Technologie oder dem Energieträger muss theoretisch eine Reduktion um 95 Prozent möglich sein.

•           CO2-Zertifikatepreis als Gradmesser: Laut Entwurf endet die staatliche Förderung dann, wenn während der Vertragslaufzeit der tatsächliche CO2-Preis den bei Abschluss zugrundeliegenden Preis übersteigt.

•           Der Einsatz von Biomasse soll nur in Ausnahmefällen förderfähig sein.

Inwieweit gehen Sie davon aus, dass diese Fördermaßnahme dazu geeignet ist, Projekte im Bereich grüner und blauer Wasserstoff konkret anzureizen? Wie würde sich der Markt ohne solche Maßnahmen entwickeln?

Die spannende Frage ist: Wie vermeidet man das sogenannte Henne-Ei-Dilemma, bei dem potenzielle Hersteller von Wasserstoff ihre Investition an eine gesicherte Nachfrage knüpfen, die potenziellen Abnehmer ihre aber wiederum an ein gesichertes Angebot. Hier können Instrumente, die entsprechende Investitionen anregen, helfen.

Unter anderem soll auch die CO2-Verpressung im Untergrund gefördert werden. Wie bewerten Sie diese Maßnahme? Welche Potenziale sehen Sie hier etwa in puncto Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit, auch im Vergleich zu Wasserstoff?

Wasserstoff und Carbon-Capture-Technologien (CCUS) gehen ein Stück weit Hand in Hand. CCUS ist nicht nur unverzichtbar, um unvermeidbare Restemissionen zu eliminieren, sondern die Technologie kann auch die Basis einer CO2-Kreislaufwirtschaft bilden, die die Abscheidung, anschließende Nutzung und erneute Abscheidung von CO2 sicherstellt − eine Art Pfandsystem. CO2 ist beispielsweise ein wichtiger Rohstoff, um grünen Wasserstoff in dringend benötigte synthetische Kraftstoffe umzuwandeln.

Welche Chancen eröffnet das Instrument für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau, etwa beim Bau von Elektrolyseuren?

Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau ist bereits führend bei der Wasserstoff- und auch CCUS-Technologie. Auch die vielfältige Industriedichte in Deutschland bietet optimale Voraussetzungen, um Deutschland als Klimachampion und Vorreiter zu positionieren. Die Gefahr ist aber groß, dass andere Länder und Regionen uns überholen, und das liegt vor allem daran, dass die bürokratischen Verfahren für die Umsetzung von konkreten Projekten viel zu langwierig sind. Da sind andere Länder deutlich effektiver, effizienter und dadurch auch schneller.

Inwieweit erfüllen Ihre Anlagen die Vorgaben der Richtlinie?

Wir bieten bereits eine Vielzahl von Technologien an, die Industriekunden helfen, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Unter anderem haben wir beträchtlich in unser Tochterunternehmen H-Tec Systems investiert, um das Unternehmen in den nächsten Jahren zu einem der Top-3-Anbieter für Elektrolyseure zur Erzeugung von grünem Wasserstoff zu entwickeln. Schon heute bietet H-Tec Systems das sogenannte Hydrogen Cube System (HCS) an, ein modulares Baukastensystem, um große PEM-Elektrolyseanlagen im Bereich 10 bis 100 MW zu realisieren. Wie alle anderen Hersteller arbeiten wir mit Hochdruck an einer Serienfertigung von Elektrolyse-Stacks und planen dazu den Bau einer Gigafactory bei Hamburg. Zudem kommen unsere Kompressoren weltweit bereits in mehr als 30 Carbon-Capture-Projekten zum Einsatz und sind somit bereits technisch ausgereift. Außerdem bieten wir industrielle Großwärmepumpen an, um große Industrieanlagen nachhaltig mit Prozesswärme und -kälte zu versorgen.

Was sind die Spezifika und Unterscheidungsmerkmale ihrer Komponenten im Wettbewerb?

Wir decken mit unseren Technologien zum einen die gesamte Wasserstoffwertschöpfungskette von der Elektrolyse über den Transport bis hin zu Reaktoren zur Umwandlung in synthetische Kraftstoffe ab. Zum anderen sind wir weltweit führend in der Produktion von Getriebekompressoren für die CO2-Verdichtung. Weltweit hat kein Unternehmen in diesem Bereich mehr Erfahrung als wir. Auch unsere Wärmepumpentechnologie beruht auf erprobten und ausgereiften Technologien. Wir sprechen also nicht von Zukunftsplänen, sondern von Technologien, die bereits seit vielen Jahren im Feld im Einsatz sind.

Welche konkreten Markterwartungen für die kommenden Jahre haben Sie im Bereich Wasserstoff und gegebenenfalls CO2-Verpressung?

Wir haben eine Reihe von Kerntechnologien identifiziert, auf die wir uns künftig konzentrieren werden. Alle diese Technologien haben einen immensen CO2-Hebel, um die Emissionen der Industrie und anderer energieintensiver Sektoren, die nur schwer zu elektrifizieren sind, zu reduzieren. Konkret sind das neben Elektrolyseuren und CCUS-Großwärmepumpen und klimaneutral betriebene Motoren für Schifffahrt und Energiegewinnung. Wir gehen davon aus, dass wir allein mit diesen Technologien bis zu zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen adressieren können.

Die Bundesregierung erwägt neben den Klimaschutzverträgen auch das Instrument der grünen Leitmärkte umzusetzen (s. Infokasten). Der Staat kann dabei klimaneutral hergestellte Grundstoffe in seiner eigenen Beschaffung bevorzugen oder durch regulatorische Maßnahmen deren Einsatz vorschreiben. Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt, den grünen Leitmärkten den klaren Vorrang gegenüber Klimaschutzverträgen zu geben. Wie bewerten Sie die Ergebnisse dieses Gutachtens?

Über den Prozess der eigenen Beschaffung könnte die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangehen und zugleich einen großen Hebel umlegen. Umso größer ist dieser Hebel, wenn aus den grünen Leitmärkten regulatorische Rahmenbedingungen hervorgehen, die Standards vorschreiben, welche sich mithilfe klimafreundlicher Technologie adressieren ließen. Am Ende brauchen wir eine smarte Kombination aus wirksamer Förderung und einem regulatorischen Rahmen, in dem es stets wirtschaftlicher ist, das CO2 abzuscheiden und anschließend wieder zu nutzen oder zu speichern, als es zu emittieren.

Klimaschutzverträge versus grüne Leitmärkte

Die Bundesregierung setzt bei der Förderung klimaneutraler Produktionsprozesse in der Grundstoffindustrie grundsätzlich auf zwei neue Instrumente: Klimaschutzverträge und grüne Leitmärkte. Ein grüner Leitmarkt ist ein staatlich geschaffener oder geförderter Markt für klimaneutral produzierte Grundstoffe. Dabei kann der Staat grüne Grundstoffe in seiner eigenen Beschaffung bevorzugt verwenden oder er kann durch regulatorische Maßnahmen vorschreiben, dass private Haushalte und Unternehmen in bestimmten Bereichen nur Produkte verwenden dürfen, die einen bestimmten Anteil grüner Grundstoffe beinhalten.

Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWK empfiehlt, dem Instrument der grünen Leitmärkte den klaren Vorrang gegenüber Klimaschutzverträgen zu geben. Laut dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats, Prof. Klaus Schmidt, sind Klimaschutzverträge anfällig für eine Überförderung. Zudem bestehe die Gefahr, den Wettbewerb zu behindern und die Entwicklung neuer Technologien auszubremsen. Prof. Achim Wambach, Mitglied der Arbeitsgruppe, begründet seine Einschätzung so: „Grüne Leitmärkte fördern den Wettbewerb, neue Anbieter können in den Markt kommen, und über die Preiswirkung gibt es starke Anreize, klimafreundliche Technologien zu verbessern und kostengünstiger zu machen.“

Autor: Michael Nallinger


Eine Wasserstoffinfrastruktur für die Energiewende

Eine Wasserstoffinfrastruktur für die Energiewende

Grüner Wasserstoff soll in Zukunft vielen Sektoren zur Klimaneutralität verhelfen. Doch noch gibt es Lücken in der Umsetzung beim Transport sowie bei der Speicherung. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte H2-Leitprojekt TransHyDE betrachtet verschiedene molekulare Transportoptionen für grünen Wasserstoff: gasförmigen Wasserstoff (GH2), flüssigen Wasserstoff (LH2), Ammoniak (NH3) sowie organische Trägerflüssigkeiten (Liquid Organic Hydrogen Carrier, kurz: LOHC).

Am 30. Dezember 2022 fand in Berlin die erste wissenschaftliche Konferenz des Leitprojekts TransHyDE statt, bei der techno-ökonomische und regulatorische Hindernisse auf dem Weg zu einer effizienten Speicher- und Transportinfrastruktur im Fokus standen. Dabei stellten Projektmitarbeitende wichtige Lösungsansätze und Erkenntnisse aus ihren Forschungsarbeiten vor und diskutierten diese mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

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Ganzheitliche Systemanalyse zur Infrastruktur

In der fachlichen Eröffnung der wissenschaftlichen Konferenz illustrierte Prof. Dr. Mario Ragwitz (Fraunhofer IEG) die herausgehobene Relevanz der Sektorkopplung in einem klimaneutralen zukünftigen Energiesystem. Insbesondere durch die Komplexität der Modellierung von Multienergiesystemen sowie der hohen erforderlichen räumlichen Auflösung der dazugehörigen Infrastrukturen wird der Arbeitsauftrag von TransHyDE verdeutlicht. Lediglich durch die ganzheitliche Vereinigung von systemanalytischen Modellen sowie spezifischem Fachwissen ließen sich die offenen Fragen der Energiewende beantworten.

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Dr. Joshua Fragoso Garcia (Fraunhofer ISI) beschäftigte sich in seinem Beitrag mit der Frage, wie der europäische Wasserstoffbedarf kosteneffizient gedeckt werden kann. Hierzu untersuchte er modellbasiert zwei Szenarien, die sich hauptsächlich in ihren Wasserstoffbedarfen unterscheiden (Basisszenario: H2 nur als Grundstoff für die Chemie- und Stahlindustrie; erweitertes Szenario: breitere Anwendung von Wasserstoff zusätzlich im Bereich der Prozesswärme, Lkw auf der Langstrecke, und dezentralen Wärmeversorgung).

Die Modellergebnisse zeigen, dass in Europa ausreichend erneuerbare Potenziale vorhanden sind, um den Großteil des Wasserstoffbedarfs kosteneffizient zu decken (siehe Abb. 1). Außereuropäische H2-Importe sind kostengetrieben nur in kleinem Umfang Teil der Lösung (~10 % bzw. 12,7 % der modellierten 1.383 TWh bzw. 2.495 TWh im Jahr 2045 im Basisszenario bzw. erweiterten Szenario). Für den innereuropäischen Ausgleich von Wasserstoffangebot und -nachfrage zeigen die Szenarienergebnisse einen Vorteil für regionale Wasserstofferzeugung (s. Abb. 2) mit gekoppeltem Ausbau von H2-Pipelines, welche Nord- und Südeuropa mit Mitteleuropa verbinden.

Sicherer Wasserstofftransport: Realität statt Vision

Durch die systemanalytische Forderung, größere Mengen an gasförmigem Wasserstoff über Pipelines zu transportieren, stellen sich unmittelbare Sicherheitsfragen, welchen Dr. Frank Schweizer (Fraunhofer IWM) sowie Prof. Dr. Jürgen Wöllenstein (Fraunhofer IPM) in ihrem Vortrag begegneten. Die Referenten hoben hierbei hervor, dass Stahlproben bereits in Wasserstoffumgebung hinsichtlich relevanter Verfahren und rechnerischer Konzepte bezogen auf statische Lasten, Ermüdung und Rissfortschritt auf ihre Wasserstoffverträglichkeit geprüft werden können. Darüber hinaus ist eine genaue und kostengünstige Detektion von Wasserstoffleckagen, beispielsweise über die charakteristische Wärmeleitfähigkeit oder die Schallgeschwindigkeit des Wasserstoffs, möglich.

Neben der sicherheitsrelevanten H2-Leckagemessung ist gleichermaßen die Gewährleistung einer kontinuierlichen Qualität des transportierten Wasserstoffs erforderlich. Dr. Achim Zajc (Meter‑Q Solutions) stellte in seinem Beitrag mit dem firmeneigenen Nanogasprozesschromatographen (MGC) eine Möglichkeit vor, Wasserstoffgas und seine Verunreinigungen mit hoher Genauigkeit messen zu können. Der MGC macht sich hierbei die herausragende Wärmeleitfähigkeit des Wasserstoffs zunutze. Durch die direkte Kopplung des MGC an Pipelines lassen sich nicht nur die Anforderungen der Gasgruppe A (G260 9/2020) erfüllen, sondern ebenso die Messzeiten (< 45 s) und anfallenden Emissionen erheblich verringern, da unnötige Bypässe, lange Transportwege und Wasserstoffemissionen vermieden werden können.

Ammoniak: Viel mehr als nur ein chemischer H2-Speicher

Ammoniak ist bereits heute zentraler Grundstoff verschiedener Industrien und wird als Molekül für effizienten interkontinentalen Energietransport sowie zahlreiche Direktanwendungen diskutiert. Trotz bereits vielseitiger Einsatzmöglichkeiten könnte die Wandlung von Ammoniak zu Wasserstoffgas (Reformierung) in verschiedenen Szenarien zur Deckung des H2-Bedarfs erforderlich werden. Das energiewirtschaftliche Potential der Reformierung stellte Dr. Michael Poschmann (Max-Planck-Institut CEC) bei der Vorstellung von Forschungsarbeiten zur Verbesserung der eingesetzten Katalysatoren in den Mittelpunkt. Mittels speziell zu diesem Zweck entwickelter Reformierprüfstände (Druckbereich bis 40 bar) werden wesentliche Charakteristika der Reaktion (wie Umsetzungsgrad, Reaktionskinetik etc.) für verschiedene Katalysatormaterialien und -strukturen analysiert und mit bekannten Katalysatoren aus ähnlichen Katalyseprozessen verglichen.

Eine der vielseitigen direkten Anwendungsmöglichkeiten von Ammoniak wurde nachfolgend von Prof. Dr. Hinrich Mohr (GasKraft Engineering) am Beispiel eines ammoniakbetriebenen Verbrennungsmotors ausgeführt, der mit einer Leistung von 350 kW Anwendung in der Binnenschifffahrt finden kann. Erste Einzylinder-Verbrennungsversuche eines 50/50-Gasgemischs aus NH3/H2 bei Teillastbetrieb mit einem Mitteldruck von 11 bar erreichten bereits eine Effizienz von 39 Prozent.

Klaas Büsen (Hochschule Wismar) ergänzte die präsentierten Themen im Zusammenhang einer Ammoniak-Wertschöpfungskette um weitere Aspekte. In seinem Vortrag stellte er flexible Betankungs- und Bebunkerungskonzepte (sowohl an Land als auch auf See) sowie Technologien zur Gewährleistung der Anwendungssicherheit vor. Unter Betrachtung technologischer, wirtschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte erfolgt eine szenarienbasierte Bedarfsplanung für die Transportlogistik von Ammoniak mit dem Stützjahr 2035.

I.E. Philip Green (Australische Botschaft in Berlin) hob die Frage der Transportlogistik auf ein globales Niveau und skizzierte die Möglichkeiten einer künftigen Ammoniaktransportkette von Australien nach Deutschland. Durch Projekte wie das Asian Renewable Energy Hub (26 GW Wind- und PV-Erzeugungsleistung), mit dem Australien enorme Investitionen in die Ausschöpfung seiner Erneuerbare-Energien-Potentiale tätigt, werden sich perspektivisch große Mengen grünen Wasserstoffs (gebunden in Ammoniak) jährlich exportieren lassen. Durch die niedrigen Stromgestehungskosten in Australien sowie geringe Zusatzkosten für die Ammoniaksynthese, den Schiffstransport und die Reformierung sollen wettbewerbsfähige Preise möglich sein.

Flüssigwasserstoff – erprobte Transportoption mit Potential

Eine zum Ammoniak alternative Transport- und Speicheroption stellt Flüssigwasserstoff dar. Dr. Michael J. Wolf und Sebastian Palacios V. (beide Karlsruher Institut für Technologie) stellten in ihren Vorträgen die einzigartigen Eigenschaften von LH2, dessen Chancen, aber auch spezifische Herausforderungen vor, die in einem kürzlich erschienen Whitepaper auf der Leitprojekte-Webseite näher erläutert werden. Wesentliche Effizienzsteigerungspotentiale ließen sich beispielsweise in Kombination mit Hochtemperatursupraleitern bei gekoppeltem Strom- und Wasserstofftransport (hybride Pipeline) oder bei elektrischen Komponenten durch Erhöhung der Leistungsdichte erschließen. Prof. Alexander Alekseev (Linde) veranschaulichte anhand eines dynamischen Simulationsmodells einer LH2-Transportkette im Gleichgewichts- und Nichtgleichgewichtszustand, dass eine schnellere und effizientere Befüllung sowie Entleerung von LH2-Tanks durch großskalige Zentrifugal-LH2-Pumpen vorteilhaft sein könnte.

Wärmenutzung bei LOHC-Prozessen

Für die Transport- und Speicherlogistik von flüssigen organischen Wasserstoffträgern zeigen sich ebenfalls starke Optimierungsmöglichkeiten. Beispielsweise lässt sich die Effizienz steigern, indem die Abwärme bei der Hydrierung oder zur Dehydrierung die industrielle Prozesswärme vor Ort genutzt wird, wie Monja Grote (Hamburger Hafen und Logistik AG) und Siying Huang (Hydrogenious LOHC Technologies) erläuterten. Außerdem sind weite Teile der bestehenden Infrastruktur für flüssige Brennstoffe ökonomisch weiterhin nutzbar, da Hydrogenious das Thermalöl Benzyltoluol als LOHC verwendet, welches sich ähnlich einfach handhaben lässt wie Diesel. Über die Hebung dieser Potentiale lasse sich der Business Case rund um die Versorgungsketten mittels LOHC weiter ausgestalten und perspektivisch in die Realwirtschaft transferieren, so die Referentinnen.

Keine Wasserstoffwirtschaft ohne Normung

Alle vorgestellten Technologien setzen für ihre praktische Einführung jedoch einheitliche Vorgaben wie Normen, Standards und Zertifizierungen voraus. Hierzu erläuterte Thomas Systermans (DVGW) die bisherigen Ergebnisse einer Bestandsanalyse technischer Regelwerke, welche die Transportoptionen in TransHyDE umfassen. Die statistischen Auswertungen bezüglich der H2-Tauglichkeit zeigen, dass 57 Prozent der 693 Dokumente auf Wasserstoff anwendbar sind. Weitere zwei Prozent weisen lediglich eine beschränkte H2-Tauglichkeit auf, während 41 Prozent nicht für Wasserstoff geeignet sind. Die konsolidierten Daten münden in einem nächsten Schritt in eine Bedarfsanalyse der zu überarbeitenden Normen, aus welcher schlussendlich eine Handlungsempfehlung zur Schließung der Lücken erfolgt.

Die enorme Relevanz eines konsistenten Rechtsrahmens für den Aufbau einer Transport- und Speicherinfrastruktur stellten im darauffolgenden Vortrag Friederike Allolio und Leony Ohle (beide IKEM) heraus. In ihrer Studie wurden Lücken im bestehenden Rechtsrahmen entlang der gesamten H2-Wertschöpfungskette mit Schwerpunkt auf der Transportinfrastruktur identifiziert. Insbesondere durch langwierige und komplexe Genehmigungsverfahren ergeben sich konkrete Hindernisse bei dem Ausbau einer Infrastruktur.

Forschungsministerin sieht in H2 „fehlendes Puzzlestück”

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ergänzte in einer Live-Zuschaltung die politische Perspektive. Sie verdeutlichte die Relevanz der Energiewende für viele Herausforderungen in unserer gegenwärtigen unruhigen und von Krisen geprägten Zeit. Klimaneutralität lasse sich nur über einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Nutzung von Wasserstoff als vielseitig einsetzbarem Energieträger erreichen. Stark-Watzinger betonte, dass die Kombination aus Forschung und praktischen Demonstrationen die Grundlage bilde, um den Entwicklungs- und Ausbauprozess der Wasserstofftechnologien zu beschleunigen. TransHyDE demonstriert als Teil der H2-Leitprojekte, wie die Hindernisse auf dem Weg zu einer Wasserstoffinfrastruktur aus dem Weg geräumt werden können, und zeigt passende Lösungsansätze auf. Mithilfe dieser Projektergebnisse wird die Basis für die Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft geschaffen.

Techno-ökonomische und regulatorische Lücken

Abschließend fand unter der Moderation von Lea-Valeska Giebel (dena) eine Panel-Diskussion mit Teilnehmenden aus Forschung, Industrie und Zivilgesellschaft statt. Die übergeordnete Fragestellung fokussierte sich auf die techno-ökonomischen und regulatorischen Lücken beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.

Neben den TransHyDE-Koordinatoren Prof. Dr. Robert Schlögl (Direktor Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft) und Prof. Dr. Mario Ragwitz diskutierten Piotr Kuś (General Director ENTSOG) und Ralph Bahke (Managing Director ONTRAS) aus der Industrie sowie Ulrike Hinz (Policy Advisor Klima und Energie WWF Deutschland), vertretend für die Zivilgesellschaft, miteinander. Hierbei verdeutlichte Piotr Kuś die Komplexität der Aufgabe, künftige Wasserstoffinfrastrukturen in bestehende Energieinfrastrukturlandschaften zu integrieren. Seiner Ansicht nach geschieht dies idealerweise in einer Bottom-up-Verfahrensweise.

Für Ulrike Hinz besteht die wesentliche Herausforderung in der ganzheitlichen Betrachtung der Aspekte Klima- und Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Ihrer Meinung nach ist eine grundlegende Aufgabe der Ausbau der erneuerbaren Energien als Voraussetzung für die Etablierung einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Grundsätzliche Einigkeit bestand bei den Panelisten über die Relevanz der Entwicklung eines regulatorischen Rahmens. Wobei für Ralph Bahke geeignete Finanzierungsmodelle einer künftigen Wasserstoffwirtschaft eine besondere Rolle in diesem Rahmen einnehmen.

Robert Schlögl und Mario Ragwitz komplementierten, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland Technologieoffenheit und europäische Zusammenarbeit benötige. Für die Planung und Entwicklung der Infrastruktur werden alle Optionen Beachtung finden und entsprechend systemanalytischer Optimierung verwendet werden.

AutorInnen: Fenja Bleich, fenja.bleich@cec.mpg.de
Hauke Hinners, hauke.hinners@cec.mpg.de
beide vom Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion, Mülheim a. d. Ruhr

Wie Rost die H2-Technik voranbringen kann

Wie Rost die H2-Technik voranbringen kann

Wenn Eisen rostet, nimmt es Sauerstoff auf. Stammt dieser nicht aus der Luft, sondern aus Wasserdampf, bleibt Wasserstoff zurück. Dieser Effekt könnte die Grundlage einer neuen Energiespeichertechnologie werden. Mehrere Forschungsgruppen und Unternehmen arbeiten bereits daran, ein solches Speicherverfahren auf Basis von gewöhnlichem Eisen auf den Markt zu bringen, das Wasserstoff bindet und zur gewünschten Zeit wieder freisetzt– und das, ohne das Gas im eigentlichen Sinne zu speichern.

Das Be- und Entladen des Speichers ist´nichts anderes als das Rosten von Eisen, das gezielt vorwärts und rückwärts abgespult wird. Um den Energiespeicher zu beladen, strömt Wasserstoff durch Pellets aus rostigem Eisen – oder, chemisch besser ausgedrückt: aus Eisenoxid. Der Wasserstoff zieht dabei den Sauerstoff aus den Pellets und bindet ihn an sich. Zurück bleiben reine, metallische Eisenpellets und Wasserdampf.

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Die Energie des Wasserstoffs ist im Wesentlichen in den Pellets gebunden. So lässt sie sich bequem lagern oder über weite Strecken transportieren, ohne dass besondere Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten sind. Um die Energie wieder zu entnehmen, lässt man Dampf durch die Eisenpellets strömen. Der Sauerstoff aus dem Wasserdampf bindet sich an das Eisen, zurück bleibt gasförmiger Wasserstoff.

Der Trick mit dem Rost ist in mehrerlei Hinsicht charmant. Eisen ist auf der Erde reichlich vorhanden, kostet nicht viel und lässt sich gefahrlos transportieren und lagern. Und die Technologie hat noch einen weiteren Vorteil. Genau genommen enthalten die Eisenspeicher gar keinen Wasserstoff, sondern nehmen lediglich dessen Energieinhalt auf. Beim Beladen des Speichers bildet der Wasserstoff nämlich wieder Wasser. Der Dampf kann also zumindest zu einem Teil im Kreis geführt werden. Das ist besonders wichtig an Standorten, in denen Wasser ein knappes Gut ist, also zum Beispiel in Wüstenregionen, in denen künftig Wasserstoff im großen Stil für Europa erzeugt werden soll.  

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Eisen-Speicher im Standard-Container

Wie viele Energiewende-Technologien ist auch der Eisen-Dampf-Prozess nicht neu. Howard Lane entwickelte ihn bereits 1804. In den 1970er-Jahren produzierte eine Industrieanlage in Magdeburg bereots auf diesem Wege rund 20.000 m3 Wasserstoff pro Stunde. Doch für die modernen Anwendungen braucht er ein paar Anpassungen an die aktuellen Erfordernisse.

Das Start-up Ambartec, in das auch der Energiekonzern Wintershall Dea investiert hat, will den Prozess unter anderem für den Wasserstofftransport nutzen. Dafür will Ambartec Eisenpellets in standardisierten 20-Fuß-Containern lagern und so in übliche Logistikabläufe eingliedern – vom Lkw für regionale Erzeugung bis zum Überseetransport per Frachter. „Die Herausforderung an dem Prozess ist es, die Eisenpellets so zu konditionieren, dass sie nicht nach wenigen Zyklen zu Staub zerfallen oder an der Oberfläche versintern“, sagt Matthias Rudloff von Ambartec.

Das ist dem Unternehmen mittlerweile nach eigenen Angaben geglückt. Der Demo-Speicher in Freiberg, etwa 40 Kilometer vom Firmenstammsitz in Dresden entfernt, hat bereits einige hundert Zyklen stabil durchlaufen. Im Mai soll die nächste Skalierungsstufe kommen, Ende 2023 eine weitere. Ab 2024 will Ambartec erste kleine Stückzahlen an Kunden ausliefern.

Neben dem Eisengranulat an sich hat Ambartec auch an der Prozessführung gearbeitet. Für den passenden Druck und Temperaturgradienten sorgt eine separate Lade- oder Belade-Einheit. „Wir können zum Beladen gut Dampf einbinden, der in Industrieanlagen anfällt. Der Druck ist dabei insofern wichtig, da der Dampfdruck im Wesentlichen den Wasserstoffdruck bestimmt“, sagt Rudloff.

Der freiwerdende Wasserstoff sei mit Dampf gesättigt, aber ansonsten relativ rein. Anwendungen für die wasserstoffproduzierenden Eisenpellets sieht Rudloff nicht nur im Seetransport, sondern in Kombination mit einer Elektrolyse- und Rückverstromungseinheit auch als stationärer Stromspeicher und in der Schifffahrt.

Ambartec-Speicher in Zahlen

Aktuelle Skalierung: 100 Liter

Zielgröße: 40-Fuß-Container

Dichte der Eisen-Pellets: 2,5 kg/Liter

Energiedichte (vol.): 0,4 kWh/l

Energiedichte (grav.): 1 kWh/kg

Universitäre Forschung

Auch ein von der Universität Duisburg-Essen koordiniertes Forschungsteam setzt auf den Eisen-Dampf-Prozess für den Wasserstofftransport. Partner sind die Technische Universität Clausthal und das Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien (IWT) Bremen. Hinzu kommen die thyssenkrupp Steel Europe AG und die SMS group GmbH als assoziierte Industrieunternehmen. Das Projekt Me2H2 Einsen-Dampf-Prozess wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über drei Jahre mit insgesamt 1,3 Mio. Euro gefördert. Ein Großteil des Projekts wird sich mit den Grundlagen, wie beispielsweise mit der Erforschung geeigneter Legierungen, befassen. Das Projekt ist gerade erst angelaufen, so dass es noch keine Ergebnisse zu berichten gibt.

Einsatz in der Industrie und in Zügen

Ein weiterer Akteur ist die Wolf Energetik GmbH, die vor allem auf die Einbindung in große Industrieprozesse setzt. „Wir brauchen Energiespeicher in den Dimensionen von Kohlehalden oder großen Öltanks“, sagt Claudia Hain, die das Unternehmen bereits 2013 zusammen mit dem Namensgeber Bodo Wolf gründete. Wolf Energetik dockt dabei an die vorhandene Technologie aus den 1970ern an. „Wir mussten die Apparaturen nicht neu entwickeln, sondern nur für neue Anwendungen qualifizieren“, sagt sie.

Als ideale Anwendung zur Stromspeicherung sieht sie einen stofflich geschlossenen Kreisprozess mit einer Hochtemperaturelektrolyse und -brennstoffzelle, bei dem sowohl Wärme als auch Dampf immer wieder genutzt werden. Bis zu 80 Prozent Speicherwirkungsgrad wären so möglich, ist Hain überzeugt. Statt selbst schlüsselfertige Anlagen zu liefern, will Wolf Energetik dabei lieber „Technologiegeber“ für den industriellen Anlagenbau sein.

Eine andere mögliche Anwendung der patentierten Technologie wäre die Zwischenspeicherung des Wasserstoffs und die Herstellung von Synthesegas für die Industrie. Die aus dem Mineralölhandel kommende Mabanaft-Gruppe, die mittlerweile in Chile und Norwegen selbst an der Produktion von E-Fuels arbeitet, ist bereits als Gesellschafterin eingestiegen. „Auch in Deutschland ansässige Industrieunternehmen, die kontinuierlich Wasserstoff brauchen, könnten sich mit unserem Speicher gegen Versorgungsunterbrechungen absichern“, so Hain.

Außerdem arbeitet Wolf Energetik an mobilen Speichern, die in Zügen eingesetzt werden sollen. Die Voruntersuchungen laufen. Ein Zugmodell für die Integration ist bereits ausgewählt. Mitte des Jahres soll in Freiberg im Zuge des Vorhabens Future H Drive eine stationäre Pilotanlage entstehen, in der Speicher und reversible Brennstoffzelle zu einem System zusammengestellt werden sollen, das im vorgesehenen Bauraum des Fahrzeugs Platz findet. Ziel eines anschließenden Projektes ist es dann, die Technologie tatsächlich in ein Fahrzeug zu integrieren. Partner ist dabei die Deutsche Eisenbahn Service AG, kurz Desag.

Autorin: Eva Augsten

Das Feuer des Wassers

Das Feuer des Wassers

„Wer die Kraft des Windes und der Sonne erntet und in Form von Wasserstoff konserviert, der hält das irdische Perpetuum Mobile in den Händen.“ Dieser Satz aus dem Klappentext des Buches löst bei Naturwissenschaftlern ein Kopfschütteln aus, denn wissenschaftlich betrachtet kann es in der Realität kein Perpetuum Mobile geben. Die Aussage, Timm Koch bringe „faktengesättigt“ Licht in das Dunkel, lässt somit Zweifel an der Interpretation dieser Fakten aufkeimen, die bei der Lektüre des Innenteils eher noch bestärkt werden.

So relativiert Koch die Klimakrise und bezeichnet die völkerrechtlich verbindliche Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C aus „ökosystemarer Sicht“ als „Schwachsinn“. Er spricht sich zwar für eine rasche Reduzierung der CO2-Emissionen aus, wettert aber nicht nur gegen Kernenergie sowie fossile Energieträger, sondern auch gegen jegliche Arten der Bioenergie und Energiespeicherung in Akkumulatoren. In seine prosaischen Ausführungen bettet der Autor geschichtliche Rückblicke ein und scheut auch vor dem Einstreuen persönlicher Anekdoten nicht zurück, auch wenn deren Aussagekraft mehr als fraglich und deren Inhalt eher selbstdarstellerischer Natur ist.

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Gänzlich unverständlich bleibt, warum die Kapitel mit willkürlich gewählt wirkenden Zitaten eingeleitet werden, in denen beispielsweise Volksweisheiten oder Karl May wiedergegeben werden und unter anderem völlig unzeitgemäß von „roten Kriegern“ gesprochen wird. Und warum Koch die Funktionsweise einer Brennstoffzelle über eine skurril anmutende Hochzeitsanalogie zu erklären versucht, erschließt sich dem Leser ebenfalls nicht.

Irritierend ist zudem seine unverhohlene Ablehnung von Politikern, über die arg populistisch und verleumderisch hergezogen wird. Mit zahlreichen haltlosen Behauptungen, unbelegten Thesen und auch Falschaussagen (angeblich soll die Förderung zum Bau von H2-Stationen eingestellt worden sein) bedient er immer wieder das Klischee, dass Otto Normalverbraucher von „denen da oben“ durch Fake News abgezockt werde. Das Bedienen zahlreicher Stereotype spricht dafür, dass das Buch eher die ewig nörgelnde Masse ansprechen soll und weniger eine technisch-wissenschaftlich interessierte Leserschaft – für HZwei-Leserinnen und -Leser daher nicht empfohlen.

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Koch, Timm; Das Feuer des Wassers, Westend Verlag, ISBN 978-3-86489-916-4, 2022

Nikola Motors – Iveco steigt aus

Nikola Motors – Iveco steigt aus

Parallel zu der Veröffentlichung der Geschäftszahlen für das erste Quartal erfolgte die Mitteilung, dass Iveco aus dem europäischen Joint-Venture mit Nikola Motors aussteigt. Seit 2019 waren beide Unternehmen partnerschaftlich verbunden, was unter anderem zu der Entwicklung des batterieelektrischen TreBEV geführt hatte. Jetzt übernimmt Iveco das europäische Geschäft des ehemaligen Joint-Ventures zu hundert Prozent, zahlt dafür einerseits 35 Mio. US-$ und gibt zudem 20 Mio. Aktien an Nikola zurück. Nach der Transaktion wird Iveco noch mit 5 Mio. Aktien beteiligt sein, was allerdings eher symbolischer Natur ist angesichts von zuvor über 600 Mio. Aktien.

Beide Unternehmen wollen weiterhin zusammenarbeiten, so der Tenor der Pressemitteilung. IP soll weiterhin gemeinsam genutzt werden und Iveco wird auch weiter Kfz-Teile an Nikola liefern. Dass beide Unternehmen ansonsten aber nun getrennte Wege gehen und sich jeweils auf ihre Stammmärkte konzentrieren – Iveco auf Europa und Nikola auf die USA – ist eigentlich sinnvoll, denn für Nikola zählt vor allem der Hochlauf des wasserstoffbetriebenen Lkw TreFCEV, der im zweiten Halbjahr 2023 auf den US-Markt kommen soll. Da geht es auch um den Hochlauf des ganzen Wasserstoffkomplexes angefangen von der eigenen Produktion bis hin zum Verteilnetz, wo umfassenden Förderprogramme (bis zu 320.000 US-$ pro Lkw in den USA wie auch 3 US-$ Zuschuss pro kg grünen Wasserstoffs) winken.

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Durchhaltevermögen notwendig

Für Nikola ist dieser Schritt von Iveco nicht negativ zu bewerten. Im Gegenteil: Iveco konzentriert sich erst einmal auf batterieelektrische Lkw und kann dann immer noch die Entwicklung von Nikola in Sachen Brennstoffzelle und Wasserstoff für sich nutzen, so meine Analyse. Denken Sie dabei an den Ausstieg von Daimler und Toyota bei Tesla: Nach dem Verkauf von deren Aktienpaketen kam es zu der richtigen Kursexplosion bei Tesla.

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Unbenommen von der Planung wird Iveco meines Erachtens aber ein potentieller Vertriebspartner auch in Europa für Nikola in der Zukunft sein, wenn Nikola in großer Serie die FCEV produziert und das Thema Wasserstoff im Nfz-Sektor in Europa richtig Fahrt aufnimmt. Aber das wird noch ein paar Jahre dauern, da Nikola ausreichend Potential in den USA hat, wenn man berücksichtigt, dass in Kalifornien ab 2035 keine Diesel-Lkw mehr fahren und in bestimmten Einsatzfeldern wie Hafenanlagen schon viel früher nur emissionsfreie Nfz zugelassen werden dürfen. Für Nikola ist dies eine Steigvorlage.

Takes aus der Telefonkonferenz

Das wird ein sehr spannendes zukunftsweisendes Geschäftsjahr für Nikola in vielerlei Hinsicht. Heute wird die Basis für morgen gelegt und zwar für mich im positiven Sinne. Nikola-CEO Michael Lohscheller sagte: „Ich möchte Ihnen eines sagen: Nikola ist eine echte Sache. Wir haben echte Lkw, die bereits bestellt, ausgeliefert und in Kundenflotten eingesetzt werden. Wir verfügen über erstklassige Software und Technologie sowie elegante emissionsfreie Produkte, die den stark umweltbelastenden kommerziellen Transportmarkt dekarbonisieren.“

Das Hydrogen Hub in Phoenix, Buckeye, ist nun baulich von den Behörden genehmigt – der Bescheid liegt seit ein paar Tagen vor. Hier besteht ja die Erwartung, dass sich Fortescue Future Industries beteiligen wird. Parallel hat Nikola mit dem Infrastrukturinvestor Voltera Power (Tochterunternehmen des Wagnisfinanziers EQT, die über 1 Mrd. US-$ in den Bereich Infrastruktur in Sachen Strom und Wasserstoff investieren wollen) ein Abkommen geschlossen, wonach diese 50 gemeinsam betriebene Tankstellen (Wasserstoff und Stromladestationen) bis 2026 finanzieren werden und Nikola für die Wasserstoffversorgung sorgen wird.

Die Marke HYLA von Nikola, die für die Produktion und den Abverkauf von Wasserstoff zuständig ist, erfährt damit einen sehr wichtigen Auftrieb, zumal Nikola seine Haupteinnahmequelle und Gewinnmarge im Wasserstoff sieht. Mit Chart Industries arbeitet Nikola zudem an mobilen Wasserstofftankstellen der neuesten Generation, da diese eine höchst flexible Form der Belieferung und Zurverfügungstellung von Wasserstoff für Lkw-Flotten ermöglicht.

Bis Ende Juni werden sechs von geplanten zehn Gamma-TreFCEV bei Testkunden im Einsatz sein. AJR Trucking, die vor allem für die amerikanische Post, den United States Postal Service, ausliefert, hat bereits einen Auftrag über 50 TreFCEV abgegeben. Denken Sie visionär: Was ist, wenn Nikola seine Verkaufsziele von 1.000 bis 1.600 Lkw in 2024 und einer Verdoppelung bis 2025 erreicht und Ende 2024 den Übergang in die Gewinnzone schafft? Wo steht der Aktienkurs dann?

Zahlenwerk

Im ersten Quartal dieses Jahres hat Nikola einen Umsatz in Höhe von 11,1 Mio. US-$ erzielt. Der Verlust im Quartal betrug 169,1 Mio. US-$ bzw. minus 0,31 US-$ pro Aktie. Hierin sind indes auch Stock-Compensation-Kosten enthalten, so dass der non-GAAP-Verlust 143,6 Mio. US-$ betrug. Der Verlust beruht auf hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung und natürlich auf dem Aufbau der Produktionskapazitäten für die Lkw. Für mich ein „logischer“ Verlust.

Der Kapitalbedarf „cash burn“ wird zukünftig bei 150 Mio. US-$ im Quartal gesehen (2022 lag dieser noch bei über 220 Mio.US-$/Quartal) und soll im Jahresverlauf auf 125 Mio. US-$ gesenkt werden. An Kapitalmitteln verfügt Nikola noch über gesamt 796 Mio. US-$, wobei hierin auch der potentielle Abverkauf weiterer Aktien über die Börse via ATM-Programm enthalten ist.

Ausblick

Sie sollten sich immer fragen: Ist das Geschäftsmodell von Nikola zukunftsfähig? Klares JA. Stimmen die Erwartungen und Prognosen mit den Plänen überein, sind diese realistisch und umsetzbar? Klares JA. Nikola ist First-Mover in seinem Markt, und das ist die schwierigste Phase jedes Unternehmens. Es bedarf für die kommenden Monate aber einer gewissen Durchhaltekraft. Dass Nikola die batterieelektrischen Lkw TreBEV vorerst nicht weiter baut, ist nur konsequent, da man erst einmal den Bestand (Inventory) abverkaufen wird und die Produktion danach der konkreten Auftragslage anpasst.

Es geht um die Liquidität, die gehalten werden muss, bis die wasserstoffbetriebenen Lkw in Serie gehen und zum richtigen Umsatztreiber werden. Das wird meines Erachtens erst im vierten Quartal dieses Jahres richtig durchschlagen. Bis dahin muss Nikola Kosten senken und sich finanziell auf das Notwendigste konzentrieren.

Als nächstes Datum ist die Hauptversammlung im Juni ein wichtiges Datum, da hierdurch die Ausgabe neuer Aktien via genehmigtem Kapital (Erhöhung auf rechnerisch 1,6 Mrd. Stück) von den Aktionären abgesegnet werden muss. Hierdurch wird neue Liquidität gewonnen. Ich gehe davon aus, dass diese Genehmigung erteilt wird, da es im Urinteresse der Aktionäre liegt. Was indes immer – im positiven Sinne – passieren kann, ist die Genehmigung des 1,3 Mrd.-US-$ schweren Kredites des Department of Energy (DOE) im Rahmen des IRA. Dieser löst – im Fall der Genehmigung – meines Erachtens die komplette Finanzlage bei Nikola, da man dann keine weiteren Aktien zu Schleuderpreisen und im Interesse der Shortseller mehr platzieren muss.

Die Partner von Nikola wie die australische Fortescue Future Industries wie auch andere Player im Nfz-Markt könnten die Chance nutzen, sich bei Nikola günstig einzukaufen und das Geschäftsmodell in Sachen Wasserstoff damit zu forcieren. Und auch mancher (Groß-)Auftrag für die Lkw ist jederzeit denkbar und psychologisch von Bedeutung für den Aktienkurs. All dies kann täglich passieren.

Fazit: Man braucht starke Nerven, aber das Chance-Risiko-Verhältnis ist entsprechend sehr hoch. Stay tuned und nicht bange machen lassen.

Ein sehr wichtiges Datum wird der 7. Juni sein, da an diesem Tag die Hauptversammlung stattfindet und darüber abgestimmt wird, ob/dass das genehmigte Kapital auf 1,6 Mrd. Aktien erhöht werden kann. Hier könnte noch ein Unsicherheitsfaktor gesehen werden, da diese Abstimmung natürlich sehr wichtig für Nikola ist, um ausreichend finanziert zu sein.

Autor: Sven Jösting, verfasst am 14.05.2023


Risikohinweis

Jeder Anleger muss sich immer seiner eigenen Risikoeinschätzung bei der Anlage in Aktien bewusst sein und auch eine sinnvolle Risikostreuung bedenken. Die hier genannten BZ-Unternehmen bzw. Aktien sind aus dem Bereich der Small- und Mid-Caps, d. h., es handelt sich nicht um Standardwerte, und ihre Volatilität ist auch wesentlich höher. Es handelt sich bei diesem Bericht nicht um Kaufempfehlungen – ohne Obligo. Alle Angaben beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen und stellen, was die Einschätzung angeht, ausschließlich die persönliche Meinung des Autors dar, der seinen Fokus auf eine mittel- und langfristige Bewertung und nicht auf einen kurzfristigen Gewinn legt. Der Autor kann im Besitz der hier vorgestellten Aktien sein.

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Neue Internetpräsenz rund um Wasserstoff und Brennstoffzellen

Oberkrämer, 16.05.2023 – Passend zu dem enormen aktuellen Interesse rund um die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik baut der Hydrogeit Verlag sein bestehendes Angebot weiter aus. Seit dem 16. Mai ist die neue Internetplattform www.hydrogeit.de freigeschaltet, auf der es ab sofort ein umfassendes Angebot rund um H2– und BZ-Technik, Energiespeicherung, Elektromobilität und alternative Antriebe gibt.

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Seit 1997 arbeitet Dipl.-Ing. Sven Geitmann, Gründer und Inhaber des Hydrogeit Verlags, im Themenbereich Wasserstoff und Brennstoffzellen. Über die Jahre hat er ein umfangreiches Angebot aufgebaut, um detailliert und leicht verständlich über nachhaltige Energiethemen zu informieren – online und in Printform.

So ist sein erstmals im Jahr 2000 herausgekommenes Buch „Wasserstoff und Brennstoffzellen – Die Technik von gestern, heute und morgen“, das 2021 in der vierten Auflage erschienen ist, ab sofort über die neue Internetpräsenz kostenlos zugänglich. Unter der Rubrik „H2-Wissen“ können Interessierte online auf alle Inhalte dieses Buchs zugreifen und sich über Eigenschaften, technische Details, Anwendungsmöglichkeiten, Potentiale und vieles mehr informieren. Das Sachbuch gilt in der H2-Branche als „Klassiker“. Im Mai 2022 kam bereits die fünfte Auflage heraus.

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Die außerdem von Geitmann herausgebrachte Zeitschrift HZwei erscheint inzwischen im 23. Jahr – seit 2006 im Hydrogeit Verlag. Das englische Pendant „H2-international – the e-journal on hydrogen and fuel cells“ existiert mittlerweile schon seit neun Jahren.

Auf der neuen Website gibt es weiterhin den beliebten HZwei-Blog mitsamt einem übersichtlichen Veranstaltungskalender sowie einem umfangreichen Branchenverzeichnis. Über den ebenfalls neu eingerichteten Online-Shop erhalten Leserinnen und Leser zukünftig noch einfacher Zugriff auf das gesamte HZwei-Archiv sowie das Buchsortiment.

Zunächst ist das Angebot rein deutschsprachig, zeitnah wird jedoch die Correct Conception GmbH, die in hervorragender Weise und äußerst gewissenhaft diesen Relaunch vorbereitet hat, auch den englischen H2-international-Blog in die Homepage integrieren, so dass dann möglichst viele Inhalte auch auf Englisch zugänglich sein werden.

Angesichts des wachsenden Interesses an der H2– und BZ-Thematik sowie der steigenden Zahl der Anfragen freut sich Sven Geitmann, mit der übersichtlichen und frisch gestalteten neuen Homepage einen weiteren wichtigen Beitrag zum Gelingen der Energiewende und einer sozial-ökologischen Transformation beisteuern zu können.

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