Liebe Leserinnen und Leser!
Die momentane Lage der Bundesregierung erscheint desolat: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht wie erhofft mitgespielt – wenn auch mit denkbar knapper Entscheidung – und der Ampel eine 60 Mrd.-Euro-Lücke im Haushalt beschert.
Daraus könnte auch für die Energiewirtschaft eine desolate Lage erwachsen, denn viele Vorhaben, die über den geplanten Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert werden sollten, werden jetzt infrage gestellt, egal ob berechtigt oder nicht. Die Unsicherheit ist groß.
Dabei war die Situation schon vorher angespannt: Entscheidungen aus Brüssel lassen beispielsweise sehr lange auf sich warten. Dies betraf die RED II, die RED III und auch die IPCEI-Vorhaben – auch wenn die RED III am 31. Oktober 2023 veröffentlicht wurde. Wenn es gut läuft, könnte Ende des Jahres immerhin noch die 37. BImSchV auf den Weg gebracht werden – nach zwölf Jahren.
Diese Warterei hat zahlreiche Investoren nicht gerade ermutigt, ihr Geld für Zukunftsprojekte zur Verfügung zu stellen. Die FID, die „Final Investment Decision“, steht insbesondere bei zahlreichen Elektrolysevorhaben noch aus, weil die Rahmenbedingungen für nicht ausreichend sicher erachtet werden.
Nicht ohne Grund haben sich zahlreiche Unternehmen an der Ausschreibung der Important Projects of Common European Interest (IPCEI – wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse) beteiligt. Sie setzen damit auf Staatsgelder, die ihr eigenes finanzielles Risiko schmälern sollen.
Der Preis, den sie für diese „geschenkten“ Staatsgelder bezahlen müssen, ist, dass sie sich an die Regeln des Geldgebers halten müssen. Dazu gehört auch, dass sie dann in Kauf nehmen müssen, wenn es in Brüssel mal wieder länger dauert.
Das laute Lamentieren hat somit durchaus etwas Scheinheiliges, denn schließlich hat sie niemand gezwungen, sich bei IPCEI zu bewerben. Sie hätten alle bereits viel früher anfangen können, aber eben auf eigenes Risiko. Jetzt aber sitzen einige von ihnen da und monieren, dass sich ihr ursprünglich geplantes IPCEI-Vorhaben in der beantragten Form gar nicht mehr rechne, dabei waren sie es selbst, die sich für diesen Weg entschieden haben.
Immer wieder wird in diesem Zusammenhang davor gewarnt, in Deutschland angesiedelte Firmen könnten ins Ausland abwandern, dorthin, wo angeblich die Rahmenbedingungen besser sind. Vielleicht mag es einzelne Unternehmen geben, die diese Entscheidung tatsächlich treffen. Was dann genau deren Beweggründe sind, werden wir wahrscheinlich nie erfahren, doch es dürfte klar sein, dass solch ein Entschluss nicht allein von der Bearbeitungszeit in Brüssel abhängt, sondern multifaktoriell ist.
Und ja, das ein oder andere Projekt wird wahrscheinlich nie realisiert werden – aus welchen Gründen auch immer. Westküste100 ist solch ein Vorhaben. Als Reallabor habe es zwar wertvolle Arbeit geleistet, aber die „H2 Westküste GmbH wird keine positive Investitionsentscheidung für den geplanten Elektrolyseur treffen“, ist auf ihrer Homepage zu lesen. „Grund dafür sind insbesondere die gestiegenen Investitionskosten.“
Das mag den einen oder die andere schmerzen, denn eventuell droht solch ein Szenario auch noch weiteren Projekten. Aber ist es nicht besser, ein erkennbar unwirtschaftliches Vorhaben rechtzeitig zu stoppen als händeringend daran festzuhalten und es wider besseres Wissen durchzuziehen? Ist es nicht besser, die durch mittlerweile zwei Kriege und eine zwischenzeitliche Energienotlage veränderten Rahmenbedingungen anzuerkennen und neu zu kalkulieren?
Nur weil Westküste100 nicht weitergeführt wird, heißt es ja nicht, dass die Energiewende abgesagt wurde, dass wir jetzt doch nicht auf erneuerbare Energien und Wasserstoff umschwenken. Nur weil vereinzelt Firmen zukünftig woanders produzieren, bedeutet das ja nicht, dass hierzulande keine Wertschöpfung mehr stattfinden wird.
Die Bekenntnisse seitens der Politik sind da: Sowohl Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck als auch zahlreiche Ministerpräsidenten der Länder hoben kürzlich nochmals die enorme Bedeutung insbesondere der H2-Projekte hervor. Zudem hat sich inzwischen in der Bundesrepublik eine Start-up-Szene breit gemacht, die mit neuen, innovativen Ideen auf den Markt drängt (s. S. 10). Hier sind Investoren gefragt, die deren Potentiale erkennen und jetzt auf eigenes Risiko – ohne Fördergelder – in Vorleistung gehen.
Ich möchte nicht schon wieder auf den US-amerikanischen E-Auto-Hersteller verweisen, aber es gibt sie – auch in Europa –, die Akteure, die mit etwas Fingerspitzengefühl oder viel Geld zum richtigen Zeitpunkt neue Technologien marktfähig machen können.
Die Energiewende ist eine Riesenherausforderung – für alle. Wer, wenn nicht Deutschland, könnte hier besser exemplarisch Wege aufzeigen und entsprechende Produkte anbieten. Statt aber die enormen Potentiale zu sehen, die in dieser weltweiten Umwälzung liegen, verharren viele hierzulande in der „German Angst“. Schlimm genug, dass dieser Begriff (laut Wikipedia „typisch deutsche Zögerlichkeit“) mittlerweile weltweit geläufig ist.
Die Devise sollte deswegen lauten: Potentiale erkennen und heben, um gemeinsam eine nachhaltige Zukunft zu gestalten.
Herzlichst
Sven Geitmann
HZwei-Herausgeber
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