Das bekannte Gorbatschow-Zitat „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ könnte man derzeit auch umgekehrt auf das Thema Wasserstoff anwenden: Wer zu früh kommt, den bestraft die Börse. Die Aktien von H2-Unternehmen notieren auf einem Kursniveau, als hätte das Supermolekül keine Zukunft. Weit gefehlt! Die Börsenweisheit der Contrary Opinion empfiehlt, an der Börse das Gegenteil von dem zu tun, was die Mehrheit der Anleger tut.
Warren Buffett würde ergänzen, dass man an der Börse seine Meinung nicht ändern sollte, wenn die allgemeine Stimmung dies nahelegt. Im Gegenteil: Aktien kaufen, deren Story einfach „rund“ ist, und sich trotz kurzfristiger Störfaktoren nicht aus der Ruhe bringen lassen, sofern die Aussichten stimmen. Angesichts der aktuellen Situation gibt es viele Meinungen, die Wasserstoff und Brennstoffzelle kritisch sehen. Auch der zunehmende Einsatz von Batterien wird dann ins Feld geführt und deren Vorteile unterstrichen, wie Energiedichte, Reichweite, neue Materialien und Recycling. Doch das ist kein überzeugendes Gegenargument, denn es gibt ja Synergien zwischen Batterie und Wasserstoff. Wendet man aber die oben genannte Contrary Opinion auf die Aktien der H2-Branche an, so sollte man jetzt kaufen und verbilligen oder sich an der Börse ganz neu mit diesem Themenkomplex auseinandersetzen, da die Kurse den Boden erreicht haben und es allmählich und nachhaltig nach oben gehen wird.
Die Börse lebt von Phantasie, und die ist hier eindeutig vorhanden – Klimawandel und Dekarbonisierung geben den Takt vor. Täglich werden weltweit Projekte angekündigt, die sich mit der Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff in verschiedenen Anwendungen und Märkten beschäftigen. All dies ist real, auch wenn die Umsetzung noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird und sich einige Projekte noch in der Planungsphase befinden. Weltweit sind Projekte mit einem Volumen von über 500 Mrd. US-$ ausgerufen – und wahrscheinlich sind erst fünf bis zehn Prozent davon in der konkreten Umsetzung. Wohlgemerkt: Das sind klar definierte Projekte.
Unterschiedliche Geschwindigkeiten
Der Hochlauf und die konkrete Umsetzung von Wasserstoff-Projekten erfolgen unterschiedlich schnell – von Region zu Region, von Land zu Land, von Unternehmen zu Unternehmen. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Oft ist es die Regulatorik, die wichtige Entwicklungen verhindert, verzögert oder aber im Gegenteil auch beschleunigt.
Aktuelle Beispiele: Vor wenigen Wochen hat US-Präsident Biden ein Programm in Höhe von sieben Mrd. US-$ auf den Weg gebracht, das den Bau von sieben H2-Hubs in den USA fördert. Das Gute daran: Privates Kapital in Höhe von zusätzlich 40 Mrd. US-$ wird durch den 7-Mrd.-$-Anschub marktwirtschaftlich angereizt. Und so wie der Inflation Reduction Act den Unternehmen pragmatisch Kapital zur Verfügung stellt, sollten andere Länder und Wirtschaftszonen ebenfalls vorgehen, um eine vergleichbare Dynamik zu entfachen.
Interessant ist der Blick auf manche Märkte wie den Transport per Lkw auf der Langstrecke. Einig ist sich die Mehrheit der Lkw-Hersteller, dass insbesondere für schwere Güter der Wasserstoff der Energieträger sein wird, auf der Kurzstrecke die Batterie oder beides als Hybrid – je nach Einsatzfeld und Radius. Emissionsgesetze und CO2-Abgaben werden den Übergang vom Diesel zu Wasserstoff und Batterie notwendig machen. Wir sprechen da von mehreren Millionen Lkw, die Schritt für Schritt auf die Zukunft getrimmt werden müssen.
Parallel wird die Lade- bzw. Betankungsinfrastruktur aufgebaut. Tesla mit seinem Supercharger-Network ist dafür ein gutes Beispiel, weil das Unternehmen selbst das Henne-Ei-Problem gelöst hat. Dass der Hochlauf dennoch ein paar Jahre benötigt, liegt auf der Hand. Unternehmen wie Ballard Power, Cummins Engine, Nikola Motors, Hyzon Motors und viele andere sind dabei, sich perfekt für den Hochlauf zu positionieren. Und was für den Schwertransport gilt, trifft in ähnlicher Form auch auf die Schifffahrt (hier wieder Ballard, Bloom Energy, Cummins) und den Schienenverkehr zu. Wer sich da als Unternehmen technologisch richtig aufstellt und die notwendigen Kapazitäten schafft, der profitiert von der künftigen Entwicklung.
Südkorea und Japan gehen voran, ebenso China. In den USA ist es Kalifornien, das als leistungsstärkster US-Bundesstaat das Potential von Wasserstoff voll erkannt hat. Interessant ist auch der Blick auf die Weltkarte in Sachen Ammoniak als Basis für den Transport von regenerativ erzeugtem Wasserstoff: 177 Großprojekte sind weltweit ausgerufen – die Produktion von Wasserstoff und der Transport über lange Strecken via Ammoniak (NH3) wird damit ab dem Jahr 2026 stark zunehmen, was zugleich auch dafür sorgt, dass Wasserstoff in immer größeren Mengen zu fallenden Kursen verfügbar sein wird (bis auf 1 US-$ pro Kilogramm, so die Prognose für die kommenden 10 bis 15 Jahre).
Auf den großen Fachkongressen und Messen herrscht gerade Hochstimmung, auch wenn die Unternehmen wissen, dass manches Projekt in der Umsetzung dauern wird – länger als gedacht. Die Vielzahl von Partnerschaften und Projektbeschreibungen lässt es gar nicht zu, nicht optimistisch zu sein. Nach meiner Einschätzung wird ein Boom entstehen, der seine Grundlage und einen Turboeffekt durch die Entwicklung in Ländern wie China bekommt.
Analogie zu 2020
Die Börse tritt meiner Meinung nach in eine neue Phase ein, die mit der Zeit von 2017 bis 2020 verglichen werden kann, als es zu Kursexplosionen bei H2-Aktien kam. Der Unterschied zwischen den Jahren um 2020 und denen von 2024 bis 2030 liegt aber darin, dass es in Zukunft einen stetigen, langfristigen und nachhaltigen Aufschwung der H2-Branche geben wird – sicherlich auch wieder mit mancher Kursübertreibung nach oben wie nach unten, aber im Trend steigend.
Die Unternehmen haben Produktionskapazitäten aufgebaut, ihre Produkte optimiert, die Geschäftsmodelle neu ausgerichtet und bereiten sich auf den Hochlauf vor. Sie werden liefern können, wenn der Markt es verlangt. Die Börse wird dies Schritt für Schritt wieder antizipieren, sofern die Industrie beweist, dass man mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff Geld verdienen kann. Dann hinkt der Vergleich mit den Jahren von 2017 bis 2020 insofern, als die Kurse in der Zukunft nachhaltig steigen werden, weil ein neuer Megatrend seinen Lauf nimmt – weltweit.
Es bedarf aber einer Differenzierung der verschiedenen BZ-Branchen und einzelnen Unternehmen. Da kommt es darauf an, wie man sich als Unternehmen in den „richtigen Märkten“ positioniert, denn der Wettbewerb bezüglich der Gewinnmargen nimmt parallel ebenfalls zu. Zum Beispiel ist die Herstellung von Elektrolyseuren in China bis zu 70 Prozent günstiger als im weltweiten Wettbewerb. Unternehmen, die am Verbrauchsgut (Consumable) und dem Rohstoff Wasserstoff (Commodity) Geld verdienen, werden von der Börse meines Erachtens besser bewertet als reine Anlagenbauer. Die Geschäftsmodelle werden die Entwicklung der Aktienkurse unterschiedlich beeinflussen, denn am Ende zählt der Return on Investment (ROI), der Unternehmensgewinn.
Was Sie aber als Anleger benötigen, ist Gelassenheit und Zeit. Kaufen und liegen lassen und peu à peu nachkaufen, um einen guten Durchschnittskurs zu erreichen. Sicherer als Einzelinvestments sind dabei natürlich H2-Fonds (ETF), von denen es reichlich gibt und die sich alle nicht groß unterscheiden in der Zusammensetzung der Titel: nach dem Cost-Average-Prinzip immer mal nachkaufen. Bedenken Sie: Auch Facebook, Tesla, Google, Amazon waren nicht gleich am Anfang eine Erfolgsstory, sondern erst nach diversen Anfangsjahren, die enormen Kapitaleinsatz erforderten und auch logische Verluste in der Aufbauphase begründeten.
Buchtipp:
Risikohinweis
Jeder Anleger sollte sich bei der Anlage in Aktien immer seiner eigenen Risikoeinschätzung bewusst sein und auch an eine sinnvolle Risikostreuung denken. Die hier genannten BZ-Unternehmen bzw. Aktien stammen aus dem Bereich der Small- und Mid-Caps, das heißt, es handelt sich nicht um Standardwerte, und auch ihre Volatilität ist deutlich höher. Dieser Bericht stellt keine Kaufempfehlung dar. Alle Informationen basieren auf öffentlich zugänglichen Quellen und stellen hinsichtlich der Bewertung ausschließlich die persönliche Meinung des Autors dar, der seinen Fokus auf eine mittel- bis langfristige Bewertung und nicht auf kurzfristige Gewinne legt. Der Autor kann im Besitz der hier vorgestellten Aktien sein.
Autor: Sven Jösting, verfasst am 15. Dezember 2023
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