Um seine „Rolle in der globalen Wasserstoffwirtschaft“ zu stärken ist Enertrag, Entwickler und Produzent erneuerbarer Energien, seit Herbst 2024 auch in der Hansestadt vertreten. In der neuen Niederlassung möchte Enertrag zur Dekarbonisierung der Logistik- und Schifffahrtsbranche beitragen. Und: „Wir wollen nicht nur die Schifffahrt, sondern auch zahlreiche weitere Industrien mit grünem Wasserstoff versorgen“, verkündete der Vorstandsvorsitzende Gunar Hering vor mehr als 80 geladenen Gästen bei der feierlichen Eröffnung der neuen Räumlichkeiten. Diese nehmen die oberste Etage des historischen Laeiszhofes ein, eines reich verzierten Klinker-Prachtbaus im Zentrum der Hansestadt.
Hamburg als Zentrum der Windenergie in Deutschland wird künftig auch ein wichtiger Standort für die Wasserstoffwirtschaft sein. Das zeigen die seit vergangenem Jahr laufenden Bauarbeiten für den 100-Megawatt-Elektrolyseur in Moorburg und für das H2-Industrienetz der Hansestadt (s. HZwei-Heft, April 2024). Damit bietet der Hafen „ideale Voraussetzungen, um als Drehscheibe für den Import und Export von Wasserstoff sowie dessen Derivaten zu fungieren“, fuhr CEO Hering fort. In enger Kooperation mit der Reederei F. Laeisz, der Stiftung H2Global und weiteren Nachbarn im Laeiszhof wolle Enertrag die Infrastruktur für den Handel und die Nutzung von grünem Wasserstoff vorantreiben.
Nikolaus Schües, CEO der F. Laeisz Gruppe, die eigene Schiffe für den Transport von Ammoniak betreibt, unterstrich die Bedeutung der maritimen Logistik für die Energiewende. Der Aufbau einer nachhaltigen und wettbewerbsfähigen Energieversorgung könne nur in sektorenübergreifender Zusammenarbeit gelingen: „Die Schifffahrt ist dabei ein wichtiges Bindeglied, nicht nur als Transporteur, sondern auch als Nutzer von wasserstoffbasierten Energieträgern.“ Das traditionelle Schifffahrtsunternehmen, das im Frühjahr 2024 sein 200-jähriges Bestehen feierte und früher unter anderem Salpeter, Bananen und Weizen transportierte, setzt für die Zukunft auf grünes Methanol und grünes Ammoniak. Und plant, Teile seiner Flotte auf diese Energieträger umzustellen.
CEO Gunar Hering mit Finanzsenator Andreas Dressel und dem Reeder Nikolaus W. Schües (v. l.)
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Enertrag wiederum kümmere sich um die Herstellung und Verfügbarkeit der Wasserstoffderivate. Der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens mit mehr als 1.100 Mitarbeitern auf vier Kontinenten verweist auf die langjährige Erfahrung in der Herstellung von grünem Wasserstoff, zum Beispiel im Verbundkraftwerk Uckermark, das Enertrag seit 2011 betreibt.
Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel freute sich über den Neuzugang in der Stadt. In einem Grußwort an die künftigen Nachbarn, die nur einen kurzen Fußweg vom Rathaus entfernt residieren, sagte er: „Unsere Stadt bietet gute Rahmenbedingungen und Investitionsmöglichkeiten auch und gerade im Bereich großer Wasserstoffprojekte.“ Insofern sei Enertrag ein Gewinn für Hamburg, um den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft hier und in Deutschland voranzubringen.
Ob Wasserstoff einen Beitrag zur Wärmewende leisten kann, wird auch davon abhängen, wie leicht sich vorhandene Erdgasnetze umstellen lassen. Gasnetz Hamburg will das im Projekt H2Switch100 herausfinden. Dafür nimmt das Unternehmen ein möglichst gewöhnliches Stück seines Bestandsnetzes unter die Lupe.
Etwas Besonderes ist der kleine Netzabschnitt in Hamburgs südlichem Stadtteil Harburg nicht – und genau deshalb hat Gasnetz Hamburg ihn ausgewählt. Insgesamt 16 Anschlüsse, davon 14 in normaler Haushaltsgröße, ein Gewerbehof und ein Sportverein gehören dazu. In den Wohnhäusern sind Gasheizungen installiert. Gewerbehof und Sportverein betreiben ein Blockheizkraftwerk mit Erdgas. Es gibt in dem Teilnetz neue PE-Rohre (Polyethylen) ebenso wie alte Stahlleitungen und Hausanschlüsse aus verschiedenen Jahrzehnten. „Der Netzabschnitt ist repräsentativ für das Hamburger Gasnetz“, sagt Sebastian Esser, Projektleiter bei Gasnetz Hamburg.
Das Ziel ist es, herauszufinden, ob sich auch weitere ganz gewöhnliche Netzabschnitte auf Wasserstoff umstellen ließen. Durch den Mix von Materialien und Bauarten unterscheidet sich H2Switch100 vom zeitlich weiter fortgeschrittenen Projekt H2Direkt der Thüga in Hohenwart. Dort will diese bereits im Winter 2023/24 zehn Haushalte und einen Gewerbekunden mit reinem Wasserstoff beliefen. Allerdings sind dort ausschließlich die als wasserstofftauglich bekannten PE-Leitungen verbaut (s. S. 30).
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Machbarkeitsstudie mit Laborversuchen
In Hamburg stehen derweil noch die Voruntersuchungen an. Gemeinsam mit den Partnern TÜV Süd und DBI Gas- und Umwelttechnik will Gasnetz Hamburg in einer Machbarkeitsstudie binnen zwölf Monaten die Integrität des Netzes für Wasserstoff nachweisen. Im ersten Schritt gehen dafür Proben aus dem Originalnetz ins Labor. „Von jedem Komponententyp, der im Netz vorkommt, werden wir mindestens ein Exemplar untersuchen“, sagt Esser.
Namentlich handelt es sich dabei sowohl um einzelne Schieber und Kugelhähne, aber auch um ganze Hauseinführungskombinationen und Stücke der Rohrleitungen. In den Laboren der Partner-Organisationen sollen die Bauteile dann zeigen, dass sie für den Einsatz in einem Wasserstoffnetz geeignet sind. Gibt es eine Versprödung der Stahlteile? Funktionieren die Druckregler? Halten die Absperreinrichtungen dicht? Auf diese Fragen soll die bis August laufende und von der Hamburger Förderbank IFB unterstützte Machbarkeitsstudie Antworten liefern.
„Bei den alten Komponenten und den Leitungen an sich sind wir sehr zuversichtlich, da durch die Leitungen bis in die 1980er Stadtgas mit etwa 50 Prozent Wasserstoffanteil geflossen ist. Einige Komponenten sind aber erst später dazugekommen“, sagt Esser. Die Kosten für diese erste Projektphase liegen laut Gasnetz Hamburg „im niedrigen sechsstelligen Bereich“.
Zähler und Brenner tauschen
Fallen die Labortests positiv aus, folgt Schritt 2: die eigentliche Umstellung des Netzes. Dabei geht es nicht nur um die Machbarkeit, sondern auch um Kosten. Denn auch wenn das Netz wasserstofftauglich ist, werden voraussichtlich mindestens die Brennerdüsen und die Zähler getauscht werden müssen. Schließlich muss das Normvolumen an Gas um den Faktor drei steigen, um den geringeren Brennwert des Wasserstoffs im Vergleich mit Erdgas auszugleichen.
„In den Rohrleitungen selbst ist das kein Problem. Erstens hat der Wasserstoff eine geringere Viskosität und strömt daher schneller, zweitens können wir bei Bedarf den Druck etwas erhöhen, und drittens gibt es bei den Leitungsdurchmessern im Hamburger Gasnetz auch genügend Reserven“, erklärt Esser.
Heizungen, die sich mit reinem Wasserstoff betreiben lassen, haben viele Hersteller bereits für die kommenden Jahre in petto. „Was die Blockheizkraftwerke betrifft, haben Hersteller bereits angekündigt, Geräte für den Test zur Verfügung stellen zu wollen“, so Esser. Die Mehrkosten, die durch den Pilotversuch anfallen, will Gasnetz Hamburg übernehmen. Dank dieser Zusage rennt der Versorger bei den Kunden offene Türen ein. „Sogar einige Nachbarn, die noch keinen Gasanschluss haben, haben nun auch Interesse an Wasserstoff bekundet“, erzählt Esser.
Wasserstoff aus geplantem Industrienetz
Während die Leitungen und die weiteren Bauteile sehr normal sind, ist die Lage des Teilnetzes allerdings eine sehr besondere: Es liegt quasi direkt an der Trasse für das bereits geplante Wasserstoffnetz für die Hamburger Industrie mit dem Projektnamen HH-WIN. Bereits 2024 will Gasnetz Hamburg große Teile von HH-WIN bauen. Im Jahr 2027 will das Unternehmen den ersten Wasserstoff liefern können. Die Bestätigung, dass es sich um ein sogenanntes Important Project of Common European Interest (IPCEI) handelt, welches eine besonders hohe Förderung in Anspruch nehmen darf, stand bei Redaktionsschluss allerdings noch aus.
„Im Vergleich zum Bedarf der Industrie ist der Wasserstoffbedarf für das Pilotprojekt minimal“, sagt Esser. Der Wasserstoff für das Industrienetz soll aus drei Quellen kommen, die nach jetzigen Ankündigungen alle bis zur Inbetriebnahme bereitstehen sollen. Da ist zum einen der 100 Megawatt starke Elektrolyseur, der direkt im besagten Industriegebiet am Standort des einstigen Kohlekraftwerks Moorburg entstehen soll. Nach einiger Unruhe im Projektkonsortium wollen die Hamburger Energiewerke das Projekt nun zusammen mit dem Vermögensverwalter Luxcara als Mehrheitseigner umsetzen. Die Inbetriebnahme ist weiterhin für 2026 angepeilt.
Zweitens soll Wasserstoff über ein Ammoniak-Terminal nach Hamburg kommen, das Mabanaft und Air Products Anfang 2022 angekündigt haben. Mittlerweile hat das Projekt eine nautische Risikoanalyse durchlaufen, und die Unternehmen sind dabei, die Unterlagen für das Genehmigungsverfahren zusammenzutragen. Als Zieljahr für die Inbetriebnahme nennt Mabanaft weiterhin 2026.
Und drittens ist da noch das europäische Wasserstoff-Kernnetz der Fernleitungsnetzbetreiber. Sowohl mit den Niederlanden als auch mit Wilhelmshaven ist Hamburg durch bestehende Fernleitungen verbunden, die in der ersten Projektphase auf Wasserstoff umgestellt werden sollen (s. S. 30).
Wie CO2-arm die Erzeugung des Wasserstoffs jeweils sein wird, ist bisher kaum zu sagen, da sowohl die Regularien als auch die Energieerzeugung und -umwandlung massiv in Bewegung sind.
Rolle von Wasserstoff in der Wärmewende unklar
Falls sich zeigt, dass sich das Leitungsnetz leicht umnutzen ließe, wird Wasserstoff damit allerdings nicht zur ersten Wahl für die Hamburger Wärmewende. Schließlich gibt es für die Gebäudeheizung im Gegensatz zur Industrie viele andere Optionen mit deutlich geringeren Umwandlungsverlusten. Diese Überlegung war einst auch Grundlage der Wasserstoff-Roadmap, die den – zunächst noch knappen – grünen Wasserstoff prioritär den schwer dekarbonisierbaren Sektoren zuspricht, zuallererst der Industrie. Auch die Hamburger Umwelt- und Energiebehörde (BUKEA) folgt dieser Strategie.
Die Hansestadt hat deutlich früher als die meisten anderen Großstädte damit begonnen, Daten für ein Wärmekataster zusammenzutragen, und will 2024 bereits eine vollständige Wärmeplanung vorlegen. In der Innenstadt wird diese voraussichtlich vor allem auf Fernwärme hinauslaufen, in den Randgebieten stehen Wärmepumpen hoch im Kurs.
„Sicherlich ist die Umstellung der Erdgasleitungen auf reinen Wasserstoffbetrieb keine Lösung für ganz Hamburg“, räumt auch der technische Geschäftsführer Michael Dammann von Gasnetz Hamburg ein. „Doch das Weiternutzen einer bereits bestehenden Infrastruktur mit dem grünen Gas kann bei bestimmten Bebauungsstrukturen und Lagen eine sinnvolle Ergänzung zu Optionen wie Fernwärmeausbau und Wärmepumpen sein. Mit H₂-SWITCH100 wollen wir ganz konkret herausfinden, welcher Aufwand und welche Kosten mit einer solchen Umstellung verbunden sind und ob es technische Hürden gibt.“
Deutschlandweit entstehen immer mehr Standorte, die sich schwerpunktmäßig um Wasserstoff kümmern. Neben Reallaboren, HyLand-Regionen und ITZ-Satelliten gibt es auch Zentren, wo die H2-Forschung und -Entwicklung vorangetrieben wird. Eine zusätzliche Anlaufstelle soll jetzt in Hamburg geschaffen werden: ein Demonstrationszentrum für Sektorkopplungs- und Wasserstofftechnologien. In dem neuen Demo-Zentrum sollen die Kompetenzen des Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) sowie des Fraunhofer IWES gebündelt werden.
Am Standort des zu Jahresbeginn in Hamburg stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg soll ein Wasserstoff-Hub entstehen. Die Infrastruktur ist dafür ideal. Würde man einen Wunschstandort für einen Wasserstoff-Hub beschreiben, könnte man sich von Moorburg geradezu inspirieren lassen. Ende 2020 ging das dortige Kohlekraftwerk vom Netz. Jetzt stehen hier alle Infrastrukturen zur Verfügung, die man sich für ein großes Wasserstoffprojekt wünschen kann: Moorburg ist an das 380-kV-Übertragungsnetz und an das 110-kV-Netz der Stadt Hamburg angebunden. Überseeschiffe können den Standort direkt anlaufen und die Kai- sowie die Hafenanlage als Importterminal nutzen. Im Industriegebiet in der Umgebung gibt es reichlich Abnehmer, die bereits Interesse an Wasserstoff bekundet haben. Sogar für die Abwärme gibt es Verwendung im Fernwärmenetz. Damit ist die Hansestadt auf dem besten Wege, ein bedeutender Dreh- und Angelpunkt für Wasserstoff in Europa zu werden.
ArcelorMittal will Koks aus Stahlproduktion verbannen
Der Stahlkonzern ArcelorMittal will in Hamburg voraussichtlich im dritten Quartal dieses Jahres mit dem Bau einer Pilotanlage beginnen, die Erz mithilfe von Wasserstoff zu reinem Eisen reduziert. Ein Teil des Gases könnte perspektivisch durch ein neues Wasserstoffnetz bereitgestellt werden, das eigens für das Industriegebiet am Hamburger Hafen gebaut wird.