Nachhaltige Energieversorgung auf Wasserstoffbasis
In Schwellen- und Entwicklungsländern, aber auch in Krisengebieten bestehen vielfältige Möglichkeiten, mit Wasserstoff Energiearmut zu überwinden und eine verlässliche, CO2-neutrale Stromversorgung aufzubauen. In diesem Zusammenhang spielen Microgrids auf Wasserstoffbasis eine entscheidende Rolle. In Form dieser können auf der Fläche eines Hochseecontainers Wasserstoff erzeugende Elektrolyseure, Flaschenbündel zur Speicherung des Wasserstoffs und Brennstoffzellensysteme zur Rückverstromung untergebracht werden. Sie helfen, erneuerbare Energie für eine spätere Nutzung zu konservieren.
Abb. 1: Hydrogen Tryout Areal
Wasserstoffbasierte Microgrids sind flexibel für unterschiedliche Anwendungsszenarien anpassbar. So kommen sie zur dezentralen Versorgung vorrangig im ländlichen Raum, aber auch in urbanen Ballungszentren und bei der Unterstützung industrieller Fertigung bzw. Prozesse zum Einsatz, als echte Alternative zu CO2-erzeugenden Dieselgeneratoren. Gelingt es, eine industrielle Produktion von Microgrids aufzubauen, nützt dies gleichermaßen Herstellern (industrielle Wertschöpfung), lokalen Gemeinschaften (stabile Energieversorgung) und dem Klimaschutz (CO2-neutrale Energieerzeugung).
HyTrA – Hydrogen Tryout Areal in Kapstadt/Südafrika
Das vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) geförderte Hydrogen Tryout Areal ist bestens dazu geeignet, die Wirksamkeit von Wasserstoff für eine stabile, klimaneutrale Energieversorgung unter Beweis zu stellen. Insbesondere für Regionen, die über überschüssige erneuerbare Energie verfügen und als Exporteure von Wasserstoff infrage kommen, bietet HyTrA die Möglichkeit, selbst Wasserstoff zu nutzen.
Rahmenbedingungen
Südafrikas Wirtschaft und Energieerzeugung hängen stark von der Kohle ab. Zudem gehört das Land zu den zwanzig größten Treibhausgasemittenten der Welt. Seine Stromversorgung ist sehr lückenhaft: Südafrikas staatlicher Energiekonzern Eskom muss seit mehr als einem Jahrzehnt Stromlieferungen für seine 60 Millionen Kunden rationieren. Die veraltete Infrastruktur führt zu einem geschätzten jährlichen Leistungsdefizit von vier Gigawatt, was dem Bedarf von etwa zehn Millionen Haushalten entspricht. Eine stabile Energieversorgung ist die Grundlage für ein sozial orientiertes Wirtschaftswachstum und unverzichtbar bei der Bekämpfung von Armut und Ungleichheit – Lösungen für die sichere Versorgung mit erneuerbaren Energien werden in Südafrika dringend benötigt.
HyTrA ist industrienah beim Unternehmen Alu-Cab, einem Hersteller von Autodachzelten und -zubehör in Kapstadt installiert. Alu-Cab verfügt bereits über Photovoltaikanlagen am Standort und kann nun auch die überschüssige Energie nutzen, um vor Ort Wasserstoff zu erzeugen, zu speichern und bei Bedarf rückzuverstromen. So sichert das Unternehmen mit dem Microgrid eine stabile Stromversorgung für seine Fertigung ab.
Lösungsüberblick
Zentrale Komponente von HyTrA ist ein von der Texulting GmbH und dem Fraunhofer IWU speziell für den afrikanischen Markt konzipiertes robustes und kostengünstiges Microgrid. Diese neuartige Lösung bildet den Mittelpunkt eines Hydrogen Tryout Areal, das zusätzlich über ein Technologie-Schaufenster verfügt, das bei Unternehmen das Interesse an der Komponentenherstellung und Montage bzw. Installation wecken soll. HyTrA ist außerdem in einen sozio-ökonomischen und -ökologischen H2-Frame integriert, der durch begleitende Informations- und Weiterbildungsangebote Umweltaspekte hervorhebt, die grundsätzlich zur Akzeptanz von Wasserstoff beitragen und auf die Social Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen angerechnet werden.
Microgrid
Bis heute spielen in Südafrika fossil betriebene Generatoren eine zentrale Rolle als Notstromaggregate bzw. zur Unterstützung der instabilen, nicht flächendeckend gewährleisteten Energieversorgung. Ziel bei der Entwicklung und Erprobung des kompakten 8-kW-Wasserstoff-Microgrids war, eine effiziente, robuste und kostenparitätische Alternative zu bieten. In der kompakten H2-Microgrid-Einheit ist die komplette Power-to-Power-Sektorenkopplung integriert. Alle benötigten Komponenten des Microgrids befinden sich in einem transportablen Gehäuse. Der über Solarzellen erzeugte Strom wird genutzt, um in dem Elektrolyseur Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Der Wasserstoff wird komprimiert und in geeigneten Gasflaschen gespeichert. Wird Strom benötigt, kann über einen Brennstoffzellen-Stack der Wasserstoff durch Zuführung von Umgebungsluft (Sauerstoff) wieder rückverstromt werden. Als Abfallprodukt entsteht wiederum Wasser, das in einem Tank gelagert und nach Bedarf für die Elektrolyse zur Verfügung gestellt wird. So entsteht ein geschlossener Wasserkreislauf, für den nur zu Beginn Wasser bereitgestellt werden muss und der anschließend nahezu verlustfrei arbeitet.
Das Microgrid integriert und vernetzt also verschiedene Komponenten, die die Wasserstofferzeugung, -speicherung und -rückverstromung für eine dezentrale Stromversorgung unabhängig von der temporären Verfügbarkeit erneuerbarer Energien sicherstellen und eine saisonale Speicherung von grüner Energie ermöglichen. Wesentlich ist dabei ein modularer, geschlossener Aufbau, der ein weitgehend wartungsfreies, flexibel skalierbares und leicht adaptierbares System ermöglicht.
Abb. 2: Microgrid-Struktur
Das im Rahmen von HyTrA entwickelte Microgrid ist ein autarkes Energienetz im kompakten Kleinformat. Was es einzigartig macht: Es ist perfekt an die spezifischen Anforderungen des afrikanischen Marktes angepasst. Mit einer Lebensdauer von über 60.000 Betriebsstunden (mehr als zehn Jahre) steht es für eine robuste und sichere technologische Lösung. So bietet das System neue Möglichkeiten hinsichtlich Speicherdichte, Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit, Wartungsfreiheit und Energieautarkie. Ausschließlich auf erneuerbaren Energien basierend ist das System der Schlüssel für eine dezentrale Stromversorgung, die auch netzferne und schwer zugängliche Gebiete abdeckt.
Technologie-Schaufenster
Das Wasserstofftechnologie-Schaufenster macht das Microgrid als virtuelles Referenz-Grid transparent. Das digitale Abbild zeigt, wie das physische System funktioniert, welche Vorteile es bietet, welche Systemkomponenten es umfasst und wie diese integriert werden. Darüber hinaus dient es der überregionalen Vermarktung von HyTrA. Es gestattet von Deutschland aus den Zugriff auf Funktionsdaten und gewährleistet so einen kontinuierlichen Austausch sowie eine verstärkte Zusammenarbeit.
Spezifische Tests und Feldversuche mit den eingesetzten Microgrid-Komponenten liefern Ergebnisse, die als Grundlage für die weitere Entwicklung dienen. Ziel ist es, die Robustheit des Systems sukzessive zu verbessern und den Einsatz in klimatisch und sozioökonomisch anspruchsvollen Gebieten zu optimieren. Komponentenhersteller in Deutschland können datenbasiert ihre Produkte für den Einsatz auf dem afrikanischen Markt anpassen und Standards weiterentwickeln. So gelingt eine risikominimierte Expansion.
Erweiterter Rahmen
Das weit gesteckte Framework erweitert zusätzlich den Wirkungsraum von HyTrA. So wurden beispielsweise Joint Ventures zwischen deutschen und afrikanischen Unternehmen initiiert. Zudem wurde der Aufbau regionaler Lieferketten gefördert. Bedarfsorientierte Unterstützungsleistungen und Informationsangebote erleichtern deutschen Unternehmen die Erschließung des afrikanischen Marktes, und einheimische Unternehmen, die an einer sicheren Energieversorgung und der Integration von Wasserstoff in ihre Prozesse interessiert sind, können Dienstleistungen deutscher Firmen in Anspruch nehmen.
Marketing, Beratung, Vertrieb und Kundenbetreuung zielen auf die Verankerung des Microgrids als klimaneutrale Alternative zu fossil betriebenen Generatoren ab. Auch der wissenschaftliche Austausch rund um Wasserstoff wird gefördert. Der Aufbau des Microgrids bietet dabei Anknüpfungspunkte für Forschungskooperationen, insbesondere zu technologischen und wirtschaftlichen Aspekten.
Nicht zuletzt ist der Wissenstransfer von zentraler Bedeutung, damit lokale Gemeinschaften die neuen Technologien nachhaltig und eigenständig nutzen können. So wurde beispielsweise die Zusammenarbeit mit der d-school des Hasso-Plattner-Instituts in Kapstadt kontinuierlich ausgebaut. Speziell sollte durch eine Design Thinking Challenge der Zugang zu sauberer Energie für ländliche Bauerngemeinschaften verbessert werden. Über einen Zeitraum von zehn Wochen entwickelten Studierende innovative Prototypen und Lösungsansätze für die spezifischen Herausforderungen dieser Gemeinden.
Inbetriebnahme und Begleitaktionen
Am 13. Juli 2023 wurde HyTrA in Kapstadt feierlich in Betrieb genommen, in Anwesenheit der Mayoral Committee Members for Energy in the City of Cape Town, von Vertretern von NOW und Z.U.G. und unterstützt von einem Grußwort des BMUV. Das Projekt-Team aus Fraunhofer IWU, Texulting GmbH, Alu-Cab, Universität Stellenbosch und Umstro GmbH produzierte den ersten Wasserstoff auf afrikanischem Boden, der anschließend für einen konkreten industriellen Anwendungsfall bei Alu-Cab rückverstromt wurde.
HyTrA ist ein wichtiger Grundstein dafür, mit Wasserstoff eine Brücke zwischen Afrika und Europa zu bauen. Anders als bei den Megawatt- und Gigawatt-Projekten großer Investoren ist dieses Vorhaben auf eine Nutzung von Wasserstoff in Afrika ausgelegt. Der Ansatz einer Partnerschaft auf Augenhöhe wird für beide Seiten nachhaltigen Nutzen schaffen.
Zum Einsatz kommen dabei Systeme und Know-how aus Deutschland. Speziell die beteiligten mittelständischen Unternehmen und wissenschaftlichen Partner können durch den Praxiseinsatz des Systems wichtige Erfahrungen und Nutzungsdaten für Weiterentwicklungen sammeln. Zudem bietet das Microgrid eine Grundlage für die anwendungsbezogene Ausbildung der dringend benötigten Fachkräfte. Aktuell durchläuft es einen Langzeittest, der wertvolle Daten zu Lebensdauer und Leistung liefert. Diese Daten helfen, die nächste Generation von Komponenten zu verbessern.
Bei einer entsprechenden Skalierung auf beiden Seiten wird Wasserstoff zum Exportgut für Afrika werden und die Energiewende Deutschlands substanziell unterstützen.
HygO – Wasseraufbereitung in Namibia
Mit HygO steht ein weiteres richtungsweisendes H2-Projekt in den Startlöchern. Das ebenfalls vom BMUV geförderte Projekt wird zusätzlich zu den Funktionalitäten des HyTrA-Systems auch den bei der Elektrolyse anfallenden Sauerstoff verwenden. Geplant ist, diesen für die Aufbereitung von Abwasser zu verwenden. Dazu wurden weitere Industriepartner eingebunden. Neben der Texulting GmbH und dem Fraunhofer IWU sind Haver & Boecker OHG und Krenkel Abwassertechnik GmbH neu im Projektteam. Momentan wird das Microgrid am Fraunhofer IWU aufgebaut. Geplant ist, es ab Juni in einem abgelegenen Gebiet in der Erongo-Region in Namibia in Betrieb zu nehmen.
Abb. 3: Gouverneur Neville Andre (Erongo Distrikt, Namibia) – rechts daneben Dr. Ulrike Beyer
HyGrid zum Wiederaufbau der Ukraine
Mit HyGrid fördert die Fraunhofer-Gesellschaft ein kostengünstiges und robustes Microgrid, das auf den am Fraunhofer IWU Chemnitz entwickelten Wasserstoff-Systemlösungen HyVentus (Elektrolyseur) und HyVictus (Brennstoffzelle) basiert. Ziel ist ein besonders wirtschaftliches Demonstrator-Microgrid als Blaupause für die industrielle Serienproduktion derartiger Systeme. Diese wasserstoffbasierten Microgrids werden beim Wiederaufbau der Ukraine zum Einsatz kommen und die kriegsbedingt stark geschädigte Stromversorgung stabilisieren. Durch die skalierte Plug-and-Play-Ausführung können sie den Bereich von einigen wenigen bis zu mehreren Hundert kW abdecken – ideal für die Bedarfe von Krankenhäusern, Betrieben, Schulen oder abgelegenen ländlichen Gebieten. Kernaufgabe auch dieser Microgrids ist es, erneuerbare Energie über einen längeren Zeitraum zu speichern und unmittelbare Energieüberschüsse in Wasserstoff zu wandeln, damit dieser in sonnen- und windarmen Perioden wieder rückverstromt werden kann. HyGrids werden einen Beitrag zur Energieversorgung im nächsten Winter leisten.
Abb. 4: Schema Wiederaufbau der Ukraine durch wirtschaftliche Lösungen zur dezentralen Energieversorgung
Wasserstoffbasierte Microgrids sind auch für Deutschland attraktiv
Die Sichtbarkeit der afrikanischen Aktivitäten des Fraunhofer IWU und seiner beteiligten Industriepartner hat auch zu zahlreichen Anfragen für den Einsatz wasserstoffbasierter Microgrids in Deutschland geführt. Insbesondere die Option, den bei der Elektrolyse entstehenden Sauerstoff zur Wasseraufbereitung einzusetzen, stellt ein Alleinstellungsmerkmal dar. Beispielsweise stammen viele Anfragen zur Dekarbonisierung von Sportzentren, die den tagsüber hergestellten Wasserstoff für den Betrieb von Flutlichtanlagen rückverstromen möchten. Der gewonnene Sauerstoff könnte zur Reinigung bzw. Desinfektion von Wasser verwendet werden und in Schwimmhallen oder zur Bewässerung von Hockeyplätzen zum Einsatz kommen. Auch die Abwärme der Microgrids wäre nutzbar, z. B. für die Heizung von Versorgungsgebäuden.
Wasserstoffbasierte Microgrids eignen sich für zahlreiche Anwendungsfälle der dezentralen Energieversorgung und bieten darüber hinaus weitere Vorteile, die ihren Wirkungsgrad weiter verbessern. Sie stellen für die deutsche Wirtschaft erhebliches Wertschöpfungspotenzial dar, sowohl unmittelbar in der Herstellung der benötigten Systemkomponenten als auch perspektivisch für Kooperationen mit Afrika.
0 Kommentare