Europas größter Hafen will nachhaltig werden
„Wie schnell können wir die Energiewende umsetzen?“ Diese Frage stellt sich seit geraumer Zeit der Hafen Rotterdam (Port of Rotterdam), der größte europäische Seegüterumschlagplatz. In der Vergangenheit – und auch heute noch – war das riesige Industrieareal von der Öl- und Gaswirtschaft geprägt. Unter anderem sind dort vier große Raffinerien angesiedelt, die jetzt dekarbonisiert werden müssen. Boudewijn Siemons, CEO und COO der Port of Rotterdam Authority, erklärte: „Wenn es elektrisch geht, sollte es so gemacht werden – ansonsten mit Wasserstoff.“
Um diesen Transformationsprozess voranzubringen, widmet sich die Hafengesellschaft gemeinsam mit dem Gasversorger Gasunie zunächst der Infrastruktur, denn „infrastructure is an enabler“, wie Gasunie-CEO Willemien Terpstra erklärt. Eines der Hauptvorhaben ist ein neues Pipeline-System – für Wasserstoff und Kohlendioxid. Der Neubau des Hydrogen Backbones (H2) sowie des Porthos-Rohrsystems (CO2) startete im Oktober 2023 mit dem ersten Spatenstich durch den niederländischen König Willem-Alexander.
Maßgebliche Unterstützung erhält der Hafen von politischer Seite. „Ich sehe eine Regierung, die wirklich daran arbeitet, Hemmnisse aus dem Weg zu räumen“, so der Hafenchef. Davon profitiert auch Deutschland, wohin ein Großteil der angelieferten Energie weitergeleitet wird. Dementsprechend sehen die Niederlande die Bundesrepublik als Hauptabnehmer auch für Wasserstoff – insbesondere Nordrhein-Westfalen.
Die Zeit des Wartens ist vorbei, denn 2030 werden große Kohlekraftwerke im Hafen abgeschaltet (s. Abb. 2). Die Eliminierung von CO2-Emissionen aus fossilen Energien ist aber nur ein Pfad, um bis 2030 den Kohlendioxidausstoß um 55 Prozent zu reduzieren. Neben der Effizienzsteigerung werden auch negative CO2-Emissionen nötig sein, entstehendes Kohlendioxid muss also per CCS (carbon capture & storage) eingelagert werden. „Wenn wir CO2-Emissionen reduzieren wollen, kommen wir an CCS nicht vorbei“, so Siemons.
Das hinter dem Umspannwerk befindliche Kohlekraftwerk wird bis 2030 abgeschaltet
Ziel ist die CO2-Neutralität bis 2050. Bis dahin sollen die bislang rund 100 Mio. t Rohöl, die jährlich in Rotterdam eingeführt werden, durch andere Medien ersetzt werden. So sollen rund 15 Mio. t Öl durch 20 Mio. t Wasserstoff substituiert werden, wobei rund 90 Prozent des benötigten Wasserstoffs importiert werden wird.
Auf Nachfrage, wie lang denn die anvisierte „temporäre Nutzung von blauem Wasserstoff“ andauern könnte, kommt eine deutliche Antwort: „Dekaden.“ Blauer Wasserstoff beziehungsweise „low-carbon hydrogen“, wie er und andere nicht grüne H2-Zusammensetzungen seit einiger Zeit genannt werden, soll als Initialzünder zum Aufbau einer H2-Wirtschaft herhalten. Dabei dürfte schon heute klar sein, dass die damit verbundenen Lock-in-Effekte erheblich sein werden, da die investierten Milliarden über mindestens 15 Jahre abgeschrieben werden sollen.
Dabei stellt die CO2-Gewinnung (capture) nur einen Teil der zu bewältigenden Aufgabe dar. Einem Gasstrom geringe Mengen Kohlendioxid zu entnehmen ist noch relativ einfach und effizient, aber je größer der Prozentsatz werden soll, desto aufwändiger wird es. Erste Erfahrungen in diesem Bereich liegen im Hafen vor: So wird dort beispielsweise bereits CO2 „gecapturet“ und in Treibhäusern für ein besseres Pflanzenwachstum genutzt. Ulrich Bünger vom Energieberatungsunternehmen LBST ist dennoch skeptisch und erklärte in Rotterdam, CCS sei noch längst nicht da, wo es hingestellt werde. Es lägen „kaum Erfahrungen“ vor, so der Energieexperte, während der Eindruck vermittelt werde, die Technologie sei erprobt.
Infrastructure is key
Für die Infrastruktur und deren Betreiber ist es egal, wie der Wasserstoff erzeugt wurde. Terpstra sagte dazu: „Wir sind bereit, jede Farbe zu transportieren.“ Dementsprechend hat Gasunie bereits vergangenes Jahr die finale Investitionsentscheidung für den Pipelinebau getätigt, obwohl bislang erst fünf Prozent der Kapazität verkauft seien, wie die erst seit März 2024 in diesem Amt befindliche Gasunie-Chefin erläuterte. Entscheidend sei dabei natürlich das starke Commitment der Regierung gewesen, die sich zu 50 Prozent an den Kosten beteiligt. Gemeinsam wolle man bis 2030 das Rohrsystem, das dann 10 GW an Leistung bereitstellen kann, fertigstellen.
Abb. 3: Shell-Raffinerie im Hafen von Rotterdam
Auf HZwei-Nachfrage, wie denn der Wasserstoff nach Rotterdam transportiert werde, nannte Boudewijn Siemons alle Optionen: Ammoniak, Methanol, LH2 und LOHC – keine Variante werde von Beginn an ausgeschlossen. Auf Nachhaken hin, ob die Hafengesellschaft denn große Mengen Ammoniak sicher händeln könne, zögerte Siemons zunächst kurz, erwiderte dann aber selbstsicher: „Ja, ich denke, das können wir. Da bin ich ziemlich sicher.“ Gleichzeitig räumte er jedoch ein, es eigne sich „nicht jeder Ort im Hafen“.
Da schon seit langem Ammoniaktanks im Hafen vorhanden sind, existiert auch bereits entsprechende Expertise. Geplant ist, die Speicherkapazitäten für Ammoniak in den nächsten Jahren gegenüber 2023 zu verdreifachen. Eine derartige Veränderung bei den Kraftstoffen und Energiespeichermedien dürfte allerdings das Erscheinungsbild des weltweit elftgrößten Hafens gar nicht so wesentlich verändern, sind sich die Betreiber sicher. Auch wenn die Medien andere werden, werden viele Installationen ähnlich aussehen wie bisher. So ist bereits heute klar, dass auch eine Infrastruktur für LOHC und LH2 aufgebaut wird. Entsprechende Partnerschaften mit Chiyoda und Hydrogenious bestehen bereits.
200-MW-Elektrolyseur von Shell
Das Highlight im Hafen ist aber Holland Hydrogen 1 (s. Abb. 1), ein 200-MW-Elektrolyseur, der so dimensioniert ist, dass der mithilfe von Windkraftanlagen erzeugte grüne Wasserstoff dann die bisher im Port benötigte Menge grauen Wasserstoffs ersetzen kann. Der benötigte Strom wird aus einem 759-MW-Offshore-Windpark (Hollandse Kust Noord) nördlich von Rotterdam bezogen, der direkt angebunden ist. Damit alle EU-Regularien erfüllt werden, wird die H2-Produktion (ca. 20.000 t pro Jahr) dem jeweiligen Windangebot folgen, auch wenn dies bedeutet, dass die Elektrolyseure nicht 24/7 durchlaufen können.
Für dieses Vorhaben, für das bereits die finale Investitionsentscheidung gefallen ist, erhielt Shell den diesjährigen Green Hydrogen Project Award während des Summits. Das Areal, auf dem die insgesamt zehn 20-MW-Elektrolyseurmodule von ThyssenKrupp nucera installiert werden sollen, ist sogenanntes „proclaimed land“, wurde also der Nordsee abgerungen. Früher war dort, wo der Konversionspark aufgebaut wird, Wasser. Bis zur Inbetriebnahme dürfte es allerdings noch bis Ende des Jahrzehnts dauern. Perspektivisch könnte dann auch noch Holland Hydrogen 2 folgen, ein zweites Areal mit ebenfalls 200 MW. Bis 2030 könnten es bereits 2 GW sein.
Die H2-Rohre (schwarz) und die CO2-Rohre (weiß) liegen mitunter nur 40 cm voneinander entfernt
Die derzeit im Entstehen begriffene entsprechende H2-Pipeline verbindet dann die H2-Produktionsstätte mit den verschiedenen Raffinerien und anderen Abnehmern. Ausreichend Wind für eine grüne Wasserstoffproduktion ist in Rotterdam vorhanden. Allein auf dem Hafengebiet sind 300 MW Windkraft installiert. Da dies mehr Strom ist, als benötigt wird, wurde bereits ein großer stationärer Akkumulator installiert, um zumindest einen Teil dieses Grünstroms zwischenspeichern zu können.
Die Wasserstoffrohre messen 1,2 m (48 Inch) im Durchmesser und werden mit 30 bis 50 bar beaufschlagt. Der Neubau der ersten 30 Kilometer quer durch den Hafen kostet 100 Mio. Euro. Das gesamte H2-Backbone-Netz innerhalb der Niederlande (1.100 km) wird voraussichtlich 1,5 bis 2 Mrd. Euro teuer. 85 Prozent des zukünftigen H2-Pipelinesystems werden allerdings aus umgenutzten Gasröhren bestehen.
Parallel erfolgt der Bau der CO2-Pipeline Porthos. Dieses Rohrsystem verbindet zahlreiche Standorte im Hafen mit der vor der Küste gelegenen Plattform, über die dann das Kohlendioxid in unterseeische Gasfelder eingespeist werden soll.
Die H2-Rohre für den Hydrogen Backbone liegen parat und werden gerade unter die Erde gebracht
Future Land informiert über H2-Aktivitäten
Um über all diese Aktivitäten informieren zu können, hat der Hafen „Future Land“ eingerichtet, eine Anlaufstelle für Touristen, Schulklassen, Presse und Investoren, wo diese Antworten auf ihre Fragen zur Zukunft des Hafens erhalten. Das Informationszentrum liegt genau unterhalb der weltweit größten Windkraftanlage. Die Haliade-X 13 ist 260 m hoch und leistet 14 Megawatt. Sie ist für Offshore-Windparks in der Nordsee konzipiert, wird aber zunächst noch, seit 2021, an Land getestet und kann sechs Millionen Haushalte mit Strom versorgen.
Bezüglich der Tatsache, dass ein Drittel der in Deutschland benötigten Energie über Rotterdam ins Land kommt, erklärte Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission: „Wenn es dem Hafen von Rotterdam gut geht, geht es der europäischen Wirtschaft gut.“
Autor: Sven Geitmann
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