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Beitrag von Fabian Rundel

23. Mai 2024

Titelbild:

Bildquelle: August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse gGmbH

Potenziale der Digitalisierung

Günstiger grüner Wasserstoff durch Digitalisierung

Die Planungen zum Ausbau der deutschen Wasserstofflandschaft sind in vollem Gange. Viele Elektrolyseure zur Produktion von grünem Wasserstoff sowie Tausende Kilometer neugebauter oder umgestellter Pipelines zum Transport des Wasserstoffs werden in den nächsten Jahren errichtet werden. Dies bietet uns die Chance, die beiden Zukunftstrends Wasserstoff und Digitalisierung von Anfang an gemeinsam zu denken und Digitalisierung im Wasserstoffsektor zu implementieren. Dieser Beitrag soll zeigen, welche Potenziale die Digitalisierung entlang der gesamten grünen H2-Wertschöpfungskette heben kann.

Die Bundesregierung hat das Ziel der Vollversorgung auf Basis von Wind- und Solarstrom bis 2035 ausgerufen und sich zum Ziel der ganzheitlichen Treibhausgasneutralität bis 2045 bekannt. Um die mit dem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien einhergehende Volatilität in Sachen Energieverfügbarkeit abzufedern, setzt Deutschland neben Flexibilitätsoptionen und Energiespeichern künftig auf wasserstofffähige Gaskraftwerke. Diese sollen perspektivisch mit grünem Wasserstoff betrieben werden und in Zeiten einer Dunkelflaute die stabile Stromversorgung sichern.

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Auch deswegen beschloss das Bundeskabinett im Juli 2023 die Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS). Hauptziel darin ist es, die Wasserstoffkapazität bis 2030 auf 10 GW auszubauen. Dies geht mit großskaligen Infrastrukturprojekten zur Errichtung von Elektrolyseuren für die grüne Wasserstoffproduktion einher. Damit deren Integration in die bestehende Gasversorgungslandschaft erfolgreich verläuft, muss von Anfang an auf Digitalisierung gesetzt werden.

Anwendungspotenziale von Digitalisierung

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Digitalisierung kann im Wasserstoffsektor vor allem Prognose- und Monitoringdienste übernehmen und gleichzeitig für einen effizienten Datenaustausch sorgen. Seien es die Prognose von grünem Überschussstrom zur Wasserstoffproduktion, Zertifikate für grünen Wasserstoff im Handelsbereich, der Einsatz digitaler Zwillinge im neu zu bauenden oder umzustellenden Transportnetz oder neuartige digitale Lösungen im Wasserstoff-Nominierungsprozess der Gasnetzbetreiber, die aufgrund der immer dezentraler aufgestellten Einspeisung hier vor neuen Herausforderungen stehen (s. Abb. 1).

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Abb. 1: Potenzielle Anwendungsfälle von Digitalisierung im Wasserstoffsektor. Im inneren Ring ist die Wasserstoff-Wertschöpfungskette (Erzeugung, Speicherung sowie Transport, Nutzung) dargestellt. Im mittleren Ring stehen die Aufgaben, die Digitalisierung dort übernehmen kann. Im äußeren Ring sind die Technologien aufgeführt, die zur Erfüllung der Aufgaben zum Einsatz kommen können.

Insbesondere während der aktuellen Aufbauphase der Wasserstoffinfrastruktur ist es entscheidend, dass Herstellung, Verteilung und Nutzung von Wasserstoff gut aufeinander abgestimmt sind. Dafür müssen Informationsflüsse zwischen den einzelnen Gliedern der Wertschöpfungskette gewährleistet sein. Die Wasserstofferzeugung muss beispielsweise auf der einen Seite mit der Stromerzeugung gekoppelt werden und auf der anderen Seite mit dem Transportnetz und den Abnehmern in der Industrie. Das der Wasserstofferzeugung nachgelagerte Transport- und Speichernetz fungiert als Umschlagspunkt und muss seinerseits darüber informiert sein, was auf der stark dezentralisierten Zufuhrseite eingespeist wird und auf der Verbrauchsseite benötigt wird.

Der Flaschenhals der bisherigen H2-Aufbauaktivitäten war genau diese fehlende Transparenz: Bisher zögerten Energieversorger, in kostspielige Elektrolyseure zur Wasserstoffproduktion zu investieren, da es kein Leitungsnetz für den Abtransport des Gases gab. Netzbetreiber wiederum zögerten, Leitungen zu verlegen, solange es keine Kunden gab. Gleichzeitig zögerten Industriebetriebe, feste Abnahmeverträge abzuschließen, solange kein Transportnetz vorhanden war. Wollen wir nicht, dass sich dieser Trend der Aufbauphase im Tagesgeschäft der nächsten Jahre fortsetzt, müssen wir von Anfang an gegensteuern, solange wir in der jetzigen Hochlaufphase noch einen großen Gestaltungsspielraum haben.

Digitale Plattform entlang der H2-Wertschöpfungskette

Die Ideallösung wäre eine multidirektionale digitale Vernetzung der Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf einer gemeinsamen Plattform. Eine solche digitale Plattform (s. Abb. 2) kann aus verschiedenen Modulen zusammengesetzt werden. Die H2-Wertschöpfungskette wird damit unter einem Dach zusammengeführt, indem die einzelnen Instanzen digital abgebildet werden. Dies ist sowohl innerhalb eines Unternehmens möglich, welches sowohl Erzeugung als auch Verbrauch von Wasserstoff auf dem eigenen Gelände abbildet, als auch zwischen verschiedenen Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette. Die Plattform kann je nach Vernetzungstiefe verschiedene Ebenen haben und je nach Einsatzszenario mehrere Aufgaben übernehmen. Exemplarisch sind hier einige Vernetzungsebenen und deren Funktionalitäten beschrieben:

  • Dashboarding: Auf der untersten Ebene der Plattform mit geringstem Vernetzungsgrad kann als erste Ausbaustufe ein Dashboard integriert werden. Hier sollen Ausbauziele und aktuelle Projektstände aufgeführt werden sowie Stakeholder in der Wasserstoffindustrie die Möglichkeit bekommen, sich und ihre Projekte vorzustellen. Dies dient allgemein der Transparenzmachung von zum Beispiel Ständen der bisherigen inländischen Wasserstoffvorhaben, von agierenden Stakeholdern in den einzelnen Kettengliedern der Wertschöpfungskette sowie aktuellen Trends und Best-Practice-Ansätzen.
  • Kommunikation und Kollaboration: In logischer Fortsetzung der ersten Ausbaustufe kann die Plattform als Kommunikations- und Kollaborationsraum genutzt werden. In dieser Funktion kann sie einen sicheren, intelligenten und effizienten Datenaustausch in Echtzeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette ermöglichen. Egal ob innerhalb von Projektkonsortien oder auch zwischen verschiedenen Vorhaben bzw. Stakeholdern aus dem Wasserstoffbereich: Beim einfachen Austausch von Nachrichten, Dateien oder anderen Informationen war das bisherige Kernproblem eine effektive Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren sowie der gebündelte Zugang zu Informationen. Hierfür ist eine gemeinsame Datengrundlage, auf die die beteiligten Akteure zurückgreifen können, elementar. Seien es verifizierte Erfahrungswerte zu Elektrolyseur- oder Pipeline-Lebensdauern, H2-Gestehungskosten oder -Bedarfsprognosen für die nächsten Jahre – es muss eine vertrauenswürdige Quelle geben, die Anlaufstelle für alle Akteure der H2-Community ist. Eine einfache Registrierung auf der Plattform ermöglicht das Teilen, Auslesen und Kommentieren von Informationen sowie ein selektives Zuweisen von Lese- und Schreibrechten oder auch das Erstellen verschiedener Gruppen. Ein praxisnaher Anwendungsfall ist die Abwicklung einer Abfrage bei Unternehmen über ihren prognostizierten künftigen Wasserstoffbedarf über die Plattform. Besser geschieht dies an einer Stelle deutschlandweit gebündelt, als wenn jede Region dies unter großem Mehraufwand für sich durchführt.
  • Abwicklung des Tagesgeschäfts: Neben der Arbeit in Aufbauprojekten können in die Plattform auch Aktivitäten des H2-Tagesgeschäfts integriert werden. Hier kommen nun die einzelnen Module zum Tragen, die die einzelnen Instanzen der H2-Wertschöpfungskette abbilden. Im Elektrolyseurmodul beispielsweise sitzen die Elektrolyseurbetreiber, welche von den Stromhändlern aus dem Modul Stromerzeugung Informationen über den prognostizierten Grünstromüberschuss erhalten und im Gegenzug den Gasnetzbetreibern im nachgelagerten Leitungsnetzmodul ihre prognostizierten Einspeisemengen übermitteln können. Die Händler und Lieferanten erhalten wiederum mittels Echtzeitdaten die aktuellen Wasserstoffpreise und können ihren Kunden nun verschiedene H2-Pakete anbieten: Ein Standardpaket, das ähnlich dem Terminmarkt über einen längeren Zeitraum einen konstanten Wasserstoffpreis garantiert, oder aber kurzfristige Pakete, die grünen Wasserstoff auf Basis von kostengünstigem grünem Überschussstrom enthalten und somit erheblich günstiger sind. Was in diesem Fall die industriellen Abnehmer mitbringen müssen, ist ein gewisses Maß an Flexibilität in Sachen Lieferzeitpunkt für einen bestimmten Teil ihres georderten Wasserstoffs. Industrieabnehmer müssen für sich einen geeigneten Mix aus kurzfristiger und meist günstiger sowie langfristiger und sicherer, aber auch teurerer Beschaffung finden.

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Abb. 2: Schematische Darstellung einer modular aufgebauten digitalen Plattform für die gesamte Wasserstoff-Wertschöpfungskette

Dieser holistische Ansatz ermöglicht es, Synergien zu schaffen und Wasserstoff möglichst kosten- und energieeffizient sowie bedarfsgerecht aus erneuerbarer Überschussenergie zu produzieren, zu verteilen und zu nutzen. Der nächste Abschnitt bietet einen detaillierteren Einblick in das beispielhafte Zusammenspiel des Elektrolyseurmoduls und des Strommoduls und die dadurch geschaffenen Mehrwerte für die deutsche Energieversorgung.

Konzept zur Senkung der Gestehungskosten

Bisher gilt grüner Wasserstoff noch als Champagner der Energiewende. Damit dies nicht so bleibt, muss seine Produktion einen drastischen Kostensenkungsprozess erfahren. Während die Hardware der Elektrolyseure tendenziell immer günstiger wird (Capital Expenditures), ist der Strompreis eines Standortes der größte Faktor der laufenden Betriebskosten (Operational Expenditures) und dominiert insgesamt die inländischen H2-Gestehungskosten. Will man also Kosten einsparen, müssen Synergien zwischen der Wasserstoffsynthese und der Stromproduktion geschaffen werden. Grundsätzlich gilt grüner Strom aus Wind und Photovoltaik als kostengünstigste Form des Stroms, wäre er nicht so volatil. Aufgrund dieser Volatilität müssen in Zeiten einer Dunkelflaute die teuren, perspektivisch wasserstofffähigen Gaskraftwerke zur Deckung der Residuallast einspringen. Da an der Strombörse immer der teuerste Erzeuger den Strompreis aller Anbieter bestimmt, hebt dies den Strompreis und damit auch indirekt den Preis für inländisch produzierten Wasserstoff (Wasserstoff-Grünstrom-Paradoxon).

Eine Lösung dafür ist sicherlich der leitungsgebundene Import von günstigem Wasserstoff aus Portugal oder Nordspanien. Doch für die Versorgungssicherung und die inländische Resilienz kann das nicht die einzige Lösung sein. Der Schlüssel liegt in der Nutzung von erneuerbarer Überschussenergie zur Wasserstoffsynthese. Klar ist auch: Um unseren Bedarf zu decken und die Investitionsausgaben (CapEx) gering zu halten, brauchen die Elektrolyseure eine hohe Auslastung und können nicht nur in Stromüberschusszeiten betrieben werden. Dennoch kann Wasserstoff letztendlich nur günstig im Inland produziert werden, wenn zumindest ein großer Teil auch wirklich in Zeiten produziert wird, in denen erneuerbarer Strom im Überschuss vorliegt und deshalb am Spotmarkt günstig zu beschaffen ist. Wasserstoffproduzenten müssen aktiv daran arbeiten, diese Zeiten zu identifizieren – und hier kommt Digitalisierung ins Spiel.

Wetterprognosen und Spotmarkt

Das Prinzip ist bekannt: Wetteralgorithmen prognostizieren Zeiten mit besonders hohem Wind- und PV-Potenzial und teilen diese Daten mit den Betreibern von Elektrolyseuren. Diese wiederum ordern den in diesen Zeiten günstigen Strom auf dem Spotmarkt. Dadurch wird nicht nur vermieden, dass Windkraftanlagen durch die Netzbetreiber abgeregelt werden müssen (2021 wurden aufgrund von Netzengpässen ca. 6 TWh erneuerbare Energie abgeregelt). Darüber hinaus wird den Elektrolyseurbetreibern auch eine kosteneffizientere Wasserstofferzeugung ermöglicht. Das Ganze funktioniert aber nur bei einer Strombeschaffung am Spotmarkt.

Viele Unternehmen schrecken aufgrund des vermeintlichen Mehraufwands sowie Preisrisikos davor zurück und kaufen Strom lieber langfristig auf dem Terminmarkt ein. Wer aber Strom zum richtigen Zeitpunkt einkauft, kann im Vergleich zu einer reinen Terminmarktbeschaffung bares Geld sparen.  Um den Unternehmen diese Hürde zu nehmen, kann durch Schaffung eines digitalen Tools alles in einem Interface vereint werden: Wetterprognose und Strombeschaffung integriert in die Elektrolyseursteuerung zur Wasserstoffproduktion, mit welcher über sichere Schnittstellen kommuniziert werden kann. Mithilfe dieses Blicks in die meteorologische Zukunft kann zum einen ein größerer Teil unseres erneuerbaren Energiepotenzials genutzt werden, und zum anderen kann Wasserstoff für die deutsche Industrie kostengünstiger produziert werden.

August-Wilhelm Scheer Institut für digitale Produkte und Prozesse gGmbH

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