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Beitrag von Sven Geitmann

31. Oktober 2023

Titelbild: Tassilo Gast bei der Hannover-Messe-Preview in Berlin

Bildquelle: Emerson

Schneller skalieren

Interview mit Tassilo Gast von Emerson

Wenn Wasserstoff die Welt verändern soll, müssen die entsprechenden Industrien ihre Kapazitäten in wenigen Jahren massiv ausbauen. Das geht nur, wenn man auf vorhandenes Wissen aufbaut. Was beim Skalieren und Automatisieren wichtig ist, erklärt Tassilo Gast vom Automatisierungsspezialisten Emerson im HZwei-Interview.

HZwei: In den kommenden Jahren wird die H2-Wirtschaft sehr schnell wachsen müssen. Worauf müssen Unternehmen, zum Beispiel Hersteller von Elektrolyseuren, dabei besonders achten?

Gast: Bei den Elektrolyseprojekten, die in den Nachrichten angekündigt werden, geht es um Größenordnungen von 100 Megawatt bis hin zu 1 Gigawatt. Bisher installierte Elektrolyseure haben meistens elektrische Leistungen von 2 oder 5 MW. Das ist ein Wachstum um ein Vielfaches und damit eine große Herausforderung für die Hersteller.

Elektrolyseure sind in aller Regel modular aufgebaut. Bei der Skalierung bleibt dieses Prinzip größtenteils bestehen, schon allein, weil die Größe der Stacks physikalisch und elektrochemisch begrenzt ist. Gängig sind heutzutage Stacks mit etwa 2,5 MW elektrischer Leistung. Selbst wenn ein Stack in Zukunft zehn Megawatt hätte, bräuchte man für einen 100-MW-Elektrolyseur zehn davon, für ein Gigawatt-Projekt Hunderte. Wenn ich also zehn Module einfach nebeneinanderstelle, nach dem Prinzip „scale up by numbering up“, habe ich zehnmal so viele Schnittstellen, zehnmal so viele Kabelkanäle und so weiter. Das alles zu verkabeln, zu balancieren und zu steuern, ist sehr komplex. Man muss folglich die Systemarchitektur überdenken.

Nehmen wir eine große Elektrolyseanlage – wie würde eine gelungene Skalierung mit angepasster Systemarchitektur aussehen?

Wichtig ist, dass sich jemand frühzeitig das Gesamtsystem anschaut. Im Falle von Emerson haben wir dafür eine eigene Business Unit für Systeme. Theoretisch könnten die Hersteller das auch selbst machen, aber sie haben in der Wachstumsphase oft gar nicht die Kapazität, selbst diesen Schritt zu gehen beziehungsweise zurückzutreten und das große Ganze in den Blick zu nehmen.

Je nach Skalierungsfaktor kann es dann zunächst um kleinere Schritte gehen, zum Beispiel das Zusammenfassen von Bilanzkreisen. Ab einer bestimmten Größe, spätestens bei einigen Hundert Megawatt, wird man aber ganz anders bauen müssen. Dann kann man die Module nicht mehr in einzelnen Containern installieren, wie man es bei den kleineren Anlagen macht – schon allein, weil die Container in Summe zu teuer würden. Stattdessen baut man eine Anlage mit den Stacks in einem Bereich und den dazugehörigen umgebenden Anlagenteilen, zum Beispiel der Wasseraufbereitung, wie bei Greenfield-Projekten. Der Elektrolyseur würde also ähnlich geplant wie eine klassische Chemieanlage, auf offenem Feld – oder überdacht – mit getrennten Prozess- und Anlagenteilen. Wenn wir an so einem Prozess beteiligt sind, ist eine enge Zusammenarbeit sehr wichtig. Man muss sehr tief gemeinsam in den Prozess hineinschauen, damit es wirklich gelingt, Effizienzpotenziale zu heben und die Markteinführung zu verkürzen.

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Gibt es neben der Redundanz von Komponenten und der räumlichen Anordnung noch weitere Probleme bei der Skalierung, die man mit entsprechender Planung vermeiden kann?

Ja, die gibt es, zum Beispiel in Bezug auf die Sicherheit. Wasserstoff ist ja ein explosives Gas. Und mit der Anlagengröße steigt auch die Menge des Gases und damit auch das Gefahrenpotenzial für umgebende Areale. Geräte und Armaturen müssen Sicherheits- und Abschaltrichtlinien entsprechen, im Störfall muss ein sicheres Herunterfahren möglich sein. Es gibt spezielle Software von AspenTech, die seit 2022 zu Emerson gehören, die dabei hilft, eine Anlage virtuell zu skalieren, und die auf absehbare Bottlenecks und Sicherheitsaspekte hinweist.

Welche Rolle kann ein digitaler Zwilling in so einer virtuellen Skalierung spielen?

Der Begriff „Digitaler Zwilling“ wird sehr unterschiedlich gebraucht. Im einfachsten Fall spricht man von einem virtuellen Abbild der Anlage. Der nächste Schritt ist, das digitale Abbild mit Daten aus dem laufenden Prozess zu speisen. So kann man abgleichen, ob die Simulation der Realität entspricht. Digitale Zwillinge von Emerson sind in der Lage, Daten aus der Simulation heraus mit Reaktionen von Feldinstrumenten und Steuerungselementen aus dem Feld abzugleichen und somit das Verhalten des Prozesses vorwegzunehmen. Das hilft zum Beispiel Elektrolyseherstellern oder EPCs ungemein, wenn es darum geht, die Skalierungseffekte von größer werdenden Anlagen vorab zu bewerten. Letztendlich ermöglicht das eine bessere Betriebsführung – mit höherer Effizienz, geringeren Kosten und einer höheren Lebensdauer der Komponenten.

Haben Sie denn schon eine solche Skalierung bei einem Elektrolyseurhersteller umgesetzt, so dass Sie von den Erfahrungen berichten können?

Erste Projekte in der Wasserstoffbranche haben wir global sehr viele. Zum Beispiel haben wir die weltgrößte PEM-Elektrolyseanlage mit Steuerung, Ventilen und Instrumenten ausgestattet. Sie steht bei Air Liquide in Bécancour, Kanada. Auch die Einbindung in den örtlichen Chemieprozess hat Emerson umgesetzt.

Wir können dabei auf unser Know-how aus anderen Branchen zurückgreifen. Ganz gleich, welche Elektrolysetechnologie – PEM, alkalische, AEM – zum Einsatz kommt, skalierte Elektrolyseure brauchen alle zum Beispiel sehr viel Wasser. Das Wasser muss demineralisiert und zum Elektrolyseur transportiert werden und dort mit der richtigen Temperatur und dem richtigen Druck ankommen. Wir kümmern uns darum, alle diese Größen zu messen, die passenden Ventile und Armaturen zu finden und den Prozess zu steuern – über den Elektrolyseur über die Gastrennung und -trocknung bis hin zur Gasanalytik am Ende, um zu prüfen, welcher Qualitätsstufe der Wasserstoff entspricht.

Die Stack-Produktion ist grundsätzlich schon weit automatisiert. Die Bipolarplatten werden zum Beispiel automatisch verschraubt. Auch dabei kommen teilweise Emerson-Komponenten zum Einsatz, zum Beispiel, um Bauteile mit Druckluft in eine bestimmte Position zu bringen.

Für welche Firmen in der Wasserstoffbranche ist die Automatisierung oder sonstige Optimierung zusammen mit Emerson denn außerdem interessant?

Wir sind in der gesamten Wasserstoffwertschöpfungskette aktiv: In der H2-Erzeugung, im Transport und der Verteilung sowie bei den Endverbrauchern. Ein Endverbraucher von Wasserstoff kann ein großer Chemiekonzern, Stahlkonzern oder eine Raffinerie sein, aber auch ein Unternehmen aus den Branchen Papier, Life Science und Zement. Wir haben zum Beispiel bei einem unabhängigen Betreiber aus Südkorea ein System aus zahlreichen H2-Tankstellen installiert. Er sieht nun genau, wie viel Wasserstoff zu welcher Zeit an welchen Tankstellen benötigt wird, wie viele Tankvorgänge stattfinden, ob irgendwo Probleme auftreten und welche logistischen Maßnahmen er zu treffen hat, um seine Lieferlogistik an den Bedarf anzupassen. Solche übergeordneten Steuerungen und Systemarchitekturen zur Aufnahme von Daten und Signalen spielen auch in großen Projekten der Sektorenkopplung eine Rolle, bei denen von der Erzeugung von grünem Strom mit Wind oder Photovoltaik über die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse bis hin zur Verteilung über Pipelines und Tankstellen oder an Brennstoffzellen alle Schritte überwacht und aufeinander abgestimmt werden können.

In einem anderen Fall haben wir eine komplette Mischstation für die Einspeisung von Wasserstoff ins Erdgasnetz geliefert. Dabei haben wir mit einem Partner aus dem Anlagenbau zusammengearbeitet. Für einen Hersteller von Wasserstoffanlagen und EPCs ist das von großem Vorteil. Er verfügt über einen zentralen Ansprechpartner für alle Aspekte der Automatisierung, der alles aus einer Hand liefert. Das ist nicht nur deutlich schneller, sondern bringt auch einen eindeutigen CAPEX-Vorteil auf Seiten des Herstellers.

Geht das alles schnell genug, um den Hochlauf einer Wasserstoffindustrie zu stemmen?

Damit der Hochlauf gelingt, müssen alle Teile der Industrie gemeinsam skalieren. Da hilft kein Silodenken für einzelne Anlagen oder Hersteller. Viele Elektrolyseurhersteller machen bei der Skalierung einfach bereits Bekanntes in mehr und größer. Aber wenn man die Systemarchitektur nicht anpasst, erhöhen sich CAPEX-Kosten, und es bestehen Ineffizienzen, die gar nicht sein müssten. Eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Gesamtkonzept Automatisierung, jenseits der Entwicklung neuer Membranen oder sonstiger Forschungsaufgaben, hat ein hohes Potenzial zur Kostensenkung. Um das zu heben, muss man frühzeitig vielerlei Ideen und Konzepte prüfen und benötigt einen Automatisierungspartner mit einem kompletten Portfolio. Alle müssen ihren Partnern gegenüber so weit wie möglich mit offenen Karten spielen, um gemeinsam Potenziale zu identifizieren.

Können wir es mit einer guten Automatisierung in Deutschland und Europa schaffen, in der Wasserstofftechnik wettbewerbsfähig zu bleiben?

Wir haben in Europa eine unglaubliche Bandbreite an Firmen und Unternehmen aus der Wasserstoffwirtschaft, speziell in Deutschland. Die Technologien dieser Firmen haben einen sehr hohen technologischen Reifegrad – die Anlagen werden global exportiert. Es gibt viele Firmen mit viel Know-how. Selbst wenn die Personalkosten hier höher sind, fällt das gegenüber einem anderen Aspekt kaum ins Gewicht. Das Problem sind vielmehr die Regularien und die Politik. In den USA gibt es beispielsweise den Inflation Reduction Act, bei dem die Firmen sehr viel Unterstützung bekommen, wenn ihre Wertschöpfung in den USA liegt. Das zielt insbesondere auf Unternehmen aus den Bereichen Umwelt und Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel Hersteller von Wasserstoffanlagen oder Teilbereiche der Wasserstoffwertschöpfungskette. Das ist wegweisend für die europäische Industrie, das heißt, hier muss Europa dringend nachsteuern.

Ein anderes Thema ist, dass die Genehmigungen für Projekte und Anlagen in Europa viel zu lange dauern und zu verschieden sind. Ein einheitliches Regelwerk würde vieles vereinfachen. Aber nicht nur bei den Genehmigungen, auch bei anderen politischen Zusagen, wie zum Beispiel Förderungen und Vorgaben oder Zielen, dauert es in Europa sehr lange. Ein Beispiel ist die RED-III-Richtlinie. Die EU hat nun höhere Gesamtziele verkündet und die Beschleunigung der Genehmigungsverfahren fortgeschrieben. Trotzdem dauern die Verfahren noch zu lange. Wenn die Industrie der Wasserstoffwirtschaft in Europa und in Deutschland bleiben und weiter skalieren soll, muss hier also vieles schneller werden.

Zur Person:

Tassilo Gast ist Emerging Market Business Development Manager für die Region DACH (Deutschland, Österreich, Schweiz) bei Emerson. Das Unternehmen mit rund 70.000 Beschäftigten weltweit ist auf Automatisierungslösungen spezialisiert. Zu seinen Angeboten gehören Hardware wie Ventile und Messtechnik, Software für Simulation und Betriebsführung sowie Dienstleistungen wie Beratung und Planung. Im Mai 2022 erlangte Emerson eine Mehrheit an der Firma AspenTech, einem Spezialisten für Software zur Prozesssimulation. Emerson ist für Kunden verschiedener Branchen tätig, von der Brauerei bis zur Raffinerie. Auch in der Wasserstoffbranche hat Emerson viele Kunden. Der Hauptsitz des Unternehmens liegt in Saint Louis im US-Bundesstaat Missouri.

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