Wasserstoff-Wettbewerb zwischen den USA und Deutschland

Wasserstoff-Wettbewerb zwischen den USA und Deutschland

Wo etabliert sich zuerst eine Wasserstoffwirtschaft? Diese Frage treibt derzeit nicht nur die deutsche Energiebranche um. Nachdem in den USA eine neue Gesetzgebung, der Inflation Reduction Act, sehr attraktive Rahmenbedingungen für den Aufbau einer H2-Industrie geschaffen hat, läuft Deutschland wieder mal Gefahr, auf der Strecke zu bleiben. Die hiesige Wirtschaft spricht sich deswegen gemeinsam mit Verbänden für ein schnelles politisches Handeln aus.

Die Herausforderung ist gewaltig, denn sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene wurden die Zielvorgaben für den Aufbau zukünftiger Elektrolyseurkapazitäten erhöht: Ursprünglich hieß es, in Europa sollen bis 2030 40 GW aufgebaut werden. Seit Mai 2022 lautet das Ziel, die Produktionskapazitäten für Elektrolyseure bis 2025 zu verzehnfachen. In Deutschland sollen nun 10 GW statt nur 5 GW bis 2030 installiert werden. Um allerdings diese Werte auch nur annähernd erreichen zu können (derzeit sind in der EU 3 GW installiert), fehlen konkrete Maßnahmen, wie die erforderliche Hochskalierung gefördert und Anreize für die Investition in eine Wasserstoffwirtschaft geschaffen werden können.

---------- Werbung ----------

Eine Forderung des Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verbands e. V., die der Vorstandsvorsitzende Werner Diwald derzeit auf jeder Veranstaltung wiederholt, ist die zeitnahe Umsetzung der 37. BImSchV (37. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes). Der DWV weist seit Monaten darauf hin, dass Industrien global agieren und vornehmlich dort investieren, wo die besten Rahmenbedingungen sind. Solange aber hierzulande weiterhin Unklarheit herrsche (s. RED II, 37. BImSchV), fehle der Wirtschaft die erforderliche Planungssicherheit, um Investitionsentscheidungen tätigen zu können, so Diwald.

---------- Werbung ----------

Sehr viel mehr Planungssicherheit gibt es mittlerweile in den USA, seit die Biden-Regierung den Inflation Reduction Act ausgerufen hat. Seitdem denken immer mehr europäische Elektrolyseurhersteller laut darüber nach, dort ihre Produktionskapazitäten aufzubauen, also nicht in Deutschland zu investieren. Diwald warnt vor diesem Hintergrund davor, dass bereits in wenigen Wochen Fakten geschaffen werden könnten, so dass dann in Europa Kapazitäten für den Aufbau einer H2-Wirtschaft fehlen würden, weil die Auftragsbücher der Hersteller bereits mit US-amerikanischen Bestellungen gefüllt sein könnten.

---------- Werbung ----------

Der US-amerikanische Inflation Reduction Act basiere nach Worten des DWV-Chefs auf dem deutschen EEG. Gemäß seinen Ausführungen hätten sich die US-amerikanischen Verantwortlichen genauestens das Erneuerbare-Energien-Gesetz angeguckt und dessen Prinzip für Wasserstoff angepasst. Wie eine deutsche Antwort darauf aussehen könnte, ist derzeit noch offen. Dr. Ingrid Nestle, Leiterin der AG Klimaschutz und Energie in der Grünen-Bundestagsfraktion, erklärte, es dürfe jetzt kein Überbietungswettbewerb angefacht werden.

---------- Werbung ----------

Die Wirtschaft hofft indessen auf die Überarbeitung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS). Wiederholt hieß es aus verschiedenen Bundesministerien, an einer Neuauflage werde gearbeitet. Ursprüngliches Ziel war, diese zweite Version noch vor der Weihnachtspause präsentieren zu können, allerdings erscheint dies aus heutiger Sicht unwahrscheinlich, da insbesondere das Bundeswirtschaftsministerium derzeit an mehreren Fronten zu kämpfen hat.

Zur Betonung der Dringlichkeit der aktuellen Situation schickten 30 Unternehmen und Verbände der Energiewirtschaft am 10. November 2022 einen offenen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. In diesem Schreiben, das der HZwei-Redaktion vorliegt, fordert der DWV im Namen aller Unterzeichner nicht nur einen zeitnahen Beschluss der 37. BImSchV, sondern generell mehr Planungssicherheit. Konkret erklärte Diwald: „Deutschland braucht eine sofortige Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA, der den Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft mit einer investitionssicheren Betriebsmittelförderung von über 50 Mrd. USD unterstützt. Ohne ein sofortiges aktives Handeln der Bundesregierung droht […] die Verlagerung der Wasserstoffindustrie in die USA.“

---------- Werbung ----------
Wasserstoff-Wettbewerb zwischen den USA und Deutschland

Bei Nikola Motors kommt’s anders als gedacht

Statt 300 bis 500 batterieelektrische Lkw im Jahr 2022 werden es nur 120 bis 170 Einheiten im laufenden vierten Quartal, so dass die Gesamtmenge weit unter 300 liegen wird. Nikola will die Produktion jetzt langsamer angehen, um die Kostenstruktur des Unternehmens besser auszuloten. Die Reduzierung der Belegschaft im batterieelektrischen Bereich um bis zu sieben Prozent war ebenfalls so nicht zu erwarten gewesen. Allerdings dürfte es auch bald wieder Neueinstellungen geben, wenn in 2023 die Kapazitäten bei 20.000 Einheiten auf Jahresbasis erreicht sind und Neuaufträge vorliegen. Auch die erfolgte Übernahme von Romeo Power wird in der Integrationsphase zunächst Geld kosten, bis sich die Kostensenkungspotentiale richtig auswirken. Nichts anderes habe ich erwartet, da man diese neue Tochter und ihre Produktionslinien erst einmal integrieren muss, bevor hieraus sehr positive Wirkungen – wir sprechen von Kostensenkungspotentialen von bis zu 90 Prozent – zu sehen sind.

Die Zukunft liegt beim Tre FCEV

---------- Werbung ----------

Unbetroffen davon sind die Pläne für die Produktion des wasserstoffbetriebenen Tre FCEV, der wie geplant ab der zweiten Jahreshälfte 2023 in die Produktion gehen wird. Testreihen sowohl mit dem Tre FCEV als auch mit dem Tre BEV laufen bereits mit Unternehmen wie Anheuser Busch und Walmart. Bei letzterem hat Nikola für 16,5 Mio. US-$ in der Nähe Land gekauft, um eine Wasserstoffinfrastruktur zu installieren. Hier kommen anscheinend Aufträge, warum sonst diese Nähe?

---------- Werbung ----------

Ausreichend Bargeld für über zwölf Monate

---------- Werbung ----------

Bislang hat Nikola Motors den Aufbau der Produktionsstätte in Arizona wie auch das Invest in den Themenkomplex Wasserstoff (Produktionsanlagen, H2-Tankstellen) völlig eigenkapitaluntersetzt finanziert – durch die Ausgabe von Aktien. Das Unternehmen ist schuldenlos, wenn auch sicherlich manche Verbindlichkeit aus laufenden Verträgen Berücksichtigung finden muss. Der Eigenkapitalstand per 30. September 2022 betrug 403,8 Mio. US-$ sowie eine Finanzierungszusage über 312.5 Mio. US-$ des Wagnisfinanziers Tumin, die via Ausgabe weiterer Aktien eingelöst werden kann, aber bei den aktuell sehr niedrigen Aktienkursen nicht wirklich Sinn macht.

---------- Werbung ----------

ATM-Programm besser durch Kredite ersetzen

Das laufende ATM-Programm (Verkauf/Platzierung über die Börse) in Höhe von 400 Mio. US-$ ist bereits mit circa 100 Mio. US-$ genutzt worden. Hierin sehe ich indes eine Problematik, da man nirgends von einem Minimumpreis pro Aktie spricht und somit Citicorp als beauftragte Bank zu „jedem“ Kurs Aktien am Markt unterbringen kann und dies – ohne Obligo – wohl auch tut. Für die Shortseller – es sind bereits über 100 Mio. Aktien leer verkauft (31.10.22) – ist dies natürlich eine Steilvorlage, da der Eindruck vermittelt wird, Nikola würde zu jedem Kurs Aktien veräußern wollen, ohne die Verwässerungseffekte zu berücksichtigen.

---------- Werbung ----------

Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, vorausschauend Kredite zu beantragen, als den Aktienkurs psychologisch selbst unter Druck zu bringen. Denn mit über 400 Mio. US-$ in der Bank und über 300 Mio. US-$ weiteren Linien (Tumim) braucht es das ATM-Programm aktuell ja gar nicht, und höhere Kurse – bei guten Nachrichten (Aufträge) – bedingen weniger Aktienausgabe, oder? Nikola sollte das ATM-Programm sofort stoppen, was auch den Shortsellern den „Wind aus den Segeln“ nähme.

Der Aufbau der notwendigen Infrastruktur für Wasserstoff geht seinen Weg: 50 bis 60 Wasserstofftankstellen sollen bis Ende 2026 von dem Unternehmen betrieben werden. Damit setzt Nikola Akzente, zumal davon auszugehen ist, dass nicht nur eigene BZ-Lkw dort zum Tanken fahren werden, sondern perspektivisch auch die wasserstoffbetriebenen Trucks von Wettbewerbern. Nikola muss nur sicherstellen, den Wasserstoff in der richtigen Menge und zum richtigen Kurs (US-staatliche wie auch bundesstaatliche Förderung von 3 US-$ pro kg) verfügbar zu halten und nach Möglichkeit selbst zu produzieren.

Denn vor allem mit dem Consumable H2 will Nikola Geld verdienen. Man spricht gar von einer angepeilten Menge von 300 Tonnen H2 am Tag 2026, was allein schon einem Umsatz von über 300 Mio. US-$ entsprechen könnte. In 2022 soll die Produktionsmenge von Wasserstoff bei 30 Tonnen/Tag liegen und dann in 2024 auf 150 Tonnen/Tag steigen. Mit KeyState Natural Gas wurde kürzlich ein Abkommen für die Lieferung von 100 Tonnen/Tag Wasserstoff ab 2026 vereinbart. 2.500 Nikola Tre-FCEV können damit täglich betankt werden.

Takes aus der Telefonkonferenz

Die präsentierten Zahlen lagen im Bereich der Erwartungen: Im dritten Quartal betrug der Umsatz 24,2 Mio. US-$, was mit der Auslieferung von 63 batterieelektrischen Lkw Tre BEV und einer Ladestation (MCT) zusammenhängt. Im zweiten Quartal hat Nikola 48 Lkw und 4 MCT ausgeliefert. Der Verlust betrug 263,2 Mio. US-$ bzw. minus 0,54 US-$ pro Aktie GAAP-Rechnungslegung und minus 0,28 US-$ pro Aktie non-GAAP – im Rahmen der Erwartungen.

Da sich der Aufbau der Ladeinfrastruktur für die Lkw verzögert (Genehmigungsverfahren, Installation, Strombeschaffung u.a.) wird Nikola das Tempo im Produktionsaufbau erst einmal senken, zumal man aktuell noch pro Fahrzeug hohe Verluste macht, bis sich dies im Jahresverlauf 2023 ändern wird, wenn die Fertigungslinien für die Batterien (Bosch und Romeo Power – post-aquisition integration) stehen und die Kosten dramatisch senken lassen. Dies sei aber in einer solchen Frühphase („early stage adoption“) normal, hieß es.

Klare Absage an den SUV Bagger. Zuvor waren Gerüchte aufgekommen, Nikola wolle diesen nun doch bauen. Man konzentriert sich aber vollends auf emissionsfreie Lkw = batterieelektrisch und mit Wasserstoff. Die ehrgeizigen Ziele für den Produktionsaufbau – wir sprechen von 20.000 Einheiten beider Fahrzeugtypen in 2023 – werden nun verschoben auf das Jahr 2024, wobei damit circa 345 Mio. US-$ weniger Kapitalbedarf besteht.

Die Testreihen mit Unternehmen wie TTSI für Anheuser Busch laufen für beide Modelle sehr gut – bereits 9.700 Meilen im Tagesbetrieb bei Anheuser Busch und bei Walmart 5.500 Meilen für batterieelektrische und 2.700 Meilen bei den wasserstoffbetriebenen. In diesem Jahr werden insgesamt 17 Beta-Versionen des Tre FCEV- ausgeliefert – für Testreihen. Die Kosten für die Anlieferung von importierten Komponenten – statt Luftfracht wieder auf dem Schiffsweg – konnten im dritten Quartal erheblich von 84 auf 33 Prozent gesenkt werden wie auch die Lieferketten verbessert wurden. Und dann kam kürzlich der Auftrag von Zeem Solutions über 100 Tre BEV herein – ein gutes Zeichen.

Sehr positiv zu bewerten ist die Partnerschaft mit Iveco, da diese ja auch für das Joint Venture das Händlernetz in Europa stellen. In Europa sollen nun bis 2028 alle 100 km (vorher hieß es 150 km-Radius) H2-Tankstellen entstehen. Hierbei arbeitet Nikola auch mit E.ON zusammen. Zudem hat Nikola kürzlich mit ChargePoint Holding (einer der weltweit größten Ladestationsanbieter – deren Netzwerk ist größer als das von Tesla) ein Partnerschaftsagreement abgeschlossen, um die Strombelieferung für die Tre BEV sicherzustellen, eine Grundvoraussetzung für den Absatz dieser Lkw.

Shortseller dominieren den Börsenhandel

Die Shortseller sind sehr aktiv bei Nikola am täglichen Börsenhandel beteiligt. Nikola hat leider da auch – sicher ohne Absicht – manche Steigvorlage geliefert (s. Guidance und ATM-Programm). Nun kam hinzu, dass zwei Wandelanleihen (8% & 11 % Laufzeit 2026) [geändert 12.11.2022] gewandelt werden bzw. die zugrunde liegenden Aktien registriert und damit über die Börse – theoretisch – veräußert werden können. Wir sprechen von 48 Mio. Aktien als Gegenwert [geändert 12.11.2022]. Interpretation: Die Wandlung einer Wandelanleihe kann unter Umständen sehr sinnvoll sein, wenn es da günstige Bedingungen (entsprechender Kurs) gibt.

Last but not least gab es eine Veröffentlichung, dass der Noch-CEO Marc Russel basierend auf einem steuerlich-argumentierten Veräußerungsplan Optionen wandeln, in Aktien tauschen und den Gegenwert (wir sprechen über 75.000 Aktien/Handelstag, [geändert 12.11.2022]) via Verkauf realisieren lässt. Der Gesamtbetrag bei Russell mag – relativ – klein sein, aber natürlich ist es nicht gut, wenn ein Top-Manager – aus welchen Gründen auch immer – Aktien verkauft. Bei den Shortsellern könnte man von einer Manipulation sprechen, da in Foren (Nikola-Shareholders-Group bei Facebook und Yahoo Finance) darüber diskutiert wird, dass es sich bei vielen Trades um sogenanntes Naked Shorting handeln könnte, d.h. dass Aktien über die Börse gehandelt werden (leer verkauft werden), die es gar nicht gibt und wo die Eindeckung in jeweils sehr kurzer Zeit erfolgen muss.

Da bestimmen Daytrader (Zocker?) das Geschehen. Zudem sind Sicherheitsbeträge (als Eigenkapital) zu hinterlegen für Aktien, die auf über 70 Prozent des Tageswertes gestiegen sind. Das heißt, es gibt keine bzw. kaum Aktien, die zum Leerverkauf „ausgeliehen“ werden können. Bedenken Sie: Leerverkäufer setzen auf fallende Kurse und haben großes Interesse, hier für entsprechende Stimmung zu sorgen. Hier erwarte ich – bei guten News – die Chance auf einen echten Short-Squeeze.

Fazit: Man muss einfach nur Zeit mitbringen. Nikola ist positiver Frontrunner bei batterieelektrischen wie auch wasserstoffbetriebenen Lkw. Der richtige Hochlauf wird im Laufe des Jahres 2023 zu sehen sein, wobei ich manchen (Groß-)Auftrag (s. Walmart) erwarte, da sich immer mehr Logistiker hier neu aufstellen wollen und dies auch rechtlich (Emissionsvorgaben) müssen. Nikola deckt beide Bereiche ab, wobei meines Erachtens der viele spannendere – weil damit auch mehr Geld verdient wird – im Wasserstoff liegt.

Die Shortseller haben noch wichtigen Einfluss, der aber in 2023 zu Ende geht, wenn Nikola liefert, was für das nächste Jahr geplant ist. Dass das alles länger als ursprünglich gedacht dauert, liegt in der Natur der Sache eines Start-ups. Große Fantasie besteht immer, sollten Partner wie Iveco hier ihren Anteil aufstocken. Oder wenn Aufträge eingenommen werden, denn Börse ist 50 Prozent-plus Erwartung (Kostolany).

Wir befinden uns im Aufbau eines First Movers in Sachen Wasserstoff im Nfz-Sektor. Mit einer Börsenbewertung in Höhe von 1,2 Mrd. US-$ und 700 Mio. US-$ an liquiden Mitteln (ohne ATM-Programm) übertreibt die Börse massiv nach unten, so meine subjektive Sicht der Dinge. Hoch-spekulativ aber mit gleichzeitig sehr großem Potential. Sehen Sie Nikola Motors als Kaufoption auf Wasserstoff im Nfz-Verkehr und an der Börse an.

Risikohinweis
Jeder Anleger muss sich immer seiner eigenen Risikoeinschätzung bei der Anlage in Aktien bewusst sein und auch eine sinnvolle Risikostreuung bedenken. Die hier genannten BZ-Unternehmen bzw. Aktien sind aus dem Bereich der Small- und Mid-Caps, d. h., es handelt sich nicht um Standardwerte, und ihre Volatilität ist auch wesentlich höher. Es handelt sich bei diesem Bericht nicht um Kaufempfehlungen – ohne Obligo. Alle Angaben beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen und stellen, was die Einschätzung angeht, ausschließlich die persönliche Meinung des Autors dar, der seinen Fokus auf eine mittel- und langfristige Bewertung und nicht auf einen kurzfristigen Gewinn legt. Der Autor kann im Besitz der hier vorgestellten Aktien sein.

Sven Jösting, 10. November 2022

Wasserstoff-Wettbewerb zwischen den USA und Deutschland

Mit einem Big Bang in eine neue Ära

Clean Logistics präsentiert H2-Truck in Stade
Die Präsentationen neuer Wasserstoff-Trucks werden immer spektakulärer: Nachdem bereits im Juni 2022 erst Faun in Bremen und dann Paul Nutzfahrzeuge in Vilshofen jeweils ihren neuen H2-Lkw vorgestellt hatten, zog Clean Logistics am 23. Juni nach. Paul Nutzfahrzeuge hatte in einem Hybrid-Event den PH2P mit viel Dampf und pompöser Musik einfahren lassen. Clean Logistics setzte noch einen drauf und veranstaltete auf dem Gelände des lokalen Flughafens vor 600 geladenen Gästen Wettrennen mit seinem neuen fyuriant.

Das Interesse war groß – sowohl seitens der Wirtschaft bei Spediteuren und Logistikern als auch seitens potentieller Investoren sowie der Medien. Alle wollten den ersten umgerüsteten H2-Truck von Clean Logistics angucken und zusehen, wie er sich bei den Beschleunigungswettfahrten gegenüber einem Diesel-Lkw schlägt. Um es gleich vorwegzunehmen: Bei der Beschleunigungswettfahrt – kommentiert von Formel-1-Moderator Kai Ebel – ließ die schwedische Technik-Influencerin Angelica Larsson mit dem fyuriant ihrer Kontrahentin Janina Martig im Diesel-Truck keine Chance.

---------- Werbung ----------

Vom HyBatTruck zum fyuriant

---------- Werbung ----------

Bei hochsommerlichen Temperaturen enthüllten die beiden Clean-Logistics-Gründer Dirk Lehmann und Dirk Graszt, liebevoll als H2D2 bezeichnet, die peppig lackierte wasserstoffbetriebene Zugmaschine. Ihnen zur Seite stand Prof. Klaus Bonhoff vom Bundesverkehrsministerium, ehemals Chef der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie. Beide Institutionen, BMVD und NOW, hatten das niedersächsische Kleinunternehmen seit 2017 begleitet und somit maßgeblichen Anteil am Zustandekommen dieses Spektakels.

---------- Werbung ----------

Bonhoff erklärte dabei in offenen Worten, dass man „relativ wenig bisher erreicht“ habe im Fahrzeugbereich. Dann verwies er aber darauf, dass der jetzt vorgestellte H2-Lkw aus dem NIP-Förderprogramm HyBatTruck hervorgegangen sei und dessen Entwicklung mit 3,3 Mio. Euro Fördergeld unterstützt worden sei. 2017 hatte der Logistiker Dirk Graszt erste Gespräche geführt und dann Dirk Lehmann kennengelernt. Lehmann, der eigentlich Schiffbauer ist, hatte sich sofort begeistert gezeigt von der Idee, Langstrecken-Lkw auf Wasserstoffbetrieb umzurüsten. Damals war Lehmann Geschäftsführer der E-Cap Mobility GmbH, die neben maritimen Gefährten auch Straßenfahrzeuge elektrifiziert.

---------- Werbung ----------

Die beiden Dirks taten sich zusammen und es entstand CL. Seitdem kümmern sie sich um die Umrüstung konventioneller Dieselfahrzeuge auf emissionsfreien H2-Antrieb. Nach Bussen führt das ehemals kleine niedersächsische Unternehmen ab sofort auch schwere Sattelzugmaschinen von 40 Tonnen im Programm.

„Die Nachfrage ist riesengroß“, konstatierte Graszt in Stade. Kein Wunder, denn nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) müssen die Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor bis 2030 auf 48 Prozent des Niveaus von 2019 sinken. Das bedeutet, dass von den aktuell bundesweit 340.000 zugelassenen Lastwagen bis dahin rund 240.000 klimaneutral betrieben werden müssen.

---------- Werbung ----------

„Wir starten mit einem Big Bang in eine neue Ära. […] Wir sind in der Lage, schon heute dem Markt emissionsfreie Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen. Dank des Umbaus klassischer Dieselfahrzeuge zu emissionsfreien Wasserstofffahrzeugen geschieht dies auch noch sehr ressourcenschonend. So werden wir den Wandel der Mobilität in eine nachhaltige Zukunft zügig vorantreiben.“

Dirk Graszt, CEO Clean Logistics

Neue CI – neues Logo

Bei der Premiere auf dem Flughafen Stade präsentierte sich die Clean Logistics SE in komplett neuem Design – mit neuer Corporate Identity: mit neuem Logo und sehr viel stärker international ausgerichteter Strategie. Lehmann sagte dazu: „Wir integrieren chinesische Technik.“ Der Grund dafür ist naheliegend: „Die sind uns in China sechs bis sieben Jahre voraus. […] Refire produziert vollautomatisch in Serie.“ Diese Komplimente gab Audrey Ma, Vizepräsidentin von Refire, sogleich zurück, indem sie sagte: „Clean Logistics hat Geschichte geschrieben, indem saubere Logistik für die Welt zugänglich gemacht wird.“

Überlänge ist ein Problem

Clean Logistics sieht sich als ein reiner Integrator. Die Komponenten werden zugekauft – seien es die beiden 120 kW leistenden Brennstoffzellen von Refire oder die 43 kg fassenden Wasserstofftanks, die direkt hinter dem Führerhaus übereinandergestapelt sind. Diese ermöglichen zwar eine Reichweite von über 400 km, machen das Fahrzeug gleichzeitig aber auch rund 60 Zentimeter länger.

Diese „Überlänge“ führt dazu, dass von Rechts wegen keine Serienzulassung möglich ist, sondern bislang nur Einzelzulassungen erteilt werden. Gegen diesen Bürokratieaufwand wehrt sich nicht nur Clean Logistics. Denn in Winsen an der Luhe sollen die Produktionskapazitäten massiv ausgeweitet werden. Aus der neuen Produktionshalle (Nutzfläche: 10.000 m2) heraus sollen ab Ende 2023 jährlich bis zu 450 Fahrzeuge den Hof verlassen.

EU-Typengenehmigung
Das Kraftfahrtbundesamt hat der zur Faun-Gruppe gehörenden Marke Eugenius, die in der HZwei-Ausgabe vom Juli 2022 vorgestellt wurde, die EU-Typengenehmigung erteilt, so dass deren Fahrzeuge ohne behördliche Auflagen europaweit für den Straßenverkehr zugelassen sind. Entwicklungsleiter Georg Sandkühler sagte: „Da unsere Typengenehmigung die erste weltweit erteilte für wasserstoffbetriebene Nutzfahrzeuge ist, bedeutet das zugleich, dass diese Art des Antriebs insgesamt einen großen Schritt nach vorne gebracht wurde.“ Die Eugenius-Lkw weisen allerdings auch keine Überlänge auf, weil die H2-Tanks ins Fahrgestell integriert werden.

Ziemlich genau vor einem Jahr hatte Clean Logistics bereits den ersten pyuron, einen auf H2-Antrieb konvertierten Bus, an die Uckermärkische Verkehrsgesellschaft (UVG) übergeben. Seitdem befördert dieser Touristen im unteren Odertal.

Abb. 2: Ein besonderes Highlight hatte bei der Premierenfeier GP Joule zu bieten: André Steinau, Geschäftsführer von GP Joule Hydrogen, verkündete gegenüber HZwei, sein Mutterunternehmen habe gerade 40 Bauplätze für 40 fyuriant reserviert: „Wir werden mit der H2-Produktion, der Errichtung von H2-Tankstellen und dem Angebot von Fahrzeugen endlich das altbekannte Henne-Ei-Problem lösen.“

Abschließend stellte Prof. Klaus Bonhoff fest: „Es kann sich kein Lkw-Hersteller leisten, nicht H2-Trucks zu bauen.“

Paul Nutzfahrzeuge
Die Paul Nutzfahrzeuge GmbH macht es vergleichbar, aber doch ganz anders: Ähnlich wie Clean Logistics setzt Paul auf H2-Trucks. „Wasserstoff wird sich durchsetzen“, ist sich Vertriebsleiter Thomas Kotowski sicher. Bis 200 km – egal welche Tonnage – sei zwar batterieelektrisch effizienter, aber bei größeren Reichweiten kämen für ihn nur Retrofit- oder Brennstoffzellen-Lösungen infrage. Mit Anbietern wie Faun (s. HZwei-Heft Juli 2022) komme man sich aber nicht ins Gehege, da die Bremer mit Enginius eher kommunale Fahrzeuge auf der Kurz- und Mittelstrecke bedienten, Paul aber eher mittelschwere (12 bis 16 t) Lkw im Verteilverkehr anpeile. Insbesondere Paketdienste wie Hermes und DHL seien hier potentielle Ansprechpartner.

„Alles, was Mercedes nicht vom Band baut, bauen wir“, erklärte Kotowski gegenüber HZwei. Als Sonderfahrzeugbauer kümmert sich das Vilshofener Unternehmen sowohl um Oldtimer-Restaurierungen, als eben auch um alternative Antriebe. Angefangen hat Paul 2016 mit einem Werk, in dem jährlich 1.300 Fahrzeuge gebaut werden können. Um der wachsenden Nachfrage nach Sonderanfertigungen Genüge tun zu können, wird derzeit ein zweiter Standort vorbereitet, wodurch die gesamte Produktionskapazität auf 2.700 Fahrzeuge jährlich verdoppelt werden soll. An reinen H2-Trucks sind für 2022 zunächst 22 Exemplare vorgesehen, 2023 rund 150 und 2025 pro Jahr 500. Wohlgemerkt alle an Einzelarbeitsplätzen. „Wir sind eine Manufaktur“, sagt Kotowski – nicht ohne Stolz.

Kooperationspartner Shell steuert dafür die H2-Tankstellen bei. 2023 werden es voraussichtlich acht. Als Technologielieferant steht Maximator parat. Obwohl Shell finanzstark sei, schlage eine H2-Station mit zwei Zapfsäulen mit rund 3 Mio. Euro stark zu Buche, selbst wenn das Druckniveau „nur“ 350 bar betrage, so Kotowski. Aber wenn mehrere H2-Trucks befüllt werden sollten, könne sich die Fördermenge schnell auf 1 t Wasserstoff pro Tag belaufen.

Paul kümmert sich parallel dazu um den Service-Bereich. „Alles, was kaputt geht, wird ausgetauscht“, erklärt der Key Account Manager. Gleichzeitig weist er daraufhin, dass nur geschultes Personal alternativ angetriebene Fahrzeuge anfassen darf – angesichts des Fachkräftemangels durchaus ein Flaschenhals. Zudem sei ein Werkstattumbau mit rund 200.000 Euro kostenintensiv.

Autor: Sven Geitmann

Abb. 1: Fulminanter Auftritt des fyuriant

Wasserstoff-Wettbewerb zwischen den USA und Deutschland

Markt entwickelt sich richtig gut

Interview mit Prof. Werner Tillmetz
Seit zig Jahren begleitet Prof. Werner Tillmetz nicht nur die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnik, er hat sie auch an unterschiedlichen Stellen ganz entscheidend mitgeformt – sei es als Vorstand des Zentrums für Solar- und Wasserstoffforschung (ZSW) oder bei der Formulierung des Nationalen Innovationsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP). Sven Jösting sprach für die HZwei mit Prof. Tillmetz, der nach seiner Pensionierung mit h2connect.eco ein H2-Netzwerk für die Bodenseeregion gegründet hat, und bat ihn um eine Einordnung der derzeitigen Entwicklungen.

HZwei: Prof. Tillmetz, Sie haben Ihr Leben der Brennstoffzelle gewidmet, wie man in sehr schöner Weise in Ihrem Buch „Wasserstoff auf dem Weg zur Elektromobilität“ lesen kann. Wo stehen wir heute bei der Brennstoffzelle in der Mobilität?

Interessanterweise habe ich an allen Themen – der Elektrolyse, der Brennstoffzelle und der Batterie – etwa gleich viel gearbeitet, und das in ganz unterschiedlichen Unternehmen und in der Forschung. Ein ganz spannender Erfahrungsschatz. Bei der Brennstoffzelle in der Mobilität ist es faszinierend, die inzwischen sehr breite und weltweite Industrialisierung zu verfolgen. Asiatische Firmen haben die Serienproduktion gestartet, aber auch deutsche und europäische Unternehmen sind inzwischen sehr erfolgreich dabei. Technologisch sind Brennstoffzellen reif für den Markt.

---------- Werbung ----------

Sie sind eng mit der Entwicklung bei der kanadischen Ballard Power verbunden – unter anderem auch via Kooperationen mit Ford, Daimler und Co. Können Sie unseren Lesern kurz beschreiben, wie Sie Ballard heute einschätzen?

---------- Werbung ----------

In den 1990er Jahren habe ich als einer der Pioniere die Aktivitäten in diesen Firmen aktiv mitgestaltet. Seit 2003 verfolge ich die Aktivitäten sehr intensiv von außen und habe immer noch gute Kontakte in die Szene. Bei der Beurteilung von Firmen wie Ballard gibt es einerseits die technologische Sichtweise. Da gehört Ballard nach wie vor zu den führenden Akteuren. Entscheidend ist aber immer die wirtschaftliche Entwicklung. Da stimmen mich die Quartalsberichte der verschiedenen börsennotierten Wasserstoff-Start-up-Unternehmen schon nachdenklich: Mit ganz wenigen Ausnahmen sind seit zwanzig Jahren die Verluste ähnlich hoch wie die Umsätze. Allerdings entwickelt sich der Markt erst seit kurzem so richtig gut, primär getrieben durch die weltweiten Gesetzgebungen zum Klimaschutz. Auch die Zahl der Übernahmen und die damit verbundenen Bewertungen sind beeindruckend.

---------- Werbung ----------

Wie schätzen Sie die Entwicklung der Batterie ein? Warum setzt vor allem die Kfz-Industrie auf die batterieelektrische Mobilität und versucht Tesla zu kopieren?

---------- Werbung ----------

Das ist ein ganz spannendes Phänomen. Die Fahrzeugindustrie hat es in den letzten Jahren nicht mehr geschafft, die globale Gesetzgebung zu den Emissionen einzubremsen. Gleichzeitig kam mit Tesla ein zunächst belächelter Konkurrent auf den Markt, der den etablierten Firmen zunehmend Umsatz in den margenträchtigen Segmenten weggenommen hat. Schnelles Handeln war angesagt, und reflexartig haben die Strategen sich gesagt, das, was Tesla kann, können wir auch. Da haben sie sich über- und Tesla unterschätzt.

Bei E-Fahrzeugen sind Energieverbrauch und Ladeinfrastruktur entscheidend. Beides hat Tesla hervorragend gemeistert, während die großen Autokonzerne beispielsweise versuchen, das Thema Ladeinfrastruktur an den Staat und die Energieversorger zu delegieren. Bei den Milliardengewinnen könnten sie das auch selber machen – aber Profit hat halt Vorrang.

---------- Werbung ----------

Zwei weitere große Hürden für die Batterie werden immer sichtbarer: Woher sollen die ganzen Rohstoffe kommen und wie kann man bedarfsgerecht den grünen Strom zum (schnellen) Laden überhaupt bereitstellen?

Es gibt verschiedene Modelle, Wasserstoff in Kraftfahrzeugen zum Einsatz zu bringen. Da werden auch Modelle vorgestellt, bei denen Ammoniak, Methanol oder Wasserstoff (flüssig oder gasförmig) direkt im Motor zum Einsatz kommen soll – ohne den Umweg über die Brennstoffzelle. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? Gibt es da einen Gewinner?

Generell sollten wir technologieoffen sein und die Ingenieure die besten Lösungen entwickeln lassen. Der Gesetzgeber darf nur die Leitplanken wie Emissionen definieren. Aus meiner Sicht gibt es zwei entscheidende Themen: Die Effizienz des Antriebes und die Verfügbarkeit des grünen Kraftstoffes an der „Tankstelle“.

Für den dynamischen Betrieb der Fahrzeuge haben E-Motoren mit einer Batterie enorme Vorteile – diese Effizienz schafft ein mechanischer Antrieb nicht. Die (kleine) Batterie kann aber von einem Motor oder einer Brennstoffzelle während der Fahrt aufgeladen werden (serieller Hybrid) und dann im Bestpunkt betrieben werden.

Zur Versorgung mit dem Kraftstoff: Wasserstoff kann idealerweise direkt regional erzeugt werden oder europaweit per Pipeline aus sonnen- und windreichen Regionen zur Tankstelle transportiert werden. Für den kostengünstigen Überseetransport von Energie aus den vielen Sonnengürteln der Welt ist ein bei Umgebungstemperatur flüssiger und einfach herstellbarer Kraftstoff ideal: Methanol. Bei Stromkosten von kleiner 1 Ct/kWh spielen die Verluste bei der Erzeugung eine sehr untergeordnete Rolle. Wir stehen noch ganz am Anfang eines Marathonlaufes – erst am Ziel hat sich der Weizen von der Spreu getrennt.

Weltweit ist ein Wettbewerb entbrannt. Welche Länder haben da Ihrer Meinung nach das bessere Konzept?

Die deutsche und europäische Politik ist strategisch nicht sehr durchdacht und an vielen Stellen ideologisch geprägt. Dazu kommen die sehr diskussionsfreudige Gesellschaft und basisdemokratische Strukturen, die vieles sehr langsam machen. Auf der anderen Seite gibt es hier exzellente, kreative Ingenieure und Fachkräfte und eine solide industrielle Infrastruktur, insbesondere mit den vielen langfristig denkenden Familienunternehmen. Asiatische Länder haben vielfach eine besser durchdachte Strategie und sind in der Umsetzung sehr viel schneller. Zu guter Letzt kommt noch Kalifornien mit extrem viel Kapital und Risikobereitschaft dazu – Letztere ist uns in Deutschland so ziemlich abhandengekommen.

Kommen wir zur Ladeinfrastruktur: Stromladestationen versus Wasserstofftankstellen. Wie sollte es Ihrer Meinung nach sein? Gibt es dazu kritische Sichtweisen beziehungsweise Visionen Ihrerseits?

Batterieelektrische Fahrzeuge werden am besten dann und dort geladen, wo es direkt grünen Strom gibt und die vollgeladene Batterie für einige Tage fahren ausreicht – auch wenn mal keine Sonne scheint oder kein Wind weht. Das kann auch beim Arbeitgeber sein, wenn der beispielsweise die Parkplätze mit Photovoltaik ausrüstet oder kleine Windmühlen auf dem Dach montiert. Für alle Vielfahrer, Stadtbusse, Transportunternehmen ist schnelles, flexibles Tanken ganz entscheidend: grünen Wasserstoff oder grünes Methanol kann man immer und überall tanken.

Wo sehen Sie die Brennstoffzelle im Pkw? Was Nutzfahrzeuge betrifft, ist man ja mittlerweile überzeugt, dass bei der Langstrecke die Brennstoffzelle im Vorteil gegenüber der Batterie ist. Wie verhält es sich bei Personenwagen? Anmerkung: Es gibt Gerüchte, Apple Computer könnte 2024 mit einem iCar auf den Markt kommen, welches eine kleine Batterie für die Kurzstrecke und die Brennstoffzelle (H2) für die Langstrecke zum Einsatz bringt. Halten Sie das für realistisch?

Moderne Brennstoffzellenantriebe inklusive der Tanks sind deutlich leichter und kleiner als eine Batterie, für die oft geforderten Reichweiten. Der Unterschied zum klassischen Verbrenner ist kaum noch da. Dagegen mehr als 600 kg Batterie in einen Pkw oder bis zu fünf Tonnen in einen Lkw einzubauen macht wirklich keinen Sinn. Das Konzept von Apple ist gut und wird auch schon für die Transporter von Renault und den Stellantis-Marken kommerziell angeboten.

Welche Länder haben bei der Brennstoffzelle die Nase vorn und warum?

Das sind mehr die Firmen als die Länder. Toyota und Hyundai gehen beide mit ihrem jeweiligen Produkt (Brennstoffzellensystem) in ganz viele Anwendungen und Märkte. Das bringt Stückzahl und reduziert damit Kosten. Bosch hat eine sehr überzeugende Strategie und wird sehr schnell seine weltweiten Partner beliefern. Die französischen Autokonzerne haben sich mit strategischen Partnern gut aufgestellt, und natürlich die vielen chinesischen Firmen, die am schnellsten in die ganz großen Stückzahlen gehen werden.

Können Sie bitte ein Zukunftsszenario für die Brennstoffzelle und Wasserstoff entwickeln? Wo stehen wir heute, in fünf Jahren, in zehn Jahren und 2040 Ihrer Meinung nach in Sachen Wasserstoff und Brennstoffzelle, aber auch bei der Batterie?

Wir stehen ganz am Anfang eines Marathonlaufes. Die Veränderungen werden so dramatisch sein wie vor mehr als hundert Jahren, als Henry Ford mit seiner Benzinkutsche die Pferdkutschen ablöste und der Verbrennungsmotor die folgenden hundert Jahre die Welt komplett veränderte. Bei disruptiven Innovationen sind die Veränderungen extrem schnell und kaum vorhersagbar, wie uns auch das Beispiel von Kodak und der digitalen Fotografie gezeigt hat. Die Batterie allein wird nicht der Glücksbringer für alles, wie vor kurzem Bosch-Chef Hartung sehr deutlich gemacht hat. Um die Klimaveränderung überhaupt noch in den Griff bekommen zu können, brauchen wir alle Optionen und vor allem mehr Handeln als Diskussion.

Was müsste die Politik (Deutschland, EU) tun, um der Brennstoffzelle und dem Wasserstoff Auftrieb zu geben in der Mobilität?

Technologieoffen sein und eine ganzheitlich durchdachte Strategie haben. Dazu hilft es, öfter mal aus dem Fenster zu schauen, um festzustellen, ob es gerade genügend Sonne oder Wind gibt, um die Energieversorgung für alle Verbraucher sicherzustellen.
Interviewer: Sven Jösting

Kommentar zur Wirkungsgrad-Debatte
Bezugnehmend auf die E-Fuel-Kommentare aus HZwei-Heft April 2022
„Efficiency first“ oder „Der Wirkungsgrad ist entscheidend“ – so lauten unzählige Schlagzeilen. Dies wird dann untermauert mit Grafiken, die alle aufzeigen, dass E-Fahrzeuge mit batterieelektrischen Antrieben dramatisch viel besser sind als E-Fahrzeuge mit Brennstoffzelle und Wasserstoff. Und die E-Fuels rangieren weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Häufig wird dann noch der Wirkungsgrad (Kraftstoff- oder Energieverbrauch) des Fahrzeuges mit der vorgelagerten Kette (Kraftstofferzeugung) vermischt. Der Abgleich mit der Realität lässt fast durchweg zu wünschen übrig.

Den Energieverbrauch am Fahrzeug zu vergleichen, sollte eigentlich recht einfach sein, solange man auch ähnliche Fahrzeuge miteinander vergleicht. Der Verbrauch steht auf den Verkaufsprospekten und wird nach gesetzlich vorgeschriebenen Kriterien ermittelt – leider in unterschiedlichen Einheiten: Strom in Kilowattstunden, Wasserstoff in Kilogramm und flüssige Kraftstoffe in Liter, ohne deren Heizwert zu berücksichtigen.

Die reale Welt des Verbrauches kann man dann in vielen Fahrberichten nachlesen. Dabei stellt man schnell fest, dass der 20- bis 30-prozentige Vorteil der Batteriefahrzeuge im Winter, wenn sowohl Fahrgastraum wie Batterie (zum Schnellladen) geheizt werden müssen, weitestgehend verschwindet.

Jetzt zur vorgelagerten Kette der Strom- oder Kraftstofferzeugung: Hier wird fast immer davon ausgegangen, dass der Strom zum Laden der Batterie direkt von der Photovoltaik oder der Windkraftanlage kommt. Dass nachts keine Sonne scheint, auch nicht bei Regen, Schnee oder Nebel, wird interessanterweise ausgeblendet. Auch der Wind weht nicht immer, vor allem im Süden Deutschlands. Wird der Strom zum Laden der Batterie über eine Gasturbine (Wirkungsgrad: 40 %) aus Erdgas und künftig aus Wasserstoff erzeugt, dann ist es schnell vorbei mit dem ersten Platz beim Wirkungsgrad. Wasserstoff direkt in einem Brennstoffzellenfahrzeug zu nutzen ergibt da mehr Sinn.

Das gilt auch, wenn wir 100 Prozent grünen Strom haben: An vielen Tagen gibt es sehr viel mehr Strom aus Wind oder Sonne, als wir brauchen. Vor allem in den Wintermonaten gibt es dann tagelang weder Wind noch Sonne. Dann braucht es den Strom aus den wind- und sonnenreichen Zeiten des Jahres. Die Speicherung so großer Energiemengen ist aber nur über Wasserstoff wirtschaftlich machbar.

Heute importieren wir zwei Drittel unserer Energie (Öl, Gas und Steinkohle). 100 Prozent Eigenversorgung ist in Deutschland zwar theoretisch möglich, in der Realität aber eher unwahrscheinlich. Die grüne Energie aus sehr sonnen- und windreichen Regionen zu importieren ergibt ökonomisch viel Sinn. Der Transport über Stromleitungen wird sich allerdings auf bestimmte Regionen wie die Nordsee beschränken. Das vorhandene europäische Gasnetz für den Transport von grüner Energie in Form von Wasserstoff zu nutzen, ist mehr als naheliegend. Für den Überseetransport werden flüssige Energieträger wie Methanol oder Kerosin (E-Fuels) unschlagbar attraktiv. Diese dann direkt für den Antrieb zu verwenden, ist sehr viel effizienter, als dann daraus wieder Strom zu machen.

Die grüne Energieversorgung der Zukunft zu Ende gedacht, kommt man zu einem ganz anderen Schluss, als die meisten Schlagzeilen heute suggerieren: Strom, Wasserstoff und E-Fuels sind alles sinnvolle grüne Energieträger.

Autor: Prof. Werner Tillmetz
Abb. 1: Prof. Werner Tillmetz

Wasserstoff-Wettbewerb zwischen den USA und Deutschland

Wasserstoff als nationales Vorhaben

Südkorea will Krisen als Chance nutzen
Krisen als Chance zu sehen und nutzen zu wollen ist eine in Südkorea weit verbreitete Sichtweise. Durch massive Investitionen in die Wasserstofftechnologie und -wirtschaft will das Land dem Bedarf einer klimaneutralen Industrie und Energiewirtschaft nachkommen. Analog zur Entwicklung in der Halbleiterindustrie will Südkorea an seine Erfolgsgeschichte der Adaption und Entwicklung disruptiver Technologien anknüpfen. Hierbei geht der asiatische Staat sehr pragmatisch vor: Vor das Endziel der zu erreichenden Klimaneutralität wird die Schaffung einer positiven Marktdynamik gestellt.

Dieser Pragmatismus ist neben der strukturellen Pfadabhängigkeit der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich für eine langfristige Strategie parteiübergreifend einigen konnte. Auch wenn die Grundzüge der Energiepolitik feststehen, bleibt abzuwarten, wie die jüngst neugewählte konservative Regierung den politischen Rahmen ausfüllen wird.

---------- Werbung ----------

Ähnlich wie in Europa ist hier die Taxonomie des sauberen Wasserstoffes ein großes Thema. Wie in vielen europäischen Ländern zeichnen technische, aber auch politische Pfadabhängigkeiten hier den Weg der zukünftigen Farblehre des als sauber geltenden Wasserstoffes vor. Aktuelle politische Geschehnisse, wie jüngst die Wahl der konservativen Regierung, beeinflussen die Entwicklung im Detail.

---------- Werbung ----------

„Korea New Deal“ schafft Rahmenbedingungen

---------- Werbung ----------

Der Ausbruch der Corona-Pandemie bremste das weltweite Wirtschaftsgeschehen so stark, dass stellenweise ein deutlicher Rückgang der Umweltbelastungen gemessen wurde. Allerdings war der wirtschaftliche Einfluss der Pandemie für viele Menschen noch deutlicher spürbar, was vor allem für die USA zutrifft. Um kurzfristig der wirtschaftlichen und sozialen, aber langfristig auch der ökologischen Krise zu begegnen, initiierten die USA 2019 einen auf die langfristige Dekarbonisierung der Wirtschaft abzielenden „Green New Deal“. Die Idee, die wirtschaftliche und ökologische Krise als Chance für eine nachhaltigere Entwicklung zu sehen, war unverkennbar.

---------- Werbung ----------

Diese Idee traf auch in Südkorea auf fruchtbaren Boden, wo man ohne Lockdown, ohne hohe Übersterblichkeit und mit nur minimalem Wirtschaftseinbruch vergleichsweise gut durch die Pandemie kam. Der damalige liberale Präsident Moon präsentierte am 14. Juli 2020 den „Korea New Deal“, welcher bis 2025 ein Gesamtinvestitionsvolumen von umgerechnet insgesamt 117 Mrd. Euro vorsieht, wovon allein 84 Mrd. aus der Staatskasse und der Rest aus der Wirtschaft kommen sollen.

Von der Gesamtsumme sind mehr als 53 Mrd. Euro für eine klimagerechte Umstrukturierung der Industrie, der Energieerzeugung und der Wohninfrastruktur eingeplant. Der Rest entfällt im weitesten Sinne auf Digitalisierung und Bildung. Der „Korea New Deal“, in dessen Plan explizit auch Wasserstoff als Energieträger und H2-Technologie als Werkzeug mehrfach Erwähnung finden, ist der politische Rahmen, in dem sich das staatlich induzierte Projekt des Aufbauens einer H2-Wirtschaft bewegt.

---------- Werbung ----------

Roadmap zur koreanischen H2-Wirtschaft

Die im Mai dieses Jahres abgewählte liberale Regierung hatte bereits im Januar 2019 ihre Roadmap zur Aktivierung der Wasserstoffwirtschaft vorgestellt. Mit Bezug auf die McKinsey-Studie zum Marktpotential der Wasserstoffwirtschaft bis 2050 wird der Aufbau einer H2-Wirtschaft mit eigener Technologie als riesige Chance beschrieben. Neben dem erhofften Wirtschaftswachstum durch Markpartizipation werden vor allem die Schaffung von Arbeitsplätzen im Mittelstand, eine mögliche Technologieführerschaft, die damit verbundene Chance auf weitere Direktinvestitionen aus dem Ausland sowie ein schrittweiser Abbau der riesigen Abhängigkeit von fossilen Energieimporten erwartet.

Darüber hinaus besteht die Hoffnung auf massive Einsparungen bei Treibhausgas- sowie Feinstaubemissionen. Zwar kann Südkorea auf keine lange Tradition in der Wasserstofftechnologie zurückblicken, dafür jedoch ist man mit der schnellen Adaption und Entwicklung von disruptiven Technologien vertraut und dementsprechend motiviert. Konkret werden für 2040 folgende Ziele genannt:

Bereich

zu erreichen bis 2040

 

 

Mobilität

 

weltweit
(Export- und Binnenmarkt)

 

Binnenmarkt

Wasserstofffahrzeuge insg.

6,2 Mio.

2,9 Mio.

davon Pkw

5,9 Mio.

2,75 Mio.

davon Taxis

1,2 Mio.

0,8 Mio.

davon Lkw

1,2 Mio.

0,3 Mio.

davon Busse

0,6 Mio.

0,4 Mio.

Wasserstofftankstellen

keine Angabe

mehr als 1,200

Energieerzeugung
(Brennstoffzellenkapazität)

industrielle Erzeugung

15 GW

8 GW

private Erzeugung

keine Angabe

2,1 GW

 

 

Wasserstoffversorgung

Wasserstofferzeugung insg. (Bedarf)

keine Angabe

5,26 Mio. tpa

Partielle Oxidation (H2 als Nebenprodukt)

 

keine Angabe

 

zusammen ca. 70 % Anteil

Reduktion aus CH4

keine Angabe

Elektrolyse

keine Angabe

Import CO2-neutraler Wasserstoff (Australien, Norwegen, Saudi-Arabien)

ca. 30% Anteil

keine Angabe

H2-Zielpreis (umgerechnet)

keine Angabe

2,20 €/kg

Wasserstoff ist Gesetz(t)

In den Augen westlicher Beobachter mag es sich zweifelsfrei um sehr ambitionierte oder gar unrealistische Ziele handeln, für die abzuwarten gilt, ob sie wirklich erreicht werden können. Allerdings muss bei der Bewertung bedacht werden, dass die südkoreanische H2-Industrie in einen ganz anderen gesetzlichen und politischen Rahmen eingebettet ist als die europäische. So regelt das im Februar 2020 verabschiedete Wasserstoffgesetz als weltweit erstes Gesetz dieser Art in aktuell acht Kapiteln und 62 Artikeln wichtige Eckpunkte zur systematischen Entwicklung der H2-Wirtschaft. Zudem setzte die damalige Regierung mit dem nationalen Hydrogen Council auch eine Expertenkommission zur Steuerung und Kontrolle der politischen Inhalte und Prozesse rund um das Thema H2-Technologie und -wirtschaft ein.

Als erster wichtiger Eckpunkt des Wasserstoffgesetzes kann der gesetzliche Rahmen der staatlich geförderten „Wasserstoff-Spezialunternehmen“ genannt werden. Diese werden als KMU definiert, welche je nach Gesamtumsatz zwischen 10 und 50 Prozent ihres Umsatzes durch H2-Technologie generieren und 3 bis 15 Prozent in H2-Technik-relevante F&E-Tätigkeiten investieren (vgl. Kapitel 1, Artikel 2, Absatz 3). Um Unternehmen für die neu geschaffene Zertifizierung wie auch für das nationale Projekt der H2-Industrie zu gewinnen, sieht das Gesetz diverse Anreize vor. Hierzu zählt beispielsweise eine finanzielle Unterstützung von mehr als 100.000 Euro pro Unternehmen, welche in Form von technischer Unterstützung (Entwicklung, Zertifizierung, Patentanmeldung etc.) oder kaufmännischer Unterstützung (Werbung, Messe-Teilnahme, Marktforschung, Designentwicklung, Markenentwicklung etc.) geleistet werden kann (vgl. Kapitel 3, Artikel 9).

Darüber hinaus werden zertifizierte Unternehmen von der H2Korea, einer von Staat und Wirtschaft finanzierten Beratungsorganisation zur Förderung der Wasserstoffwirtschaft, welche im H2-Gesetz ebenfalls Erwähnung findet (Kapitel 5, Artikel 33), beraten und unterstützt. Des Weiteren wurde festgelegt, dass der Gesetzgeber die meist staatlichen Energieversorger zum Ausbau von H2-Fertigungs- und -Nutzungskapazitäten anhalten kann (vgl. Kapitel 4. Artikel 19-21).

Um den Ausbau und die Entwicklung einer Infrastruktur samt Test- und Entwicklungseinrichtung anzukurbeln, setzt der Gesetzgeber zudem auf die Ausweisung von „Wasserstoffsonderzonen“ (Kapitel 4, Artikel 22). Hier geht es vor allem um die Schaffung von Industrieclustern, in denen sich sowohl Unternehmen als auch Forschungs- und Bildungseinrichtungen ansiedeln können, um Synergien und Übertragungseffekte zwischen den Akteuren zu generieren. Das Gesetz schafft hier einen Rahmen, um entscheiden zu können, wo eine Kennzeichnung als Sonderzone stattfindet und in welchem Umfang finanziert wird. „Wasserstoffsonderzonen“ sind aktuell vor allem in der nordöstlichen Kangwon-Provinz, der südöstlichen Kyeongsang-Provinz, der südwestlichen Jeolla-Provinz und der nordwestlichen Industriestadt Incheon geplant.

Im gleichen Kontext wird der Ausbau von H2-Demonstrationsprojekten gesetzlich festgeschrieben (Kapitel 4, Artikel 24). Um auf der Versorgungsseite für Preisstabilität zu sorgen, verpflichtet der Gesetzgeber die Gasversorger dazu, Erdgas, welches zur Reformierung eingesetzt wird, zu einem gedeckelten Preis zu handeln (Kapitel 4, Absatz 25). Konkrete Quoten wurden allerdings noch nicht festgelegt. Als weitere Eckpunkte können beispielsweise noch die Ausbildung von Fachkräften (Kapitel 5, Absatz 26), die Schaffung von gültigen Industriestandards (Kapitel 5, Absatz 27) sowie die Schaffung von Akzeptanz in der Bevölkerung (Kapitel 5, Absatz 31) genannt werden. Primär geht es um die Schaffung von Regeln rund ums Sicherheitsmanagement der neuen Technologie.

Korea H2 Business Summit

Dass das nationale Projekt Wasserstoff nicht bloß von der Regierung verordnet wird, sondern auch von der Wirtschaft getragen wird, zeigt der Korea H2 Business Summit, welcher erstmals im September 2021 in Südkorea abgehalten wurde. Bei den 17 Gründungsmitgliedern dieses Zusammenschlusses handelt es sich um führende nationale Konzerne und Firmen, welche im Bereich der H2-Technologie Kooperationen eingehen wollen. Viele dieser Konzerne haben bereits Gelder in Milliardenhöhe zugesagt. Laut Medienberichten soll sich die Investitionssumme bis zum Jahre 2030 auf umgerechnet mehr als 31 Milliarden Euro belaufen.

Konzerne investieren Milliarden

Hierbei sticht besonders der Mischkonzern SK Group hervor, welcher in den nächsten Dekaden zu einem der relevanten H2-Produzenten aufsteigen will. Umgerechnet mehr als 13,5 Mrd. Euro sollen bis 2030 in den Aufbau von Produktionskapazitäten von mehr als 250.000 Tonnen pro Jahr fließen. So soll an der mit einem LNG-Terminal ausgestatteten Westküstenstadt Boryeong beispielsweise die weltgrößte H2-Fabrik entstehen. SK setzt zum jetzigen Zeitpunkt vorwiegend auf die Herstellung von kostengünstigem blauem Wasserstoff, die den Ausbau der gesamten Wertschöpfungskette von Mobilität bis Energiegewinnung beschleunigen soll. Folgerichtig investiert SK auch in den Ausbau von Tankstellen und Brennstoffzellenkapazitäten. Das Unternehmen hat zudem bereits signalisiert, auch in Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff investieren zu wollen.

Auch der Automobilhersteller Hyundai bekennt sich mit einem Gesamtinvestment von umgerechnet mehr als 8 Mrd. Euro bis 2030 nochmals deutlich zur H2-Mobilität. Trotz des andauernden Verkaufserfolges seines wasserstoffbetriebenen Nexo-Modells gab der Konzern vor Kurzem überraschenderweise bekannt, die Entwicklung des Folgemodells Genesis auf Eis zu legen, was die Aktienkurse zahlreicher Zulieferfirmen in Mitleidenschaft zog. Hyundai klärte jedoch auf, dass sich lediglich Verzögerungen durch eine interne Umstrukturierung der Entwicklung ergeben hätten und dass man am H2-Kurs festhalte.

Aktuell arbeitet der Automobilhersteller an einer kompakten 100-kW-Brennstoffzelle, welche gegenüber der im Nexo verbauten 200-kW-Brennstoffzelle gut 30 Prozent Raumeinsparung und etwa 50 Prozent Preiseinsparung einbringen könnte. Dadurch ließe sich nicht nur der Anwendungsbereich in der Mobilität deutlich erweitern, sondern auch der potenzielle Kundenkreis. Neben der Weiterentwicklung des H2-Mobilitätsportfolios arbeitet Hyundai vor allem auch am wichtigen Ausbau der Tankstelleninfrastruktur mit.

Als weiteres namhaftes Mitglied des Korea H2 Business Summit plant Stahlriese POSCO bis 2030 umgerechnet mehr als 7 Mrd. Euro Investitionen in Wasserstoff. POSCO baut einerseits Industrieanlagen für die Gewinnung von grauem und blauem Wasserstoff, will aber längerfristig auch Kapazitäten für grünen Wasserstoff schaffen. Zudem will der Konzern seine Kernkompetenz der Stahlherstellung dekarbonisieren und setzt hierbei auf den Ausbau der H2-Direktreduktion, die bereits seit 2003 unter dem Markennamen Finex vorangetrieben wird. Bis 2050 will das Unternehmen seine Produktion komplett auf H2-Direktreduktion umgestellt haben.

Eines der Großunternehmen, das weitaus stärker auf grünen Wasserstoff setzt, ist die Hanhwa Group. Diese hatte sich mit der Übernahme des deutschen Photovoltaikunternehmens Q Cells im Jahre 2012 bereits im Bereich der erneuerbaren Energien positioniert und hier die Marktführerschaft erlangt. Rund um das PV-Portfolio will Hanhwa nun auch in Elektrolysetechnologie investieren und setzt hier auf neuartige Anionen-Austausch-Membran-Elektrolyseure (AEM).

Als weiteren Schritt in der Wertschöpfungskette arbeitet die Chemiesparte des Konzerns aktuell an der Entwicklung einer Gasturbine zur Verstromung eines LNG-LH2-Gemisches. Um diese Entwicklung voranzutreiben, übernahm Hanhwa erst im vergangenen Jahr den US-amerikanischen Turbinenhersteller Power Systems Mfg. sowie die niederländische Energietechnikfirma Thomassen Energy. Bis 2023 will Hanhwa die ersten Turbinen an koreanische Netzbetreiberfirmen ausliefern, welche dann mit einem H2-Anteil von mehr als 50 Prozent im Gasgemisch die Treibhausgasemissionen deutlich senken sollen. Mit einem Investitionsvolumen von umgerechnet knapp einer Milliarde Euro bis 2030 will Hanhwa zu einem relevanten Player der H2-Wirtschaft avancieren. Hier gibt es bereits erste Erfolgsanzeichen: Nach Medienberichten soll Hanhwa erst kürzlich einen Auftrag vom deutschen Versorger Uniper erhalten haben.

Auch die Hyosung Group, welche durch ihre Kooperation mit Linde ebenfalls Schlagzeilen machte, setzt weiter auf Wasserstoff. Mehr als umgerechnet 800 Mio. Euro will der Konzern bis 2030 investieren. Bereits im Jahre 2008 baute Hyosung die erste H2-Tankstelle in Südkorea. Mit insgesamt mehr als 20 Tankstellen ist das Unternehmen heute Marktführer im Land. Doch Hyosung will mehr: Mit der Partnerschaft mit Linde will der Konzern im großen Stil in die LH2-Produktion einsteigen. Bis Mitte 2023 soll die Fabrik mit einer jährlichen Produktionsleistung von 13.000 Tonnen anlaufen. Die Kooperation deckt auch die Entwicklung der Kryopumpen-Technologie ab, welche für das Tanken des flüssigen Wasserstoffes unerlässlich ist.

Darüber hinaus will der Konzern als Hersteller von Karbonfaser-Gewebe auch indirekt am Markt für Wasserstofftanks, welche in der Regel aus Faserverbundstoff bestehen, partizipieren. Die Einsparung von Treibhausgasemissionen, etwa durch die Herstellung von grünem Wasserstoff im Elektrolyseverfahren oder durch die Speicherung und Verarbeitung von CO2, ist ein längerfristiges Ziel von Hyosung.

Firma

Industriebereich

Investitions-
summe
(in Mrd. € / bis 2030)

Investitionsbereich

Ziel

SK Group

Mischkonzern (Energie, Chemie, IT etc.)

13,5

  • Wasserstofffabrik (erst „blau“, später „grün“)
  • Wasserstoff-Verflüssigungsanlage
  • Ausbau von Brennstoffzellenkapazitäten
  • Ausbau von Tankstelleninfrastruktur
  • H2-Produktion von 250.000 tpa (bis 2025)
  • Aufstieg zum größten H2-Produzenten
  • Bau von mehr als 100 H2-Tankstellen (bis 2025)
  • Schaffung von mehr als 400 MW Brennstoffzellenkapazität

Hyundai Motor Company

Automobilhersteller

8,2

  • H2-Fahrzeuge
  • H2-Mobilitätsinfrastruktur
  • Umstellung auf H2-Mobilität bis 2040
  • weltweit Platz 1 im Bereich Wasserstoff-Mobilität

POSCO (Pohang Iron and Steel Company)

Stahlhersteller

7,3

  • CH4-Reformierung (blauer Wasserstoff)
  • Herstellung von grünem Wasserstoff im Ausland
  • Stahlherstellung durch H2-Direktreduktion (FINEX-Produkt)
  • Umstellung auf H2-Direktreduktion bis 2050
  • Graue H2-Produktion von 700.000 tpa (bis 2025)
  • Blaue H2-Produktion von 5.000.000 tpa (bis 2030)
  • Grüne H2-Produktion von 50.000.000 tpa (bis 2050)

Hanhwa Group

Mischkonzern (Chemie, Rüstung, IT, Schwerindustrie etc.)

0,96

  • Neuartige Elektrolyseure
  • Gasturbinen zur Verstromung von Mischgas
  • Aufbau einer vollständigen H2-Wertschöpfungskette (Solarzellen, Elektrolyseure, H2-Tanks, Tankstellen, Brennstoffzellen)

Hyosung Group

Mischkonzern (Chemie, Maschinenbau, IT etc.)

0,88

  • LH2-Wasserstofffabrik
  • kyrogene Pumpentechnologie für H2
  • Karbonfasergewebe für Faserverbundstofftanks
  • H2-Produktion von 130.000 tpa (bis 2023)

Was bisher erreicht wurde

Trotz der Abwahl der liberalen Regierung, welche das nationale Projekt Wasserstoff erst angeschoben hatte, scheint man sich in Südkorea auf das Thema Wasserstoff parteiübergreifend verständigt zu haben, auch wenn es keine Einigung über die Farbe des sauberen Wasserstoffes gibt. Die Einigkeit in der Sache H2-Technologie ist schon ein großer Erfolg.

Der Bereich, in dem Erfolge am deutlichsten sichtbar sind, ist die Mobilität. Mehr als 30 Prozent der weltweit verkauften H2-Fahrzeuge sind auf koreanischen Straßen unterwegs, von denen die allermeisten mit einem Hyundai-Logo versehen sind. Auch der Ausbau der Infrastruktur geht in Südkorea aktuell am schnellsten voran: Mehr als 130 H2-Tankstellen kann man in Korea ansteuern.

Der H2-Technologiesektor kann sich sehen lassen: Bis Mai dieses Jahres konnte H2Korea insgesamt 44 Unternehmen als Wasserstoff-Spezialunternehmen zertifizieren. Man kann davon ausgehen, dass mittlerweile mehr als 90 Prozent aller Schlüsselkomponenten des H2-Sektors von der heimischen Industrie geliefert werden können.

Abb. 2: Diesen Sommer wurden die insgesamt 27 Hyundai XCIENT Fuel Cell per Schiff direkt aus dem Hyundai-Werk in Südkorea nach Deutschland geliefert.

Quelle: Hyundai

Woran es in Südkorea allerdings noch mangelt, ist saubere Energie. Aktuell werden noch mehr als 60 Prozent der Energie aus Kohle und Gas gewonnen, ca. 30 Prozent entfallen auf Kernenergie, und nur rund fünf Prozent werden aus regenerativen Quellen wie Wind-, Solar- oder Wasserkraft gewonnen. Die südkoreanische H2-Produktion von jährlich rund 200.000 Tonnen beschränkt sich dementsprechend fast ausschließlich auf die Reformierung und Abspaltung von Kohlenwasserstoffen. Es handelt sich also um größtenteils blauen, aber auch grauen Wasserstoff.

Man kann also konstatieren, dass man in Südkorea mit einer langfristigen politischen Entscheidung und massiven Investitions- und Förderungsmaßnahmen ein solides Fundament für den Aufbau einer durch Importe ergänzten grünen H2-Wirtschaft geschaffen hat. Die zu errichtende grüne Wasserstoffwirtschaft gleicht, metaphorisch gesprochen, aktuell jedoch noch einer großen Baustelle, auf der dichte Staubwolken den Ausblick auf die Farbe und die Konturen des neuen Bauwerks verdecken. Erst wenn sich der Staub legt, wird man sehen, wie sich Farbe und Konturen wirklich darstellen.

Ausblick: Was macht die neue Regierung?

Vieles von dem, was heute umgesetzt wird, geht auf die Regierungszeit der liberalen Moon-Regierung zurück, welche zwischen Mai 2017 und Mai dieses Jahres in der Regierungsverantwortung war. Unter anderem hat diese noch eine Reform des Wasserstoffgesetzes, welches just zum Regierungswechsel verabschiedet wurde, auf den Weg gebracht. Im Kern ging es hierbei – analog zu Europa – um die Festlegung einer gesetzlich verbindlichen Taxonomie zum Begriff des sauberen Wasserstoffes, also Wasserstoff „ohne“ oder „mit wenig“ Treibhausgasemissionen. Ähnlich wie in Europa handelt es sich also um nicht rein grünen Wasserstoff.

Des Weiteren hat man sich darauf geeinigt, den Preis für Gas, welches für die Produktion von Wasserstoff bestimmt ist, per Gesetz preislich zu deckeln. Am allerwichtigsten ist allerdings die sogenannte „Clean Hydrogen Portfolio Standards“-Regelung (CHPS-Regelung), in deren Rahmen Versorger sowie andere Marktteilnehmer mit Quoten zur Herstellung, Verstromung und Abnahme von Wasserstoff verpflichtet werden. Die Stimmung an der Börse und in der Branche war dementsprechend gut.

Allerdings hat die jüngst gewählte konservative Regierung um Präsident Yoon nun wieder den Ausbau der Atomenergie ins Spiel gebracht, was in der Branche gemischte Reaktionen auslöst. Zwar bekennt sich die neue Regierung in ihrem Strategiepapier zur Weiterführung des Ausbaues der Wasserstoffwirtschaft, allerdings stellt sich die Frage, ob der Pragmatismus die Klimawende wirklich beschleunigt oder ob das Gegenteil der Fall sein wird.

Autor:
Moritz Haarstick
Seoul National University, KOTRA (Korea Trade-Investment Promotion Agency), Hamburg
moritz.haarstick@kotra.de

Abb. 1: Eui-sun Chung (Hyundai Motor Group), Tae-won Chey (SK Group), Jeong-woo Choi (POSCO) und Hyun-joon Cho (Hyosung Group) vorm Hyundai H2-Truck [SG1] 

[SG1]Hyundai Motor Group Chairman Eui-sun Chung, SK Group Chairman Tae-won Chey, POSCO CEO Jeong-woo Choi, and Hyosung Group Chairman Hyun-joon Cho are taking photos in front of Hyundai Motor’s hydrogen fuel cell truck

Wasserstoff-Wettbewerb zwischen den USA und Deutschland

Millioneninvestitionen in H2

Es herrscht wahre Goldgräberstimmung: Zahlreiche Konzerne übernehmen Mittelständler oder gründen Joint Ventures (s. S. 6) – viele Großunternehmen investieren Millionen, um sich ein Stück von dem H2-Kuchen zu sichern. Der Weltmarkt für Wasserstoff wird jetzt aufgeteilt, zumindest der Anteil, der nicht ohnehin schon in den vergangenen Monaten einkassiert wurde.

Ein Beispiel für diesen globalen Wettstreit ist im brandenburgischen Jänschwalde zu finden: Mitte Juli gab die Wiesbadener Firma Hy2gen bekannt, dass dort 500 Mio. Euro in die Produktion von grünem Wasserstoff und nachhaltigem Flugzeugtreibstoff investiert werden sollen. Die Anlage soll bis 2027 auf dem geplanten Green Areal Lausitz entstehen.

---------- Werbung ----------

In Mecklenburg-Vorpommern wird ebenfalls investiert. Die HH2E AG und die Schweizer MET Group gründeten gemeinsam eine Projektgesellschaft für die Entwicklung einer der größten Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff in Europa. In Lubmin sollen bis 2025 100 MW für die Produktion von 6.000 tH2/Jahr aufgebaut werden, die bis 2030 auf 1 GW hochskaliert werden könnte. Rund 200 Mio. Euro sollen dafür bereitgestellt werden.

---------- Werbung ----------

Ebenfalls im Juni hatten Ceres Power und Shell verlautbaren lassen, dass sie gemeinsam eine Demonstrationsanlage eines Festoxidelektrolyseurs (SOEC) im Megawattbereich in Bangalore, Indien, aufbauen wollen. Ziel ist die Bereitstellung von kostengünstigem grünem Wasserstoff für die industrielle Dekarbonisierung. Der Brennstoffzellenhersteller Ceres hat 100 Millionen Pfund für die Entwicklung seiner SOEC-Technologie bereitgestellt – mit dem Ziel, bis 2025 marktführend nivellierte Wasserstoffkosten von 1,5 $/kg zu erreichen.

---------- Werbung ----------

Anfang des Jahres übernahm Voss Fluid die österreichische HypTec GmbH. Durch diesen Zukauf sichert sich der Hersteller von Rohrverbindungssystemen den Zugriff auf Hochdruckkomponenten für H2-Anwendungen. Die 2010 gegründete HypTec verfügt über Ventiltechnik, die trotz hoher Drücke klein und leicht ist – wichtige Voraussetzungen für die Hochskalierung von H2-Komponenten.

---------- Werbung ----------

Bereits im Januar 2022 hatten Fortescue Future Industries und Covestro eine langfristige Liefervereinbarung für grünen Wasserstoff abgeschlossen. Die Rede ist von bis zu 100.000 Tonnen Grüner-Wasserstoff-Äquivalente pro Jahr, die ab 2024 beispielsweise per Ammoniak von Australien nach Europa transportiert werden könnten. Bis 2030 will FFI die Produktion von grünem Wasserstoff auf jährlich 15 Mio. Tonnen steigern.

Und Ende August ließ der ehemalige Microsoft-Chef Bill Gates verkünden, dass sich die von ihm gegründete Investorengruppe Breakthrough Energy Ventures an dem dänische Brennstoffzellenhersteller Blue World Technologies mit 37 Mio. Euro beteiligt. Der deutsche Motorenhersteller Deutz war zuvor bereits mit 7,5 Mio. Euro eingestiegen.

---------- Werbung ----------

Abb.: Gründer-Team von Blue World Technologies
Quelle: Blue World Technologies

preloader