Mit BZ-Range-Extender die Reichweite verdoppeln
Ein elektrisches Leichtkraftrad mit 150 km Reichweite und Betankung in unter einer Minute? Dass dies mit Brennstoffzelle und Wasserstofftank als Range Extender machbar ist, zeigt die gemeinsame Studie „Pocket Rocket H2“ der Dualen Hochschule Baden-Württemberg und der SOL Motors GmbH aus Böblingen.
Elektrofahrräder, Elektroroller und E-Scooter sind bereits Teil des Stadtbildes geworden. Bei kleinen Motorrädern, sogenannten Leichtkrafträdern, ist der Aufbau im Elektrosektor gerade im Gange. Mit einem auffälligen Design kommt im Herbst dieses Jahres die Pocket Rocket des Start-ups SOL Motors auf den Markt.
Die batterieelektrische Version gibt es in zwei Varianten mit Höchstgeschwindigkeiten von 45 km/h oder 80 km/h. In beiden Fällen liegt die Reichweite bei 50 bis 80 km und es dauert etwa drei Stunden, bis die Batterie an einer Haushaltssteckdose aufgeladen ist. Nutzt man die Pocket Rocket für die tägliche Fahrt zur Arbeit, reicht das in der Regel völlig aus.
Allerdings gibt es auch Fälle, in denen man sich eine möglichst kurze Ladezeit und eine hohe Reichweite wünscht. Beispielsweise kann man sich einen Einsatz von Leichtkrafträdern im Katastrophenschutz vorstellen; neben einer hohen Reichweite wird hierfür eine durchgehende Verfügbarkeit gefordert. Bedingungen, die ein Brennstoffzellenfahrzeug erfüllt.
E-Fahrzeuge: Batterie oder Brennstoffzelle?
Die große Mehrzahl der Elektrofahrzeuge weltweit, vom e-Scooter bis zum leichten Nutzfahrzeug, ist heutzutage batterieelektrisch angetrieben. Die Brennstoffzelle kommt dann ins Spiel, wenn sowohl große Leistungen als auch große Energiemengen gefragt sind. Typische Beispiele sind schwere Nutzfahrzeuge, Züge, Schiffe oder Flugzeuge. Durch die Aufteilung in Wasserstofftank und Brennstoffzelle sind bei einem BZ-Antrieb Energie(menge) und Leistung entkoppelt. Auch für kleinere Fahrzeuge ergeben sich bei einem Brennstoffzellenantrieb mehrere Freiheitsgrade für die Systemauslegung.
Bei einem Brennstoffzellenantrieb kann man nicht ganz auf die Batterie verzichten, da sie zum Starten des Systems und zur Rekuperation benötigt wird. Im Zusammenspiel mit der Brennstoffzelle gibt es verschiedene Varianten für die Auslegung der Batterie: Wenn die gesamte Antriebsleistung von der Batterie bereitgestellt wird, dient die Brennstoffzelle lediglich als Range Extender. Quasi das Gegenteil davon wäre ein reiner Brennstoffzellenantrieb mit kleiner Starterbatterie, welche die Bremsenergie zwischenspeichern kann. Wenn beide Leistungsquellen zusammenarbeiten, spricht man von einem Hybridbetrieb.
Vor diesem Hintergrund stand im Projekt Pocket Rocket H2 zunächst die Auslegungsfrage im Fokus, da vergleichbare Fahrzeuge (noch) nicht auf dem Markt sind. Ausgangspunkt für die Berechnungen war der WLTP-Zyklus, der zusammen mit den Fahrzeugdaten der Pocket Rocket (Variante mit maximal 45 km/h) Leistung und Energie aus Abb. 2 liefert. Daraus resultierte die Entscheidung für eine Brennstoffzelle als Range Extender.
Bild: Ermittelter Leistungs- und Energiebedarf der Pocket Rocket (Variante mit 45 km/h max.) aus dem WLTP-Zyklus
Als Range Extender wird die Brennstoffzelle lediglich dazu verwendet, die Batterie zu laden. Damit wird praktisch nicht in die Regelung des batterieelektrischen Fahrzeugs eingegriffen. Als Range Extender muss die Brennstoffzelle lediglich eine Leistung von bis zu 1.000 W liefern; Spitzenlasten werden durch die Batterie abgedeckt. Gleichzeitig wird die Reichweite nur durch die Größe des Wasserstofftanks begrenzt. Für Brennstoffzellen in der Leistungsklasse bis 1.000 W genügt eine einfache Luftkühlung, ab rund 2,5 kW wäre eine aufwändige Wasserkühlung nötig. Als Range Extender kann die Brennstoffzelle mit konstanter Leistung betrieben werden und gleichzeitig die Batterie vor Tiefentladung schützen. Beides erhöht die Lebensdauer dieser Komponenten.
Einziger Nachteil der gewählten Konfiguration: Die Batterie muss so groß ausgelegt sein, dass auch mehrere Kilometer mit Leistungen über 1.000 W, z. B. bei Bergfahrten, möglich sind.
Demonstrator im Labor
Im Projekt wurde das System aus Batterie und BZ-Range-Extender als Labormuster aufgebaut. Dazu wurde ein PEM-Brennstoffzellensystem der Hydrogen Air Technologies Ltd. eingesetzt (Abb. 3).
Bild: Kompaktes BZ-System mit 1.000 W Dauerleistung. Rechts im Bild sind die Ventilatoren für die Luftkühlung zu sehen. Der Schlauch zwischen den Ventilatoren dient zum Purgen mit Stickstoff.
Das System mit seinen 65 Zellen wird mit einfachen, drehzahlgeregelten Ventilatoren luftgekühlt und liefert die beschriebene maximale elektrische Leistung von 1.000 W. Die Spannung variiert, abhängig von der Leistung, zwischen 65 V (Leerlauf) und 35 V (maximale Leistung). Es handelt sich um ein sogenanntes Dead-End-System, d. h., es wird nur so viel Wasserstoff zugeführt, wie auch verbraucht wird.
Im Dead-End-System sammelt sich auf der Wasserstoffseite (Anode) durch Diffusion relativ schnell Stickstoff an, der über ein Spülventil abgelassen werden muss (purgen). Purgen verringert den Wirkungsgrad des Systems, da auch unverbrauchter Wasserstoff ausgetragen wird. Das untersuchte Brennstoffzellensystem hat bei 1.000 W einen Wirkungsgrad von etwa 35 Prozent. Umgerechnet auf den Wasserstoffverbrauch entspricht dies 85 g Wasserstoff pro Stunde.
Elektrische Verschaltung
Der Einsatz des Brennstoffzellensystems als Range Extender erlaubt eine sehr einfache elektrische Verschaltung. Wie in Abbildung 4 dargestellt, muss lediglich ein DC-DC-Wandler die Ausgangsspannung der Brennstoffzelle auf die Ladeschlussspannung der Batterie anpassen. Die Batterie kann dann kontinuierlich mit konstanter Spannung geladen werden. Die Regelung der Brennstoffzelle passt deren Ausgangsleistung an den aktuellen Ladestrom an. Das Steuergerät des Antriebs bleibt von dem Ladevorgang durch die Brennstoffzelle unberührt.
Bild: Verschaltung der elektrischen Komponenten der Brennstoffzelle (BZ) als Range Extender
Durch das Brennstoffzellensystem kann die Batterie bei gleicher Motorleistung von 2,5 kWh auf 0,35 kWh verkleinert werden. Die Reichweite wird dann prinzipiell nur durch das Tankvolumen, sprich die Menge an Wasserstoff im Tank, begrenzt. Der Leistungsbedarf mittels WLTP-Zyklus ergibt zusammen mit dem Systemwirkungsgrad einen Wasserstoffverbrauch von ca. 200 g auf 100 km. Mit 1 kg Wasserstoff könnte die Pocket Rocket in der Brennstoffzellenversion also 500 km weit fahren!
Sorgenkind Wasserstoffdrucktank
Leider ist die Speicherung von Wasserstoff für mobile Anwendungen noch unbefriedigend. Wasserstoff ist rund 14-mal leichter als Luft. Um also signifikante H2-Mengen zu speichern, muss dieser komprimiert werden. Aber selbst bei einem Druck von 700 bar nimmt 1 kg Wasserstoff ein Volumen von fast 40 Liter ein. Zusätzlich bringt ein 700-bar-Drucktank, der 1 kg Wasserstoff speichert, ein Gewicht von rund 24 kg auf die Waage. Umso erstaunlicher, dass die Pocket Rocket H2 gegenüber dem batterieelektrischen Fahrzeug nur etwa 2 kg schwerer wird – und das bei doppelter Reichweite.
Durch die Verkleinerung der Batterie von 2,5 kWh auf 0,35 kWh verringert sich deren Gewicht von rund 14 kg auf nur noch etwa 2 kg. In Summe ergeben sich etwa 16 kg, die sich auf Brennstoffzelle (4 kg), Tank (9 kg), Batterie (2 kg) und weitere Komponenten (1 kg) wie DC-DC-Steller und Verbindungskomponenten verteilen. Der H2-Drucktank ist dabei nicht nur die größte, sondern auch die schwerste Komponente. Das liegt vor allem an den hohen Sicherheitsanforderungen für den Einsatz im Straßenverkehr.
Hochdrucktanks für Wasserstoff bestehen heutzutage aus einem Kunststoffliner, der mit in Epoxydharz getränkten Kohlefasern umwickelt ist. Um die gewünschten Anforderungen, wie zum Beispiel einen 2,35-fachen Berstdruck, zu erreichen, ist die Kohlefaserschicht mehrere Zentimeter dick. Fertigungsbedingt können so nur runde oder zylindrische Tanks hergestellt werden. Für die Unterbringung am Rahmen der Pocket Rocket würde man sich allerdings flexiblere Tankgeometrien wünschen, die aktuell allerdings jeden Kostenrahmen sprengen würden.
Zum Abschluss des Projektes wurde in einem CAD-Modell die Unterbringung der Komponenten des Range Extenders am Rahmen der Pocket Rocket untersucht (Bild 5).
Bild: Studie zur Anordnung der einzelnen Komponenten des BZ-Range-Extenders am Rahmen der Pocket Rocket H2. Den größten Bauraum nehmen die Drucktanks für Wasserstoff ein.
Die Batterie, die sich in der batterieelektrischen Variante im oberen Querrohr befindet, ist nun deutlich kleiner und könnte in eines der V-Rohre wandern. Wasserstoff würde in dieser Variante in zwei Tanks, sowohl im Querrohr als auch in einem separaten Tank, gespeichert. Allerdings ließen sich im oberen Tank bereits fast die gesamten 350 g Wasserstoff speichern, die für eine Verdopplung der Reichweite benötigt werden. Der zweite Tank würde nur zum Einsatz kommen, wenn Wasserstoff bei „nur“ 350 bar gespeichert werden soll. Übrigens dauert die Betankung mit 6 kg Wasserstoff bei Pkws vier Minuten. Die Pocket Rocket H2 wäre also in etwa 14 Sekunden wieder vollgetankt.
Fazit und Ausblick
Im Projekt Pocket Rocket H2 wurde gezeigt, wie sich durch Brennstoffzelle und Wasserstofftank die Reichweite eines Leichtkraftrads verdoppeln lässt. Statt langer Ladezeiten lässt sich das „Wasserstoffmotorrad“ in kürzester Zeit betanken. Überraschend ist, dass trotz relativ schwerem H2-Tank das Gesamtgewicht der Pocket Rocket in der BZ-Variante reduziert werden kann, da die Batterie deutlich kleiner ausgelegt wird. Schließlich stellt die elektrische Verschaltung als Range Extender einen minimalen Eingriff in das Regelungssystem dar und eignet sich besonders für die „Nachrüstung“ von batterieelektrischen Fahrzeugen. An der DHBW Horb wurden die Projektergebnisse bereits auf die Auslegung von Transportdrohnen mit Brennstoffzellenantrieb übertragen.
In einem Nachfolgeprojekt werden Laboraufbau und Pocket Rocket zu einem echten Wasserstoffleichtkraftrad zusammengeführt. Das Projekt „Pocket Rocket H2“ wurde im Rahmen der Innovation Challenge 2021 vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg gefördert.
ICM Innovation Challenge
Der Innovationscampus Mobilität der Zukunft, eine gemeinsame Initiative des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Stuttgart, stärkt mit seiner ersten Innovation Challenge Mobilität und Produktion den direkten Austausch mit der Industrie. Das schnelle und unkomplizierte Förderformat für explorative Innovationsvorhaben hat im November 2021 Wirtschaft und Wissenschaft zusammengebracht, um sieben Forschungsfragen in den Feldern Mobilität und Produktion gemeinsam zu lösen. Die Challenges kamen von innovationsorientierten Unternehmen, die Lösungsansätze von den teilnehmenden Hochschulen und die Förderung im schnellen und kompakten Förderformat vom InnovationsCampus. Das neuartige Förderformat ist speziell auf kleine Unternehmen zugeschnitten: In der Ausschreibungsrunde 2021 wurden Konsortien von Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit mehr als 900.000 Euro gefördert.
Autor:
Prof. Dr. Volker P. Schulz, Volker.Schulz@dhbw-mannheim.de
Kai Tornow, DHBW Mannheim
Prof. Wolf Burger, DHBW Stuttgart
Manuel Messmer, SOL Motors GmbH
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