Hzwei Blogbeitrag

Beitrag von Sven Geitmann

22. Juli 2023

Titelbild: Abb. 3: H2-Backbone in der Nordsee

Bildquelle: DNV

Machbarkeit eines Offshore-H2-Backbones

DNV-Studie analysiert Aufbau und Kosten

Die Energiewende in Europa kann nur gelingen, wenn auch CO2-intensive Sektoren zügig dekarbonisiert werden. Dabei wird grüner Wasserstoff sehr wahrscheinlich eine zentrale Rolle spielen, denn in vielen energieintensiven Anwendungen gibt es keine andere CO2-neutrale Alternative. Die für die Erreichung der Klimaneutralität notwendigen Mengen an Wasserstoff sind allerdings für Europa sehr hoch. Zur Dekarbonisierung der heutigen H2-Produktion in Europa würden etwa 250 TWh H2 benötigt. Bis 2050 geht die EU in ihrer Wasserstoffstrategie von 2.250 TWh aus.

Wie die Energiekrise im vergangenen Jahr gezeigt hat, ist die Importabhängigkeit von Energieträgern strategisch risikoreich. Insofern sollten im Bereich Wasserstoff größere Erzeugungsmengen in Europa produziert werden, um nicht in vergleichbare Abhängigkeiten zu geraten, wie sie heute bei den fossilen Energieträgern gegeben sind.

Als unabhängiges Beratungsunternehmen hat DNV in diesem Zusammenhang für Gascade und Fluxys untersucht, inwiefern eine Offshore-Wasserstofferzeugung ökonomisch und strategisch sinnvoll ist und wie über eine großskalierende Einbindung einer Offshore-Elektrolyse in ein europäisches Netz ein signifikanter Beitrag zur europäischen Versorgungssicherheit realisiert werden kann.

Offshore-Windenergie ist am wirtschaftlichsten

Ausgangspunkt der Untersuchungen ist zunächst der Vergleich von fünf H2-Wertschöpfungsketten, die hinsichtlich ihrer H2-Gestehungskosten untersucht werden. Dabei wird von einer Produktion in Mitteleuropa hinsichtlich der Wind- und Solarprofile ausgegangen. Verglichen werden die Produktionsketten Onshore-Wind, Onshore-PV und Offshore-Wind mit einer Onshore-Elektrolyse und einer HVAC- oder HVDC-Anbindung sowie Offshore-Wind mit einer Offshore-Elektrolyse und einer Pipelineanbindung.

Die Ergebnisse der Modellierung zeigen, dass die Produktion von Wasserstoff mittels Offshore-Windenergie grundsätzlich am wirtschaftlichsten ist. Dies ist insbesondere in den hohen Volllaststunden – rund 5.000 – der Elektrolyse begründet, die bei Offshore-Windenergie erzielt werden können und durch die die Kapitalkosten im Verhältnis zur Produktion am vorteilhaftesten sind.

Bei der Nutzung von Offshore-Windenergie stellt sich weiterhin die Frage, ob die Elektrolyse eher onshore oder offshore erfolgen sollte. Auch dieser Aspekt wird in der Studie im Detail untersucht. Ein Vergleich der Bedeutung der Energieübertragungskosten auf die Gesamt-LCOH zwischen den drei Optionen

1) kabelgebundene HVAC-Anbindung (Elektrolyse onshore) und

2) kabelgebundene HVDC-Anbindung (Elektrolyse onshore) gegenüber

3) pipelinegebundene Wasserstoffübertragung (Elektrolyse offshore)

zeigt, dass bis zu einer Entfernung von etwa 125 km von der Küste die HVAC-Übertragung im Vergleich zur HVDC-Übertragung kostengünstiger ist. In Entfernungen darüber hinaus wird allerdings die Pipelineanbindung, bezogen auf die gesamten LCOH, günstiger. Die Elektrolyse sollte folglich für weiter entfernte Offshore-Gebiete auf See erfolgen. Für die Studie wird diese Grenze bei 100 km gezogen, da eine Pipeline auch mehrere Offshore-Windparks einbinden kann (s. gelb-schraffierter Bereich in Abb. 2).

7 Bild2 Klein

Betrachtet man als weiteren Faktor noch die Landnutzung, die bei einer Onshore-Elektrolyse signifikante Flächen in Anspruch nimmt, so hat die Offshore-Elektrolyse noch einen weiteren Vorteil: Die ohnehin schon sehr intensive Landnutzung onshore wird nicht noch weiter intensiviert. Der kompakte Aufbau, der offshore möglich ist, ist deutlich vorteilhafter.

89 Gigawatt in der Nordsee in Planung

In einem nächsten Schritt wird in der Studie das Offshore-Winderzeugungspotential für Flächen mit einer Küstenentfernung von mehr als 100 km in der Nord- und Ostsee untersucht. Dabei werden nur solche Flächen berücksichtigt, die bislang von den entsprechenden Ländern für Windprojekte ausgewiesen wurden. Die entsprechenden Auswertungen zeigen, dass sich unter Berücksichtigung eines 100-km-Kriteriums aktuell in der Nordsee 89 GWel Leistung aus Offshore-Windenergie in meist sehr frühen Planungsphasen befinden. In den Seeflächen der Nordsee besteht aber noch weit mehr Potential, allerdings ist dies derzeit nicht für eine Windenergienutzung ausgewiesen.

Würde das ermittelte Potential (89 GW) in der Nordsee ausschließlich für die Erzeugung von Wasserstoff genutzt werden, dann entspräche dies einer H2-Produktionsmenge von rund 350 TWh/a bzw. 9000t/a. Eine solche Menge würde je nach zugrunde gelegter Prognosestudie 15 bis 20 Prozent des Wasserstoffbedarfs Europas im Jahr 2050 abdecken.

In der Ostsee ist das Potential aufgrund der geringeren Küstenentfernungen deutlich niedriger, zumindest, wenn das 100-km-Kriterium hart berücksichtigt wird. Eine vertiefende Betrachtung des Produktionspotentials im Ostseeraum wurde in der Studie nicht vorgenommen. Allerdings könnte ein entsprechender Offshore-Backbone in der Ostsee auch eine landseitige H2-Produktion in Schweden und Finnland effizient nach Mitteleuropa führen und dazu mit einer seeseitigen Produktion kombiniert werden.

Unterschiede zwischen Erdgas- und H2-Pipelines

Aufbauend auf den Ergebnissen der Wirtschaftlichkeit und des möglichen Flächenpotentials, wird in der Studie anschließend die mögliche technische Umsetzung detailliert. Hierbei geht es weniger um die Offshore-Elektrolyse selbst, sondern spezifisch um die Optionen, die Offshore-Wasserstofferzeugung über ein Offshore-Pipelinenetz mit einem Onshore-Netz zu verbinden. Dabei sind zahlreiche Fragen zu klären, um einen Wasserstoff-Backbone zu schaffen, der sicher betrieben werden kann.

Vergleicht man beispielsweise den Transport von Erdgas, der in Offshore-Umgebungen üblich ist, mit dem Transport von Wasserstoff, der bisher noch nicht in Offshore-Umgebungen durchgeführt wurde, so müssen mehrere Aspekte berücksichtigt werden: Erstens haben Erdgas und Wasserstoff einen unterschiedlichen Energiegehalt, wenn sie durch eine Pipeline transportiert werden. Erdgas besteht hauptsächlich aus Methan (CH4) und hat normalerweise einen Energiegehalt zwischen 34 und 43 MJ/m³ (oberer Heizwert).

Wasserstoff hingegen hat einen viel geringeren volumetrischen Energiegehalt als Erdgas (etwa 12,7 MJ/m³). Das bedeutet, dass beim Transport von Wasserstoff durch eine Pipeline ein viel größeres Gasvolumen erforderlich ist, um die gleiche Energiemenge wie die von Erdgas zu transportieren. Wasserstoff ist jedoch auch ein viel leichteres Gas als Erdgas.

Bei normaler Temperatur und normalem Druck hat ein Kubikmeter Wasserstoff zum Beispiel etwa ein Neuntel der Masse eines Kubikmeters Erdgas, was zu einem viel höheren Durchfluss bei gleichen Druckunterschieden führt. Die Kombination dieser beiden Aspekte (niedriger Heizwert und leichtes Gas) hat eine ausgleichende Wirkung, so dass der Energiefluss von Wasserstoff und der von Erdgas dennoch vergleichbar sind.

Darüber hinaus ist Wasserstoff auch im Stahl viel diffuser als Erdgas und fördert daher die Versprödung von Pipelines infolge zyklischer Belastungen. Dieser Effekt wird durch eine Vermeidung von zyklischen Belastungen, die Nutzung von weniger hochwertigen Stählen (die weicher und damit weniger rissanfällig sind) und die Verwendung einer dickeren Rohrleitungswand beherrschbar. Dies schränkt jedoch im Allgemeinen auch die Wiederverwendbarkeit bestehender Erdgaspipelines für den Wasserstofftransport deutlich ein.

Zusammenfassend kommt die Studie daher zu dem Schluss, dass sich aufgrund seiner unterschiedlichen volumetrischen, gravimetrischen und molekularen Eigenschaften der Transport von Wasserstoff von dem von Erdgas in Offshore-Pipelines stark unterscheidet. Offshore-Wasserstoffpipelines sollten mithin spezifische Auslegungskriterien erfüllen, um eine angemessene Transportkapazität zu gewährleisten und sicher und dauerhaft betrieben werden zu können. Aufgrund der vorgenommenen Analysen, die in diesem Artikel nur stichpunktartig aufgezeigt werden, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass eine Umwidmung bestehender Offshore-Pipelines in den meisten Fällen unwirtschaftlich ist, insbesondere dann, wenn die Pipeline Teil eines integrierten und mehrere Windparks verbindenden Systems sein soll.

Hohes Druckniveau möglich

Als abschließender Schritt wird in der Studie die technische Umsetzung eines Wasserstoff-Backbones in der Nordsee detailliert. Dabei werden u. a. Fragen zum Routing, zum Druckregime, den Pipelinekosten und der notwenigen Speicherkapazität aufgrund einer fluktuierenden H2-Produktion erörtert. Das in der Studie skizzierte Netz verbindet die Windparks in der Nordsee mit Anlandepunkten in sechs Nordseeanrainerstaaten. Für die Anbindung wurden in den Ländern Anschlusspunkte an die geplanten Onshore-Backbones gewählt. Das hierdurch gebildete Netz hat eine Gesamtlänge von 4.500 km und weist generell eine Nord-Süd-Flussrichtung auf.

In der Studie wird keine komplette hydraulische Analyse vorgenommen, sondern es erfolgen einige Näherungsberechnungen. Um beispielsweise den erforderlichen Eingangsdruck für den Transport von Wasserstoff von Norwegen nach Deutschland zu ermitteln, wurden für die notwendigen Pipelineabschnitte entsprechende Berechnungen durchgeführt (s. Abb. 3).

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Der angenommene Rohrleitungsdurchmesser beträgt 48 Zoll. Mit diesen Parametern wurde der erforderliche Eingangsdruck für unterschiedliche Kapazitäten der Pipeline berechnet. Für eine H2-Kapazität von 25 GW, die an diesen Pipelineabschnitt angeschlossen ist, wird beispielsweise ein Einlassdruck von 192 bar berechnet. Dies ist ein sehr hohes Druckniveau für H2-Offshore-Pipelines.

Das DNV Joint Industry Project (JIP) H2Pipe untersucht derzeit Konstruktion, Bau und Betrieb von Offshore-H2-Pipelines mit einem Druck von bis zu 250 bar. Obwohl diese Pipelines noch nicht kommerziell verfügbar sind, sehen DNV und die JIP-Partnerunternehmen keine größeren technischen Einschränkungen für die Verwirklichung solcher Pipelines. Die wirtschaftliche Machbarkeit in Bezug auf die Materialauswahl der Pipelines und der Zusatzausrüstung muss allerdings in den kommenden Jahren nachgewiesen werden.

Neben dem Pipelinesystem wird in der Studie auch der Speicherbedarf analysiert. Der Anschluss an ausreichende Speicherkapazitäten ist notwendig, um ein nahezu kontinuierliches Versorgungsprofil zu erhalten. Die Studie zeigt hierzu auf, dass etwa 30 Prozent der Jahresproduktion als Voraussetzung für diese auf fluktuierenden erneuerbaren Energien basierende H2-Versorgung gespeichert werden müssen. In der Studie wird entsprechend von einem Anschluss an Salzkavernenspeicher in Norddeutschland und den Niederlanden ausgegangen.

Kostenberechnung

Für das skizzierte Netz werden anschließend die Kosten abgeschätzt. Für die Nordsee beträgt die Gesamtlänge des geplanten Backbones 4.200 km. Geht man von einem Rohrdurchmesser von 36 bis 48 Zoll aus, so liegt der Preis zwischen 3.000 und 4.500 €/m Pipeline.

Gemäß den getätigten Annahmen liegen die zusätzlichen LCOH für das Pipelinesystem zwischen 0,13 und 0,20 €/kg Wasserstoff, d. h. 4,0 bis 6,6 €/MWh. Da die nivellierten Gesamtkosten für Offshore-Wasserstoff im Bereich von 3 bis 5 €/kg liegen, bedeutet dies einen Zusatz von nur 2,6 bis 6,7 Prozent, bezogen auf die direkten Produktionskosten.

Neben den Pipelines muss ein entsprechendes Kompressionsregime berücksichtigt werden. Die Kosten für einen Kompressor variieren erheblich mit der Größe. Die maximale Kapazität heutiger Kompressoren liegt bei etwa 16 MWel (Eingangsleistung). Unter der Annahme zentraler Kompressoren für eine Windfarm, eines Ausgangsdrucks der Elektrolyseure von 30 bar, einer Eingangsleistung für das Wasserstoff-Backbone von 200 bar, einer Anordnung von vier Kompressoren mit jeweils 50 Prozent der erforderlichen Gesamtkapazität und 200 Prozent der Installationskosten belaufen sich die Investitionen für einen 1-GWel-Windpark auf 46 Mio. Euro und für einen 2-GWel-Windpark auf 66 Mio. Euro. Damit liegen die zusätzlichen LCOH zwischen 0,06 und 0,08 €/kg Wasserstoff, was einem Wert von 2,0 bis. 2,7 €/MWh entspricht. Da die nivellierten Gesamtkosten für Offshore-Wasserstoff im Bereich von 3 bis 5 €/kg liegen, bedeutet dies einen Zusatz von 1,2 bis 2,7 Prozent.

Insgesamt bewegen sich die Kosten für Pipeline und Verdichtung bei etwa zehn Prozent der gesamten spezifischen Kosten des Wasserstoffs. Zusätzlich zu den Kosten für die Pipeline und die Verdichtung muss auch die Speicherung als dritte Komponente berücksichtigt werden, die zu den LCOH hinzukommt. Hierfür kommen die Ergebnisse zu einem Wert von zusätzlichen 0.22 bis 0.35 €/kg H2.

Mit den ermittelten Systemkomponenten werden in der Studie Investitionskosten von 35 bis 52 Mrd. Euro abgeschätzt, um den skizzierten Nordsee-Wasserstoff-Backbone zu bauen. In Verbindung mit den Ergebnissen der LCOH-Analyse kann Wasserstoff aus Nordsee-Offshore-Windparks damit zu spezifischen Kosten von etwa 4,69 bis 4,97 €/kg im Jahr 2030 nach Mitteleuropa geliefert werden. Aus Sicht der Autoren sind diese Kosten konkurrenzfähig mit Importen.

Zur Umsetzung des skizzierten Systems ist ein koordiniertes und zügiges Vorangehen der relevanten Anrainerstaaten unumgänglich. Nur so können die notwendigen Netzwerk- und Skaleneffekte realisiert werden, und ein Offshore-Backbone kann bis 2050 einen Beitrag zur Wasserstoffversorgung von Europa leisten.

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