Die Bedrohung für Mensch und Umwelt durch Per- und Polyfluoralkylsubstanzen, sogenannte PFAS, ist längst bekannt. Erst im Februar 2023 berichteten zahlreiche Tageszeitungen über das Ausmaß der PFAS-Kontamination in Europa und rückten das Thema wirksam in die Öffentlichkeit. Auch in Brennstoffzellen werden PFAS verwendet. Das Freiburger Start-up ionysis hat sich zum Ziel gesetzt, dies zu ändern.
PFAS sind eine Gruppe von stark fluorierten Polymeren, die in vielen verschiedenen Anwendungen eingesetzt werden, gut bekannt zum Beispiel aus beschichteten Pfannen oder Outdoor-Jacken. Sie verfügen über einzigartige Eigenschaften wie eine hohe chemische und thermische Stabilität. Sie sind nicht-haftend, nicht-färbend und stark öl- und wasserabweisend und daher heute weit verbreitet in Marken wie Teflon oder Gore-Tex.
Doch die positiven Materialeigenschaften haben eine Kehrseite: PFAS bauen sich in der Umwelt nicht ab, und das über Jahrhunderte. Zudem sind sie sehr mobil, so dass sie inzwischen in Grund- und Oberflächenwasser, Luft und Böden nachweisbar sind. Auch in der menschlichen Blutbahn und zahlreichen lebenden Organismen ist diese Stoffklasse bereits nachgewiesen worden. Dort stehen sie unter dem starken Verdacht, Krebs, Unfruchtbarkeit und andere schwere Erkrankungen zu verursachen.
Obwohl diese Eigenschaften seit vielen Jahrzehnten bekannt sind, häuften sich erstmals in den vergangenen Monaten Entscheidungen mit Tragweite zur Eindämmung von PFAS: Im November 2022 reichte der Bundesstaat Kalifornien in den USA eine umfassende Klage gegen PFAS-produzierende Unternehmen wie 3M und Dupont ein. Einen Monat später kündigte 3M als erster großer Chemiekonzern an, sich bis Ende 2025 komplett aus der Herstellung von PFA-Substanzen zurückzuziehen.
Zuletzt hat das Thema dann medienwirksam noch einmal an Fahrt gewonnen: Im „Forever Pollution Project“ haben JournalistInnen von 18 Zeitungen und anderen Medienhäusern, darunter Le Monde (Frankreich), NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung (Deutschland) und The Guardian (Vereinigtes Königreich) über mehrere Monate Tausende von Datenpunkten gesammelt, um eine „Karte der ewigen Verschmutzung“ zu erstellen, die zum ersten Mal das Ausmaß der Kontaminierung Europas durch PFAS zeigt.
Das „Forever Pollution Project“ deckte auch erstmals auf, wie groß die Anstrengungen der PFAS-Lobby sind, ein EU-weites PFAS-Verbot zu verwässern. Dieses umfassende Verbot der Verwendung und Herstellung von PFAS als Stoffklasse wurde von Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Schweden initiiert. Im Februar 2023 veröffentlichte die europäische Chemieagentur (ECHA) den Vorschlag und evaluiert ihn nun, bevor sie eine Empfehlung an die Europäische Kommission abgibt. Die Hauptargumente gegen das Verbot konzentrieren sich auf den Mangel an PFAS-Ersatzstoffen in Anwendungen, die als kritisch für die Gesellschaft angesehen werden.
Einer dieser scheinbar alternativlosen Fälle ist die Verwendung von Fluorpolymeren in Elektrolyseuren und Wasserstoffbrennstoffzellen. Aufgrund ihrer hohen Protonenleitfähigkeit und chemischen Stabilität werden Fluorpolymere auf Basis von perfluorierten Sulfonsäuren (PFSA) derzeit für Membranen und Elektrodenbinder in Wasserstofftechnologien verwendet.
Ziel: Grüner Wasserstoff mit grünen Materialien
Dr. Andreas Büchler, Co-Geschäftsführer und Mitgründer von ionysis, warnt: „Spätestens die Veröffentlichungen des ‚Forever Pollution Projects‘ sind ein Weckruf. PFAS werden eine enorme Bedrohung für die Umwelt, uns, unsere Kinder und Enkelkinder sein. Die PFAS-Werte, die schon jetzt nachgewiesen werden können, sind schockierend. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, jetzt, zu Beginn der exponentiellen Skalierung von Wasserstofftechnologien, die Forschung und Entwicklung von fluorfreien Materialien für Wasserstoffanwendungen voranzutreiben und möglichst schnell PFSA-Alternativen zur Marktreife zu bringen.“
Aus dem zunehmenden Bewusstsein über die Verschmutzung durch PFAS und dem dringenden Bedarf an Alternativen in der wachsenden grünen Wasserstoffwirtschaft heraus wurde das Start-up ionysis von einem Team aus dem Bereich Elektrochemische Energiesysteme bei Hahn-Schickard und der Universität Freiburg gegründet. Der Grundstein für das Start-up wurde im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte gelegt, die vom Land Baden-Württemberg, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurden. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, hocheffiziente und nachhaltige Kernkomponenten für Brennstoffzellen zu entwickeln.
Im September 2022 nahm ionysis mit einem achtköpfigen Team den Betrieb auf und wird bis Mitte 2023 auf die doppelte Teamgröße anwachsen. Neben Dr. Matthias Breitwieser (Chief Technology Officer), Dr. Florian Lombeck (Chief Scientist) und Dr. Severin Vierrath (Scientific Advisor) – alle aktive oder ehemalige Mitarbeiter von Hahn-Schickard und der Universität Freiburg – ergänzen Dr. Andreas Büchler (Chief Operation Officer) und Lisa Langer (Chief Financial Officer) das Gründerteam. Zwei starke Investoren unterstützen das Start-up nicht nur mit finanziellen Mitteln. Lisa Langer erklärt: „Durch unsere Investoren haben wir neben einer substanziellen Finanzierung im mittleren einstelligen Millionenbereich auch wertvollen Zugang zu Branchen-Know-how und Unterstützung bei der Geschäftsentwicklung.“
Erster Leistungsnachweis im Vollformat ist erbracht
Neben der Entwicklung dieser neuartigen, umweltfreundlicheren Membran-Elektroden-Einheiten (MEAs) liegt der Fokus auf dem Nachweis ihrer technischen Machbarkeit im relevanten Maßstab. Ziel ist es, gänzlich fluorfreie MEAs zur Marktreife zu bringen und so einen Beitrag zu einer tatsächlich nachhaltigen, „grünen“ Wasserstoffwirtschaft zu leisten. Erst vor wenigen Wochen konnte der erste erfolgreiche Leistungsnachweis im Heavy-Duty-Vollformat erbracht werden, was einen wichtigen Meilenstein in der frühen Phase der Firma darstellt.
„Gemeinsam mit internationalen Partnern ist es uns gelungen, neuartige MEAs für Brennstoffzellen zu entwickeln, die erstmals die Leistungsfähigkeit des Standes der Technik erreichen. Darüber hinaus haben sie das Potenzial, in Zukunft effizienter und bei höheren Temperaturen betrieben werden zu können“, erklärt Dr. Matthias Breitwieser, Chief Technology Officer von ionysis.
So konnten in den vergangenen sechs Monaten seit dem operativen Start wichtige Entwicklungen vorangetrieben werden: Einerseits wurde die MEA-Zusammensetzung verbessert, zum anderen hat es große Fortschritte bei der Herstellung im Pilotmaßstab gegeben: „Gemeinsam mit einem Partner haben wir einen neuen Prozess zur CCM-Herstellung (catalyst coated membrane; Anm. d. Red.) entwickelt, der es uns perspektivisch ermöglicht, mit den Hydrocarbon-Materialien leistungsfähige CCMs im skalierten Maßstab reproduzierbar herzustellen“, freut sich Dr. Florian Lombeck, Chief Scientist bei ionysis.
EU-Förderung und Industrieauftrag
Dass es großes Interesse an der Technologie von ionysis gibt, zeigte sich bereits in der Startphase: Anfang Februar 2023 wurde ionysis zusammen mit dem slowenischen Start-up ReCatalyst für das prestigeträchtige Förderprogramm EIC Transition des European Innovation Council ausgewählt. Der European Innovation Council ist Europas führendes Innovationsprogramm zur Ermittlung, Entwicklung und Verbreitung bahnbrechender Technologien und wegweisender Innovationen. EIC Transition finanziert Innovationstätigkeiten, die über den experimentellen Nachweis im Labor hinausgehen, um sowohl die Reifung und Validierung von neuartigen Technologien im Labor und in relevanten Anwendungsumgebungen als auch die Entwicklung des Geschäftsmodells für die zukünftige Vermarktung der Innovation zu unterstützen.
Das Projekt „Enabler“ mit einem Gesamtvolumen von 2,5 Mio. Euro kombiniert die innovativen Technologien der beiden Start-ups mit dem Ziel, Brennstoffzellen für Schwerlastanwendungen kostengünstiger und umweltfreundlicher zu machen und ihre Leistung zu verbessern. ReCatalyst hat eine eigene Technologie zur Herstellung neuartiger Elektrokatalysatoren auf der Grundlage von Platinlegierungen entwickelt, die eine höhere Leistung und Haltbarkeit der Katalysatoren ermöglichen. ionysis verwendet die Katalysatoren von ReCatalyst für ihre fluorfreien MEAs. Um die MEAs in der Praxis zu evaluieren, konnte der etablierte Brennstoffzellenstack-Entwickler EKPO Fuel Cell Technologies GmbH als assoziierter Projektpartner gewonnen werden.
Zudem konnte von ionysis ein erster Industrieauftrag im Bereich der MEA-Entwicklung im mittleren sechsstelligen Bereich gewonnen werden. Grundlage für den umfangreichen Entwicklungsauftrag war die Erfahrung des Teams im Bereich der Prototypenentwicklung. „Wir freuen uns wirklich, dass unsere Kompetenz in der agilen und schnellen Entwicklung neuartiger Zusammensetzungen für Membran-Elektroden-Einheiten der nächsten Generation von etablierten Akteuren im Markt bereits jetzt erkannt wird. Das stimmt uns optimistisch für die Zukunft unseres jungen Unternehmens“, freut sich Dr. Matthias Breitwieser.
Validierung, Skalierung und Marktreife
Für die kommenden eineinhalb Jahre hat ionysis einen klaren Entwicklungspfad: Die Validierung der Technologie im Brennstoffzellen-Stack, die Skalierung der CCM-Herstellung sowie der Aufbau von Partnerschaften mit Lieferanten und Kunden. Gleichzeit geht es darum, das Geschäftsmodell zu entwickeln und die Kommerzialisierung vorzubereiten, so dass fluorfreie MEAs so bald wie möglich einen tatsächlichen Impact haben und der Verwendung von PFAS in eigentlich „grünen“ Wasserstoffanwendungen zeitnah ein Ende gesetzt werden kann.
Hydrocarbon-Polymer-basierte MEAs für die PEM-Brennstoffzelle
Alternativen zu perfluorierten Ionomeren, wie dem in elektrochemischen Energieanwendungen bekannten NafionTM, werden bereits seit den 1990er-Jahren erforscht. Viele Jahre wurden Materialien wie zum Beispiel sulfonierte Polyetheretherketone (sPEEK) verwendet, die jedoch in Bezug auf Leistung und Haltbarkeit zu weit vom perfluorierten Stand der Technik entfernt waren. Erst in den letzten fünf Jahren gab es erstmals wesentliche Fortschritte bei der Entwicklung von echten Alternativen: Vor allem durch die systematische Eliminierung der chemischen Schwachpunkte in den Polymeren (z. B. wenig stabile chemische Bindungen im Rückgrat der Polymere) konnten endlich stabile und gut protonenleitfähige Materialien gefunden werden.
Inzwischen gibt es eine Reihe an veröffentlichten Hydrocarbon-Ionomeren und -Membranen, beispielsweise auf Basis von sulfonierten Polysulfonen und verschiedenen sulfonierten Polyphenylenen. Die neuen Materialien ermöglichten erstmals hervorragende Leistungen im Labor und befinden sich inzwischen bei einigen Polymerfirmen wie Ionomr Innovations aus Kanada in der Kommerzialisierung.
AutorInnen: Dr. Matthias Breitwieser, matthias.breitwieser@ionysis.com
Lisa Langer, lisa.langer@ionysis.com, beide ionysis GmbH, Freiburg
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