In dem Forschungsvorhaben H2-Quartiere untersucht das Steinbeis-Innovationszentrum energieplus (kurz siz e+) bis 2024, wie eine dezentrale und verbrauchernahe Wasserstoffproduktion mittels Elektrolyse (kurz: ELY) umgesetzt werden kann. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz werden dabei sechs Vorzeigequartiere mit ELY im urbanen und suburbanen Raum in Baden-Württemberg analysiert und auf technisch-wirtschaftliche Hürden hin überprüft. Die Ergebnisse werden in einer Marktanalyse für Elektrolyseure vorgestellt.
Diese Untersuchung basiert auf 23 Betreiber- und Herstellerinterviews, wobei die Analyse des Herstellermarkts auf Firmen begrenzt ist, die mit einer Niederlassung in Deutschland ansässig sind. Bei Herstellern ohne Niederlassung in Deutschland würde eine schnelle Verfügbarkeit von Service-Personal im Instandsetzungsfall infrage stehen. Die Ergebnisse dieser Marktanalyse gewähren Einblick in die aktuelle Situation hinsichtlich Investitionskosten (kurz: CAPEX), Wirkungsgraden, Stack-Temperaturen sowie Herausforderungen für Betreiber beim Vertrieb von grünem Wasserstoff.
Betrachtung der Betreiberseite
In Deutschland befinden sich aktuell 13 öffentlich bekannte Elektrolyseanlagen mit einer Leistungsaufnahme von über 1 MW im Betrieb (Stand 202). Diese verfügen gemeinsam über eine ELY-Kapazität von rund 70 MW. Von sieben interviewten Betreibern von ELY-Großanlagen beanstanden zwei die mangelnde Normung im Stack-Markt. Es wäre vorteilhaft, wenn man beim Stack-Austausch nicht an den ursprünglichen Hersteller gebunden wäre, heißt es. Ein Betreiber äußert zudem Zweifel, was außereuropäische Hersteller betrifft, hinsichtlich der schnellen Verfügbarkeit von Service-Monteuren im Fall einer Betriebsstörung.
* (Inbetriebnahme zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch nicht erfolgt, aber für 2022 angekündigt)
Hinsichtlich des politisch avisierten Scale-ups merken fünf von sieben Betreibern an, dass es für weitere Investitionen nicht genug Abnehmer beziehungsweise Nachfrage nach grünem Wasserstoff gibt. Dies zeigt sich auch bei den bisherigen Verwertungswegen von grünem Wasserstoff. Sechs von 13 Elektrolysegroßanlagen speisen ihren Wasserstoff bislang in das Erdgasnetz ein. Lediglich sechs liefern Wasserstoff an die Industrie und eine ausschließlich in den Mobilitätssektor. Aus volkswirtschaftlichen und ökologischen Gründen sollte grüner Wasserstoff vorwiegend in sonst schwer zu dekarbonisierenden Industrieprozessen eingesetzt werden [Agora Energiewende, 2021].
Die Erfahrungen eines Anlagenbetreibers waren von diversen Herausforderungen geprägt: Der Errichtungsprozess verzögerte sich insbesondere durch Lieferschwierigkeiten und mangelhafte Leistungen einzelner Baufirmen. Inbetriebnahme und Genehmigungsprozess wurden durch zusätzliche Sicherheitsauflagen des zuständigen Regierungspräsidiums unverhältnismäßig erschwert. Der Betrieb nach der Fertigstellung wurde durch stark steigende, volatile Strompreise beeinträchtigt. Trotz dieser Herausforderungen plant der Betreiber die Errichtung einer noch größeren ELY-Anlage. Das Unternehmen ist der Ansicht, der Vorteil durch das langfristige ökologische und wirtschaftliche Potenzial grünen Wasserstoffs werde die Nachteile mittelfristig überwiegen.
Betrachtung der Herstellerseite
Die Investitionskosten (CAPEX-Kosten) von Wasserelektrolyseuren befinden sich aktuell verfahrensübergreifend bei Großanlagen bei ca. 1.000 €/kWel. Die Vergleichbarkeit ist allerdings zum Teil schwierig, da hinsichtlich der Balance-of-Plant (Anlagenperipherie; kurz: BoP) nicht alle Hersteller den gleichen Leistungsumfang anbieten. Die befragten Akteure planen den Ausbau zunehmend automatisierter Produktionslinien, was die CAPEX-Kosten wesentlich senken könnte. Bei PEM lag der BoP-Kostenanteil 2020 bei 55 Prozent [IRENA, 2020]. Seitdem ist das Marktvolumen gestiegen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass auch hier durch Skaleneffektive weiterhin beachtliche Kostensenkungen erfolgen werden.
Abbildung 2 zeigt den elektrischen Systemwirkungsgrad (LHV to AC = unterer H2-Heizwert bis Wechselstrom) der insgesamt 17 Elektrolyseure von neun unterschiedlichen Herstellern, anonymisiert aufgeteilt nach dem Elektrolyseverfahren. Es handelt es sich um alkalische Elektrolyseure (AEL), Proton-Exchange-Membrane-Elektrolyseure (PEM) und Anion-Exchange-Membrane-Elektrolyseure (AEM). Es werden nur die Fabrikate von Herstellern berücksichtigt, die in Deutschland ansässig sind und bereits über Referenzen verfügen. Solid-Oxyde-Elektrolyseure (SOEL) werden aufgrund des prozessbedingten Wärmebedarfs auf hohem Temperaturniveau nicht mitbetrachtet.
Dargestellt werden Minimum, Mittelwert und Maximum der Herstellerangaben je Elektrolyseverfahren. Die untersuchten Fabrikate bewegen sich verfahrensübergreifend auf ähnlichem Niveau, wobei AEL leicht höhere Werte aufweisen. Die Vergleichbarkeit der Herstellerangaben ist allerdings in Frage zu stellen. Aktuell existieren keine Normen bzw. Richtlinien, die einen Standard definieren, der besagt, unter welchen vergleichbaren Bedingungen der Wirkungsgrad zu ermitteln ist.
Auffällig ist, dass einige Hersteller für Fabrikate aller Größen den gleichen Systemwirkungsgrad angeben. Dies deutet darauf hin, dass der Stromverbrauch der BoP nur überschlägig berücksichtigt wird. Bei manchen Angaben ist unklar, ob die Angabe des Wirkungsgrades als Momentaufnahme beim „Beginning of Life“ oder als Mittelwert über die gesamte Lebensdauer erfolgt. Ferner liegen oft auch keine Informationen darüber vor, bei welchem Lastzustand der Wirkungsgrad gemessen wurde.
Durch Abwärmenutzung kann eine deutliche Steigerung des Gesamtwirkungsgrades erzielt werden. Ein wichtiger Faktor dabei ist das Temperaturniveau der Abwärmequelle. Abbildung 3 zeigt die Angaben von neun Herstellern bezüglich der Stacktemperaturen beim Betrieb unter Nennlast. Die Stacktemperatur ist die mittlere Temperatur zwischen Ein- und Austritt des Kühlmediums aus dem Stack.
Die Stackkühlung ist in der Regel über einen Wärmeübertrager in zwei Kreise aufgeteilt: in einen Primärkreislauf für die direkte Stackkühlung und einen sekundären Glykolkreis für die Wärmeabfuhr an die Umgebung, beispielsweise über einen Tischkühler.
Verfahrensübergreifend beträgt die Spreizung zwischen Stack-Eintritts- und -Austrittstemperatur in der Regel nicht wesentlich mehr als 10 Kelvin, da höhere Spreizungen zu verstärkter Degradation und unterschiedlichen Lastzuständen im Stack führen können [TU Delft, 2019]. Der primäre Kühlkreislauf ist aufgrund der besonderen Anforderungen an das Kühlmedium durch den direkten Kontakt mit den Zellen in der Regel über einen Wärmeübertrager vom Glykolkreis getrennt. Aus Gründen der hydraulischen Entkoppelung kann ein weiterer Wärmeübertrager im sekundären Glykolkreis für die Abwärmeauskopplung erforderlich sein. Falls hier von einer Grädigkeit von beispielsweise 10 Kelvin ausgegangen wird, muss die Rücklauftemperatur der Abwärmeanwendung zwischen 15 und 20 Kelvin unter den Stacktemperaturen in Abbildung 3 liegen.
In Anbetracht dessen sind alle gängigen Produkte geeignet, gemeinsam mit einem Spitzenlasterzeuger über ein Nahwärmenetz ein Bestands- oder Neubaugebiet mit Heizwärme zu versorgen. Die Temperatur der meisten AEL ist mit durchschnittlich 76 °C theoretisch hoch genug, um gegebenenfalls eine Trinkwarmwasserversorgung zu ermöglichen. In der Praxis zeigen sich jedoch Hürden, welche eine Abwärmenutzung erschweren. Bei Container-Anlagen werden häufig kompakte Wärmeübertrager mit kleinen Übertragungsflächen und hohen Grädigkeiten eingesetzt, was äußerst niedrige Eintrittstemperaturen auf Seite des Kühlmediums erfordert. Beim Einsatz einer Wärmepumpe ist diese Eintrittstemperatur entscheidend für die Verdampfungstemperatur des Kältemittels. Um eine hohe Effizienz beziehungsweise Leistungszahl der Wärmepumpe zu gewährleisten, wären größere Wärmeübertrager und höhere Eintrittstemperaturen von Vorteil.
Klimaneutrales Quartier
Das Prinzip der Abwärmenutzung für die Wärmeversorgung wurde vom Steinbeis-Innovationszentrum energieplus in dem Klimaquartier in Esslingen (s. HZwei-Heft Apr. 2021) bereits umgesetzt. Das Projekt basiert auf der Idee eines klimaneutralen Quartiers mit einer möglichst niedrigen Treibhausgasbilanz. Herzstück der Energieversorgung ist ein AEL mit einer ELY-Kapazität von 1 MW, der Überschussstrom aus den lokalen Photovoltaikanlagen und überregionaler Erzeugung bezieht. Die ELY-Abwärme dient gleichzeitig als Energiequelle für eine Wärmepumpe. Das Projekt verfolgt den innovativen Ansatz Power-to-Gas-and-Heat, bei dem an sinnvollen Knotenpunkten Wasserstoff verbrauchernah auf lokaler Ebene erzeugt werden soll.
In dem neuen Vorhaben H2-Quartiere wird die mögliche Implementierung dieses Ansatzes in sechs weiteren Vorzeigequartieren untersucht. Durch die Abwärmenutzung im Umwandlungsprozess und gleichzeitig kurze Transportwege zu den Endverbrauchern ist dieser Systemansatz potenziell höchst effizient und bietet hohe Synergieeffekte unter dem Aspekt einer integralen Wärme- und Energiewende. Laut der ZIA-Studie 2021 könnten im Jahr 2045 rund 20 Prozent des Wärmebedarfs im Gebäudesektor mit ELY-Abwärme gedeckt werden, falls die Hälfte des deutschen Wasserstoffbedarfs über lokale ELY-Anlagen in Deutschland erzeugt würde [ZIA, 2021].
Literatur
Tiktak, W. J.: Heat Management of PEM-Electrolysis. TU Delft. Masterarbeit. 2019. S. 19
Flis, G. et al.: 12 Insights on Hydrogen. Agora Energiewende. 2021. S. 16.
Fisch, M. N.; Lennerts, K. et. al.: Verantwortung übernehmen. Der Gebäudebereich auf dem Weg zur Klimaneutralität. 2021. ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss. S. 144-145.
IRENA: Green Hydrogen Cost Reduction: Scaling up Electrolysers to meet the 1.5 ⁰C Climate Goal. 2020. S. 52. International Renewable Energy Agency, Abu Dhabi
Autoren:
Prof. Dr. M. Norbert Fisch
Dr. Christian Kley
Benjamin Trippe
benjamin.trippe@siz-energieplus.de
alle vom Steinbeis-Innovationszentrum energieplus, Braunschweig
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