Fachkräftemangel in der Wasserstoffwirtschaft
Polen und Deutschland suchen nach Mitarbeitern
„Wasserstoff ist der Kraftstoff der Zukunft, und wir brauchen Spezialisten, die diese Zukunft mitgestalten.“ So hat Daniel Obajtek, Vorstandsvorsitzender der PKN Orlen, sehr passend die aktuelle Situation in der polnischen Energiebranche beschrieben. Auf der deutsch-polnischen Fachkonferenz in Eisenhüttenstadt im April 2023, wo er dies sagte, ging es eigentlich um die Themen Digitalisierung und Energiewende. Aber schnell wurde klar, dass Deutschland und Polen vor ganz ähnlichen Herausforderungen stehen – insbesondere was den Bedarf an Fachkräften beim Aufbau einer zukunftsfähigen Wasserstoffwirtschaft betrifft.
Auf der Fachkonferenz an der polnischen Grenze, zu der regionale Berufsbildungsinitiativen gemeinsam mit ArcelorMittal eingeladen hatten, ging es um berufliche Ausbildungsperspektiven in beiden Ländern. Nicht nur der Stahlproduzent ArcelorMittal, der schon bald mithilfe von Wasserstoff grünen Stahl herstellen will, wies darauf hin, dass insbesondere Energieunternehmen zukünftig speziell ausgebildete Fachkräfte benötigen werden. Auch der drittgrößte polnische Wasserstoffhersteller, der Mineralölkonzern PKN Orlen, betonte dies immer wieder.
Die H2-Akademie von Orlen
Erst vor wenigen Wochen hat PKN Orlen in Polen eine H2-Akademie eröffnet. Diese richtet sich an Studierende ab dem dritten Studienjahr und wird zusammen mit dem H2-Valley in der Region Mazowsze organisiert. Die polnischen Wasserstoffförderregionen (Hydrogen Valleys) haben bereits bei ihrer Entstehung bestimmte Schwerpunkte festgelegt. Das im Zentrum Polens gelegene H2-Valley in Mazowsze, in dem auch die Hauptstadt Warschau liegt, war von Beginn an aufgrund der dortigen prominenten Hochschulen sowohl mit dem Thema Bildung als auch mit dem Schwerpunkt Elektrotechnik beauftragt. Mit involviert sind hier auch der Autohersteller Toyota und der wichtigste polnische Eisenbahnproduzent PESA.
Orlen-Chef Daniel Obajtek erklärte: „Die Wasserstoff-Akademie öffnet die Tore zu dieser Welt. Wir setzen auf junge, talentierte und ehrgeizige Menschen. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, sich aktiv an innovativen Projekten zu beteiligen, von denen viele in Europa eine echte Neuheit sein werden. Die Akademie ist auch eine einzigartige Gelegenheit, aktiv an der Energiewende in Polen teilzunehmen […]. Die besten Absolventen können Praktika absolvieren und ihre Zukunft mit der Arbeit in unserem Unternehmen verbinden und ihre Kompetenzen weiterentwickeln.“
Der stellvertretende polnische Klimaminister Ireneusz Zyska sagte im März 2023 zu den Teilnehmern der ersten Kurse der H2-Akademie: „Alles, was wir im öffentlichen Raum, in der Industrie und in der Wirtschaft tun, beginnt und endet mit Menschen. Ich bin froh, dass die talentiertesten Menschen von heute einen Platz in der Wasserstoff-Akademie Orlen gefunden haben und dass sie das hier erworbene Wissen und die Erfahrungen in die Zukunft tragen werden.“
Der mittelosteuropäische Energieriese Orlen hat in fast allen Staaten der Region eigene Tankstellen und Raffinerien. Er möchte bis zum Jahr 2030 zum wichtigsten Wasserstofflieferanten Mittelosteuropas werden. Dementsprechend heißt es dazu in dem von Orlen veröffentlichten Wasserstoffstrategiepapier: „Demnach sollen in Mitteleuropa mehr als 100 H2-Tankstellen für den Individualverkehr, den öffentlichen Verkehr und den Güterverkehr auf Straße und Schiene errichtet werden (in Polen etwa 57, in der Tschechischen Republik 28 und in der Slowakei 26 solcher Tankstellen).“
Der Wasserstoff wird jedoch zunächst nur teilweise grüner Wasserstoff sein. Der polnische Konzern beabsichtigt, bis 2025 bis zu 50 MW an Leistung für die Wasserstoffherstellung aufzubauen. Bis 2030 soll die Leistung verzehnfacht werden und bei 540 MW liegen. Als Erzeugungspfade kommen die Dampfreformierung von Biogas und Biomethan infrage, aber auch die von Kohlenwasserstoffen mit anschließendem CCS und CCU. Oder aber die Vergasung, Fermentation und Pyrolyse von Biomasse und Abfällen sowie die Erzeugung von grünem Wasserstoff per Elektrolyse.
ArcelorMittal: Grüner Stahl ab 2050
Währenddessen setzt ArcelorMittal auf erste Pilotprojekte und versucht, in Eisenhüttenstadt erst einmal den Wandel sowohl nach außen mit der Öffentlichkeit als auch intern mit der Belegschaft zu diskutieren. Aktuell startet das ostdeutsche Werk mit zwei kleinen Elektrolyseuren von McPhy mit je einer Leistung von 1 MW. McPhy hat mit dem Werk in Eisenhüttenstadt einen langfristigen Servicevertrag ausgehandelt. Die brandenburgische Landesregierung hat für das innovative Projekt 5,1 Mio. Euro an Fördergeldern bereitgestellt. Der grüne Wasserstoff wird dann im Kaltwalzwerk verbraucht und soll zur Betankung von Gabelstaplern oder Sattelzügen am Standort Eisenhüttenstadt dienen.
„Mit diesem Projekt wollen wir untersuchen und zeigen, wie weitere Emissionsreduzierungen jetzt möglich sind, bevor ein kompletter Technologiewechsel und der Einsatz von weiterem Wasserstoff in den kommenden Jahren die Produktion vollständig auf Klimaneutralität umstellen wird“, erklärte Reiner Blaschek, Vorstandsvorsitzender von ArcelorMittal Deutschland.
Quelle: ArcelorMittal Eisenhüttenstadt GmbH / Bernd Geller
Dabei gibt es bei Arcelor in Eisenhüttenstadt erheblichen Aufklärungsbedarf, was die Auszubildenden bei der polnisch-deutschen Fachkonferenz selbst betonten: Es werde zwar viel über die Energiewende und Transformation in der Stahlherstellung erzählt, aber viel Konkretes, das der jungen Belegschaft Sicherheit und Zuversicht geben könnte, sei nicht dabei. Relativ vage blieben die Verantwortlichen in Eisenhüttenstadt auch darüber, welche Kompetenzen zukünftig benötigt werden und welche nicht mehr.
Peter Wendt, der den Prozess des Wandels der Stahlhütte im Zusammenhang mit der Beschäftigungs- und Ausbildungssituation vorstellte, machte deutlich, dass der gesamte Prozess an diesem Standort bis zum Jahr 2050 dauern werde. Die Transformation werde dementsprechend mehrere Phasen durchlaufen. Zunächst werde eine elektrische Schrottschmelzanlage eingesetzt, die in einer späteren Phase durch eine mit grünem Wasserstoff betriebene Direktreduktionsanlage ergänzt werde. Das führe dazu, dass in den nächsten Jahren ein Anstieg der Belegschaft von jetzt knapp 2.700 auf bis über 2.900 Mitarbeiter erwartet werde. Allerdings, so führte Peter Wendt weiter aus, dürften in der Schlussetappe beim Einsatz von Elektroöfen auch über 300 Arbeitsplätze überflüssig werden.
Autorin: Aleksandra Fedorska