Hzwei Blogbeitrag

Beitrag von Sven Geitmann

21. Mai 2023

Titelbild: Abb. 1: Oben: Spezifische Photovoltaik- (l.) und Windstromerzeugungskosten (r.) in Europa. Unten: Stromerzeugungspotentiale in Europa (2045).

Bildquelle: Benjamin Lux, Joshua Fragoso, Frank Sensfuß - TransHyDE scientific conference 2022

Eine Wasserstoffinfrastruktur für die Energiewende

Grüner Wasserstoff soll in Zukunft vielen Sektoren zur Klimaneutralität verhelfen. Doch noch gibt es Lücken in der Umsetzung beim Transport sowie bei der Speicherung. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte H2-Leitprojekt TransHyDE betrachtet verschiedene molekulare Transportoptionen für grünen Wasserstoff: gasförmigen Wasserstoff (GH2), flüssigen Wasserstoff (LH2), Ammoniak (NH3) sowie organische Trägerflüssigkeiten (Liquid Organic Hydrogen Carrier, kurz: LOHC).

Am 30. Dezember 2022 fand in Berlin die erste wissenschaftliche Konferenz des Leitprojekts TransHyDE statt, bei der techno-ökonomische und regulatorische Hindernisse auf dem Weg zu einer effizienten Speicher- und Transportinfrastruktur im Fokus standen. Dabei stellten Projektmitarbeitende wichtige Lösungsansätze und Erkenntnisse aus ihren Forschungsarbeiten vor und diskutierten diese mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

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Ganzheitliche Systemanalyse zur Infrastruktur

In der fachlichen Eröffnung der wissenschaftlichen Konferenz illustrierte Prof. Dr. Mario Ragwitz (Fraunhofer IEG) die herausgehobene Relevanz der Sektorkopplung in einem klimaneutralen zukünftigen Energiesystem. Insbesondere durch die Komplexität der Modellierung von Multienergiesystemen sowie der hohen erforderlichen räumlichen Auflösung der dazugehörigen Infrastrukturen wird der Arbeitsauftrag von TransHyDE verdeutlicht. Lediglich durch die ganzheitliche Vereinigung von systemanalytischen Modellen sowie spezifischem Fachwissen ließen sich die offenen Fragen der Energiewende beantworten.

3 Basisszenario Klein
3 Erweitertes Szenario Klein

Dr. Joshua Fragoso Garcia (Fraunhofer ISI) beschäftigte sich in seinem Beitrag mit der Frage, wie der europäische Wasserstoffbedarf kosteneffizient gedeckt werden kann. Hierzu untersuchte er modellbasiert zwei Szenarien, die sich hauptsächlich in ihren Wasserstoffbedarfen unterscheiden (Basisszenario: H2 nur als Grundstoff für die Chemie- und Stahlindustrie; erweitertes Szenario: breitere Anwendung von Wasserstoff zusätzlich im Bereich der Prozesswärme, Lkw auf der Langstrecke, und dezentralen Wärmeversorgung).

Die Modellergebnisse zeigen, dass in Europa ausreichend erneuerbare Potenziale vorhanden sind, um den Großteil des Wasserstoffbedarfs kosteneffizient zu decken (siehe Abb. 1). Außereuropäische H2-Importe sind kostengetrieben nur in kleinem Umfang Teil der Lösung (~10 % bzw. 12,7 % der modellierten 1.383 TWh bzw. 2.495 TWh im Jahr 2045 im Basisszenario bzw. erweiterten Szenario). Für den innereuropäischen Ausgleich von Wasserstoffangebot und -nachfrage zeigen die Szenarienergebnisse einen Vorteil für regionale Wasserstofferzeugung (s. Abb. 2) mit gekoppeltem Ausbau von H2-Pipelines, welche Nord- und Südeuropa mit Mitteleuropa verbinden.

Sicherer Wasserstofftransport: Realität statt Vision

Durch die systemanalytische Forderung, größere Mengen an gasförmigem Wasserstoff über Pipelines zu transportieren, stellen sich unmittelbare Sicherheitsfragen, welchen Dr. Frank Schweizer (Fraunhofer IWM) sowie Prof. Dr. Jürgen Wöllenstein (Fraunhofer IPM) in ihrem Vortrag begegneten. Die Referenten hoben hierbei hervor, dass Stahlproben bereits in Wasserstoffumgebung hinsichtlich relevanter Verfahren und rechnerischer Konzepte bezogen auf statische Lasten, Ermüdung und Rissfortschritt auf ihre Wasserstoffverträglichkeit geprüft werden können. Darüber hinaus ist eine genaue und kostengünstige Detektion von Wasserstoffleckagen, beispielsweise über die charakteristische Wärmeleitfähigkeit oder die Schallgeschwindigkeit des Wasserstoffs, möglich.

Neben der sicherheitsrelevanten H2-Leckagemessung ist gleichermaßen die Gewährleistung einer kontinuierlichen Qualität des transportierten Wasserstoffs erforderlich. Dr. Achim Zajc (Meter‑Q Solutions) stellte in seinem Beitrag mit dem firmeneigenen Nanogasprozesschromatographen (MGC) eine Möglichkeit vor, Wasserstoffgas und seine Verunreinigungen mit hoher Genauigkeit messen zu können. Der MGC macht sich hierbei die herausragende Wärmeleitfähigkeit des Wasserstoffs zunutze. Durch die direkte Kopplung des MGC an Pipelines lassen sich nicht nur die Anforderungen der Gasgruppe A (G260 9/2020) erfüllen, sondern ebenso die Messzeiten (< 45 s) und anfallenden Emissionen erheblich verringern, da unnötige Bypässe, lange Transportwege und Wasserstoffemissionen vermieden werden können.

Ammoniak: Viel mehr als nur ein chemischer H2-Speicher

Ammoniak ist bereits heute zentraler Grundstoff verschiedener Industrien und wird als Molekül für effizienten interkontinentalen Energietransport sowie zahlreiche Direktanwendungen diskutiert. Trotz bereits vielseitiger Einsatzmöglichkeiten könnte die Wandlung von Ammoniak zu Wasserstoffgas (Reformierung) in verschiedenen Szenarien zur Deckung des H2-Bedarfs erforderlich werden. Das energiewirtschaftliche Potential der Reformierung stellte Dr. Michael Poschmann (Max-Planck-Institut CEC) bei der Vorstellung von Forschungsarbeiten zur Verbesserung der eingesetzten Katalysatoren in den Mittelpunkt. Mittels speziell zu diesem Zweck entwickelter Reformierprüfstände (Druckbereich bis 40 bar) werden wesentliche Charakteristika der Reaktion (wie Umsetzungsgrad, Reaktionskinetik etc.) für verschiedene Katalysatormaterialien und -strukturen analysiert und mit bekannten Katalysatoren aus ähnlichen Katalyseprozessen verglichen.

Eine der vielseitigen direkten Anwendungsmöglichkeiten von Ammoniak wurde nachfolgend von Prof. Dr. Hinrich Mohr (GasKraft Engineering) am Beispiel eines ammoniakbetriebenen Verbrennungsmotors ausgeführt, der mit einer Leistung von 350 kW Anwendung in der Binnenschifffahrt finden kann. Erste Einzylinder-Verbrennungsversuche eines 50/50-Gasgemischs aus NH3/H2 bei Teillastbetrieb mit einem Mitteldruck von 11 bar erreichten bereits eine Effizienz von 39 Prozent.

Klaas Büsen (Hochschule Wismar) ergänzte die präsentierten Themen im Zusammenhang einer Ammoniak-Wertschöpfungskette um weitere Aspekte. In seinem Vortrag stellte er flexible Betankungs- und Bebunkerungskonzepte (sowohl an Land als auch auf See) sowie Technologien zur Gewährleistung der Anwendungssicherheit vor. Unter Betrachtung technologischer, wirtschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte erfolgt eine szenarienbasierte Bedarfsplanung für die Transportlogistik von Ammoniak mit dem Stützjahr 2035.

I.E. Philip Green (Australische Botschaft in Berlin) hob die Frage der Transportlogistik auf ein globales Niveau und skizzierte die Möglichkeiten einer künftigen Ammoniaktransportkette von Australien nach Deutschland. Durch Projekte wie das Asian Renewable Energy Hub (26 GW Wind- und PV-Erzeugungsleistung), mit dem Australien enorme Investitionen in die Ausschöpfung seiner Erneuerbare-Energien-Potentiale tätigt, werden sich perspektivisch große Mengen grünen Wasserstoffs (gebunden in Ammoniak) jährlich exportieren lassen. Durch die niedrigen Stromgestehungskosten in Australien sowie geringe Zusatzkosten für die Ammoniaksynthese, den Schiffstransport und die Reformierung sollen wettbewerbsfähige Preise möglich sein.

Flüssigwasserstoff – erprobte Transportoption mit Potential

Eine zum Ammoniak alternative Transport- und Speicheroption stellt Flüssigwasserstoff dar. Dr. Michael J. Wolf und Sebastian Palacios V. (beide Karlsruher Institut für Technologie) stellten in ihren Vorträgen die einzigartigen Eigenschaften von LH2, dessen Chancen, aber auch spezifische Herausforderungen vor, die in einem kürzlich erschienen Whitepaper auf der Leitprojekte-Webseite näher erläutert werden. Wesentliche Effizienzsteigerungspotentiale ließen sich beispielsweise in Kombination mit Hochtemperatursupraleitern bei gekoppeltem Strom- und Wasserstofftransport (hybride Pipeline) oder bei elektrischen Komponenten durch Erhöhung der Leistungsdichte erschließen. Prof. Alexander Alekseev (Linde) veranschaulichte anhand eines dynamischen Simulationsmodells einer LH2-Transportkette im Gleichgewichts- und Nichtgleichgewichtszustand, dass eine schnellere und effizientere Befüllung sowie Entleerung von LH2-Tanks durch großskalige Zentrifugal-LH2-Pumpen vorteilhaft sein könnte.

Wärmenutzung bei LOHC-Prozessen

Für die Transport- und Speicherlogistik von flüssigen organischen Wasserstoffträgern zeigen sich ebenfalls starke Optimierungsmöglichkeiten. Beispielsweise lässt sich die Effizienz steigern, indem die Abwärme bei der Hydrierung oder zur Dehydrierung die industrielle Prozesswärme vor Ort genutzt wird, wie Monja Grote (Hamburger Hafen und Logistik AG) und Siying Huang (Hydrogenious LOHC Technologies) erläuterten. Außerdem sind weite Teile der bestehenden Infrastruktur für flüssige Brennstoffe ökonomisch weiterhin nutzbar, da Hydrogenious das Thermalöl Benzyltoluol als LOHC verwendet, welches sich ähnlich einfach handhaben lässt wie Diesel. Über die Hebung dieser Potentiale lasse sich der Business Case rund um die Versorgungsketten mittels LOHC weiter ausgestalten und perspektivisch in die Realwirtschaft transferieren, so die Referentinnen.

Keine Wasserstoffwirtschaft ohne Normung

Alle vorgestellten Technologien setzen für ihre praktische Einführung jedoch einheitliche Vorgaben wie Normen, Standards und Zertifizierungen voraus. Hierzu erläuterte Thomas Systermans (DVGW) die bisherigen Ergebnisse einer Bestandsanalyse technischer Regelwerke, welche die Transportoptionen in TransHyDE umfassen. Die statistischen Auswertungen bezüglich der H2-Tauglichkeit zeigen, dass 57 Prozent der 693 Dokumente auf Wasserstoff anwendbar sind. Weitere zwei Prozent weisen lediglich eine beschränkte H2-Tauglichkeit auf, während 41 Prozent nicht für Wasserstoff geeignet sind. Die konsolidierten Daten münden in einem nächsten Schritt in eine Bedarfsanalyse der zu überarbeitenden Normen, aus welcher schlussendlich eine Handlungsempfehlung zur Schließung der Lücken erfolgt.

Die enorme Relevanz eines konsistenten Rechtsrahmens für den Aufbau einer Transport- und Speicherinfrastruktur stellten im darauffolgenden Vortrag Friederike Allolio und Leony Ohle (beide IKEM) heraus. In ihrer Studie wurden Lücken im bestehenden Rechtsrahmen entlang der gesamten H2-Wertschöpfungskette mit Schwerpunkt auf der Transportinfrastruktur identifiziert. Insbesondere durch langwierige und komplexe Genehmigungsverfahren ergeben sich konkrete Hindernisse bei dem Ausbau einer Infrastruktur.

Forschungsministerin sieht in H2 „fehlendes Puzzlestück”

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ergänzte in einer Live-Zuschaltung die politische Perspektive. Sie verdeutlichte die Relevanz der Energiewende für viele Herausforderungen in unserer gegenwärtigen unruhigen und von Krisen geprägten Zeit. Klimaneutralität lasse sich nur über einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Nutzung von Wasserstoff als vielseitig einsetzbarem Energieträger erreichen. Stark-Watzinger betonte, dass die Kombination aus Forschung und praktischen Demonstrationen die Grundlage bilde, um den Entwicklungs- und Ausbauprozess der Wasserstofftechnologien zu beschleunigen. TransHyDE demonstriert als Teil der H2-Leitprojekte, wie die Hindernisse auf dem Weg zu einer Wasserstoffinfrastruktur aus dem Weg geräumt werden können, und zeigt passende Lösungsansätze auf. Mithilfe dieser Projektergebnisse wird die Basis für die Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft geschaffen.

Techno-ökonomische und regulatorische Lücken

Abschließend fand unter der Moderation von Lea-Valeska Giebel (dena) eine Panel-Diskussion mit Teilnehmenden aus Forschung, Industrie und Zivilgesellschaft statt. Die übergeordnete Fragestellung fokussierte sich auf die techno-ökonomischen und regulatorischen Lücken beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.

Neben den TransHyDE-Koordinatoren Prof. Dr. Robert Schlögl (Direktor Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft) und Prof. Dr. Mario Ragwitz diskutierten Piotr Kuś (General Director ENTSOG) und Ralph Bahke (Managing Director ONTRAS) aus der Industrie sowie Ulrike Hinz (Policy Advisor Klima und Energie WWF Deutschland), vertretend für die Zivilgesellschaft, miteinander. Hierbei verdeutlichte Piotr Kuś die Komplexität der Aufgabe, künftige Wasserstoffinfrastrukturen in bestehende Energieinfrastrukturlandschaften zu integrieren. Seiner Ansicht nach geschieht dies idealerweise in einer Bottom-up-Verfahrensweise.

Für Ulrike Hinz besteht die wesentliche Herausforderung in der ganzheitlichen Betrachtung der Aspekte Klima- und Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Ihrer Meinung nach ist eine grundlegende Aufgabe der Ausbau der erneuerbaren Energien als Voraussetzung für die Etablierung einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Grundsätzliche Einigkeit bestand bei den Panelisten über die Relevanz der Entwicklung eines regulatorischen Rahmens. Wobei für Ralph Bahke geeignete Finanzierungsmodelle einer künftigen Wasserstoffwirtschaft eine besondere Rolle in diesem Rahmen einnehmen.

Robert Schlögl und Mario Ragwitz komplementierten, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland Technologieoffenheit und europäische Zusammenarbeit benötige. Für die Planung und Entwicklung der Infrastruktur werden alle Optionen Beachtung finden und entsprechend systemanalytischer Optimierung verwendet werden.

AutorInnen: Fenja Bleich, fenja.bleich@cec.mpg.de
Hauke Hinners, hauke.hinners@cec.mpg.de
beide vom Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion, Mülheim a. d. Ruhr

Kategorien: 2023 | Allgemein
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