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Beitrag von Sven Geitmann

28. Februar 2023

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Wissenschaftler warnen vor zu hohen Erwartungen

Nach einhelliger Meinung ist Wasserstoff mittlerweile ein neuer Universalenergieträger, der in Gasheizungen, Heizkraftwerken, Autos, Stahlwerken und der chemischen Industrie die bisher genutzten fossilen Energien ersetzen soll. Das sehen auch die Scientists for Future so. In einem jüngst veröffentlichten Policy Paper bringen sie zum Ausdruck, dass Wasserstoff einerseits für eine Energiewende unerlässlich ist, andererseits aber die H2-Nutzung technisch, wirtschaftlich und ökologisch in vielen Bereichen nicht sinnvoll ist. Hier die wichtigsten Absätze dieses Papiers:

Grundsätzlich lässt sich Wasserstoff wie Erdgas in Pipelines oder Tankschiffen transportieren und in Tanks oder Kavernen speichern. Das suggeriert, dass grüner, also elektrolytisch mit regenerativem Strom CO2-frei erzeugter Wasserstoff alle Aufgaben übernehmen könnte, für die wir heute fossile Rohstoffe wie Erdöl und – vor allem – Erdgas einsetzen. Doch das trügt, denn für viele Zwecke ist der Einsatz von grünem Wasserstoff energetisch ineffizient und viel zu teuer. Letztlich werden wir grünen Wasserstoff nur da verwenden können, wo Erdgas und Erdöl nicht durch direkten Stromeinsatz ersetzt werden können oder wo Wasserstoff als Grundstoff dient, wie z. B. in der chemischen Industrie – oder bei der CO2-freien Stahlherstellung. […]

In einigen Studien der Erdgasnetzbetreiber wird ein klarer Zweckoptimismus deutlich: Der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), der unter seinen Mitgliedern über 2.000 Versorgungsunternehmen versammelt, geht nicht von einer Knappheit an Wasserstoff aus. In einer vom DVGW herausgegebenen Studie wird errechnet, dass dem hohen Bedarf eine genauso hohe Verfügbarkeit von mehr oder weniger klimafreundlichem Wasserstoff gegenübersteht (Gatzen & Reger, 2022). Dem liegt die nicht belegte Annahme einer Importquote von 90 %, also in der Höhe der heutigen Öl- und Gasimporte, zugrunde.

„Für die Energiewende wird es nicht ausreichen, lediglich einen Brennstoff durch einen anderen zu ersetzen. Die Energiewende erfordert unausweichlich die Abkehr von überkommenen Technologien und Gewohnheiten.“

Diese optimistischen Annahmen zur Verfügbarkeit vor allem von Importen bilden dabei den Kern des Arguments, dass Wasserstoff sogar für die Wärmeversorgung zur Verfügung stehe: „Entgegen der häufigen Annahme muss Wasserstoff keine Mangelware bleiben. Bereits ab dem Jahr 2030 kann der Bedarf an Wasserstoff mehr als gedeckt werden. Die Menge übertrifft um ein Vielfaches alle gängigen Nachfrageprognosen.“ (Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V., 2022, S. 5.) Diese beeindruckend optimistische Vermutung lässt sich weder technisch noch wissenschaftlich bestätigen. […]

Bis größere Mengen importiert werden können, werden mindestens zehn Jahre vergehen. Und was bezüglich des erhofften Wasserstoffimports oft verschwiegen wird, ist, dass der Transport so aufwändig ist, dass importierter Wasserstoff ein Vielfaches des heutigen Erdgases oder Erdöls kosten wird. Dabei ist es egal, ob der Wasserstoff komprimiert, verflüssigt oder chemisch gebunden transportiert wird.

Die Verwendung von Wasserstoff ist nur sinnvoll, wenn er mit erneuerbarem Strom hergestellt wird (grüner Wasserstoff). Dies ist zukünftig auch die billigste Produktionsmethode. Aus Erdgas hergestellter Wasserstoff (grauer bzw. blauer Wasserstoff) und Wasserstoff aus Methanpyrolyse (türkis) ist wegen der Nutzung von Erdgas sowie der Vorkettenemissionen von Methan nicht klimaneutral, und Atomenergie als Energiequelle der Elektrolyse birgt zu hohe Risiken und Langzeitfolgen, um damit umweltfreundlich Wasserstoff (pink bzw. rosa) herzustellen.

Betrachtung je nach Anwendungsbereich

In einigen Sektoren zeichnet sich die Notwendigkeit der Verwendung von Wasserstoff bereits ab. Dies betrifft z. B. die Eisen- und Stahlproduktion sowie die chemische Grundstoffindustrie und die Funktion von Wasserstoff als Energiespeicher. Raffinerien benötigen heute Wasserstoff für einige Prozesse, wie z. B. zum Cracken von Erdöl bei der Herstellung von fossilen Kraftstoffen. Dieser Teil des heutigen Wasserstoffbedarfs wird zukünftig entfallen. In anderen Anwendungen konkurriert der Wasserstoff mit anderen guten Lösungen:

In Fahrzeugen, wie z. B. Pkw, ist der Elektroantrieb die effizienteste und praktischste Lösung. Der Antrieb mit Wasserstoff wurde daher von den Herstellern für die Zukunft faktisch bereits aufgegeben (Clausen, 2022). Bei Lieferfahrzeugen, Stadtbussen sowie bei Eisenbahnen stellt sich die Situation ähnlich dar. Selbst bei Langstrecken-Lkw weist das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung darauf hin, dass, falls 2027 die ersten Wasserstoff-Lkw verfügbar sind, bereits die batterieelektrischen Lkw der zweiten Generation auf den Straßen sein werden (Plötz, 2022). Das Zeitfenster für die erfolgreiche Markteinführung von Brennstoffzellen-Lkw wäre damit faktisch geschlossen, und es gäbe für H2-Lkw nur noch eine kleine Nische, nämlich den Transport schwerer Lasten in sehr entlegene Gebiete (Plötz, 2022).

Vergleichbar ist die Situation bei Nahverkehrszügen. Durch fortschreitende Batterietechnik wäre der Einsatz von Wasserstoffzügen nur bei sehr langen Strecken ohne Nachlademöglichkeit als Brückenlösung so lange sinnvoll, bis die Strecken elektrifiziert oder Batteriezüge mit hoher Reichweite verfügbar sind (VDE [Hrsg.], 2019, Soller, 2020). […]

Ähnlich sieht es bei der Erzeugung von Heizwärme und Warmwasser aus. Zahlreiche Studien wissenschaftlicher Institute charakterisieren den Einsatz von Wasserstoff zum Heizen im Vergleich zur elektrischen Wärmepumpe als teuer und ineffizient (für einen Überblick s. Clausen 2022).

In der Schifffahrt stellt sich das Problem der Speicherung großer Energiemengen für lange Nonstop-Fahrten. Hier könnte verflüssigter Wasserstoff die effizienteste Lösung sein. Künstliche Treibstoffe (Power-to-Liquid), die auf Basis von grünem Wasserstoff hergestellt werden, sind in der Regel weniger effizient, da zur Erzeugung ein bzw. mehrere Umwandlungsprozesse nötig sind. Hier wird z. B. Ammoniak diskutiert, da es sehr viel einfacher gespeichert werden kann als Wasserstoff. Die Vorteile flüssiger Treibstoffe in der Hochseeschifffahrt sind so erheblich, dass andere Antriebssysteme nur schwer vorstellbar sind. Auch werden bereits mit Ammoniak versorgte Brennstoffzellen in Schiffen erprobt (Fraunhofer IMM, 2021), was allerdings im Vergleich zum flüssigen Wasserstoff energetisch weniger effizient ist. […]

Einen Sonderfall stellt der „Traum vom klimaneutralen Fliegen“ (Bottler, 2021) dar, den uns die Luftfahrtbranche unter Verweis auf Sustainable Aviation Fuel (SAF) aus Wasserstoff verspricht. Für die Langstrecke ist heute kaum eine machbare Alternative zu fossilem Kerosin außer synthetischem Flugbenzin, ggf. auch biobasiert, bekannt. Aber auch die Verwendung von synthetischem Flugbenzin führt nur zu kleinen Klimaschutzeffekten von etwa 33 Prozent des Treibhausgaseffekts (vgl. Kap. 4). Es wird daher kaum ein Weg daran vorbeiführen, den Flugverkehr radikal einzuschränken, zu elektrifizieren oder lange Zeit auf neue Erfindungen zu warten.

Keine zu großen Erwartungen wecken

Aktuell wird die künftige Nutzung von Wasserstoff viel schneller organisiert als die Herstellung. Damit birgt der schnelle Einstieg in eine vielfältige und intensive Nutzung von Wasserstoff die Gefahr in sich, einen ziemlich direkten Weg in Versorgungsunsicherheit, Verteilungskampf, Kannibalismus zwischen Nutzungen und hohen Preisen zu ebnen. Ein Effekt davon könnte sein, dass klimaschädliche fossile Brennstoffe länger als notwendig benötigt würden.

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass Entscheidungsträger und die breite Öffentlichkeit durch Mangel an Informationen oder aufgrund von Wunschdenken davon ausgehen, dass mit Wasserstoff als Energieträger vieles zu gewohnten Kosten beim Alten bleiben könne, wie z. B. Autofahren mit künstlichem Benzin und die Gasheizung mit Wasserstoff im (aufwendig umgerüsteten) Gasnetz. Das könnte dazu führen, dass wir eine teure und ineffiziente Technologie einführen, bloß weil sie einfach und gewohnt erscheint. So würden wir uns auf ein teureres Energiesystem festlegen, statt direkt auf ein preiswerteres und flexibleres weitgehend elektrifiziertes System umzustellen (Zachmann et al., 2022).

Da die Herstellung und der Transport von Wasserstoff mit hohen energetischen Verlusten von mindestens einem Drittel des als Primärenergie eingesetzten grünen Stroms verbunden sind, benötigen wir für eine „Wasserstoffwelt“ erhebliche zusätzliche Mengen an grünem Strom, also viel mehr Windkraftwerke, Photovoltaikanlagen und anderes. Aber schon heute ist nicht klar, wo diese Anlagen alle platziert werden sollen und wer sie mit welchem Material bauen soll.

Selbst wenn der Wirkungsgrad der Elektrolyse sich noch um einige Prozentpunkte steigern ließe, bliebe Wasserstoff überall dort, wo es elektrische Alternativen gibt, eine ineffiziente und teure Lösung.

Beispiel

Würden wir in Europa die industrielle Prozesswärme nicht unter Verwendung von 900 TWh/a Strom elektrifizieren (Madeddu et al., 2020), sondern stattdessen Wasserstoff herstellen und zur Wärmeversorgung verbrennen, so würden für dessen Produktion ca. 1.350 TWh/a grünen Stroms erforderlich sein. Das sind gegenüber dem Weg einer radikalen Elektrifizierung ca. 450 TWh/a mehr und entspricht energetisch ungefähr dem heutigen Stromverbrauch von Großbritannien. Diesen zusätzlichen Energieverbrauch in Kauf zu nehmen, nur um überbrachte Verfahrens- und Verhaltensweisen beizubehalten, ist ökonomisch wie energetisch nicht sinnvoll.

Fazit

Die Politik darf nicht unkritisch Wasserstofftechnologien fördern. Sie muss klar analysieren, in welchen Anwendungsfeldern Wasserstoff eine gute Lösung ist und in welchen es bessere, effizientere und langfristig kostengünstigere Technologien gibt. Mit dem klaren Fokus auf die Förderung von Elektromobilität und Wärmepumpen zeigt die Bundespolitik, dass sie dabei ist, diese wichtige Erkenntnis umzusetzen.

Literatur:

J. Clausen et al. (2022): „Wasserstoff ist unverzichtbar, aber keine Universallösung für die Energiewende“, Policy Paper der Scientists for Future. https://info-de.scientists4future.org/wasserstoff-in-der-energiewende/

Autoren: Scientists for Future

Kategorien: 2023 | Allgemein | News
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