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Beitrag von Sven Geitmann

31. Oktober 2022

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H2-Merit-Order – Künftige Prioritäten der H2-Bereitstellung

Zunehmend dezentraler Charakter einer globalen Energieversorgung
Die vollständige Dekarbonisierung der Energieversorgung Deutschlands und Europas zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels ist längst nicht mehr eine Frage des Ob, sondern des Wie. Insbesondere der europäische „Green Deal“ macht das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu einer der höchsten Prioritäten auf der politischen Agenda für die kommenden Dekaden [1]. Auch die Internationale Energieagentur (IEA) setzt sich in ihrer Roadmap für einen radikalen Umbau der Energieversorgung auf der Grundlage der Nutzung erneuerbarer Energien (EE) ein [2]. Diese Forderungen werden zudem durch einige wegweisende Urteile bekräftigt, etwa das des Bundesverfassungsgerichts zu Verfassungsbeschwerden gegen das deutsche Klimaschutzgesetz oder das eines niederländischen Gerichts in Den Haag gegen Shell zur stärkeren Reduktion der konzernweiten CO2-Emissionen [3] [4] [5].

Sowohl die Europäische Kommission als auch die IEA unterstreichen in ihren Positionen die wichtige Rolle von Wasserstoff im Strom-, aber auch in anderen Sektoren auf dem Weg zur Klimaneutralität [1] [2]. So kann der Wasserstoff durch seine gute Speicher- und Transportfähigkeit sowie sein Einsatzpotenzial in geeigneten Kraftwerken einen großen Beitrag zur Integration der erneuerbaren Energien leisten [2].

In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch häufig die Frage nach der Herkunft des Wasserstoffs, insbesondere im internationalen Kontext: Aus welchen Quellen und Regionen der Welt wird der (notwendigerweise grüne) Wasserstoff in Zukunft stammen und wie sehen die internationalen Entwicklungen und Transportrouten diesbezüglich aus? Da Wasserstoff ein universeller Energieträger ist, der in unterschiedlichen Verfahren überall auf der Welt erzeugt werden kann, ergeben sich für seine Produktion und Verteilung aus deutscher, aber auch aus europäischer Sicht diverse politische Handlungsperspektiven [6] [7].

Vielfältige Möglichkeiten zur Wasserstofferzeugung

Nach der Terminologie der Europäischen Kommission in ihrer Wasserstoffstrategie [8] wird die Herstellung von Wasserstoff grundsätzlich in die Klassen „fossil erzeugter H2“ und „elektrisch erzeugter H2“ unterteilt, die sich hinsichtlich der eingesetzten Primärenergie (z. B. Erdgas, Öl oder Strom) und der dazugehörigen technischen Verfahren unterscheiden. Eine weitere Kategorisierung erfolgt einerseits in die Klasse „CO2-armer H2“ inklusive des „fossilen H2 mit Kohlenstoffabtrennung (CCS)“ sowie von Wasserstoff aus Elektrolyse auf Basis von Netzstrom oder Kernenergie und andererseits in die Klasse „erneuerbarer bzw. sauberer H2“ auf Basis erneuerbarer Energien. Zusätzlich sind auch folgende Begriffe gebräuchlich:

•           grüner Wasserstoff (Elektrolyse mit EE oder Biomasse-Vergasung)

•           blauer Wasserstoff (klassische Verfahren aus fossiler Energie mit CCS)

•           grauer Wasserstoff (klassische Verfahren ohne CCS oder Elektrolyse mit Netzstrom)

•           türkiser Wasserstoff (Methan-Pyrolyse)

•           gelber bzw. roter Wasserstoff (Elektrolyse mit Kernenergiestrom)

Etablierte Produktionstechnologien

Die klassischen Herstellungsverfahren für Wasserstoff sind der Gruppe der fossilbasierten Technologien zuzuschreiben. Nahezu die gesamte globale Wasserstoffproduktion für die Industrie wird heute aus fossilen Energien gedeckt, wobei dem Verfahren der Dampfreformierung von Erdgas bzw. Methan (SMR) unter Zuführung von Wasserdampf (katalytisch, endotherm) eine zentrale Bedeutung zukommt. Weltweit werden etwa 2 % des gesamten Kohle- und rund 6 % des Erdgaseinsatzes zu Wasserstoff umgesetzt, davon 73 MtH2/a in reiner Form und weitere 42 MtH2/a gemischt mit anderen Synthesegasen [6].

Ein verwandter und ebenfalls breit eingesetzter Prozess ist die partielle Oxidation von Schweröl (POX) unter Zuführung von Sauerstoff (nicht-katalytisch bei Einsatz von schwefelhaltigem Brennstoff, exotherm), immer dort, wo Schweröl kostengünstig zur Verfügung steht, z. B. in Erdölraffinerien. Aus der Kombination beider Prozesse wird die sogenannte autotherme Reformierung (ATR), z. B. von Erdgas. In dieser wird die Stöchiometrie der Umsetzungsreaktion zu stark wasserstoffhaltigem Synthesegas durch eine Mischung von zugeführtem Wasserdampf und Sauerstoff so eingestellt, dass der Prozess gerade keine Abwärme erzeugt, aber auch keine thermische Energie von außen zugeführt werden muss.

Abb. 1: Klassifizierung der wichtigsten Herstellungsverfahren von Wasserstoff nach [9]

Michalski-Bünger-Abbildung1.jpg

Quelle: LBST

Dieses führt zwar einerseits zu einem im Vergleich zur SMR niedrigeren Gesamtwirkungsgrad (65 % statt bis zu 80 %), aber andererseits zu einem besonders dynamisch steuerbaren Betrieb (s. Tab. 1). SMR, POX und ATR kann nur dann – und auch beschränkt auf eine Übergangsphase – eine Zukunft beschieden sein, wenn und wo sich logistisch und wirtschaftlich wettbewerbsfähige Wege identifizieren lassen, das entstehende Kohlenstoffdioxid (CO2) nachweisbar und langfristig aus der Atmosphäre zu entfernen.

Alle fossilen Prozesse eint, dass ihr Wirkungsgrad desto höher ist, je größer die Anlagen skaliert sind. Trotzdem existiert auch ein (wenn auch kleiner) Markt für beispielweise kleine, allerdings deutlich weniger effiziente Erdgasreformer. Eine zentralisierte Belieferung von Wasserstoffendkunden (Handelswasserstoff) oder eine Herstellung großer Mengen vor Ort beim Kunden dominieren daher die heutige Wasserstoffbereitstellung.

Kate-gorie

Technik

TRL1
[1-9]

Kosten
(2030)
[€/kgH2]

Effizienz
(LHV2)
[%]

CO2-Emissionen
[gCO2/kWhH2]

Betriebs-
temperatur
[°C]

Fossiler Wasserstoff

SMR

9

1,5 – 62

65 – 803

310 – 4003

700 – 800

POX

9

1,5

69

1.300

ATR

9

1,5

65

850 – 1.300

Pyrolyse4

3 – 7

2,5 – 7

30 – 60

190 – 230

600 – 1.600

EE-basierter Wasserstoff

Biomasse-Vergasung

7

3 – 5,53

45 – 703

40 – 903,5

T-Band6

PEMEL

8 – 9

3 – 6,57

59 … 71

07

50 – 100

AEL

9

3 – 6,57

58 … 67

07

70 – 90

SOEL

5 – 7

>80

07

700 – 900

Tab. 1: Schlüsseldaten der wichtigsten H2-Produktionsverfahren

1 TRL = Technology Readiness Level (als Maß für die technische Reife); 2 Lower heating value = unterer Heizwert; 3 abhängig von der Anlagengröße; 4 Bandbreite je nach eingesetzter Technologie; 5 bei größeren Anlagen auch abhängig von Transportdistanzen für Biomasse; 6 entlang der Reaktionszone stellt sich ein Temperaturband ein [10]; 7 stark abhängig von Strombezugskosten; 8 bei vollständiger Nutzung des EE-Stroms

Pyrolyse, Elektrolyse und Biomasse-Vergasung

Auch die erst seit kurzem kommerziell entwickelte Pyrolyse von Methangas umfasst wiederum eine eigene Klasse von Prozessen, die unter Zuführung hochenergetischer thermischer Energie das Methanmolekül in seine Bestandteile Wasserstoff und Kohlenstoff aufspalten. Dies kann etwa durch ein Lichtbogen- oder Mikrowellenplasma (Einsatz von Strom) oder in einer Reaktionswanderzone katalytisch oder nicht-katalytisch bei hohen Temperaturen erfolgen. Der besondere Vorteil dieser Prozesse liegt darin, dass als Endprodukt eben kein CO2, sondern fester Kohlenstoff anfällt.

Wenn richtig eingesetzt, kann dieser so weitergenutzt werden, dass er in Folgeprozessen nicht als CO2 wieder in die Atmosphäre gelangen kann. Jedoch ist die Prozessführung im Vergleich zur SMR-Technologie ungleich schwieriger. Die Sicherstellung einer dauerhaften Bindung des Kohlenstoffs ohne spätere CO2-Freisetzung ist aufwendig nachzuweisen und die potenziellen Absatzmärkte für reinen Kohlenstoff sind begrenzt.

Die wichtigste Technologie zur Herstellung von grünem/emissionsfreiem Wasserstoff ist demnach die Wasserelektrolyse. Sie gehört zu einer Klasse von Technologien, die unter Zuführung von elektrischer Energie Wasser in seine Bestandteile zerlegen. Die Protonen-Austausch-Membran-Technologie (PEMEL) verwendet dazu feste protonenleitende Membranen und die alkalische Elektrolyse (AEL) eine Kalilauge im internen Umlauf als Elektrolyt und Gasträgermedium. Beide werden bei niedrigen Temperaturen betrieben, während bei der Hochtemperatur- oder Festoxidelektrolyse (SOEL) Wasserdampf von bis zu 850 °C zugeführt wird. Bei der SOEL werden dabei feste Anoden- und Kathodenschichten eingesetzt, auf die eine gasdichte keramische Trägersubstanz aufgebracht wird. Die Anionen-Austausch-Membran-Elektrolyse (AEMEL) wird erst seit kurzer Zeit und bisher nur in kleinen Einheiten kommerziell angeboten und verspricht wegen der Nutzung edelmetallfreier Katalysatoren besonders kostengünstig zu sein, bei gleicher Dynamik wie bei der PEM-Elektrolyse.

Ein weiterer wichtiger Prozess zur Erzeugung des grünen Wasserstoffs ist die Vergasung von Biomasse oder auch biogenen Reststoffen mithilfe von Wasserdampf bei der allothermen Vergasung (Prinzip Güssing) [10]. Diese Technologie wird jedoch heute noch nicht breit industriell eingesetzt und ist wegen der beschränkten Verfügbarkeit der biogenen Einsatzstoffe potenzialbeschränkt.

Darüber hinaus ist auch der Begriff „Nebenprodukt-H2“ gebräuchlich, der den Wasserstoff bezeichnet, der als Koppelprodukt in chemischen Prozessen wie z. B. in Raffinerien entsteht und typischerweise kostengünstig in relativ großen Mengen zur Verfügung steht. Da er zumeist aus fossilen Einsatzstoffen entsteht, wird er im Allgemeinen auch als „grau“ eingestuft. Außerdem gibt es in begrenztem Umfang auch natürliche Wasserstoffvorkommen, zum Beispiel in Afrika oder Brasilien [11] [12]. Dieser sogenannte „weiße“ Wasserstoff wird jedoch derzeit nicht kommerziell genutzt, sondern ist Gegenstand weiterer Untersuchungen.

Power-to-X als Schlüssel für grünen Wasserstoff

Die Wasserelektrolyse ist das zentrale Element der sogenannten Power-to-X-Technologie, die grundsätzlich in mehrere Hauptverfahren unterteilt werden kann. Neben der Power-to-Gas-Technologie in ihren beiden Ausprägungen Power-to-Hydrogen (PtH2) sowie Power-to-Methane (PtCH4) existieren auch weitere Power-to-X-Pfade, die die reine Gaswelt um weitere Endenergieträger erweitern: z. B. Power-to-Heat (PtH), Power-to-Liquids (PtL) sowie Power-to-Chemicals (PtCh). Mit Ausnahme von PtH führen jedoch alle Pfade durch Wasserstoff als zentrales Molekül [13].

Aus diesem Grund gilt die Elektrolyse von Wasser mithilfe von EE-Strom zu Wasserstoff als Schlüsseltechnologie einer nachhaltigen Energiezukunft. Diese Struktur begründet sich dadurch, dass in Zukunft die bisherigen fossilen oder nuklearen Primärenergieträger und Moleküle vollständig durch Elektronen (d. h. EE-Strom) als wichtigste Primärenergieform abgelöst werden.

Der elektrolytisch erzeugte Wasserstoff kann dabei durch seine besonders hohe Speicherdichte zur saisonalen Energiespeicherung in großem Umfang beitragen und damit die kurzfristige Speicherung von Elektronen in mechanisch-kinetischer (Schwungmassen), mechanisch-potenzieller (Wasserkraftspeicher) oder elektrochemischer (Batterien) Form ergänzen. Zusätzlich ergeben sich Vorteile durch die Umwidmung bestehender Gasinfrastrukturen für den Wasserstofftransport, insbesondere auch hinsichtlich des immer noch stockenden Stromnetzausbaus.

Die CAPEX-dominierten Kosten des Stromtransports und seiner Speicherung mit hohem Ressourcenverbrauch werden dadurch in Richtung OPEX-intensiver Kosten mit höherer Energieintensität des Gastransports sowie der Gasspeicherung verschoben. Da pro kg Wasserstoff etwa 9 kg Wasser verbraucht werden, gilt dabei auch einem angemessenen Wasserhaushalt ein Augenmerk. Für eine künftige bundesweite Wasserstoffversorgung von z. B. langfristig 100 bis 400 TWhH2/a wären dann 27 bis 108 Mt/a Wasser erforderlich. Das entspricht in etwa 0,7 % bis 3,0 % des gesamten heutigen jährlichen Trinkwasserbedarfs Deutschlands – und ist demnach besonders in trockenen Weltregionen zu beachten. Zusätzlich gilt es zu beachten, dass das Wasser nach thermischer Verbrennung oder Nutzung in der Brennstoffzelle wieder freigesetzt wird und damit im Wasserkreislauf verbleibt. Durch Wasserstoffimporte findet jedoch potenziell eine räumliche Entkopplung statt.

Internationale Strategien zur Wasserstoffversorgung

Neben technischen und ökonomischen Aspekten basiert der erwartete Um- und Ausbau der Wasserstoffversorgung auf einer Reihe strategischer Überlegungen. Dabei hängen die künftigen Entwicklungen in verschiedenen Ländern und Regionen der Welt stark mit den individuellen Rahmenbindungen, wie etwa den generellen Zielen der Energie- und Industriepolitik, Ambitionen im Klimaschutz oder Potenzialen und Verfügbarkeit an natürlichen Ressourcen, zusammen. Diese Aspekte spiegeln sich entsprechend in den nationalen Wasserstoffstrategien wider, die von immer mehr Ländern erarbeitet und veröffentlicht werden [14].

Im internationalen Kontext können in den Strategien zur Bereitstellung von Wasserstoff zwei wesentliche Phasen identifiziert werden (s. Abb. 2). In der ersten Phase bis 2030 erfolgt typischerweise eine angebots- und nachfrageseitige Aktivierung des Marktes. In dieser Übergangsphase werden aus Kosten- und Kapazitätsgründen überwiegend alle Produktionsarten des Wasserstoffs (fossil und erneuerbar) zugelassen. Nur wenige Länder mit großen EE-Potenzialen, wie Spanien, Portugal, Ukraine, Chile oder Marokko, setzen von Anfang an ausschließlich auf grünen Wasserstoff (etwa um eigene Exportpotenziale zu entwickeln). Im Gegensatz dazu spielt in Japan und Südkorea fossiler Wasserstoff eine dominante Rolle, bedingt durch den Fokus auf Kostenreduktion (Japan) bzw. noch wenig ambitionierte Klimaschutzziele (Südkorea). Dies gilt selbst dann, wenn er wie im Beispiel Japans „grau“ importiert wird.

In Länderstrategien mit eigenen Erdgasvorkommen, wie in den Niederlanden, Großbritannien, Norwegen oder Russland, nimmt blauer Wasserstoff (Nutzung von CCS) einen prominenten Platz ein. Deutschland, die EU und Russland verfolgen grundsätzlich einen technologieoffenen Ansatz und lassen zunächst alle H2-Quellen zu, wobei der Elektrolyse mit einer installierten Leistung von 10 GW (Deutschland) bzw. 40 GW (EU) bereits vor 2030 eine große Bedeutung beigemessen wird [8] [15].

Abb. 2: Verfahren zur H2-Erzeugung in nationalen Strategien ausgewählter Länder

Michalski-Bünger-Abbildung2.jpg

Quelle: LBST

Langfristiger Fokus auf grünen Wasserstoff

Langfristig, in der zweiten Phase nach 2030, ist das Bild bezüglich der anvisierten Wasserstoffbereitstellung eindeutig. In fast allen Ländern steht grüner Wasserstoff im Fokus. Insbesondere die EU und Deutschland sowie die meisten anderen europäischen Länder legen sich ausschließlich auf Wasserstoff aus erneuerbaren Energien fest, um so die Klimaneutralität bis 2050 erreichen zu können. Auf diese Weise wird der Versuch unternommen, die vielen Vorteile grünen Wasserstoffs zu nutzen und mehrere energiepolitische Ziele gleichzeitig zu erreichen: So kann grüner Wasserstoff einerseits effektiv zum Klimaschutz in anders nur schwer zu dekarbonisierenden Bereichen wie z. B. dem Schwerlastverkehr oder der Stahlindustrie beitragen und andererseits die notwendige Flexibilität des Energiesystems verbessern. Zudem kann er die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren, das Wirtschaftswachstum fördern und neue Arbeitsplätze schaffen [16].

Die Erzeugung blauen Wasserstoffs soll langfristig, mit wenigen Ausnahmen, schrittweise eingestellt werden, bzw. sie wird nur noch zur Nischentechnologie. Türkiser Wasserstoff aus Methanpyrolyse wird in den nationalen Strategien mittelfristig bis 2030 vor allem in Deutschland und der EU als Brückentechnologie betrachtet und darüber hinaus langfristig nur in Russland als eine Option berücksichtigt [14].

Perspektiven der zukünftigen Wasserstoffversorgung

Neben dem Produktionsverfahren ist auch die Frage nach Importen bzw. Exporten von Wasserstoff von großer strategischer Bedeutung. Sie ist grundsätzlich eng mit den EE-Potenzialen in den jeweiligen Ländern verknüpft. Energieintensive Wirtschaftsnationen mit begrenzten Potenzialen, wie Deutschland, Japan oder Südkorea, sind zunächst unweigerlich auf Wasserstoffimporte angewiesen, während andere Länder mit großen Solar- und Windpotenzialen, wie Australien, Chile, Portugal, Spanien, Marokko oder Ukraine, ihre Chance im Wasserstoffexport sehen [14].

Dabei werden neue Energiepartnerschaften entstehen, die bereits heute in Ansätzen entwickelt werden. Dazu zählen einerseits bilaterale Vereinbarungen zwischen einzelnen Staaten, wie z. B. die Kooperation zwischen Australien und Japan bei der Bereitstellung, Verflüssigung und dem Transport von Wasserstoff [17] [18] oder die gemeinsame Absichtserklärung Deutschlands und der Ukraine zum Aufbau einer Energiepartnerschaft mit Wasserstoff als einem der Schwerpunkte [19].

Andererseits wurden in den EU-Staaten umfangreiche Programme zur Förderung von innovativen H2-Projekten wie z. B. den sogenannten „Important Projects of Common European Interest“ (IPCEI) aufgelegt, die die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten explizit unterstützen sollen [20]. Durch den technologieoffenen Ansatz muss jedoch noch geklärt werden, welche H2-Mengen und -Träger (d. h. reiner Wasserstoff flüssig oder gasförmig vs. H2-Derivate wie z. B. synthetisches Methan oder flüssige Kraftstoffe vs. Ammoniak oder Methanol) über welche Märkte und Handelsrouten in Zukunft ausgetauscht werden.

Ausreichende EE-Potenziale in Europa

Zur Klärung der noch offenen Punkte, insbesondere bezüglich der Import-Export-Beziehungen, sollten aus europäischer Sicht eine Reihe von Aspekten berücksichtigt werden. Da die EU langfristig auf grünen Wasserstoff setzt, stellt sich dabei in erster Linie die Frage nach den entsprechenden EE-Potenzialen, die für eine heimische Wasserstoffproduktion zur Verfügung stehen.

Gemäß den Analysen in [21] wird das EE-Strompotenzial in der EU-27 und Großbritannien auf etwa 14.000 TWh/a geschätzt, wobei ein Großteil davon auf die fluktuierende Wind- (ca. 9.000 TWh/a bzw. 64 %) und Solarenergie (ca. 3.700 TWh/a bzw. 26 %) zurückzuführen ist. Dabei handelt es sich um eine konservative Abschätzung, da durch die Nutzung weiterer Flächen für PV-Anlagen und der sogenannten Floating-Technologie bei Windkraftanlagen auf See noch deutlich höhere Potenziale zu erwarten sind.

Wird nun dazu der heutige Strombedarf von rund 3.000 TWh/a ins Verhältnis gesetzt, so zeigt sich, dass fast 80 % der EE-Potenziale für weitere Elektrifizierung, z. B. im Verkehr (Batteriefahrzeuge) oder im Gebäudesektor (Wärmepumpen), sowie für die H2-Erzeugung mittels Elektrolyse zur Verfügung stehen (s. Abb. 3). Unter der Maßgabe einer Klimaneutralität bis 2045 beläuft sich die in [21] prognostizierte Stromnachfrage für die direkte Nutzung und Produktion von grünem Wasserstoff in Europa je nach Szenario auf ca. 5.300-6.900 TWh/a und macht damit weniger als die Hälfte des gesamten EE-Potenzials aus. Hinzu kommen noch weitere H2-Erzeugungspotenziale in den benachbarten Ländern und Regionen, wie etwa in Norwegen, Nordafrika, aber auch in der Ukraine.

Die Analyse zeigt damit, dass das technische EE-Potenzial in Europa bei weitem ausreichend ist, um den europäischen Bedarf nach grünem Wasserstoff zu decken. Dies lässt den Schluss zu, dass für die Beantwortung der Frage nach den künftigen Import-Export-Beziehungen in Europa nicht das technische EE-Potenzial, sondern weitere technische, wirtschaftliche, soziale und strategische Aspekte, wie Kosten der gesamten Versorgungskette, Selbstversorgungsabsichten, lokale Wertschöpfung, Resilienz der Lieferketten, politische Stabilität, tradierte politische Beziehungen oder Akzeptanz der lokalen Bevölkerung, ausschlaggebend sind.

Dieser Zusammenhang gilt natürlich nicht zwangsläufig auch für jeden EU-Mitgliedstaat, da sowohl die EE-Potenziale als auch der Energiebedarf ungleichmäßig verteilt sind. Länder mit hohem Energieverbrauch, wie Deutschland oder die Niederlande, werden trotzdem auf Importe angewiesen sein, die aber innerhalb der EU aus Ländern mit hohen EE-Potenzialen, wie Spanien, Portugal oder Frankreich, bedient werden können.

Vorteile einer „Merit-Order“ für die H2-Bereitstellung

In diesem Zusammenhang ist der künftige H2-Produktionsmix ein wichtiger, aber noch nicht in allen Details verstandener Aspekt eines künftigen Energiesystems, das auf Wasserstoff als einen der wesentlichen Energieträger baut. Anders als Erdgas liegt der Vorteil von Wasserstoff insbesondere darin, dass er auch dezentral mithilfe modularer Elektrolyseure überall auf der Welt in kleinen Einheiten mit hoher Effizienz hergestellt werden kann. Überdies ist Wasserstoff als universeller Energieträger wegen seiner physikalischen Eigenschaften, ähnlich wie Erdgas, gut transportier- und speicherbar. Dabei kann er an diversen Standorten je nach Stromquelle auch kostengünstig und effizient erzeugt werden. Diese beiden Faktoren – seine Transportfähigkeit über das Gasnetz und auch die dezentralen, kostengünstigen Erzeugungspotenziale – stellen die Reihenfolge, also die sogenannte „Merit-Order“ einer künftigen H2-basierten Energieversorgung im Gegensatz zur heutigen Energieversorgung mit fossilen Primärenergieträgern geradezu auf den Kopf.

Um die verschiedenen Vorteile der jeweiligen Regionen nutzen zu können, kann sich die H2-Bereitstellung auf mehrere Säulen stützen, wie in Abbildung 4 am Beispiel Mitteldeutschlands dargestellt. Die Wasserstoffproduktion vor Ort aus inländischem EE-Strom ist die erste Säule, die um Importe via Rohrleitung aus heimischen Regionen (z. B. On- und Offshore-Wind aus Mecklenburg-Vorpommern) ergänzt wird. Durch die geringen Transportdistanzen werden die Wasserstoff-Bereitstellungskosten begrenzt und gleichzeitig die lokale EE-Integration und damit die Robustheit des Systems gefördert sowie die lokale Bevölkerung und Wirtschaft an der Wertschöpfung beteiligt.

Der weitere Wasserstoffbedarf kann darüber hinaus durch den Import aus anderen EU-Ländern wie etwa Italien, Spanien oder Schottland, aber auch osteuropäischen Nachbarn wie Polen und anderen europäischen Ländern wie Norwegen oder der Ukraine bedient werden. Damit kann das Problem der begrenzten EE-Potenziale in Deutschland zu vertretbaren Kosten gelöst werden und das europäische Energiesystem durch länderübergreifende Infrastrukturen gestärkt werden.

Erst in einem weiteren Schritt sollte Wasserstoff aus an Europa angrenzenden Regionen (z. B. PV oder CSP aus Nordafrika) und in letzter Priorität aus entfernteren Weltregionen beschafft werden. Durch solche Energiepartnerschaften kann ein globaler H2-Markt entstehen, der durch marktwirtschaftlichen Wettbewerb die Preise reduziert und Stabilität in zahlreichen Regionen der Welt sicherstellen kann.

Die Wirtschaftlichkeit ist dabei nur einer von vielen Aspekten, was insbesondere durch aktuelle Studienergebnisse weitgehend ähnlicher EE-Stromproduktionskosten in den unterschiedlichen Weltregionen offensichtlich wird [6]. Damit dürften im Rahmen relevanter Wasserstoffnachfrage- bzw. -potenzialgrenzen langfristig die Strukturen einer künftigen globalen Energieversorgung zunehmend dezentralen und regionsspezifischen Charakter entfalten. Das allerdings wird noch ein grundsätzliches Umdenken der Akteure in Politik und Industrie weltweit erfordern.

Grüner Wasserstoff als lokale und globale Chance

Wasserstoff kann demnach als eines der zentralen Elemente des künftigen und klimaneutralen Energiesystems in Deutschland und Europa betrachtet werden. Er hilft nicht nur bei der Integration der erneuerbaren Energien und sorgt so für Versorgungssicherheit, sondern kann auch Wirtschaftswachstum generieren und neue Arbeitsplätze schaffen. Auch wenn schon heute eine etablierte Wasserstofferzeugung im großen Maßstab existiert, rückt erneuerbarer bzw. grüner Wasserstoff in den Fokus der Diskussion.

Nur diese sogenannte Power-to-X-Technologie unter Nutzung der Elektrolyse verknüpft alle Vorteile von Wasserstoff und kann damit nachhaltig zur Energiewende beitragen. Dabei wird derzeit in der Übergangsphase zur Aktivierung des Marktes bis 2030 in einigen Ländern noch auf andere Herstellungsverfahren wie Erdgas-Dampfreformierung mit CCS (blauer Wasserstoff) oder Methan-Pyrolyse (türkiser Wasserstoff) gesetzt. Langfristig, bis 2050, steht jedoch in Deutschland und Europa eindeutig grüner Wasserstoff im Vordergrund.

In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass Europa insgesamt über ausreichende EE-Potenziale für eine autarke Strom- und Wasserstoffversorgung verfügt, so dass für Import-Export-Beziehungen auch andere technische, wirtschaftliche, soziale und strategische Aspekte ausschlaggebend sind. Hierfür kann eine „Merit-Order“ (Reihenfolge) der Wasserstoffbereitstellung sinnvolle Lösungsansätze liefern, nach der der Wasserstoff zunächst lokal erzeugt und je nach Bedarf und Kosten aus immer entfernteren Regionen importiert wird. Auf diese Weise können die unterschiedlichen Stärken und Chancen von Wasserstoff aus verschiedenen Regionen der Welt verknüpft und genutzt werden.

Wir verstehen daher die aktuellen Ergebnisse einer Studie der International Renewable Energy Agency (IRENA) [23] als erstes internationales Zeichen in Richtung dieses Paradigmenwechsels. In einer zentralen Grafik werden die folgenden drei Aspekte aus Sicht eines künftigen europäischen Wasserstoffmarktes veranschaulicht:

  • Dieser wird vornehmlich aus erneuerbaren Quellen innerhalb Europas gedeckt (4.771 PJ/a).
  • Der importierte Wasserstoff wird vor allen Dingen über die kostengünstigste Variante des Pipelinetransports aus dem benachbarten Nordafrika herbeigeschafft (2.382 PJ/a).
  • Während nur geringe Mengen von Ammoniak in Europa hergestellt werden (136 PJ/a), wird ein nennenswerter Teil wiederum aus dem benachbarten Nordafrika via Schiff importiert (1.606 PJ/a), kleinere Mengen auch aus Südamerika und dem Nahen Osten.
  • Die Ammoniakvektoren dienen dabei nicht dem Transport von Wasserstoff (H2-Derivat) sondern vielmehr der späteren stofflichen Nutzung, vornehmlich als Düngemittel.

Viele Aspekte hinsichtlich der optimalen Wasserstoffbereitstellung sind jedoch noch nicht endgültig geklärt und bedürfen weiterer Analysen und Maßnahmen. Dazu gehört unter anderem die Schaffung eines internationalen und offenen Marktes für Wasserstoff, auf dem sich das optimale Verhältnis aus eigener Produktion und Importen einstellen kann. Dieser Prozess muss begleitet werden, einerseits durch entsprechende regulatorische Maßnahmen wie CO2-Gesetzgebung oder Marktintegration von Power-to-X und andererseits durch Mechanismen zur Markttransparenz über Herkunftsnachweise für grünen Wasserstoff, wie sie in Europa z. B. bereits im Rahmen des CertifHy-Projektes entstehen [22].

Auch wenn der CO2-Gehalt grundsätzlich zur Währung im künftigen Energiesystem wird, so müssen sogenannte Lock-in-Effekte vermieden werden (z. B. Blockierung von Investitionen und Arbeitskräften, die anderenfalls grüne Technologien entwickeln würden), die entstehen würden, wenn in naher Zukunft in neue langlebige, aber bislang nicht nachhaltige Technologien (wie etwa CCS) investiert werden sollte. Die Zukunft liegt im grünen Wasserstoff auf Basis der erneuerbaren Energien, mit dem das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Abkommen nachhaltig, sozial verträglich und kostengünstig erreicht werden kann.

Literatur: Quellenangaben können beim Hydrogeit Verlag oder den Autoren erfragt werden.

Autoren:
Dr. Jan Michalski
Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH, Ottobrunn
info@lbst.de

Dr. Ulrich Bünger
Freier Berater Wasserstoff-Energietechnik, Dießen am Ammersee
Ulrich.Buenger@posteo.de

Kategorien: 2022 | Allgemein
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