Die Entscheidung in Brüssel über strengere CO2-für Neuwagen in der Europäischen Union zieht sich weiter in die Länge. Eigentlich sollte bereits am 27. Juni 2013 ein Kompromiss, der zuvor von dem irischen EU-Ratspräsidenten ausgehandelt worden war, beschlossen werden. Auf Initiative Deutschlands kam es jedoch nicht zur Abstimmung. Anfang Oktober berieten die Botschafter der 27 EU-Staaten erneut n Brüssel und zwar über ein Papier aus Deutschland, in dem eine weitere Aufweichung der CO2-Regulierung gefordert wird.
Aber der Reihe nach: Zunächst waren die Botschafter der 27 EU-Staaten im Juni 2013 nach Belgien gekommen, um den so genannten „Abgaskompromiss“ zu verabschieden. Zuvor hatten die Delegierten bereits eine Einigung ausgehandelt, die vorsah, das Limit für den CO2-Ausstoß von Neuwagen von 130 Gramm je Kilometer auf 95 Gramm bis 2020 zu senken. Ein noch schärferer Vorschlag des Parlaments, die CO2-Grenze auf 68 bis 78 g/km bis 2025 festzulegen, war im Vorfeld dieser Gespräche fallen gelassen worden. Außerdem sah die ausgehandelte Vereinbarung vor, dass Elektrofahrzeuge über so genannte „Supercredits“ im Jahr 2020 bei der Ermittlung der Flottenverbräuche doppelt angerechnet würden (s. Super-Credits erlangen Super-Bedeutung) und dieser Faktor bis 2023 schrittweise auf eins sinken sollte.
Da diese neuen Abgasvorgaben zwar für die Hersteller kleiner Autos erfüllbar wären, aber nicht so leicht für die Limousinenbauer, stellten sich insbesondere die deutschen Automobilkonzerne gegen diesen Kompromiss. Dementsprechend hatten Firmenvertreter und auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) gegenüber der deutschen Bundesregierung wiederholt erklärt, dass die Einführung einer derartigen Regelung eine Ungleichbehandlung verschiedener Autobauer innerhalb Europas bedeuten würde, was Arbeitsplätze in Deutschland und ganz Europa gefährden könnte. Hinsichtlich der Supercredits hatte die deutsche Autoindustrie einen Anrechnungsfaktor von mindestens zwei bis fünf und zudem die Anrechnung bereits zuvor produzierter Fahrzeuge gefordert.
Bevor die Botschafter in Brüssel erschienen, hatte die bundesdeutsche Delegation bis zuletzt intensive Gespräche mit mehreren Mitgliedsstaaten geführt. Ein EU-Diplomat berichtete dem Spiegel, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe dafür persönlich zum Hörer gegriffen und unter anderem den amtierenden EU-Ratspräsidenten, Irlands Premierminister Enda Kenny, angerufen. Als dann klar war, dass ausreichend Stimmen für eine Sperrminorität zusammen waren, stellte Deutschland den Antrag, die Entscheidung über neue CO2-Grenzwerte sowie die Einführung von Supercredits zu vertagen. Dem folgte die EU-Ratspräsidentschaft, so dass die endgültige Entscheidung verschoben wurde. Verschiedene Stellen warfen daraufhin der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel vor, sie habe einseitig die Interessen deutscher Automobilhersteller vertreten und „schurkenhaft“ gegenüber anderen EU-Mitgliedern gehandelt.
Das Intervenieren der deutschen Delegation sorgte auch bei Verbraucherschützern für Aufregung. Gegenüber dem Spiegel erklärte Dr. Otmar Lell vom Bundesverband der Verbraucherzentralen: „Die im Kompromiss beschlossenen Grenzwerte hätten bedeutet, dass der Verbrauch von Autos bis 2020 auf im Schnitt rund vier Liter sinken muss.“ Dieser seiner Meinung nach richtige Schritt sei nun verhindert worden. Er sagte weiter: „Die Bundesregierung hat damit deutlich gemacht, dass sie die Geschäftsstrategien von BMW und Mercedes über das Verbraucherinteresse stellt.“ Auch unter den Diplomaten führten die Geschehnisse zu Unwillen. EurActiv Brüssel berichtete beispielsweise von Vorwürfen, dass Einschüchterungsversuche von deutscher Seite ausgegangen sein sollen. Eine ungenannte Quelle aus Brüssel nannte das Verhalten „schurkenhaft“. Matthias Groote, der Vorsitzende des Umweltausschusses im Europaparlament, sagte gegenüber der Süddeutschen Zeitung: „Das ist das Dreisteste, was ich in acht Jahren Brüssel erlebt habe.“ Auch Greenpeace warf Merkel vor, „demokratische Prozesse zu kidnappen und andere Regierungen einzuschüchtern, um einige wenige Luxusauto-Hersteller zu hätscheln“. Beim VDA hieß es hingegen: „Wir haben nicht den Eindruck, dass die Kommission mit Augenmaß an diese Aufgabe herangegangen ist.“
Das war im Juni. Im Juli 2013 ist dann Kroatien als neues Mitgliedsland der EU beigetreten. Zudem hat mittlerweile Litauen die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Beide Umstände können bei einer erneuten Abstimmung zu neuen Konstellationen führen. Deswegen hatte man sich darauf verständigt, nach der Bundestagswahl in Deutschland erneut über dieses Thema abzustimmen.
Anfang Oktober 2013 schlugen die Deutschen daraufhin eine Aufweichung der bereits ausgehandelten Zielvorgaben vor, indem eine Zeitverschiebung ins Spiel gebracht wird: Die 95-Gramm-Marke solle erst für das Jahr 2024 für alle Neuwagen gelten, so heißt es. Hintergrund ist, dass den deutschen Herstellern von Premium-Fahrzeugen wie BMW und Daimler Strafzahlungen drohen. Wie die Managementberatung PA Consulting Group berechnete, „müsste bei einem prognostizierten Flottenausstoß von 104 g CO2/km im Jahr 2020 – auf Basis des aktuell diskutierten Kompromisses auf EU-Ebene – rund eine halbe Milliarde Euro pro Jahr bezahlen“, erklärte Thomas Göttle von PA Consulting.
Um diese Strafzahlungen zu vermeiden, soll ein Stufenplan her. Solch ein Stufenplan hatte insbesondere den deutschen Autokonzernen auch schon bei der Einführung des aktuell geltenden 130-Gramm-Ziels Zeit verschafft, indem die Frist von 2012 bis 2015 verlängert wurde. Jetzt könnte es so aussehen, dass im Jahr 2019 das Erreichen der 95-g-Marke nur mit 60 Prozent der jeweiligen Herstellerflotte gefordert wird und dass dieser Flottenanteil dann jährlich um zehn Prozent zunimmt, bis 2023 die 100 Prozent erreicht sind. Die Notwendigkeit, emissionsarme Elektrofahrzeuge in den Markt zu bringen, würde dadurch deutlich sinken.
Wie am 14. Oktober bekannt wurde, vertagten sich nun abermals die EU-Staaten, infolge des Drucks aus Deutschland. Gemäß einer dpa-Meldung sagte Bundesumweltminister Peter Altmaier: „Wir haben uns gemeinsam gerade eben darauf verständigt, dass wir die CO2-Richtlinie für Pkws nicht heute aber in naher Zukunft verabschieden.“ Wahrscheinlicher dürfte jedoch sein, dass eine Entscheidung erst nach den Europawahlen im Mai 2014 fällt.
Überschattet wird die gesamte Diskussion über die CO2-Grenzwerte von der neuen Spendenaffäre um die Zahlung von 690.000 Euro von Seiten der BMW-Großaktionäre an die CDU. Wie am 15. Oktober bekannt wurde, gingen am 9. Oktober jeweils drei Zahlungen über 230.000 Euro von Johanna Quandt, Stefan Quandt und Susanne Klatten auf dem Konto der Union ein. Laut Medienberichten sei die Überweisung bereits vor der Bundestagswahl angekündigt worden. Um jedoch nicht den Anschein zu erwecken, dass damit Wahlkampfhilfe geleistet werden solle, sei das Geld erst jetzt geflossen. Klaus Ernst, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, nannte dies den „krassesten Fall von gekaufter Politik seit Langem“.
Die bisherige Bundesregierung aus CDU/CSU/FDP hat bisher fast alles versucht notwendige Veränderungen hin zu mehr Klimaschutz zu verhindern oder zumindest
zu blockieren. Ich hoffe, dass die zukünftige Bundesregierung verantwortungsvoller
bei Ihrem Handeln ist. Wir können uns einen ungebremsten CO 2 Ausstoß nicht
mehr leisten. Dazu muss auch die Autoindustrie Ihren Beitrag leisten. Es ist dazu nicht nur notwendig den Verbrauch von neuen Benzin oder Dieselfahrzeugen zu
senken, wir brauchen auch den Wechsel hin zu sauberen Antrieben mit Batterie und Brennstoffzelle.
Dazu ist es notwendig von politischer Seite Maßnahmen zu ergreifen, um diese
Veränderungen einzuleiten und zu unterstützen.
Ein hinauszögern notwendiger Veränderungen ist höchstens den Profitinteressen
der Auto und Mineralölindustrie dienlich. Das Klima und die Menschen werden
die Verlierer sein.
Ich hoffe deshalb, dass die zukünftige Bundesregierung vernünftiger handelt
Mit freundlichen Grüßen
Herr Müller
Angesichts dieser EU-Streitigkeiten um Emissionsgrenzwerte lohnt mal ein Blick über den Atlantik. Auf der anderen Seite des großen Teichs und jenseits der Great Plains, in Kalifornien, wird strikt durchgegriffen. Ausgerechnet im Land grenzenloser Freiheit hat das California Air Resources Board, eine der strengsten Abgasbehörden der Welt, strickte Grenzen erlassen. Bis 2017 müssen insgesamt 60.000 Zero-Emission-Vehicles abgesetzt werden. Anschließend müssen die Automobilbauer in den Jahren 2018 bis 2025 den Anteil von batterieelektrischen Autos, Plug-in-Hybriden und Autos mit Brennstoffzelle am Gesamtabsatz von 4,5 Prozent auf 22 Prozent schrittweise erhöhen. Wie das erreicht wird, überlassen die Kalifornier den Autoherstellern.