Modell für eine fossilfreie Energiezukunft

Modell für eine fossilfreie Energiezukunft

Seit einiger Zeit macht eine kleine Gemeinde in Nordfriesland energietechnologisch von sich reden, denn die energetische Versorgung des neuen Wärmenetzes von Bosbüll ist alles andere als Standard. Durch ein Power-to-X-Konzept und eine dreifache Sektorenkopplung bleiben die Ü20-Wind- und Solaranlagen auch im Post-EEG-Betrieb rentabel, während die Wärmeversorgung der 250-Seelen-Gemeinde gesichert bleibt. Das nordfriesische Leuchtturmprojekt zeigt, wie grüne Energiezukunft intelligent geschrieben werden kann.

Am 8. September 2021 hat die nordfriesische Gemeinde nahe der dänischen Grenze das erste Power-to-Heat-Wärmenetz (PtH) Schleswig-Holsteins mit einem „Wärmefest“ feierlich eröffnet. Doch schon vor der Einweihung profitierten die bereits angeschlossenen Haushalte und ein landwirtschaftliches Großunternehmen von dem neuen, 2.680 Meter langen Fernwärmenetz.

Startpunkt war die Heizzentrale, die die Yados GmbH, die für die technische Realisierung der PtH-Lösung und das Leitsystem verantwortlich zeichnet, konstruiert und in Bosbüll aufgestellt hat. Die in einer 60 Tonnen schweren Betonzelle untergebrachte Energiezentrale steht direkt neben dem ersten Abnehmer, einer Muttersauenzucht. In unmittelbarer Nähe der Energiezentrale hat auch eFarm seinen Sitz, an den das Wärmenetzsystem sektorengekoppelt ist. In etwa einem Kilometer Entfernung erreicht das neu ausgebaute Wärmenetz die 25 Bosbüller Haushalte, die in der ersten Bauphase angeschlossen wurden. Weitere private und gewerbliche Abnehmer sollen in einem zweiten Schritt folgen.

Vom Post-EEG-Betrieb zur energietechnologischen Blaupause

Zwei Bürgerwind- und -solarparks liefern seit Jahren elektrische Energie für die Gemeinde Bosbüll. Das hat ökonomische Vorteile zum einen für die BürgerInnen, die an den Parks finanziell beteiligt sind, und zum anderen für die Gemeinde selbst, die durch die Gewerbesteuereinnahmen zahlreiche neue Projekte finanzieren kann. So bleibt die Wertschöpfung in der Region und trägt zu deren ökonomischer Stabilität bei. Ende 2021 lief die EEG-Förderung für zwei der Windenergieanlagen aus, weitere fallen in den kommenden Jahren aus dem Förderrahmen heraus. Auch der Solarpark verliert seine Bezuschussung Ende des Jahrzehnts. Doch mit dem Power-to-X-Projekt, das die Sektoren Stromerzeugung, Wärmebereitstellung und Kraftstoffproduktion koppelt, bleiben die alternativen Energiequellen weiterhin wirtschaftlich, und die Gemeinde profitiert durch eine zukunftsweisende ökologische und ökonomische Versorgungslösung.

BAFA-Förderung – kompliziert, aber lohnend

Um den Förderantrag beim BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) zu stellen, wurden die Bosbüll Energie GmbH und die Bosbüll Energie GbR gegründet. Da die Gemeinde laut schleswig-holsteinischem Kommunalrecht nicht an einer GbR beteiligt sein darf und gleichzeitig Energieerzeuger und Energieverbraucher in einer Hand sein müssen, war die Kommune gezwungen, aus der eigentlich geplanten Teilhabe selbst auszusteigen. Nach langen, umfangreichen Planungsarbeiten konnte der Antrag für das Förderprogramm „Wärmenetzsysteme 4.0“ des BAFA schließlich gestellt werden, und das mit lohnendem Ergebnis: Von 1,9 Mio. Euro Aufwand sind 1,6 Mio. Euro förderfähig.

Verantwortlich für die Konzeption, Planung und Umsetzung des Verbundprojekts ist die GP Joule GmbH. Die Zusammenarbeit mit Akteuren in der Gemeinde hat bereits 2009 begonnen, als das nordfriesische Unternehmen den Solarpark projektiert und gebaut hat. Seitdem ist es für die technische Betriebsführung zuständig. Darüber hinaus ist GP Joule zusammen mit dem Windpark Bosbüll Gesellschafter der Bosbüll Energie GmbH und als Initiator für das Wasserstoffprojekt eFarm zuständig.

Mit Power-to-Heat ins Wärmenetz

Das PtX-Projekt steht auf zwei Säulen: Zum einen sorgt eine ausgeklügelte Power-to-Heat-Lösung über Luft-Wasser-Wärmepumpen für die Wärmeversorgung via eigenes Fernwärmenetz, und auf der anderen Seite produziert eine Power-to-Gas-Anlage Wasserstoff für ein überregionales H2-Mobilitätskonzept.

Um den jährlichen Bedarf der angeschlossenen Haushalte mit insgesamt rund 500 MWhtherm und des landwirtschaftlichen Großbetriebs mit etwa 600 MWhtherm zu decken, stehen in Bosbüll drei vorlaufgeregelte Luft-Wasser-Wärmepumpen. Sie wandeln den regenerativ erzeugten Strom aus den Bürgerenergieparks mit einer Gesamtleistung von 240 kW in Wärmeenergie für das Wärmenetz um. Ein Elektroheizeinsatz mit einer Leistung von 750 kW ergänzt die thermische Energie, indem er in einem 14 Meter hohen und 84 Kubikmeter großen Speicher Wasser erhitzt. Auf diese Weise kann die Energie bis zu vier Wochen zwischengespeichert werden. In der Energiezentrale stehen darüber hinaus ein Hoval-Max-3-Gasheizkessel zur Spitzenlastabdeckung sowie eine Hydraulikstation zur Wärmeverteilung bereit.

Ist die Hydraulik im Fluss, ist die Anlage in Balance

Um das Maximum an Effizienz bezogen auf das gesamte thermische Energiesystem zu erreichen, müssen die beteiligten Erzeuger und Verbraucher aufeinander abgestimmt und möglichst nah an ihrem jeweiligen Wirkungsgradoptimum betrieben werden. Hierfür ist die Hydraulikstation des in Hoyerswerda ansässigen Unternehmens Yados zuständig: Sie optimiert zum einen das Zusammenwirken von Energieerzeuger, Wärmeerzeuger, Wärmespeicher und Wärmeverteiler. Zum anderen stellt die Hydraulikstation grundsätzlich sicher, dass thermische Energie zur geplanten Zeit in der gefragten Menge am richtigen Ort zur Verfügung steht – und das Ganze unter Verwendung möglichst geringer Antriebsenergie.

Außerdem bindet sie nicht nur den Wärmespeicher so ins System ein, dass nur Lade- und Entladevolumenströme durch den Speicher fließen, sondern verbessert auch die Schichtung der Temperaturen. Für den bedarfsgerechten Fernwärmenetzbetrieb sind niedrige Rücklauftemperaturen maßgeblich. Sie beeinflussen nicht nur die Volumenströme, die Übertragungskapazität und den elektrischen Pumpenaufwand, sondern minimieren auch gleichzeitig Strömungs- und Wärmeverluste. Die Vorlauftemperatur liegt bei 70 bis 85 °C, während die Rücklauftemperatur etwa 50 bis 55 °C beträgt.

Smarte Anlagensteuerung

Ein weiterer wichtiger Punkt, um das hohe Effizienzpotenzial eines intelligenten Sektorenkopplungskonzepts vollumfänglich ausschöpfen zu können, ist eine gut abgestimmte Mess-, Steuer- und Regelungstechnik (MSR). Sie übernimmt die komplexe Aufgabe der exakt aufeinander abgestimmten Systemintegration aller am Prozess beteiligten Komponenten. Die ostdeutschen Wärmenetzspezialisten haben hierfür das Leit- und Kommunikationssystem YADO|LINK installiert. Um die wichtigsten Anlagenparameter direkt zu koordinieren, regelt und vernetzt das Steuersystem neben sämtlichen Anlagen der Energiezentrale auch die Wärmeübergabestationen und ihre eingebauten DDC-Regler. Auf einem großflächigen und bedienerfreundlich eingerichteten 21,5-Zoll-Display können die Zuständigen durch das Prinzip des Echtzeit-Monitorings alle anlagenrelevanten Daten und Informationen abrufen und einsehen: Temperaturen, Drücke, Störmeldungen usw. Um die Installation und die Inbetriebnahme der Steuertechnik so einfach wie möglich zu gestalten, lieferten die Ingenieure das Ganze in zwei kombinierbaren Schaltschrankgehäusen fertig vormontiert und verdrahtet in Bosbüll an.

Sicherheit und Effizienzverbesserung durch MSR-Technologie

Die Leittechnik dient generell als Koordinationsinstrument aller dezentralen Erzeugungs-, Verteil- und Übergabeprozesse von Wärmeenergie, Strom und Kälte. Zu ihrer Aufgabe gehört es, den gesamten Anlagenbetrieb nach definierten Soll-Vorgaben zu realisieren. Hierzu erfasst ein automatisiertes Echtzeit-Monitoring alle relevanten Daten und wertet diese schließlich aus. Kommt es auf der Verbraucher- oder der Erzeugerseite zu Abweichungen, greift die Regelungsfunktion und passt den entsprechenden Betrieb der betroffenen Komponente an.

Vernetzte Sensoren, Aktoren und modulare Regelungseinheiten liefern dem Leitsystem die hierfür erforderlichen Informationen. Dabei wird eine Vielzahl komplexer Funktionsabfragen verarbeitet. Im akuten Bedarfsfall kann so automatisiert oder manuell regulierend in laufende Produktions-, Speicher- oder Verteilvorgänge eingegriffen werden. Diese Bedarfsfälle treten nicht nur bei technischen Störungen, in Ausfallsituationen oder bei plötzlich veränderten Leistungsabfragen ein, auch die äußeren Bedingungen wie eine unvorhergesehene Hitzewelle oder ein spontaner Temperatursturz können dazu führen.

Eine strategische Optimierung der Anlagenführung ist ebenfalls durch eine kontinuierliche Auswertung aller systemimmanenten Soll- und Ist-Werte möglich, indem sich aus den gesammelten Informationen wiederkehrende Trends oder auch langfristige Vorhersagen ableiten lassen. MSR-Systeme der neuesten Generation gelten als wichtige Stellschraube für die weitere Effizienzverbesserung in der Energieversorgung.

Darüber hinaus kann die Leittechnik zur Stabilisierung und zu einem höheren Komfort bei der Wärmebereitstellung beitragen. Der Primärenergieeinsatz lässt sich durchschnittlich um acht bis zehn Prozent (in besonders nutzungsintensiven Fällen auch um bis zu 30 Prozent) durch die systembasierte Überwachung und Steuerung der Anlagenfahrweise und durch die Ausregelung der Rücklauftemperaturen per MSR-Technologie senken.

Wärmeübergabestationen für stabile Netzführung

Neben einer intelligenten übergeordneten Anlagensteuerung sind für den optimalen Betrieb eines Fernwärmenetzes die Wärmeübergabekomponenten von zentraler Bedeutung. In der kleinen nordfriesischen Gemeinde verbinden Smart-Home-fähige Wärmeübergabestationen die Gebäudeheizungsanlagen der Verbraucherseite mit dem Fernwärmenetz. Sie übertragen als regulierende Verbindungseinheit, hydraulisch durch einen Plattenübertrager getrennt, das Wärmemedium abhängig von Bedarf, Temperatur und Druck. Eine in den Übergabestationen verbaute Direct-Digital-Control-Regelung (DDC) berechnet dabei die erforderlichen Vorlauftemperaturen unter Einbezug aller relevanten – externen und individuell definierten – Parameter wie Witterungsverhältnisse oder Zeit- und Komfortvorgaben der Nutzer. In Planung sind weitere zusätzliche Anpassungen der Heizsysteme auf Seite der Verbraucher. Darüber hinaus sorgen in der nordfriesischen Kommune maximal gedämmte Rohre dafür, die Wärmeverluste im Fernwärmenetz so niedrig wie möglich zu halten.

Mit Power-to-Gas auf die Straße

Die Energie der Bürgerwind- und -solarparks dient neben dem Betrieb des Fernwärmenetzes auch der Produktion von grünem Wasserstoff. Dieser ist unverzichtbar für die langfristige Dekarbonisierung der Sektoren Mobilität, Wärme und Industrie. Der in Bosbüll produzierte Wasserstoff wird zur Betankung von Wasserstofffahrzeugen genutzt.

Die Power-to-Heat-Anlage erhält durch den Anschluss an das eFarm-Projekt die ideale Ergänzung durch ein Power-to-Gas- bzw. Power-to-Fuel-Konzept. Dieses nachhaltige H2-Mobilitätsprojekt zielt auf eine modular erweiterbare Wasserstoffinfrastruktur im Kreisgebiet Nordfriesland. Von den dort mittlerweile installierten fünf Polymer-Elektrolyt-Membran-Elektrolyseuren (PEM) stehen zwei in Bosbüll. Die beiden generieren mit einer Gesamtleistung von 450 kW insgesamt täglich etwa 200 kg Wasserstoff aus dem regional erzeugten Solar- und Windstrom.

Dabei spaltet der Elektrolyseur mithilfe des elektrischen Stroms auf der Anodenseite seiner Elektroden destilliertes Wasser in Sauerstoff, freie Elektronen und positiv geladene H+-Ionen. Die H+-Ionen diffundieren durch die protonenleitende Membran auf die Kathodenseite, wo sie mit den Elektronen zu Wasserstoff werden.

Der Wirkungsgrad der Elektrolyseure in Bosbüll liegt bei bis zu 95 Prozent. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Abwärme der H2-Erzeugung (etwa 100 MWhtherm) dem Wärmenetz zugeführt bzw. im Wärmespeicher zwischengepuffert wird. Der grüne Wasserstoff wird nach seiner Produktion an zwei H2-Tankstellen in Niebüll und Husum transportiert. Eine Verdichtungsanlage sorgt für die benötigten Betankungsdrücke von 350 bar für Busbetankungen und andere Nutzfahrzeuge mit 350-bar-Tanks und 700 bar für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge.

Zwei im Rahmen des Projektes angeschaffte Brennstoffzellen-Busse des öffentlichen Personennahverkehrs nutzen die bei der Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff freigesetzte Energie als Antriebsenergie. Dabei reicht eine Tankfüllung der Busse für 400 Kilometer, was einem regulären Betriebstag im Linienverkehr entspricht. Neben den beiden Linienbussen wurden auch 30 Pkw mit Brennstoffzellenantrieb im Projektvolumen verankert. Diese werden nach und nach an die neuen Besitzer übergeben. Neu hinzugekommen ist eine Fahrschule aus dem Kreisgebiet, die nun statt zweier Dieselfahrzeuge zwei BZ-Fahrzeuge für ihren Fahrunterricht nutzt. Bei den Pkw reicht eine Tankfüllung für bis zu 600 Kilometer und kostet rund 60 Euro.

Gezielte Nutzung von Ausfallarbeit

Ein großes Problem der Erzeugung regenerativer Energie ist und bleibt es, Energien aus Sonne, Wind und Wasser in größeren Mengen und über längere Zeit zu speichern. Durch volatile Leistungsspitzen und negative Residuallasten aus alternativen Energiequellen erhöht sich der Bedarf an Netz- und Systemsicherheitsmaßnahmen wie den Einsman-Schaltungen, die auch als Einspeisemanagement bezeichnet werden und in § 14 EEG 2021 geregelt sind. Die durch diese Zwangsabregelungen verloren gegangene Energie, die sogenannte Ausfallarbeit, erreichte in Deutschland im Jahr 2021 die enorme Summe von 6,1 TWhel.

Um dieses große Dekarbonisierungspotenzial zu nutzen, wandeln PtX-Projekte die überschüssige regenerative Energie in elektrische Wärme bzw. thermische Last oder einen anderen Energieträger, wie in diesem Fall Wasserstoff, um. Auch das Energiekonzept von Bosbüll nutzt gezielt bevorzugt die Überschusserträge aus den Wind- und Solarparks, die sonst zu einer Überlastung des Netzes und damit zu Abregelungen führen würden. So dient die ansonsten überschüssige Energie dazu, die BürgerInnen warm zu halten und für ihre Mobilität zu sorgen.

Vielversprechende Energiezukunftsmusik

Und es geht noch weiter: Die Gemeinde Bosbüll ist aktuell dabei, für dieses Jahr ein weiteres Baugebiet auszuweisen, in dem das neue regenerativ betriebene Wärmenetz vorverlegt werden soll. Und aufgrund der aktuellen welt- und geopolitischen Entwicklungen häufen sich bei Ingo Böhm, dem Bürgermeister von Bosbüll, die Anfragen nach weiteren Haushaltsanschlüssen an das neue Wärmenetz. Auch der Bau einer weiteren Freiflächen-Photovoltaik-Anlage 2023 ist planmäßig bereits in trockenen Tüchern. Die Energie der Anlage wird vor allem in die Wasserstoffproduktion fließen. Darüber hinaus sollen in der nächsten Zeit zehn weitere wasserstoffbetriebene BZ-Busse des öffentlichen Personennahverkehrs angeschafft werden.

Das Modell Bosbüll ist ein Leuchtturmprojekt, das gerade in diesen Zeiten, in denen die schnellstmögliche Dekarbonisierung oberste Priorität hat, als Blaupause für die Energiekonzepte anderer Kommunen dienen kann. Allein durch die Power-to-Heat-Anlage konnte die nordfriesische Gemeinde 180.000 Liter Heizöl jährlich einsparen. Darüber hinaus haben lokale Energiebezugslösungen immer auch den Vorteil einer weitgehenden Marktunabhängigkeit – und zwar nicht nur bezogen auf die Versorgungssicherheit, sondern auch auf den Schutz vor Preisvolatilität. Und nicht zu vergessen: Die aus dem Projekt resultierende Wertschöpfung bleibt in der Kommune und kommt allen Bürgern zugute.

Um die Effizienz solch gekoppelter regenerativer Energiesysteme auf einem hohen Niveau zu halten, spielen die Qualität des Gesamtsystems und das über die Steuerungstechnologie gelenkte Zusammenspiel der einzelnen Komponenten eine enorme Rolle. Die Kombination aus regenerativ erzeugter elektrischer und thermischer Energie und smarten Speicher- und Verteilkonzepten ist sicherlich eines der Zugpferde, die zu einem schnellen Gelingen der Energiewende beitragen können.

Erstveröffentlichung des Artikels in der Zeitschrift bbr Leitungsbau|Brunnenbau|Geothermie.

Autor:Martin Gentner, YADOS GmbH, Hoyerswerda

Posener Regionalflughafen hebt mit Wasserstoff ab

Posener Regionalflughafen hebt mit Wasserstoff ab

Der geschäftsführende Direktor des Posener Regionalflughafens Ławica Marcin Drzycimski hat im Rahmen der diesjährigen Wasserstoffmesse H2Poland in Poznań bestätigt, dass der Flughafen in die Produktion und Distribution von Wasserstoff investieren will. Ziel ist, die Klimabilanz zu verbessern. „Der CO2-Fußabdruck wird immer relevanter, nicht nur für den Flugverkehr, aber generell für die gesamte Wirtschaft“, so Drzycimski.

Die Dekarbonisierung in Ławica begann vor einigen Jahren, als man die umfangreichen Flächen, die der Flughafen sein Eigen nennt, für die Sonnenenergiegewinnung zur Verfügung stellte. Da Poznań eine windarme Gegend ist, hat sich Ławica gegen den Bau von Windturbinen entschieden. Stattdessen sollen Biogasanlagen und Photovoltaik grüne Energie liefern.

Der erste dieser Sonnenenergieparks wird dieses Jahr rund die Hälfte des Strombedarfs des Airports decken können. Dabei sind erst sechs von insgesamt bis zu 50 ha mit Solaranlagen bestückt. In drei bis vier Jahren soll in Ławica überschüssige Sonnenenergie für die Produktion von grünem Wasserstoff genutzt werden. Die für die Wasserstoffgewinnung so elementare Verfügbarkeit von Wasser wird in Ławica dadurch gelöst, dass diese kostbare Ressource auf den Rollfeldern und der gesamten befestigten Infrastruktur des Flughafens eingesammelt und aufgefangen wird.

Ziel ist es, die erneuerbaren Energien sowie das Wasser direkt vor Ort zu haben und die Wasserstoffherstellung auch am Standort zu realisieren, um anschließend direkt am Flughafen Betankungsmöglichkeiten zu schaffen. Drzycimski möchte, dass Busse und Pkw direkt am Flughafen betankt werden können. Darüber hinaus wird auch geprüft, ob nicht auch synthetische Kraftstoffe am Flughafen in der Zukunft bereitgestellt werden könnten.

Strukturell soll ein Unternehmenspartner, das polnische Cargounternehmen Inpost, eine wichtige Rolle spielen. Inpost transportiert heute ein Großteil seiner Sendungen über Ławica. Die Sendungen landen in den Paketstationen des Logistikers in Holland, Großbritannien oder auch Italien. Der wichtigste Markt von Inpost ist aber nach wie vor Polen, wo die Sendungen mit Lkw und Transportern weiterbefördert werden. Sebastian Anioł, der bei Inpost für die Innovationen zuständig ist, sagte, dass Inpost den Fuhrpark mit Brennstoffzellenfahrzeugen bestücken möchte. Der optimale Ort, um diese Fahrzeuge zu betanken, wäre der Standort Ławica.

Autorin: Aleksandra Fedorska

Tschechien beschränkt sich nicht auf grünen Wasserstoff

Tschechien beschränkt sich nicht auf grünen Wasserstoff

Tschechien gehört in Mittelosteuropa nicht gerade zu den großen Förderern der Wasserstofftechnologie. Das Land zaudert noch mit dem Ausbau der Wind- und Sonnenenergie. Der Anteil von PV- und Windkraftanlagen an der gesamten Stromerzeugung in der Tschechischen Republik lag im vergangenen Jahr bei gerade einmal 3,7 Prozent. Damit liegt das Land weit hinter dem europäischen Durchschnitt zurück, der EU-weit bei rund 22 Prozent lag. Klimapolitisch wurde in den mehr als dreißig Jahren seit der politischen Wende in Tschechien dennoch viel erreicht. CO2-freie Energiequellen wie die Kernkraft und Wasserkraft sind für rund 63 Prozent der Stromproduktion verantwortlich. Auf der anderen Seite bleibt der Anteil der Kohle mit 30 Prozent weiterhin hoch. Es sind aber auch gerade die ehemaligen Kohleabbaugebiete, die sich aktiv um Investitionen in die Wasserstoffwirtschaft bemühen. Sie verfügen nicht selten über langjährige Erfahrungen in der Wasserstoffproduktion, da sie bis heute große Industrie- und Chemiestandorte sind. Daher ist dort unter anderem qualifiziertes Personal mit einem breiten Branchen-Know-how vorhanden.

„Wasserstoff ist eine logische Lösung für unsere Region, da die chemische Industrie, die eine Quelle für Wasserstoff ist, stark vertreten ist. Deshalb wollen wir uns auf diesen Energieträger konzentrieren, um eine Wirtschaft aufzubauen, in der Wasserstoff produziert, verteilt und von den Endverbrauchern in unserer Region genutzt wird, zum Beispiel im Verkehr. Wir haben sicherlich das Potenzial, eine führende Rolle und eine treibende Kraft im Bereich Wasserstoff zu sein”, sagte Jan Schiller, Gouverneur der Region Ústí nad Labem, den tschechischen Medien.

Dass Tschechien sich dabei nicht nur auf grünen Wasserstoff beschränken kann, ergibt sich aus dem Energiemix des Landes, der auf den Ausbau der Kernkraft ausgerichtet ist. Tschechien, das bereits sechs Reaktorblöcke in Betrieb hat, plant den Bau mehrerer neuer konventioneller Reaktoren und mehrerer SMRs (Small Modular Reactor).

„Im Bereich der Wasserstofferzeugung wollen wir uns nicht nur auf die Erzeugung aus erneuerbaren Quellen konzentrieren, sondern auch auf die Nutzung anderer alternativer Optionen für eine kohlenstoffarme Wasserstofferzeugung, wie zum Beispiel die Nutzung von Erdgas mit Abscheidung und Verarbeitung des dabei entstehenden CO2, die Pyrolyse/Plasmavergasung von organischen Abfällen und die Wasserstofferzeugung mit Strom und Wärme aus Kernkraftwerken”, heißt es dazu in der tschechischen Wasserstoffstrategie, die am 27. Juli 2021 vom Ministerium für Industrie und Handel veröffentlicht wurde.

Entwicklungspotentiale liegen auch bei der Verwendung von aus der Verbrennung von Abfällen resultierender elektrischer Energie, die für die Wasserstoffproduktion verwendet wird. Seit Ende letzten Jahres ist das schwedische Unternehmen Plagazi (s. HZwei-Heft Okt. 2021) zusammen mit dem heimischen Abfallentsorgungsunternehmen PGP Terminal mit den entsprechenden Verfahren auch in Tschechien aktiv.

Ohne Importe geht es nicht

Die tschechische Regierung stellte jedoch im Rahmen der Wasserstoffstrategie fest, dass auch Tschechien, ebenso wie Deutschland, in Zukunft auf Wasserstoffimporte angewiesen sein wird. „Wir gehen davon aus, dass die Tschechische Republik in Zukunft Wasserstoff aus Ländern importieren muss, in denen die Bedingungen für die Produktion von erneuerbarem Wasserstoff günstiger sind, weil es dort mehr Sonne und Wind gibt. Die Infrastruktur muss für den Import von Wasserstoff vorbereitet werden, und Wasserstoff könnte die derzeitigen Importe von Erdgas und Erdöl ersetzen. Die Tschechische Republik kann ein wichtiger Akteur auf dem Gebiet des Wasserstofftransports von Süden nach Norden und von Osten nach Westen sein“, sagte der ehemalige Industrie- und Handelsminister Jozef Síkela.

Verkehrs- und Industriewende mit Wasserstoff

In Tschechien fehlt es seit Jahren nicht an Plänen, die dem Klimaschutz dienen sollen. Der National Action Plan for Clean Mobility aus dem Jahr 2015 gehört zu den ersten Veröffentlichungen, in denen die tschechischen Wasserstoffpläne formuliert wurden. Zum damaligen Zeitpunkt wurde der Bereich Verkehr als besonders geeignet angesehen, um H2-Technologien einzuführen. „Die tschechische Regierung strebt bis 2023 die Entstehung von sechs bis acht Wasserstoffbetankungsstationen an, bis 2025 soll es sogar 15 Stationen dieser Art geben“, hieß es im Report des Institute of Central Europe zum Thema Wasserstoff in Mittelosteuropa.

Der Bau von Wasserstofftankstellen sollte ursprünglich mit 350 Mio. Euro unterstützt werden. Mit der Covid-19-Pandemie kamen die offiziellen tschechischen Wasserstoffpläne jedoch ins Stocken. Das Thema Wasserstoff und die Verkehrswende blieben aber oben auf der tschechischen Agenda, was durch die Absichtserklärung vom Dezember 2022 untermauert wurde. In dieser Absichtserklärung haben sich Air Products und Alstom dazu verpflichtet, wasserstoffbetriebene Verkehrsmittel mit der erforderlichen Schieneninfrastruktur in der Tschechischen Republik zu betreiben. Während der feierlichen Unterzeichnung dieser Absichtserklärung bedauerte Dan Kurucz, Geschäftsführer von Alstom in der Tschechischen Republik und der Slowakei, dass es in Tschechien an entsprechenden Gesetzen fehlt, die die Wasserstoffindustrie voranbringen könnten.

Ähnlich wie im nördlichen Nachbarland Polen macht die Verkehrswende auch gerade bei den Stadtbussen erste Fortschritte. In Tschechien ist es allen voran der heimische Hersteller Škoda (s. Abb.), der seit 2009 Stadtbusse mit Brennstoffzellen herstellt. In der Tschechischen Republik sind neun FCEVs (Stadtbusse mit Brennstoffzelle), aber bis dato keine öffentlichen Wasserstofftankstellen im Zentralen Fahrzeugregister registriert. Bis zum Jahr 2030 soll es insgesamt 40.000 bis 50.000 Personenkraftwagen, 870 Busse und 80 Tankstellen in Tschechien geben, die emissionsfreien Verkehr ermöglichen, also mit Brennstoffzellen oder ausschließlich mit Elektrizität angetrieben werden.

Leitungsnetze – H2-ready?

Gleichzeitig muss auch an den Leitungsnetzen gearbeitet werden. Der Leiter des operativen Geschäfts des größten tschechischen Erdgasverteilers GasNet, Andrej Prno, versicherte im Gespräch mit den tschechischen Medien, dass über das tschechische Erdgasleitungsnetz jetzt schon Wasserstoff fließen kann. Technisch steht dem nichts im Wege. Gesetzlich gibt es aber keine ausreichende Grundlage. Die ersten Schritte, um den Anteil von Wasserstoff in seinem Gasnetz zu erhöhen, hat GasNet aber bereits gemacht. In der Region Ústí hat das Unternehmen eine Zusammenarbeit mit FORH2ENERGY vereinbart, die in der Industriezone Triangle in Žatecko eine Wasserstoffproduktionsanlage bauen will. Diese wäre dann die erste Wasserstoffanlage, die GasNet an sein Gasverteilungsnetz anschließen würde.

Autorin: Aleksandra Fedorska

Brennstoffzellen-MEAs ohne „forever chemicals“

Brennstoffzellen-MEAs ohne „forever chemicals“

Die Bedrohung für Mensch und Umwelt durch Per- und Polyfluoralkylsubstanzen, sogenannte PFAS, ist längst bekannt. Erst im Februar 2023 berichteten zahlreiche Tageszeitungen über das Ausmaß der PFAS-Kontamination in Europa und rückten das Thema wirksam in die Öffentlichkeit. Auch in Brennstoffzellen werden PFAS verwendet. Das Freiburger Start-up ionysis hat sich zum Ziel gesetzt, dies zu ändern.

PFAS sind eine Gruppe von stark fluorierten Polymeren, die in vielen verschiedenen Anwendungen eingesetzt werden, gut bekannt zum Beispiel aus beschichteten Pfannen oder Outdoor-Jacken. Sie verfügen über einzigartige Eigenschaften wie eine hohe chemische und thermische Stabilität. Sie sind nicht-haftend, nicht-färbend und stark öl- und wasserabweisend und daher heute weit verbreitet in Marken wie Teflon oder Gore-Tex.

Doch die positiven Materialeigenschaften haben eine Kehrseite: PFAS bauen sich in der Umwelt nicht ab, und das über Jahrhunderte. Zudem sind sie sehr mobil, so dass sie inzwischen in Grund- und Oberflächenwasser, Luft und Böden nachweisbar sind. Auch in der menschlichen Blutbahn und zahlreichen lebenden Organismen ist diese Stoffklasse bereits nachgewiesen worden. Dort stehen sie unter dem starken Verdacht, Krebs, Unfruchtbarkeit und andere schwere Erkrankungen zu verursachen.

Obwohl diese Eigenschaften seit vielen Jahrzehnten bekannt sind, häuften sich erstmals in den vergangenen Monaten Entscheidungen mit Tragweite zur Eindämmung von PFAS: Im November 2022 reichte der Bundesstaat Kalifornien in den USA eine umfassende Klage gegen PFAS-produzierende Unternehmen wie 3M und Dupont ein. Einen Monat später kündigte 3M als erster großer Chemiekonzern an, sich bis Ende 2025 komplett aus der Herstellung von PFA-Substanzen zurückzuziehen.

Zuletzt hat das Thema dann medienwirksam noch einmal an Fahrt gewonnen: Im „Forever Pollution Project“ haben JournalistInnen von 18 Zeitungen und anderen Medienhäusern, darunter Le Monde (Frankreich), NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung (Deutschland) und The Guardian (Vereinigtes Königreich) über mehrere Monate Tausende von Datenpunkten gesammelt, um eine „Karte der ewigen Verschmutzung“ zu erstellen, die zum ersten Mal das Ausmaß der Kontaminierung Europas durch PFAS zeigt.

Das „Forever Pollution Project“ deckte auch erstmals auf, wie groß die Anstrengungen der PFAS-Lobby sind, ein EU-weites PFAS-Verbot zu verwässern. Dieses umfassende Verbot der Verwendung und Herstellung von PFAS als Stoffklasse wurde von Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und Schweden initiiert. Im Februar 2023 veröffentlichte die europäische Chemieagentur (ECHA) den Vorschlag und evaluiert ihn nun, bevor sie eine Empfehlung an die Europäische Kommission abgibt. Die Hauptargumente gegen das Verbot konzentrieren sich auf den Mangel an PFAS-Ersatzstoffen in Anwendungen, die als kritisch für die Gesellschaft angesehen werden.

Einer dieser scheinbar alternativlosen Fälle ist die Verwendung von Fluorpolymeren in Elektrolyseuren und Wasserstoffbrennstoffzellen. Aufgrund ihrer hohen Protonenleitfähigkeit und chemischen Stabilität werden Fluorpolymere auf Basis von perfluorierten Sulfonsäuren (PFSA) derzeit für Membranen und Elektrodenbinder in Wasserstofftechnologien verwendet.

Ziel: Grüner Wasserstoff mit grünen Materialien

Dr. Andreas Büchler, Co-Geschäftsführer und Mitgründer von ionysis, warnt: „Spätestens die Veröffentlichungen des ‚Forever Pollution Projects‘ sind ein Weckruf. PFAS werden eine enorme Bedrohung für die Umwelt, uns, unsere Kinder und Enkelkinder sein. Die PFAS-Werte, die schon jetzt nachgewiesen werden können, sind schockierend. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, jetzt, zu Beginn der exponentiellen Skalierung von Wasserstofftechnologien, die Forschung und Entwicklung von fluorfreien Materialien für Wasserstoffanwendungen voranzutreiben und möglichst schnell PFSA-Alternativen zur Marktreife zu bringen.“

Aus dem zunehmenden Bewusstsein über die Verschmutzung durch PFAS und dem dringenden Bedarf an Alternativen in der wachsenden grünen Wasserstoffwirtschaft heraus wurde das Start-up ionysis von einem Team aus dem Bereich Elektrochemische Energiesysteme bei Hahn-Schickard und der Universität Freiburg gegründet. Der Grundstein für das Start-up wurde im Rahmen mehrerer Forschungsprojekte gelegt, die vom Land Baden-Württemberg, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz sowie dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurden. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, hocheffiziente und nachhaltige Kernkomponenten für Brennstoffzellen zu entwickeln.

Im September 2022 nahm ionysis mit einem achtköpfigen Team den Betrieb auf und wird bis Mitte 2023 auf die doppelte Teamgröße anwachsen. Neben Dr. Matthias Breitwieser (Chief Technology Officer), Dr. Florian Lombeck (Chief Scientist) und Dr. Severin Vierrath (Scientific Advisor) – alle aktive oder ehemalige Mitarbeiter von Hahn-Schickard und der Universität Freiburg – ergänzen Dr. Andreas Büchler (Chief Operation Officer) und Lisa Langer (Chief Financial Officer) das Gründerteam. Zwei starke Investoren unterstützen das Start-up nicht nur mit finanziellen Mitteln. Lisa Langer erklärt: „Durch unsere Investoren haben wir neben einer substanziellen Finanzierung im mittleren einstelligen Millionenbereich auch wertvollen Zugang zu Branchen-Know-how und Unterstützung bei der Geschäftsentwicklung.“

Erster Leistungsnachweis im Vollformat ist erbracht

Neben der Entwicklung dieser neuartigen, umweltfreundlicheren Membran-Elektroden-Einheiten (MEAs) liegt der Fokus auf dem Nachweis ihrer technischen Machbarkeit im relevanten Maßstab. Ziel ist es, gänzlich fluorfreie MEAs zur Marktreife zu bringen und so einen Beitrag zu einer tatsächlich nachhaltigen, „grünen“ Wasserstoffwirtschaft zu leisten. Erst vor wenigen Wochen konnte der erste erfolgreiche Leistungsnachweis im Heavy-Duty-Vollformat erbracht werden, was einen wichtigen Meilenstein in der frühen Phase der Firma darstellt.

„Gemeinsam mit internationalen Partnern ist es uns gelungen, neuartige MEAs für Brennstoffzellen zu entwickeln, die erstmals die Leistungsfähigkeit des Standes der Technik erreichen. Darüber hinaus haben sie das Potenzial, in Zukunft effizienter und bei höheren Temperaturen betrieben werden zu können”, erklärt Dr. Matthias Breitwieser, Chief Technology Officer von ionysis.

So konnten in den vergangenen sechs Monaten seit dem operativen Start wichtige Entwicklungen vorangetrieben werden: Einerseits wurde die MEA-Zusammensetzung verbessert, zum anderen hat es große Fortschritte bei der Herstellung im Pilotmaßstab gegeben: „Gemeinsam mit einem Partner haben wir einen neuen Prozess zur CCM-Herstellung (catalyst coated membrane; Anm. d. Red.) entwickelt, der es uns perspektivisch ermöglicht, mit den Hydrocarbon-Materialien leistungsfähige CCMs im skalierten Maßstab reproduzierbar herzustellen“, freut sich Dr. Florian Lombeck, Chief Scientist bei ionysis.

EU-Förderung und Industrieauftrag

Dass es großes Interesse an der Technologie von ionysis gibt, zeigte sich bereits in der Startphase: Anfang Februar 2023 wurde ionysis zusammen mit dem slowenischen Start-up ReCatalyst für das prestigeträchtige Förderprogramm EIC Transition des European Innovation Council ausgewählt. Der European Innovation Council ist Europas führendes Innovationsprogramm zur Ermittlung, Entwicklung und Verbreitung bahnbrechender Technologien und wegweisender Innovationen. EIC Transition finanziert Innovationstätigkeiten, die über den experimentellen Nachweis im Labor hinausgehen, um sowohl die Reifung und Validierung von neuartigen Technologien im Labor und in relevanten Anwendungsumgebungen als auch die Entwicklung des Geschäftsmodells für die zukünftige Vermarktung der Innovation zu unterstützen.

Das Projekt „Enabler“ mit einem Gesamtvolumen von 2,5 Mio. Euro kombiniert die innovativen Technologien der beiden Start-ups mit dem Ziel, Brennstoffzellen für Schwerlastanwendungen kostengünstiger und umweltfreundlicher zu machen und ihre Leistung zu verbessern. ReCatalyst hat eine eigene Technologie zur Herstellung neuartiger Elektrokatalysatoren auf der Grundlage von Platinlegierungen entwickelt, die eine höhere Leistung und Haltbarkeit der Katalysatoren ermöglichen. ionysis verwendet die Katalysatoren von ReCatalyst für ihre fluorfreien MEAs. Um die MEAs in der Praxis zu evaluieren, konnte der etablierte Brennstoffzellenstack-Entwickler EKPO Fuel Cell Technologies GmbH als assoziierter Projektpartner gewonnen werden.

Zudem konnte von ionysis ein erster Industrieauftrag im Bereich der MEA-Entwicklung im mittleren sechsstelligen Bereich gewonnen werden. Grundlage für den umfangreichen Entwicklungsauftrag war die Erfahrung des Teams im Bereich der Prototypenentwicklung. „Wir freuen uns wirklich, dass unsere Kompetenz in der agilen und schnellen Entwicklung neuartiger Zusammensetzungen für Membran-Elektroden-Einheiten der nächsten Generation von etablierten Akteuren im Markt bereits jetzt erkannt wird. Das stimmt uns optimistisch für die Zukunft unseres jungen Unternehmens“, freut sich Dr. Matthias Breitwieser.

Validierung, Skalierung und Marktreife

Für die kommenden eineinhalb Jahre hat ionysis einen klaren Entwicklungspfad: Die Validierung der Technologie im Brennstoffzellen-Stack, die Skalierung der CCM-Herstellung sowie der Aufbau von Partnerschaften mit Lieferanten und Kunden. Gleichzeit geht es darum, das Geschäftsmodell zu entwickeln und die Kommerzialisierung vorzubereiten, so dass fluorfreie MEAs so bald wie möglich einen tatsächlichen Impact haben und der Verwendung von PFAS in eigentlich „grünen“ Wasserstoffanwendungen zeitnah ein Ende gesetzt werden kann.

Hydrocarbon-Polymer-basierte MEAs für die PEM-Brennstoffzelle

Alternativen zu perfluorierten Ionomeren, wie dem in elektrochemischen Energieanwendungen bekannten NafionTM, werden bereits seit den 1990er-Jahren erforscht. Viele Jahre wurden Materialien wie zum Beispiel sulfonierte Polyetheretherketone (sPEEK) verwendet, die jedoch in Bezug auf Leistung und Haltbarkeit zu weit vom perfluorierten Stand der Technik entfernt waren. Erst in den letzten fünf Jahren gab es erstmals wesentliche Fortschritte bei der Entwicklung von echten Alternativen: Vor allem durch die systematische Eliminierung der chemischen Schwachpunkte in den Polymeren (z. B. wenig stabile chemische Bindungen im Rückgrat der Polymere) konnten endlich stabile und gut protonenleitfähige Materialien gefunden werden.

Inzwischen gibt es eine Reihe an veröffentlichten Hydrocarbon-Ionomeren und -Membranen, beispielsweise auf Basis von sulfonierten Polysulfonen und verschiedenen sulfonierten Polyphenylenen. Die neuen Materialien ermöglichten erstmals hervorragende Leistungen im Labor und befinden sich inzwischen bei einigen Polymerfirmen wie Ionomr Innovations aus Kanada in der Kommerzialisierung.

AutorInnen: Dr. Matthias Breitwieser, matthias.breitwieser@ionysis.com
Lisa Langer, lisa.langer@ionysis.com, beide ionysis GmbH, Freiburg

JCB erreicht H2-Meilenstein

JCB erreicht H2-Meilenstein

Der britische Land- und Baumaschinenhersteller JCB hat im März 2023 die Produktion seines fünfzigsten H2-Verbrennungsmotors bekanntgegeben. Dieser Meilenstein ist Ergebnis der Klimaschutzbemühungen des englischen Unternehmens. Die Motoren befinden sich derzeit noch im Vorserienstadium und werden aktuell für weitere Tests und Entwicklungen verwendet. So wurden einzelne Aggregate bislang in Prototypen eines Baggerladers und eines Teleskopladers demonstriert und in einen Lkw eingebaut. Dass jetzt der fünfzigste Motor fertiggestellt wurde, ist insofern bemerkenswert, als das Unternehmen erst im Jahr 2020 seinen Fokus von Batterien und Brennstoffzellen abgewandt hat.

J.C. Bamford Excavators Limited, auch bekannt als JCB, wurde 1945 von Joseph Cyril Bamford in Staffordshire, England, gegründet. Das Unternehmen befindet sich noch immer in Familienbesitz und wird vom derzeitigen Vorsitzenden Lord Anthony Bamford, dem Sohn des Gründers, geleitet. Das Unternehmen hat sich zu einem der weltweit größten Hersteller von Bau- und Landmaschinen entwickelt und verfügt über 22 Produktionsstätten auf vier Kontinenten.

Im Rahmen seiner Dekarbonisierungsbemühungen investiert JCB 100 Mio. GBP in die Wasserstofftechnologie. Allerdings hatte das Unternehmen ursprünglich gar nicht vor, einen H2-Verbrennungsmotor zu entwickeln. Zunächst lag der Schwerpunkt auf der Effizienzsteigerung des Dieselmotors, um den Kraftstoffverbrauch zu senken und die Vorschriften für Auspuffemissionen zu einzuhalten. Doch die Kunden von JCB wollten mehr.

Elektrifizierung ab 2018

Im Jahr 2018 brachte JCB sein erstes elektrisches Produkt auf den Markt, einen Minibagger, und reagierte damit auf die Nachfrage der Kunden nach einer emissionsfreien Maschine, die in Innenräumen und lärmempfindlichen Stadtgebieten eingesetzt werden kann. Die Technologie wurde auf 14 Modelle ausgeweitet. Tim Burnhope, Chief Innovation and Growth Officer bei JCB, drückt es gegenüber HZwei so aus: „Wir waren etwas naiv und dachten, wir könnten einfach alles mit Batterien ausstatten.“

Während kleine, kompakte Produkte im batterieelektrischen Format gut funktionierten, erfordere die Deckung des Leistungsbedarfs von mittelgroßen und schweren Maschinen bedeutend mehr Kapazität. Dies erhöhe das Gewicht und die Kosten der Maschine drastisch, wobei die Ladedauer die Arbeitszeit verringere. Die Schlussfolgerung: Batterien sind nicht skalierbar. JCB musste das Gewicht, die Kosten und die Ladezeit reduzieren.

Als Ersatz für Diesel wurden daraufhin andere Kraftstoffe in Betracht gezogen, nämlich Biomethan, E-Fuels, Ammoniak und mit Wasserstoff behandeltes Pflanzenöl (HVO). Allerdings hatte jeder Kraftstofftyp auch Nachteile, darunter hohe Kraftstoffkosten, Kohlenstoffgehalt, Toxizität, Geruch und Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung von Pflanzen als Kraftstoff und nicht als Nahrungsmittel.

Versuche mit Brennstoffzellen

Die Überlegungen drehten sich um Wasserstoff und – als einzige Technologie, die JCB zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung stand – um die Brennstoffzelle. Im Jahr 2019 kam der erste Prototyp eines Brennstoffzellenbaggers auf den Markt, dessen zweite Iteration – ausgestattet mit einer größeren Brennstoffzelle und besseren Batterien – im Jahr 2020 folgte (s. Abb. 1). Die Kosten für die Brennstoffzelle, den DCDC-Wandler und die Leistungsbatterien machten das Antriebssystem jedoch achtmal teurer als einen Dieselmotor.

Burnhope bringt die Schwierigkeiten der Brennstoffzellentechnologie auf den Punkt: „Sie ist zu kompliziert. Sie ist nicht robust genug für unsere Branche.“ Und Robustheit ist in rauen Arbeitsumgebungen wie Steinbrüchen oder Baustellen, wo die Geräte G-Kräften, Asphalt- und Farbdämpfen sowie Staub ausgesetzt sind, von entscheidender Bedeutung.

Ein weiteres Problem war die Verfügbarkeit von Brennstoffzellen. Die beiden Motorenwerke von JCB im Vereinigten Königreich und in Indien stellen jeweils bis zu 250 Motoren pro Tag her, so dass sich die Frage stellte, ob die Brennstoffzellenlieferanten die benötigten Mengen bewältigen würden.

Vorgabe des Vorstandsvorsitzenden

Obwohl JCB davon überzeugt war, dass Wasserstoff der gesuchte emissionsfreie Kraftstoff war, befand sich das Unternehmen in Bezug auf die Brennstoffzellentechnologie an einem Scheideweg. Im Juli 2020 präsentierte das Ingenieurteam seine Ergebnisse dem JCB-Vorsitzenden Lord Bamford, der daraufhin die ehrgeizige Herausforderung ausgab: Bis zu den Winterferien sollte ein Wasserstoffmotor entwickelt werden.

Am 7. Dezember 2020 hatte JCB dann einen mit Wasserstoff betriebenen Motor – den ersten H2-ICE (engl. internal combustion engine = Verbrennungsmotor) der Branche. Bei dessen Entwicklung wurde der Verbrennungsprozess von Grund auf neu konzipiert. 100 Ingenieure waren daran beteiligt, unterstützt von der Universität Aachen in Deutschland.

Vier Schlüsselbereiche wurden untersucht: Wasserstoffmischung, Luftkompression, Funkenzündung und Dampfmanagement. Eine der Herausforderungen beim Übergang von einem flüssigen zu einem gasförmigen Kraftstoff bestand darin, eine gleichmäßige Mischung von Wasserstoff und Luft zu erreichen. Mithilfe der numerischen Strömungsmechanik (CFD) wurde die Vermischung im Zylinder visualisiert. Dabei erkannte das Entwicklungsteam, dass der H2-Verbrennungsprozess in Bezug auf das Luft-Kraftstoff-Verhältnis sehr mager sein kann und nur wenig Wasserstoff benötigt.

Ein weiterer bemerkenswerter Unterschied ist der Druck: Die Dieseleinspritzung erfolgt bei 2.000 bar, während die Wasserstoffeinspritzung bei etwa 10 bar erfolgt. JCB entdeckte auch, dass Wasserstoff bei einer viel niedrigeren Temperatur als andere Kraftstoffe verbrannt werden kann, wobei die genaue Temperatur, die in seinem neuen H2-Verbrennungsmotor verwendet wird, von JCB streng geheim gehalten wird.

Das Ergebnis ist ein Vierzylindermotor mit Saugrohreinspritzung (s. Abb. 2). Er hat genau das gleiche Drehmoment, den gleichen Wirkungsgrad und die gleichen Leistungswerte wie sein Dieselpendant und ist so konzipiert, dass er in bestehenden Maschinen austauschbar ist. Die einzige Änderung an der Maschine selbst besteht darin, dass der Dieseltank durch Wasserstofftanks an der Seite ersetzt wird. Der H2-ICE kann zudem mit bereits verfügbaren Komponenten hergestellt werden. Ein weiterer Vorteil gegenüber Brennstoffzellen ist, dass die Maschine auf der Baustelle repariert werden kann.

H2-ICE von JCB sind bereits in Prototypen von Baggern und Teleskopladern (s. Abb. 1, li. u. re.), die sich von ihren Dieselpendants durch eine neue grün-weiße Lackierung anstelle des traditionellen JCB-Gelbs unterscheiden, im Einsatz. Der Wasserstoffmotor wurde auch in einen 7,5-Tonnen-Lkw von Mercedes eingebaut, um zu zeigen, dass dies möglich ist und dass die Technologie in einem Lastwagen funktioniert.

Was die künftige Produktion betrifft, so konnte Ryan Ballard, Engineering Director for Powertrain bei JCB, bislang keine konkreten Ziele benennen, sagte aber: „Wir sind ehrgeizig.“ Die H2-Testmotoren wurden auf denselben Produktionslinien gebaut wie die Dieselmotoren. Daher sei es möglich, bis zu 250 Wasserstoffmotoren pro Tag zu bauen, aber die Nachfrage sei noch nicht da, hieß es gegenüber H2-international.

Wasserstoff auf dem Vormarsch

Eine Besonderheit in der Bau- und Landwirtschaftsbranche ist bislang die Lieferung von Diesel direkt an die Baustelle mit einem mobilen Tankwagen. JCB hat daher kürzlich eine eigene Wasserstofftankanlage entwickelt (s. Abb. 1, Mitte). Der Tankwagen fasst 100 Kilogramm bei 500 bar. Dies reicht aus, um 16 H2-Bagger zu betanken, in denen der Wasserstoff bei 350 bar gespeichert ist, wobei 1 kg Wasserstoff etwa 3 kg Diesel entspricht. Die Betankungsanlage kann entweder auf der Rückseite einer modifizierten Fastrac-Zugmaschine oder auf einem Anhänger transportiert werden. Die Zapfpistole wird von der Firma WEH geliefert, und die Betankungszeit beträgt nur wenige Minuten.

Was die Bereitstellung des Wasserstoffs betrifft, so wird das JCB-Testgelände von Ryze Hydrogen beliefert, das die Anlieferungen per Tube-Trailer durchführt. Bei einem Besuch der HZwei-Redaktion vor Ort war der verwendete Wasserstoff ein Nebenprodukt eines Chlorherstellungsprozesses, bei dem Salzwasser durch Elektrolyse gespalten wird. Nach Angaben von JCB ist es jedoch das Ziel, zu grünem Wasserstoff überzugehen.

Auf die Frage nach dem Importvertrag, den JCB und Ryze Hydrogen mit dem australischen Unternehmen Fortescue Future Industries (FFI) für 2021 abgeschlossen haben, erklärte Ballard, dass diese Entscheidung auf die Nervosität des Marktes hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Wasserstoffversorgung zurückzuführen sei. Die Einfuhr von Wasserstoff aus Australien werde wahrscheinlich in Form von Ammoniak erfolgen, das wieder in Wasserstoff gespalten werde.

Mit Blick auf die Zukunft bleibt JCB „optimistisch“, was die künftigen Vorschriften für emissionsfreie Fahrzeuge angeht, und verfolgt aufmerksam die Änderungen der Vorschriften für Pkw und insbesondere für Lkw. Die Entwicklungen bei den Lkw-Vorschriften können nach Ansicht von JCB einen Hinweis darauf geben, was später auf Bau- und Landmaschinen zukommen kann.

Familienwerte

Das Interesse an Wasserstoff ist bei JCB eine Familienangelegenheit. Der Sohn des JCB-Vorsitzenden, Jo Bamford, ist Eigentümer des nordirischen Unternehmens Wrightbus, das seit 2016 Brennstoffzellenbusse herstellt. Er ist auch der Gründer von Ryze Hydrogen, das Wasserstofftransport, -vertrieb und -infrastrukturleistungen in Großbritannien anbietet.

Autorin: Nicola Bottrell Hayward

H2GO – Lastenmobilität im Wasserstoffzeitalter

H2GO – Lastenmobilität im Wasserstoffzeitalter

Steigende Verkehrsleistungen im Straßengüterverkehr haben einen kontinuierlichen Anstieg der CO2-Emissionen in diesem Segment zur Folge, trotz Fortschritten bei Verbrauch und Abgastechnik. Alternativen zu fossilen Energieträgern werden daher besonders im Schwerlastverkehr dringend benötigt. Gemeinsam mit 18 weiteren Fraunhofer-Instituten arbeitet das Fraunhofer IWU mit Hochdruck daran, die Voraussetzungen für eine effiziente Großserienfertigung von Brennstoffzellen zu schaffen, die an Bord eines Nutzfahrzeugs Wasserstoff in Strom umwandeln. Im Rahmen von H2GO werden technologische Lösungen entwickelt, die einen zügigen Hochlauf der Brennstoffzellenproduktion ermöglichen. Der Aktionsplan ist darauf ausgerichtet, Industrie und Forschung zu einem starken Ökosystem für eine wirtschaftliche und nachhaltige Brennstoffzellenproduktion zu verbinden. H2GO wird nicht nur die industrielle Massenproduktion der Komponenten mit durchgängigen Rolle-zu-Rolle-Verfahren entwickeln. Er wird auch konsequent den Kreislaufgedanken aufgreifen. Ein Teilprojekt widmet sich der automatisierten Montage und Demontage von Brennstoffzellen, damit Material und Bauteile für ein zweites Produktleben wiedergewonnen werden können.

Brennstoffzellenelektrische Fahrzeuge (FCEVs, fuel cell electric vehicles) haben das Potenzial, künftig eine tragende Rolle im CO2-neutralen Fernverkehr zu übernehmen: In technologischer Hinsicht bietet die Brennstoffzelle im Vergleich zu den heutigen fossilen Antriebstechnologien ähnliche Volumen- und Gewichtszuladungen bei vergleichbaren Reichweiten und Tankzeiten. Damit bleibt Speditionen die heute gewohnte Flexibilität im Lkw-Einsatz erhalten. Gegenüber anderen emissionsfreien Antrieben sind FCEVs gerade im Schwerlastverkehr betriebs- wie volkswirtschaftlich und auch ökologisch wettbewerbsfähig – einen erfolgreichen Markthochlauf vorausgesetzt, der für Wasserstoff Kostenparität zu fossilen Energieträgern schafft.

Für den Produktionsstandort Deutschland kann Wasserstoff zusätzliche Wertschöpfung und damit ein umfangreiches, nachhaltiges und zukunftsfähiges Geschäftsfeld generieren. H2GO wird dazu beitragen, der deutschen Wirtschaft bedeutende Anteile am sich hochdynamisch entwickelnden globalen Brennstoffzellenmarkt zu sichern. Eine zügig aufgebaute BZ-Industrie kann so zu einem zentralen Kompetenzfeld deutscher Unternehmen werden. Zusätzlicher Klimaschutz im Mobilitätssektor eröffnet also auch industriepolitisch einmalige Chancen.

Somit gilt es, Fertigungstechnologien und -prozesse für eine effiziente, kostengünstige und hochrentable industrielle Serienfertigung zu ertüchtigen. H2GO wird dazu über produktionstechnische Forschung, Entwicklung und Vorbereitung der industriellen Umsetzung die Voraussetzungen schaffen. Der Aktionsplan richtet sich nicht zuletzt an kleine und mittelständische Unternehmen, die die gesamte Wertschöpfungskette der Brennstoffzellenproduktion abbilden und bis hin zur Anwendung in der Lastenmobilität schließen.

Forschungsverbund aus 19 Instituten

Das organisatorische Fundament von H2GO bilden 19 Fraunhofer-Institute in insgesamt neun Bundesländern, die mit ihren Forschungskompetenzen und -infrastrukturen sowie lokalen Netzwerken neue Fertigungslösungen in regionalen Technologiehubs entwickeln. Als dezentraler Produktionsforschungsverbund erlaubt der Nationale Aktionsplan die dynamische Einbindung weiterer Initiativen und setzt auf bestehenden Infrastrukturen auf. So werden ineffiziente Doppelstrukturen vermieden, und die Mittel können gezielt zur Entwicklung innovativer Technologien und vorwettbewerblicher Produktionskonzepte für eine hochratenfähige Brennstoffzellenproduktion eingesetzt werden.

Das Entwicklungsziel sind Konzepte, die weit über die derzeit verfügbaren Lösungen hinausgehen. Diese Konzepte entstehen in Technologiehubs, die inhaltlich verschiedene Forschungsschwerpunkte verfolgen und zu vier Technologieverbünden zusammengefasst werden: R2MEA, R2HP, HP2BPP und ST2P. Diese bilden die wesentlichen Bestandteile der Wertschöpfungskette bei der Herstellung der wesentlichen BZ-Komponenten, Protonenaustausch-Membran (MEA) und Bipolarplatten (BPP), ab und beschäftigen sich zudem mit dem Recycling von Stacks (ST2P).

Das technologische Rückgrat des Aktionsplans ist die virtuelle Referenzarchitektur für Brennstoffzellenproduktion, die aus den digitalen Abbildern der Produktionsmodule in den Technologieverbünden entsteht. Mit diesem virtuellen Baukasten lassen sich anwendungs- und typspezifische Fertigungsszenarien für Einzelkomponenten und Gesamtsysteme im industriellen Maßstab planen, realisieren und flexibel anpassen.

Rolle zu MEA

Der Verbund R2MEA entwickelt eine kontinuierliche (Rolle-zu-Rolle, R2R) Anlagentechnologie für die MEA-Herstellung. Der Schwerpunkt liegt dabei auf verschiedenen Verfahren zur Beschichtung und nachfolgenden Prozessen, die für eine industrielle Massenfertigung optimiert werden.

Rolle zu Halbplatte

Der Verbund R2HP entwickelt stückzahlskalierbare Umformtechnologien. Dabei kommen unterschiedliche Halbzeuge bzw. Ausgangswerkstoffe zum Einsatz, aus denen mit zwei hochratenfähigen Umformverfahren Halbplatten in drei verschiedenen Prozessrouten gefertigt werden. Die dafür eingesetzten Produktionstechnologien werden für die Brennstoffzellenfertigung neu geschaffen und hinsichtlich Qualität und Ausbringungsmenge optimiert. R2HP wird auch Herausforderungen bei Werkzeugbau und Handling lösen.

Halbplatte zu Bipolarplatte

Der Verbund HP2BPP baut auf den Produktionsmodulen des R2HP auf und nutzt dessen Halbplatten. Das Ziel besteht darin, aus diesen Halbplatten kontinuierlich hochfunktionale Bipolarplatten herzustellen. Dazu werden spezifische Technologien für die dem Umformprozess (R2HP) vor- bzw. nachgelagerten Fertigungsschritte entwickelt. Der Fokus liegt dabei neben Qualitätsaspekten vorrangig auf höheren Geschwindigkeiten bei den Verfahrensschritten Fügen, Funktionalisieren, Beschichten und Separieren sowie auf einer Prozesskettenverkürzung.

Stack zu Piece

H2GO folgt konsequent dem Gedenken geschlossener Stoffkreisläufe. Gemeinsam mit drei weiteren Fraunhofer-Instituten stellt sich das Fraunhofer IWU bereits jetzt der Frage, wie die Produktion das Produktdesign der Brennstoffzellen beeinflussen muss, damit die eingesetzten Materialien demontiert, wiederverwertet oder am besten sogar wiederverwendet werden können. Der Verbund ST2P untersucht passend dazu, welche Maschinen, Anlagen und Prozesse benötigt werden, um Brennstoffzellensysteme automatisiert montieren sowie am Ende ihres Produktlebens zerstörungsfrei wieder demontieren zu können.

Der Nationale Aktionsplan entwickelt nun passgenaue stückzahlskalierbare Produktionslösungen und Prozessketten für die wirtschaftliche Fertigung von Brennstoffzellen in den Anwendungsbereichen Heavy, Medium und Light Duty (s. Abb. 2).

Abb. 2: Die H2GO-Raodmap – maßgeschneiderte Brennstoffzellen je Nutzfahrzeugklasse

Von Heavy bis Light Duty

Bei den Heavy-Duty-Fahrzeugen (> 11,8 t Gesamtgewicht) liegt der Fokus auf der technologischen Entwicklung von industriellen Produktionsverfahren, die die Ausbringungsmengen deutlich steigern, jedoch auch die Anforderungen an die BZ-Lebensdauer, resultierend aus einer hohen jährlichen Fahrleistung, besonders berücksichtigen. Deswegen werden in dieser Prozesskette Kunststoff-Compounds verwendet und vorgeformt. Das Einbringen der Flussfelder erfolgt danach durch Walzen (R2HP).

Weitere Prozessschritte sind laserbasierte Schneid- und Fügeprozesse sowie schließlich ein spezielles Prüfverfahren, das die Herstellung der BPP abschließt (HP2BPP). Kombiniert wird diese mit einer MEA, die durch eine Decal-Beschichtung mit Siebdruck oder Schlitzdüse hergestellt wurde (R2MEA).

Im Anwendungsbereich der Medium Duties (Gesamtgewicht zwischen 4,5 t bis 11,8 t) liegt der Fokus auf dem Einsatz des umformenden Prägens zur Herstellung von metallischen Halbplatten (R2HP). Die Fertigungsgeschwindigkeiten sollen gesteigert und die Prozessketten verkürzt werden, beispielsweise durch ein gemeinsames Werkzeug für das Prägen und Feinschneiden (HP2BPP). So sollen durch diese technologischen Entwicklungen die Ausbringungsmengen erhöht und an den steigenden Marktbedarf angepasst werden. Damit lassen sich erste Skaleneffekte zur Kostensenkung erzielen.

Um jedoch die komplette Bandbreite der Skaleneffekte auszunutzen und somit eine Kostenparität zu den fossilen Antrieben tatsächlich zu realisieren, bedarf es einer höchstratenfähigen industriellen Massenfertigung. Diese macht das Marktvolumen des Anwendungsbereiches der Light Duties (< 4,5 t Gesamtgewicht) erforderlich. Mit dem kontinuierlichen Walzen lassen sich die benötigten höchstratenfähigen Ausbringungsmengen von bis zu 100 Halbplatten pro Minute erzielen (R2HP).

Jedoch erfordert dies eine Synchronisation mit den nachfolgenden Füge- und Beschichtungsprozessen (HP2BPP). Zudem werden zur Stabilisierung des metallischen Systems vorbeschichtete Halbzeuge verwendet, die die Steigerung der Lebensdauer der BPP begünstigen. Interagieren werden diese mit MEAs, die durch eine besonders innovative und höchstratenfähige Methode hergestellt werden. Dabei wird die Membran direkt durch Inkjet-Verfahren beschichtet (R2MEA).

Referenzfabrik.H2

Mit den stückzahlskalierbaren Produktionslösungen und Prozessketten wird nicht nur der Markthochlauf der BZ-Technologie in unterschiedlichen Anwendungsszenarien der Lastenmobilität intensiviert, sondern auch eine breite Beteiligung verschiedener Industriezweige, insbesondere des Maschinen- und Anlagenbaus, in diesem neuen Geschäftsfeld forciert. Ein Tor für diese Unternehmen zu H2GO ist die vom Fraunhofer IWU koordinierte Referenzfabrik.H2.

Als produktionstechnischer Technologiebaukasten mit realen sowie virtuellen Maschinen und Anlagen, die zur Herstellung von Wasserstoffsystemen notwendig sind, unterstützt sie Unternehmen schneller und zielgerichteter. So lässt sich mit deutlich reduziertem Risiko in die Wasserstoffsystemfertigung einsteigen. Unternehmen können sich in der Referenzfabrik.H2 entwickeln, technologisch wachsen und Schritt für Schritt als Teil der Wertschöpfungsgemeinschaft eigene Produkte und Services anbieten. Dank flexibler Produktionsmodule für eine skalierbare, industrielle Fertigung von Wasserstoffsystemen wird die Wertschöpfungsgemeinschaft den Sprung von heute noch wenigen Stückzahlen hin zur industriellen Massenherstellung in den 2030iger Jahren schaffen.

Autorin: Dr. Ulrike Beyer, Leitern der Referenzfabrik am Fraunhofer IWU, Chemnitz, ulrike.beyer@iwu.fraunhofer.de

Auf dem Weg zu einer regionalen H2-Wirtschaft

Auf dem Weg zu einer regionalen H2-Wirtschaft

Der Landkreis Kulmbach wurde im Rahmen des vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) ausgerufenen Förderprogramms HyLand als HyStarter-Region ausgezeichnet. Seit Frühjahr 2022 wird in diesem Kontext intensiv am Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft gearbeitet. Dafür wurde ein Akteurskreis mit Vertreter:innen lokaler Unternehmen, Organisationen, Verbände sowie der Wissenschaft zusammengestellt. In insgesamt sechs Dialogformaten fanden externe Fachvorträge statt, es wurden bereits bestehende Aktivitäten vernetzt und sich darüber ausgetauscht, neue Projektideen gemeinsam entwickelt sowie eine übergreifende Strategie für die Region entworfen. Der Abschluss des HyStarter-Programms, das Mitte des Jahres 2023 mit der Veröffentlichung eines eigenen Regionenkonzeptes ausläuft, wird dabei nicht als Ende, sondern als eigentlicher Startschuss für die Aktivierung der Wasserstoffwirtschaft im Landkreis verstanden. Mit der Vernetzung der Akteure vor Ort und der Diskussion der vielzähligen Anwendungs- und Erzeugungspotenziale von Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien wurden die Grundsteine für die Projektideen gelegt, die es nun in die Umsetzung zu bringen gilt.

Der ländlich geprägte Landkreis Kulmbach liegt im Herzen Oberfrankens im nördlichen Bayern. Die gleichnamige Kreisstadt ist bekannt für ihre Biere und imposanten Burgen. In der Nachbarschaft sind mit dem Wunsiedel-Projekt, der Universität Bayreuth sowie der HyExpert-Region Neustadt an der Waldnaab bereits spannende H2-Aktivitäten zu verzeichnen. Ausschlaggebend für die frühzeitige Positionierung als H2-Region war die Erkenntnis, dass der Landkreis als eine der letzten Gegenden im Entwicklungsplan des deutschen H2-Backbone-Fernleitungsnetzes Anschluss erhält.

Damit daraus keine Standortnachteile entstehen, sollen die Grundlagen einer Wasserstoffinfrastruktur selbst geschaffen werden. Gute Ausgangsvoraussetzungen sind dafür gegeben: Handwerksbetriebe, Dienstleister und Hersteller innovativer Komponenten und Systeme im Bereich der Energietechnik sind im Landkreis heimisch. Und nach einem Jahr der intensiven Zusammenarbeit ist der Grundstein für den Aufbau der regionalen Wasserstoffwirtschaft gelegt.

Starkes Netzwerk, großer Umsetzungswille

Motiviert durch den Willen der regionalen Wirtschaft, Innovationen umzusetzen und die Zukunft aktiv zu gestalten, kann der Landkreis Kulmbach auf eine gut vernetzte Unternehmerlandschaft blicken. Viele Betriebe existieren seit mehreren Generationen. Die Universität Bayreuth gründete am Außencampus Kulmbach im Herbst 2022 ihre neue Fakultät für Lebenswissenschaften. Für die geplante Standorterweiterung ist die Idee eines Klimacampus entstanden, bei der auch Wasserstoff eine tragende Rolle einnehmen könnte. Die Planungen hierfür befinden sich noch im Anfangsstadium. Nichtsdestotrotz hätte ein Klimacampus Strahlkraft über den Landkreis hinaus. Die Begegnung mit gelungenen Praxisbeispielen sowie der Austausch der jungen Studierenden dazu können nur akzeptanzstiftend wirken und weitere innovative Vorhaben nach sich ziehen.

Die (Aus-)Bildung und Qualifizierung von Fachkräften hat im Landkreis Kulmbach ohnehin einen hohen Stellenwert. In der Berufsschule in Kulmbach werden Fachkräfte u. a. in den Bereichen Versorgungs- und Kältetechnik mit einem Schwerpunkt auf Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik ausgebildet. Das Handwerk ist der Umsetzer der Energiewende. Veränderte Kompetenzanforderungen, die mit dem verstärkten Einsatz von Zukunftstechnologien einhergehen, sollen in einer langfristigen Anpassung der Lehrpläne Berücksichtigung finden. Kurzfristig sind Vortragsreihen mit einem starken Praxisbezug angedacht, um für das Thema zu sensibilisieren und Skepsis gegenüber der Technologie abzubauen.

Unter dem Schlagwort Praxisbezug lassen sich die Ansätze aus der ansässigen Verkehrsakademie zusammenfassen. Die Fahrschule und Berufskraftfahrer-Ausbildungsstätte möchte einen Brennstoffzellen-Lkw anschaffen, an dem die Anwendung sowie Instandhaltung und Reparatur derartiger Fahrzeuge demonstriert wird, damit Berufskraftfahrer:innen in dieser Technologie aus- und fortgebildet werden können.

Gute Ideen, interessante Anwendungen

Ohnehin hat der Landkreis einen starken Schwerpunkt auf Wasserstoffmobilität gelegt. Viele der Unternehmen im HyStarter-Netzwerk zeigen sich gegenüber der Technologie sehr offen und sind perspektivisch bereit, ihre Fahrzeugflotten anzupassen bzw. den Energieträger Wasserstoff bei der Umstellung ihres Fuhrparks zu berücksichtigen. Es gibt zudem ein Interesse am Einsatz von Wasserstoff in schweren Baumaschinen.

Eine Besonderheit hierbei bilden die Steinwerke, wo Bagger und schwere Sonderfahrzeuge im Einsatz sind. Sie eignen sich aufgrund der hohen energetischen Dauerbelastung besonders für die Nutzung von Wasserstoff, gleichzeitig gibt es derzeit aber noch keine serienreifen Modelle. Herausfordernd ist in dem Zusammenhang zudem, dass eine eigene Tankinfrastruktur nötig wäre, da die Fahrzeuge teilweise keine übliche Straßenzulassung besitzen und die Standorte der Steinbrüche naturgegeben abseits der Städte liegen. Mobile Tankstellen an den jeweiligen Standorten könnten für eine Übergangszeit eine Lösungsoption darstellen.

Aufbau einer eigenen H2-Station

Als Nukleus der H2-Mobilitätsoffensive wird der Aufbau einer Tankinfrastruktur für Lkw und Pkw gesehen. Das Netzwerk hat sich frühzeitig auf die Notwendigkeit einer H2-Station in zentraler Lage verständigt. Zunächst bildete sich eine Arbeitsgruppe aus engagierten Unternehmern sowie dem Klimaschutzmanagement des Landkreises Kulmbach. Nachdem ein Standort auf einem privaten, aber zukünftig für alle zugänglichen Betriebshof gefunden war, wurde bereits die erste Skizze zur Förderung verfasst. Im zweiten Anlauf wurde die finanzielle Unterstützung dann durch den Freistaat Bayern bewilligt.

Dass das regionale Interesse an der Nutzung der Tankstelle hoch ist, spiegelte sich in besonderem Maße in den zahlreichen Absichtserklärungen zur Anschaffung von Brennstoffzellenfahrzeugen wider, die im Rahmen der Antragstellung eingesammelt wurden. Während die Planungen für die Tankstelle bereits in vollem Gang sind, werden die Potenziale für die zusätzliche Erzeugung von grünem Wasserstoff in der Region geprüft, um sich perspektivisch bei der Versorgung der Tankstelle von Importen aus anderen Regionen unabhängig zu machen. Das Vorhaben der bayerischen Landesregierung, den Aufbau von Elektrolysekapazitäten mit entsprechenden Förderprogrammen flächendeckend zu unterstützen, verspricht aus Sicht der HyStarter-Akteure eine gute Unterstützung.

Reges öffentliches Interesse

Das in Kulmbach außergewöhnlich hohe Engagement, gepaart mit einem starken Willen zur Umsetzung, wurde im Spätsommer 2022 auch für die breite Öffentlichkeit sichtbar: Aus einer Informationsveranstaltung, auf der die Zwischenergebnisse des HyStarter-Projektes präsentiert werden sollten, wurde eine zweitätige Messe, bei der zahlreiche Aussteller aus Industrie und Forschung mit Exponaten dem interessierten (Fach-)Publikum Fragen rund um Fahrzeuge, Erzeugungstechnologien und allerlei Anwendungen beantworten konnten.

Grußworte des Bundesverkehrsministers Volker Wissing und des bayerischen Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger unterstrichen sowohl die Relevanz des Themas als auch die Unterstützung von Seiten der Politik. Das überregionale durchweg positive Meinungsbild war Anlass genug, eine jährliche Fortschreibung der Veranstaltung festzumachen. Im September 2023 wird in der Raumhalle Kulmbach die nächste H2-Roadshow stattfinden.

Neben den Themen Bildung und Qualifizierung sowie Mobilität hat sich ein weiterer Baustein im Bereich der Gebäudeenergie- und Wärmeversorgung aufgetan. Ausgehend von der Tatsache, dass in zum Landkreis gehörenden Gemeinden Siedlungen oder Dörfer nicht an ein Wärmenetz angeschlossen sind und die Häuser entsprechend mit Öl und Flüssiggas beheizt werden, ist die Idee eines lokalen Nahwärmenetzes geboren. Wasserstoff könnte dafür nach den derzeitigen Überlegungen vor allem in den sonnenarmen Wintermonaten Einzug in die Energieversorgung halten.

Entscheidend für den Erfolg ist neben der Technologie aber vor allem die Akzeptanz innerhalb der lokalen Bevölkerung. Erste Beteiligungsformate wurden deswegen schon durchgeführt. Bei Erfolg des Projekts soll es als Blaupause für andere Gemeinden dienen.

Große politische Unterstützung

Der Landkreis Kulmbach zeichnet sich nicht nur durch eine umsetzungsgetriebene Wirtschaft aus, sondern kann zudem auf eine sehr praxisnahe und unterstützende Verwaltungsstruktur blicken, was insbesondere am Engagement des Klimaschutzmanagements und der Rückendeckung durch den Landrat im Rahmen von HyStarter sichtbar wurde. Bei der Planung der H2-Tankstelle findet eine enge Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und privaten Akteuren statt, und es gibt eine fraktionsübergreifende Aufgeschlossenheit gegenüber H2– und BZ-Technologie in der Kommunalpolitik. Außerdem gab es starke Rückendeckung für die Wasserstoffprojekte aus der Landespolitik: Der bayerische Wirtschaftsminister hat sowohl für die Errichtung der Tankstelle als auch für die H2-Roadshow die Schirmherrschaft übernommen.

Die unterstützenden Worte aus der Politik allein sind in der Regel (noch) nicht ausreichend und lassen Förderprogrammen auf Bundes- und Landesebene eine hohe Bedeutung zukommen. HyStarter hat es geschafft, den nötigen Rahmen für den erforderlichen Austausch untereinander bzw. zur Pflege des Netzwerks zu schaffen. Durch die Organisation und Durchführung der Dialogformate mit interaktiven Workshops, gezielten Fachinputs zu verschiedensten Wasserstoffthemen, angefangen bei technologischen Grundlagen über Praxisbeispiele hin zu Rechtsberatung, wurde der fruchtbare Nährboden geschaffen, der die raschen Entwicklungserfolge ermöglichte und von dem Landratsamt allein finanziell und personell nicht zu stemmen gewesen wäre.

Auch die Errichtung der Tankstelle ist ohne die Förderhilfe durch das Land Bayern zum derzeitigen Zeitpunkt nicht denkbar. Es braucht also nach wie vor kommunale Unterstützung zur Aktivierung regionaler Wasserstoffmärkte.

Am Beispiel der HyStarter-Region Kulmbach werden die Besonderheiten von Wasserstoff als Schlüssel der Energietransformation ersichtlich. Das Thema berührt viele Sektoren, Branchen und damit auch Akteure gleichermaßen, die bisher selten bis gar nicht an einem Tisch zusammenkommen. Es zahlt sich aus, diese Diversität in einen aktiven Akteurskreis mit Leuten aus Wirtschaft, Wissenschaft sowie Politik und Verwaltung zusammenzubringen, um gemeinsam eine langfristige Vision zu erarbeiten. Letztendlich sind es umsetzungswillige und engagierte Akteure, die mit Rückendeckung aus Politik und Verwaltung in die Umsetzung der Energiewende investieren und diese in die Praxis überführen.

Autoren: Patrick Steiger, patrick.steiger@nuts.one
Nils Werner, nils.werner@nuts.one
beide Nuts One GmbH, Berlin

Methan ohne Wasserstoff

Methan ohne Wasserstoff

Synthetische Energieträger wie künstlich hergestelltes Methan können Ökoenergie transportierbar und langfristig speicherbar machen. Das Problem: Die Herstellung ist mit relativ hohen Energieverlusten verbunden. Bisherige Verfahren benötigen zudem eine zusätzliche Aufreinigung des Methans. Forschende der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) wollen das ändern. Sie haben nun ein neues Konzept für die Methanisierung entwickelt.

Künstlich erzeugtes Methan zählt zur Kategorie synthetischer Gase – und es bietet ein enormes Potential, wenn es aus atmosphärischem CO2 und erneuerbar erzeugtem Wasserstoff hergestellt wird. Die Methanisierung stellt jedoch einige Herausforderungen dar: Die katalytische Umwandlung von Wasserstoff und CO2 zu Methan führt zu einem Produkt, das noch Wasserstoff und gegebenenfalls auch CO2 enthält. Das verhindert eine direkte Einspeisung ins Gasnetz.

Direkte Einspeisung ins Erdgasnetz

Schweizer EMPA-Forschende um Florian Kiefer haben deshalb ein neues Reaktorkonzept entwickelt. Das wasserstofffreie Methan wird durch eine sogenannte sorptionsverstärkte Methanisierung erzeugt. Die Idee dahinter: Das bei der Reaktion entstehende Wasser wird während des Prozesses auf einem porösen Katalysatorträger fortlaufend adsorbiert. Dieser kontinuierliche Wasserentzug führt dazu, dass als Produkt nur Methan anfällt. Damit entfällt die Aufreinigung des Produktegemisches. Das Katalysatorträgermaterial wird nach Ende der Reaktion mittels Druckabsenkung wieder getrocknet und steht für den nächsten Reaktionszyklus bereit.

Bereits seit drei Jahren forscht das Team an einem neuen Reaktorkonzept mit sogenannten Zeolith-Pellets. Diese dienen als poröser Katalysatorträger und adsorbieren gleichzeitig das während der Methanisierungsreaktion entstehende Wasser. „Wir erreichen eine relativ hohe Reinheit des Produktes durch den Effekt der sorptionsverstärkten Katalyse“, so Florian Kiefer, der Projektverantwortliche für die Methanisierung. „Das bedeutet, wir verschieben das Reaktionsgleichgewicht der Sabatier-Reaktion durch eine kontinuierliche Entnahme eines Teils der Produkte.“

In diesem Fall wird das Wasser entzogen. So entsteht nahezu reines Methan oder eben CH4. „Die Entnahme des Wassers findet im Reaktor kontinuierlich durch Adsorption auf dem Katalysatorträger statt“, beschreibt Kiefer. Um dies zu erreichen, muss der Katalysatorträger eine hohe Wasseraufnahmekapazität haben.

Was machen Zeolith-Pellets?

Mit dem verwendeten Zeolith kreieren die Wissenschaftler am EMPA genau diese Eigenschaft der Speicherung. Zeolithe verfügen über eine hohe Wasseraufnahme, selbst unter den Bedingungen, unter denen die Reaktion stattfindet. Doch was ist das für ein Material? „Zeolithe sind kristalline mikroporöse Alumosilikate mit großer innerer Oberfläche“, beschreibt der Wissenschaftler, „und daher kommt die hohe Wasseraufnahmekapazität.”

Das Adsorbieren des Wassers ist unter anderem für die Einspeisung ins Gasnetz, die Verflüssigung zu LNG oder auch zur Nutzung in CNG-Fahrzeugen wichtig. Je nach Anwendung werden unterschiedliche maximale CO2– und H2-Anteile vorgeschrieben, die man mit möglichst geringem energetischem Aufwand zuverlässig erreichen möchte. Darüber hinaus ist eine möglichst vollständige Umwandlung der Ausgangsstoffe H2 und CO2 wichtig für die Gesamteffizienz des Prozesses. „Alternativ wäre natürlich eine Abtrennung und Rückführung von Wasserstoff und CO2 möglich, was allerdings mit energetischem und technischem Aufwand verbunden ist“, erklärt Kiefer.

Einer der entscheidenden Vorteile des neuen Reaktorkonzepts ist der hohe Methananteil im Produktgas, der ohne Gasrückführung auskommt. Zudem kann der Prozess sowohl bei niedriger Teillast als auch bei schwankender Zufuhr von CO2 und H2 stabil betrieben werden. Diese Lastflexibilität ist insbesondere für die Kopplung mit erneuerbaren Energien wichtig.

Elektrolyseur toleriert keine Unreinheiten

Das Wasser muss zur Elektrolyse im PEM-Elektrolyseur aufbereitet werden (z. B. durch Umkehrosmose), denn der Elektrolyseur toleriert keine Unreinheiten, da diese die Membranen schädigen würden. Für die Bereitstellung des Wasserstoffs für die Methansynthese könne allerdings auch eine andere Elektrolysetechnologie verwendet werden, berichtet Kiefer. Um 1.000 kg Wasserstoff zu erzeugen, benötigt man rein rechnerisch 8.936 kg Wasser. Wird aus dem Wasserstoff Methan erzeugt, kann theoretisch die Hälfte des Wassers wieder zurückgeführt werden.

Synfuels lassen sich in herkömmlichen Benzin-, Diesel- oder Gasfahrzeugen nutzen. Ein Nachteil sind allerdings die hohen Umwandlungsverluste. Bei der Herstellung der Synfuels aus erneuerbarem Strom geht derzeit rund die Hälfte der Primärenergie verloren. Diese Verluste können laut Angaben des EMPA in Zukunft voraussichtlich auf 40 bis 45 Prozent gesenkt werden. Der synthetische Kraftstoff ist deshalb nur dort sinnvoll, wo eine direkte Elektrifizierung nicht möglich ist. Mögliche Einsatzbereiche wären der Lastverkehr, Frachtschiffe und Flugzeuge.

Bei allen Verlusten haben Synfuels aber auch einen Vorteil: Sie lassen sich einfach über weite Strecken transportieren. Und so könnten auch weit entfernte Erneuerbare-Energie-Ressourcen, z. B. in Wüstengebieten, erschlossen werden. Die synthetischen Energieträger können dann auch über längere Zeiträume verlustfrei gespeichert werden. Sie stellen damit einen interessanten Puffer für ein regeneratives Energiesystem dar – das schon in weniger als drei Jahrzehnten komplett oder fast komplett erneuerbar sein soll.

Vom Labor zur Industrieanlage

Noch spielt sich all dies im Labor ab. Im Fokus des neuen Verfahrens stand aber von Anfang an die Skalierung. Die Forschenden haben also ein Konzept gesucht, das auch in Großanlagen umsetzbar ist. Finanziell unterstützt wurde das Projekt unter anderem durch den Kanton Zürich, Avenergy Suisse, Migros sowie Lidl Schweiz, Armasuisse und Swisspower. Zudem hat die EMPA mit verschiedenen Industriepartnern zusammengearbeitet.

Entscheidend für die Reaktorauslegung und Prozessplanung ist dabei vor allem die Regenerationszeit, also die für die Trocknung des Reaktors benötigte Zeit. Um eine kontinuierliche Methanproduktion zu gewährleisten, müssen deshalb mindestens zwei Reaktoren abwechselnd arbeiten. Für die Trocknung der Reaktoren ist zudem ein geeignetes Wärmemanagement zentral, entweder durch die Ableitung der Wärme aus dem Reaktor oder durch die interne Speicherung von Wärme im Katalysatorbett. In diesem Bereich hat Kiefers Team ein Patent angemeldet. Details dazu will oder kann er jedoch noch nicht verraten.

„Für die Wasserstofferzeugung benötigt man neben erneuerbarer Elektrizität aber auch viel Wasser“, weiß Kollege Christian Bach, Leiter der Abteilung für Fahrzeugantriebssysteme. In einem Mobilitätsdemonstrator soll deshalb neben dem CO2 auch das Wasser für die Wasserstoffherstellung mithilfe eines CO2-Kollektors des Spin-offs Climeworks der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) direkt vor Ort aus der Atmosphäre gewonnen werden. Solche Konzepte wären dann künftig auch in Wüstenregionen ohne flüssige Wasservorräte umzusetzen. Das Schweizer Start-up Climeworks betreibt mit Orca in Island bereits eine Anlage mit einer jährlichen Abscheidekapazität von 4.000 Tonnen CO2 aus der Luft (s. Kasten).

Climeworks will CO2 aus der Luft holen

Diese neudeutsch bezeichnete CO2-Direct-Air-Capture-Anlage basiert auf dem Prinzip der selektiven Adsorption von CO2 in einem Material, das mit Luft durchströmt wird. Neben CO2 wird hierbei auch Wasser aus der Luft aufgenommen. Durch eine Temperaturerhöhung wird das aufgenommene CO2 wieder aus dem Material ausgetrieben und in reiner Form für die Methanisierungsanlage bereitgestellt. Dabei wird Strom für die Ventilatoren benötigt, um die Zirkulation des Luftstroms zu gewährleisten. Zum Austreiben des adsorbierten CO2 ist eine Wärme von rund 100 °C erforderlich. „Diese Wärme stellen wir mindestens zur Hälfte mit Abwärme aus dem Gesamtprozess zur Verfügung“, erklärt Kiefer. Zudem bringt eine Wärmepumpe die Abwärme des Elektrolyseurs auf das benötigte Temperaturniveau.

Ende 2023 soll der Demonstrator in Betrieb gehen. Die nächsten Schritte in der Entwicklung stünden schon fest, berichtet Kiefer: Optimierung des gesamten Betriebsablaufs und des lastflexiblen Betriebs sowie die Einbindung der Methanisierung in den Gesamtprozess. Eine genaue Beurteilung der Energieeffizienz wird erst dann möglich sein.

Climeworks startet erste Großanlage zur Abscheidung

Im September 2021 hat Orca ihren Betrieb auf Island aufgenommen. Hierbei handelt sich aber nicht um einen großen Schwertwal, wie der Name suggerieren könnte, sondern um eine Anlage zur direkten Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. Laut der Schweizer Firma Climeworks handelt es sich um die weltweit größte Abscheideanlage ihrer Art.

Die Anlage besteht aus acht Sammelbehältern mit einer jeweiligen Abscheidekapazität von 500 Tonnen jährlich. Die Container sind um eine Prozesshalle herum angeordnet. In dieser ist die gesamte Elektrik der Aufbereitungseinheit untergebracht, so dass diese auch aus der Ferne bedient und gesteuert werden kann.

Die erforderliche Wärme und Elektrizität für den Prozess der Lufterfassung kommt direkt vom Geothermiekraftwerk Hellisheidi. Die Orca nutzt also reine Ökoenergie für die Abscheidung. Dabei wird das konzentrierte CO2 in der Erde gespeichert. Durch eine natürliche Mineralisierung reagiert der Kohlenstoff mit Basaltgestein und versteinert so innerhalb weniger Jahre. Mitte 2022 wurde der Baustart für einen weiteres Projekt auf Island verkündet. Die neue Anlage heißt: Mammut.

Autor: Niels Hendrik Petersen

Ein riesiger Hebel, den es nun zu nutzen gilt

Ein riesiger Hebel, den es nun zu nutzen gilt

Kürzlich hat die Bundesregierung den Entwurf für eine Richtlinie zu Klimaschutzverträgen, auch Carbon Contracts for Difference (CCfD) genannt, vorgelegt. Wer seine Produktion klimafreundlich macht, soll auf der Basis eines 15-jährigen Vertrags zwischen Staat und Betrieb sowohl Geld für Investitionen als auch jährlich Mittel für die teurere grüne Produktion bekommen. Ziel der Maßnahme ist vor allem, die Umsetzung zu ermöglichen und zu beschleunigen. Interessant ist dieses Instrument unter anderem für die Transformation der Industrie in Richtung einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Dr. Uwe Lauber, Vorstandsvorsitzender der MAN Energy Solutions, bewertet das Instrument aus Sicht eines Anlagenherstellers.

HZwei: Wie bewerten Sie diesen Aufschlag zu Klimaschutzverträgen aus der Bundespolitik?

Dr. Lauber: Wir sehen die von der Bundesregierung geplanten Klimaschutzverträge als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Der deutsche Industriesektor hat 2021 120 Mio. Tonnen CO2 ausgestoßen. Hier hat die Politik einen riesigen Hebel, den es nun zu nutzen gilt. Wichtig ist, dass Unternehmen, die auf CO2-ärmere oder CO2-freie Technologien umsteigen, in einem marktkonformen Rahmen vor wirtschaftlichen Nachteilen geschützt werden. Die geplanten Klimaschutzverträge geben eine solche Perspektive, werden sich aktuell aber nur auf einige wenige Industrieunternehmen beschränken.

Unter anderem muss laut Entwurf nach zwei Jahren die geförderte Anlage im Vergleich zur herkömmlichen Technologie eine CO2-Ersparnis von 60 Prozent erzielen. Zudem wird gefordert, mit der eingesetzten Technologie oder dem Energieträger theoretisch eine Reduktion um 95 Prozent zu ermöglichen. Inwieweit sehen Sie die Vorgaben als realistisch an? Sind diese zu hochgesteckt oder könnten sie sogar noch ambitionierter sein?

Technologisch ist diese Zielerreichung möglich, denn die Technologien zur CO2-Vermeidung liegen bereits vor und sind ausgereift. Wichtig ist, dass die Messlatte mit Augenmaß und wirtschaftlichem wie technischem Sachverstand gelegt wird. Entscheidend für die deutsche Volkswirtschaft ist im Moment, dass es endlich gelingt, industrielle Großprojekte auf den Weg zu bringen – etwa im Bereich der Wasserstoffwirtschaft, synthetischen Kraftstoffe oder der CO2-Abscheidung.

Welche weiteren Verbesserungsvorschläge für den Richtlinienentwurf haben Sie?

Der aktuellen Fassung zufolge werden nur einige wenige große Industriebetriebe von den Klimaschutzverträgen profitieren. Das ist sinnvoll, um Erfahrungen mit dem neuen Instrument zu sammeln und Projekte mit besonders großer Hebelwirkung vorrangig anzustoßen. Mittelfristig müssen Klimaschutzverträge aber auch für kleine und mittelgroße Industrieunternehmen möglich werden. Wir dürfen zudem nicht aus den Augen verlieren, dass ein wirkungsvoller CO2-Preis nach wie vor der bedeutendste und marktgängigste Hebel ist. Derzeit ist aber der Preis deutlich zu niedrig.

Wie wichtig ist das Thema Geschwindigkeit? Wie schnell sollte die Richtlinie in Kraft gesetzt werden?

Die Zeit läuft uns davon und wir müssen endlich anfangen, klimafreundliche Technologien in industriellen Größenordnungen umzusetzen. Nur so können wichtige Betriebserfahrungen gewonnen und vor allem Skaleneffekte erzielt werden, die lang- und mittelfristig zu Kostensenkungen und Wettbewerbsvorteilen führen und letztlich gut bezahlte Industriearbeitsplätze sichern und schaffen. Die aktuellen Pläne der Bundesregierung zu Klimaschutzverträgen sind ein Schritt in die richtige Richtung.

Details des Entwurfs zu Klimaschutzverträgen (Carbon Contracts for Difference, CCfD)

Laut dem Ende vergangenen Jahres vorgelegten Entwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hinsichtlich einer Förderrichtlinie sollen sich Unternehmen in Ausschreibungen für Klimaschutzverträge bewerben können.

•           Dabei handelt es sich um Verträge zwischen dem Staat und einem Unternehmen für die klimafreundliche Produktion eines Gutes. Dies gilt etwa für den Wechsel vom Hochofen auf die Direktreduktion mit Wasserstoff in der Stahlerzeugung.

•           Solch ein Vertrag garantiert dem Unternehmen für einen Zeitraum von 15 Jahren eine Ausgleichszahlung, die es für die höheren Kosten der klimaneutralen Produktion entschädigt. Gleichzeitig sichert er das Unternehmen gegen Schwankungen des CO2-Preises und andere Risiken ab.

Die Umsetzung soll an diverse Kriterien gebunden sein:

•           Für das Vorhaben muss grüner oder blauer Wasserstoff als Energieträger vorhanden sein bzw. muss der eingesetzte Strom aus erneuerbaren Energien stammen.

•           Wer einen Vertrag abschließt, ist gefordert, seine Anlage innerhalb von zwei Jahren in Betrieb zu nehmen.

•           Die CO2-Ersparnis im Vergleich zu herkömmlichen Technologien muss nach zwei Jahren bei 60 Prozent liegen, und mit der eingesetzten Technologie oder dem Energieträger muss theoretisch eine Reduktion um 95 Prozent möglich sein.

•           CO2-Zertifikatepreis als Gradmesser: Laut Entwurf endet die staatliche Förderung dann, wenn während der Vertragslaufzeit der tatsächliche CO2-Preis den bei Abschluss zugrundeliegenden Preis übersteigt.

•           Der Einsatz von Biomasse soll nur in Ausnahmefällen förderfähig sein.

Inwieweit gehen Sie davon aus, dass diese Fördermaßnahme dazu geeignet ist, Projekte im Bereich grüner und blauer Wasserstoff konkret anzureizen? Wie würde sich der Markt ohne solche Maßnahmen entwickeln?

Die spannende Frage ist: Wie vermeidet man das sogenannte Henne-Ei-Dilemma, bei dem potenzielle Hersteller von Wasserstoff ihre Investition an eine gesicherte Nachfrage knüpfen, die potenziellen Abnehmer ihre aber wiederum an ein gesichertes Angebot. Hier können Instrumente, die entsprechende Investitionen anregen, helfen.

Unter anderem soll auch die CO2-Verpressung im Untergrund gefördert werden. Wie bewerten Sie diese Maßnahme? Welche Potenziale sehen Sie hier etwa in puncto Wirtschaftlichkeit und Realisierbarkeit, auch im Vergleich zu Wasserstoff?

Wasserstoff und Carbon-Capture-Technologien (CCUS) gehen ein Stück weit Hand in Hand. CCUS ist nicht nur unverzichtbar, um unvermeidbare Restemissionen zu eliminieren, sondern die Technologie kann auch die Basis einer CO2-Kreislaufwirtschaft bilden, die die Abscheidung, anschließende Nutzung und erneute Abscheidung von CO2 sicherstellt − eine Art Pfandsystem. CO2 ist beispielsweise ein wichtiger Rohstoff, um grünen Wasserstoff in dringend benötigte synthetische Kraftstoffe umzuwandeln.

Welche Chancen eröffnet das Instrument für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau, etwa beim Bau von Elektrolyseuren?

Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau ist bereits führend bei der Wasserstoff- und auch CCUS-Technologie. Auch die vielfältige Industriedichte in Deutschland bietet optimale Voraussetzungen, um Deutschland als Klimachampion und Vorreiter zu positionieren. Die Gefahr ist aber groß, dass andere Länder und Regionen uns überholen, und das liegt vor allem daran, dass die bürokratischen Verfahren für die Umsetzung von konkreten Projekten viel zu langwierig sind. Da sind andere Länder deutlich effektiver, effizienter und dadurch auch schneller.

Inwieweit erfüllen Ihre Anlagen die Vorgaben der Richtlinie?

Wir bieten bereits eine Vielzahl von Technologien an, die Industriekunden helfen, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Unter anderem haben wir beträchtlich in unser Tochterunternehmen H-Tec Systems investiert, um das Unternehmen in den nächsten Jahren zu einem der Top-3-Anbieter für Elektrolyseure zur Erzeugung von grünem Wasserstoff zu entwickeln. Schon heute bietet H-Tec Systems das sogenannte Hydrogen Cube System (HCS) an, ein modulares Baukastensystem, um große PEM-Elektrolyseanlagen im Bereich 10 bis 100 MW zu realisieren. Wie alle anderen Hersteller arbeiten wir mit Hochdruck an einer Serienfertigung von Elektrolyse-Stacks und planen dazu den Bau einer Gigafactory bei Hamburg. Zudem kommen unsere Kompressoren weltweit bereits in mehr als 30 Carbon-Capture-Projekten zum Einsatz und sind somit bereits technisch ausgereift. Außerdem bieten wir industrielle Großwärmepumpen an, um große Industrieanlagen nachhaltig mit Prozesswärme und -kälte zu versorgen.

Was sind die Spezifika und Unterscheidungsmerkmale ihrer Komponenten im Wettbewerb?

Wir decken mit unseren Technologien zum einen die gesamte Wasserstoffwertschöpfungskette von der Elektrolyse über den Transport bis hin zu Reaktoren zur Umwandlung in synthetische Kraftstoffe ab. Zum anderen sind wir weltweit führend in der Produktion von Getriebekompressoren für die CO2-Verdichtung. Weltweit hat kein Unternehmen in diesem Bereich mehr Erfahrung als wir. Auch unsere Wärmepumpentechnologie beruht auf erprobten und ausgereiften Technologien. Wir sprechen also nicht von Zukunftsplänen, sondern von Technologien, die bereits seit vielen Jahren im Feld im Einsatz sind.

Welche konkreten Markterwartungen für die kommenden Jahre haben Sie im Bereich Wasserstoff und gegebenenfalls CO2-Verpressung?

Wir haben eine Reihe von Kerntechnologien identifiziert, auf die wir uns künftig konzentrieren werden. Alle diese Technologien haben einen immensen CO2-Hebel, um die Emissionen der Industrie und anderer energieintensiver Sektoren, die nur schwer zu elektrifizieren sind, zu reduzieren. Konkret sind das neben Elektrolyseuren und CCUS-Großwärmepumpen und klimaneutral betriebene Motoren für Schifffahrt und Energiegewinnung. Wir gehen davon aus, dass wir allein mit diesen Technologien bis zu zehn Prozent der weltweiten CO2-Emissionen adressieren können.

Die Bundesregierung erwägt neben den Klimaschutzverträgen auch das Instrument der grünen Leitmärkte umzusetzen (s. Infokasten). Der Staat kann dabei klimaneutral hergestellte Grundstoffe in seiner eigenen Beschaffung bevorzugen oder durch regulatorische Maßnahmen deren Einsatz vorschreiben. Der Wissenschaftliche Beirat empfiehlt, den grünen Leitmärkten den klaren Vorrang gegenüber Klimaschutzverträgen zu geben. Wie bewerten Sie die Ergebnisse dieses Gutachtens?

Über den Prozess der eigenen Beschaffung könnte die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangehen und zugleich einen großen Hebel umlegen. Umso größer ist dieser Hebel, wenn aus den grünen Leitmärkten regulatorische Rahmenbedingungen hervorgehen, die Standards vorschreiben, welche sich mithilfe klimafreundlicher Technologie adressieren ließen. Am Ende brauchen wir eine smarte Kombination aus wirksamer Förderung und einem regulatorischen Rahmen, in dem es stets wirtschaftlicher ist, das CO2 abzuscheiden und anschließend wieder zu nutzen oder zu speichern, als es zu emittieren.

Klimaschutzverträge versus grüne Leitmärkte

Die Bundesregierung setzt bei der Förderung klimaneutraler Produktionsprozesse in der Grundstoffindustrie grundsätzlich auf zwei neue Instrumente: Klimaschutzverträge und grüne Leitmärkte. Ein grüner Leitmarkt ist ein staatlich geschaffener oder geförderter Markt für klimaneutral produzierte Grundstoffe. Dabei kann der Staat grüne Grundstoffe in seiner eigenen Beschaffung bevorzugt verwenden oder er kann durch regulatorische Maßnahmen vorschreiben, dass private Haushalte und Unternehmen in bestimmten Bereichen nur Produkte verwenden dürfen, die einen bestimmten Anteil grüner Grundstoffe beinhalten.

Der Wissenschaftliche Beirat beim BMWK empfiehlt, dem Instrument der grünen Leitmärkte den klaren Vorrang gegenüber Klimaschutzverträgen zu geben. Laut dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats, Prof. Klaus Schmidt, sind Klimaschutzverträge anfällig für eine Überförderung. Zudem bestehe die Gefahr, den Wettbewerb zu behindern und die Entwicklung neuer Technologien auszubremsen. Prof. Achim Wambach, Mitglied der Arbeitsgruppe, begründet seine Einschätzung so: „Grüne Leitmärkte fördern den Wettbewerb, neue Anbieter können in den Markt kommen, und über die Preiswirkung gibt es starke Anreize, klimafreundliche Technologien zu verbessern und kostengünstiger zu machen.“

Autor: Michael Nallinger


Eine Wasserstoffinfrastruktur für die Energiewende

Eine Wasserstoffinfrastruktur für die Energiewende

Grüner Wasserstoff soll in Zukunft vielen Sektoren zur Klimaneutralität verhelfen. Doch noch gibt es Lücken in der Umsetzung beim Transport sowie bei der Speicherung. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte H2-Leitprojekt TransHyDE betrachtet verschiedene molekulare Transportoptionen für grünen Wasserstoff: gasförmigen Wasserstoff (GH2), flüssigen Wasserstoff (LH2), Ammoniak (NH3) sowie organische Trägerflüssigkeiten (Liquid Organic Hydrogen Carrier, kurz: LOHC).

Am 30. Dezember 2022 fand in Berlin die erste wissenschaftliche Konferenz des Leitprojekts TransHyDE statt, bei der techno-ökonomische und regulatorische Hindernisse auf dem Weg zu einer effizienten Speicher- und Transportinfrastruktur im Fokus standen. Dabei stellten Projektmitarbeitende wichtige Lösungsansätze und Erkenntnisse aus ihren Forschungsarbeiten vor und diskutierten diese mit Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Ganzheitliche Systemanalyse zur Infrastruktur

In der fachlichen Eröffnung der wissenschaftlichen Konferenz illustrierte Prof. Dr. Mario Ragwitz (Fraunhofer IEG) die herausgehobene Relevanz der Sektorkopplung in einem klimaneutralen zukünftigen Energiesystem. Insbesondere durch die Komplexität der Modellierung von Multienergiesystemen sowie der hohen erforderlichen räumlichen Auflösung der dazugehörigen Infrastrukturen wird der Arbeitsauftrag von TransHyDE verdeutlicht. Lediglich durch die ganzheitliche Vereinigung von systemanalytischen Modellen sowie spezifischem Fachwissen ließen sich die offenen Fragen der Energiewende beantworten.

Dr. Joshua Fragoso Garcia (Fraunhofer ISI) beschäftigte sich in seinem Beitrag mit der Frage, wie der europäische Wasserstoffbedarf kosteneffizient gedeckt werden kann. Hierzu untersuchte er modellbasiert zwei Szenarien, die sich hauptsächlich in ihren Wasserstoffbedarfen unterscheiden (Basisszenario: H2 nur als Grundstoff für die Chemie- und Stahlindustrie; erweitertes Szenario: breitere Anwendung von Wasserstoff zusätzlich im Bereich der Prozesswärme, Lkw auf der Langstrecke, und dezentralen Wärmeversorgung).

Die Modellergebnisse zeigen, dass in Europa ausreichend erneuerbare Potenziale vorhanden sind, um den Großteil des Wasserstoffbedarfs kosteneffizient zu decken (siehe Abb. 1). Außereuropäische H2-Importe sind kostengetrieben nur in kleinem Umfang Teil der Lösung (~10 % bzw. 12,7 % der modellierten 1.383 TWh bzw. 2.495 TWh im Jahr 2045 im Basisszenario bzw. erweiterten Szenario). Für den innereuropäischen Ausgleich von Wasserstoffangebot und -nachfrage zeigen die Szenarienergebnisse einen Vorteil für regionale Wasserstofferzeugung (s. Abb. 2) mit gekoppeltem Ausbau von H2-Pipelines, welche Nord- und Südeuropa mit Mitteleuropa verbinden.

Sicherer Wasserstofftransport: Realität statt Vision

Durch die systemanalytische Forderung, größere Mengen an gasförmigem Wasserstoff über Pipelines zu transportieren, stellen sich unmittelbare Sicherheitsfragen, welchen Dr. Frank Schweizer (Fraunhofer IWM) sowie Prof. Dr. Jürgen Wöllenstein (Fraunhofer IPM) in ihrem Vortrag begegneten. Die Referenten hoben hierbei hervor, dass Stahlproben bereits in Wasserstoffumgebung hinsichtlich relevanter Verfahren und rechnerischer Konzepte bezogen auf statische Lasten, Ermüdung und Rissfortschritt auf ihre Wasserstoffverträglichkeit geprüft werden können. Darüber hinaus ist eine genaue und kostengünstige Detektion von Wasserstoffleckagen, beispielsweise über die charakteristische Wärmeleitfähigkeit oder die Schallgeschwindigkeit des Wasserstoffs, möglich.

Neben der sicherheitsrelevanten H2-Leckagemessung ist gleichermaßen die Gewährleistung einer kontinuierlichen Qualität des transportierten Wasserstoffs erforderlich. Dr. Achim Zajc (Meter‑Q Solutions) stellte in seinem Beitrag mit dem firmeneigenen Nanogasprozesschromatographen (MGC) eine Möglichkeit vor, Wasserstoffgas und seine Verunreinigungen mit hoher Genauigkeit messen zu können. Der MGC macht sich hierbei die herausragende Wärmeleitfähigkeit des Wasserstoffs zunutze. Durch die direkte Kopplung des MGC an Pipelines lassen sich nicht nur die Anforderungen der Gasgruppe A (G260 9/2020) erfüllen, sondern ebenso die Messzeiten (< 45 s) und anfallenden Emissionen erheblich verringern, da unnötige Bypässe, lange Transportwege und Wasserstoffemissionen vermieden werden können.

Ammoniak: Viel mehr als nur ein chemischer H2-Speicher

Ammoniak ist bereits heute zentraler Grundstoff verschiedener Industrien und wird als Molekül für effizienten interkontinentalen Energietransport sowie zahlreiche Direktanwendungen diskutiert. Trotz bereits vielseitiger Einsatzmöglichkeiten könnte die Wandlung von Ammoniak zu Wasserstoffgas (Reformierung) in verschiedenen Szenarien zur Deckung des H2-Bedarfs erforderlich werden. Das energiewirtschaftliche Potential der Reformierung stellte Dr. Michael Poschmann (Max-Planck-Institut CEC) bei der Vorstellung von Forschungsarbeiten zur Verbesserung der eingesetzten Katalysatoren in den Mittelpunkt. Mittels speziell zu diesem Zweck entwickelter Reformierprüfstände (Druckbereich bis 40 bar) werden wesentliche Charakteristika der Reaktion (wie Umsetzungsgrad, Reaktionskinetik etc.) für verschiedene Katalysatormaterialien und -strukturen analysiert und mit bekannten Katalysatoren aus ähnlichen Katalyseprozessen verglichen.

Eine der vielseitigen direkten Anwendungsmöglichkeiten von Ammoniak wurde nachfolgend von Prof. Dr. Hinrich Mohr (GasKraft Engineering) am Beispiel eines ammoniakbetriebenen Verbrennungsmotors ausgeführt, der mit einer Leistung von 350 kW Anwendung in der Binnenschifffahrt finden kann. Erste Einzylinder-Verbrennungsversuche eines 50/50-Gasgemischs aus NH3/H2 bei Teillastbetrieb mit einem Mitteldruck von 11 bar erreichten bereits eine Effizienz von 39 Prozent.

Klaas Büsen (Hochschule Wismar) ergänzte die präsentierten Themen im Zusammenhang einer Ammoniak-Wertschöpfungskette um weitere Aspekte. In seinem Vortrag stellte er flexible Betankungs- und Bebunkerungskonzepte (sowohl an Land als auch auf See) sowie Technologien zur Gewährleistung der Anwendungssicherheit vor. Unter Betrachtung technologischer, wirtschaftlicher und ökologischer Gesichtspunkte erfolgt eine szenarienbasierte Bedarfsplanung für die Transportlogistik von Ammoniak mit dem Stützjahr 2035.

I.E. Philip Green (Australische Botschaft in Berlin) hob die Frage der Transportlogistik auf ein globales Niveau und skizzierte die Möglichkeiten einer künftigen Ammoniaktransportkette von Australien nach Deutschland. Durch Projekte wie das Asian Renewable Energy Hub (26 GW Wind- und PV-Erzeugungsleistung), mit dem Australien enorme Investitionen in die Ausschöpfung seiner Erneuerbare-Energien-Potentiale tätigt, werden sich perspektivisch große Mengen grünen Wasserstoffs (gebunden in Ammoniak) jährlich exportieren lassen. Durch die niedrigen Stromgestehungskosten in Australien sowie geringe Zusatzkosten für die Ammoniaksynthese, den Schiffstransport und die Reformierung sollen wettbewerbsfähige Preise möglich sein.

Flüssigwasserstoff – erprobte Transportoption mit Potential

Eine zum Ammoniak alternative Transport- und Speicheroption stellt Flüssigwasserstoff dar. Dr. Michael J. Wolf und Sebastian Palacios V. (beide Karlsruher Institut für Technologie) stellten in ihren Vorträgen die einzigartigen Eigenschaften von LH2, dessen Chancen, aber auch spezifische Herausforderungen vor, die in einem kürzlich erschienen Whitepaper auf der Leitprojekte-Webseite näher erläutert werden. Wesentliche Effizienzsteigerungspotentiale ließen sich beispielsweise in Kombination mit Hochtemperatursupraleitern bei gekoppeltem Strom- und Wasserstofftransport (hybride Pipeline) oder bei elektrischen Komponenten durch Erhöhung der Leistungsdichte erschließen. Prof. Alexander Alekseev (Linde) veranschaulichte anhand eines dynamischen Simulationsmodells einer LH2-Transportkette im Gleichgewichts- und Nichtgleichgewichtszustand, dass eine schnellere und effizientere Befüllung sowie Entleerung von LH2-Tanks durch großskalige Zentrifugal-LH2-Pumpen vorteilhaft sein könnte.

Wärmenutzung bei LOHC-Prozessen

Für die Transport- und Speicherlogistik von flüssigen organischen Wasserstoffträgern zeigen sich ebenfalls starke Optimierungsmöglichkeiten. Beispielsweise lässt sich die Effizienz steigern, indem die Abwärme bei der Hydrierung oder zur Dehydrierung die industrielle Prozesswärme vor Ort genutzt wird, wie Monja Grote (Hamburger Hafen und Logistik AG) und Siying Huang (Hydrogenious LOHC Technologies) erläuterten. Außerdem sind weite Teile der bestehenden Infrastruktur für flüssige Brennstoffe ökonomisch weiterhin nutzbar, da Hydrogenious das Thermalöl Benzyltoluol als LOHC verwendet, welches sich ähnlich einfach handhaben lässt wie Diesel. Über die Hebung dieser Potentiale lasse sich der Business Case rund um die Versorgungsketten mittels LOHC weiter ausgestalten und perspektivisch in die Realwirtschaft transferieren, so die Referentinnen.

Keine Wasserstoffwirtschaft ohne Normung

Alle vorgestellten Technologien setzen für ihre praktische Einführung jedoch einheitliche Vorgaben wie Normen, Standards und Zertifizierungen voraus. Hierzu erläuterte Thomas Systermans (DVGW) die bisherigen Ergebnisse einer Bestandsanalyse technischer Regelwerke, welche die Transportoptionen in TransHyDE umfassen. Die statistischen Auswertungen bezüglich der H2-Tauglichkeit zeigen, dass 57 Prozent der 693 Dokumente auf Wasserstoff anwendbar sind. Weitere zwei Prozent weisen lediglich eine beschränkte H2-Tauglichkeit auf, während 41 Prozent nicht für Wasserstoff geeignet sind. Die konsolidierten Daten münden in einem nächsten Schritt in eine Bedarfsanalyse der zu überarbeitenden Normen, aus welcher schlussendlich eine Handlungsempfehlung zur Schließung der Lücken erfolgt.

Die enorme Relevanz eines konsistenten Rechtsrahmens für den Aufbau einer Transport- und Speicherinfrastruktur stellten im darauffolgenden Vortrag Friederike Allolio und Leony Ohle (beide IKEM) heraus. In ihrer Studie wurden Lücken im bestehenden Rechtsrahmen entlang der gesamten H2-Wertschöpfungskette mit Schwerpunkt auf der Transportinfrastruktur identifiziert. Insbesondere durch langwierige und komplexe Genehmigungsverfahren ergeben sich konkrete Hindernisse bei dem Ausbau einer Infrastruktur.

Forschungsministerin sieht in H2 „fehlendes Puzzlestück”

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger ergänzte in einer Live-Zuschaltung die politische Perspektive. Sie verdeutlichte die Relevanz der Energiewende für viele Herausforderungen in unserer gegenwärtigen unruhigen und von Krisen geprägten Zeit. Klimaneutralität lasse sich nur über einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Nutzung von Wasserstoff als vielseitig einsetzbarem Energieträger erreichen. Stark-Watzinger betonte, dass die Kombination aus Forschung und praktischen Demonstrationen die Grundlage bilde, um den Entwicklungs- und Ausbauprozess der Wasserstofftechnologien zu beschleunigen. TransHyDE demonstriert als Teil der H2-Leitprojekte, wie die Hindernisse auf dem Weg zu einer Wasserstoffinfrastruktur aus dem Weg geräumt werden können, und zeigt passende Lösungsansätze auf. Mithilfe dieser Projektergebnisse wird die Basis für die Etablierung einer Wasserstoffwirtschaft geschaffen.

Techno-ökonomische und regulatorische Lücken

Abschließend fand unter der Moderation von Lea-Valeska Giebel (dena) eine Panel-Diskussion mit Teilnehmenden aus Forschung, Industrie und Zivilgesellschaft statt. Die übergeordnete Fragestellung fokussierte sich auf die techno-ökonomischen und regulatorischen Lücken beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft.

Neben den TransHyDE-Koordinatoren Prof. Dr. Robert Schlögl (Direktor Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft) und Prof. Dr. Mario Ragwitz diskutierten Piotr Kuś (General Director ENTSOG) und Ralph Bahke (Managing Director ONTRAS) aus der Industrie sowie Ulrike Hinz (Policy Advisor Klima und Energie WWF Deutschland), vertretend für die Zivilgesellschaft, miteinander. Hierbei verdeutlichte Piotr Kuś die Komplexität der Aufgabe, künftige Wasserstoffinfrastrukturen in bestehende Energieinfrastrukturlandschaften zu integrieren. Seiner Ansicht nach geschieht dies idealerweise in einer Bottom-up-Verfahrensweise.

Für Ulrike Hinz besteht die wesentliche Herausforderung in der ganzheitlichen Betrachtung der Aspekte Klima- und Umweltverträglichkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Ihrer Meinung nach ist eine grundlegende Aufgabe der Ausbau der erneuerbaren Energien als Voraussetzung für die Etablierung einer grünen Wasserstoffwirtschaft. Grundsätzliche Einigkeit bestand bei den Panelisten über die Relevanz der Entwicklung eines regulatorischen Rahmens. Wobei für Ralph Bahke geeignete Finanzierungsmodelle einer künftigen Wasserstoffwirtschaft eine besondere Rolle in diesem Rahmen einnehmen.

Robert Schlögl und Mario Ragwitz komplementierten, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in Deutschland Technologieoffenheit und europäische Zusammenarbeit benötige. Für die Planung und Entwicklung der Infrastruktur werden alle Optionen Beachtung finden und entsprechend systemanalytischer Optimierung verwendet werden.

AutorInnen: Fenja Bleich, fenja.bleich@cec.mpg.de
Hauke Hinners, hauke.hinners@cec.mpg.de
beide vom Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion, Mülheim a. d. Ruhr

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