von Jorgo Chatzimarkakis | Sep. 24, 2024 | 2024, Meldungen, News, Politik, Wasserstoffwirtschaft
Aber es muss noch an Stellschrauben gedreht werden
In ihrer letzten Legislaturperiode hat sich die EU mit dem Green Deal auf die Netto-Null-Dekarbonisierung bis 2050 verständigt – als erster Kontinent überhaupt. Dies ist ein mutiger und notwendiger Schritt. Dabei spielt Wasserstoff eine bedeutende Rolle. Die neue EU-Kommission darf dieses Momentum nicht verlieren, denn Langsamkeit und Klein-Klein könnten die Ziele des Green Deals gefährden. Um dem entgegenzutreten, hilft ein Blick in die Berichte des Europäischen Rechnungshofes.
„Die EU-Prüfer sehen Klima- und Energieziele gefährdet.“ So titelte der Europäische Rechnungshof im Juni 2023 selbst (s. S. 10). Der Grund: Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen reichten nicht aus. Dennoch schneide die EU im weltweiten Vergleich bei der Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen gut ab. Laut den EU-Prüfern fehlt es für Verbesserungen der Maßnahmen unter anderem an Kapital.
Sonderbericht soll als Fahrplan dienen
Im Juli 2024 stellte der Europäische Rechnungshof hinsichtlich des Einsatzes von Wasserstoff wieder die Kapitalfrage in den Raum: „Der Aufbau einer EU-Wasserstoffindustrie erfordert massive öffentliche und private Investitionen.“
Überregulierung und Diskriminierung von Wasserstoff gegenüber erneuerbaren Energien sind nur zwei Gründe, warum private Investoren nicht in dem Ausmaß in H2-Projekte investieren, wie sie es eigentlich möchten. Dies wiederum hindert verarbeitende Unternehmen, die Wasserstoff als Ersatz von fossilen Energieträgern sehen, daran, ihre Produktion mithilfe von Wasserstoff zu realisieren. Ein Teufelskreis.
Um diesen zu durchbrechen, muss die EU-Kommission präzise Marktanreize für die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff etablieren – zum Beispiel in Form von Subventionen, die hochgefahren werden müssen. Denn diese sind für die frühe Einführung neuer Technologien essenziell. Subventionen regen nämlich Innovationen und schließlich private Investitionen an. Sie führen letztlich zu einer wettbewerbsfähigen und nachhaltigen H2-Wirtschaft.
Das sehen die EU-Prüfer auch so. Deshalb sollte die EU-Kommission die Forderungen und Empfehlungen des Sonderberichts Wasserstoff als Fahrplan für ihre neue Legislaturperiode nutzen. Denn insgesamt loben ebenso die Prüfer den Einsatz von Wasserstoff im Rahmen des Green Deals.
Die Kommission hat also die richtigen Voraussetzungen für die Etablierung eines H2-Marktes geschaffen. Es gilt aber, an den erwähnten Stellschrauben, wie fehlende präzise Marktanreize, zu drehen.
E-Fuel erst einmal in Schiff- und Luftfahrt etablieren
Wird das Verbrenner-Aus doch nicht kommen? Nach der Europawahl werden Stimmen laut, dieses Aus zu kippen. Rückblick: Die letzte EU-Kommission beschloss, dass ab 2035 keine Autos mit Verbrennungsmotor zugelassen werden dürfen. Elektrofahrzeuge sollen also Benziner und Diesel ersetzen. Kritiker des Verbrenner-Aus‘ argumentieren, dass unter anderem ausreichende Ladeinfrastruktur fehle, die Produktion der Akkus in China stattfinde und auch die Ressourcen aus dem Reich der Mitte stammten.
Ebenso sollte erwähnt werden, dass das Geschäft mit den nötigen Rohstoffen ein dreckiges ist und Akkus schwer zu recyceln sind. Im April 2024 äußerte auch der Europäische Rechnungshof Zweifel am Verbrenner-Aus.
Mit der Diskussion um das Aus rücken E-Fuels auf Basis von Wasserstoff in den Fokus. Diese sind für die Schiff- und Luftfahrt essenziell. Wenn sich diese synthetischen Kraftstoffe dort etabliert haben und die Wirtschaftlichkeit gegeben ist, spricht nichts dagegen, dass E-Fuels auch im Individualverkehr zum Einsatz kommen.
Dahingehend kommt Unterstützung vom Verband der Automobilindustrie (VDA). Dieser fordert einen Verkaufsstopp für Benzin und Diesel ab 2045. Als Ersatz für die fossilen Kraftstoffe sollen E-Fuels dienen – neben E-Autos. Der VDA plädiert also für eine Technologieoffenheit.
Auf diese sollte sich auch die EU-Kommission fokussieren. Denn das gemeinsame Ziel ist es, die Gesellschaft und Wirtschaft zu dekarbonisieren. Deshalb sollte keine Ausschließeritis für die eine oder andere Technologie betrieben werden – nicht nur hinsichtlich der Mobilität, sondern auch hinsichtlich aller relevanten Klimaschutzmaßnahmen.
Autor: Jorgo Chatzimarkakis, Hydrogen Europe, Brüssel
von Sven Geitmann | Sep. 23, 2024 | 2024, Deutschland, Elektromobilität, Europa, News, Politik, Wasserstoffwirtschaft
Mehr Anbieter und größere Standorte
Seit einigen Monaten drängen immer mehr Unternehmen auf den Markt für H2-Tankstellen. Obwohl deren Gesamtzahl nach wie vor nicht wesentlich ansteigt, kündigen immer häufiger sowohl altbekannte als auch zahlreiche neue Anbieter per Pressemeldung an, zusätzliche Standorte für die Versorgung mit Wasserstoff erschließen zu wollen.
Ein eher neuer Akteur ist beispielsweise Mint Hydrogen, das bis März 2024 noch unter Jet H2 Energy firmierte. Das in Hamburg ansässige Tochterunternehmen von H2 Energy Europe hat Mitte Mai dieses Jahres eine erste Wasserstofftankstelle in Giengen an der Brenz eröffnet. Angesiedelt ist der Standort auf dem Mobilitätshub der Jet Tankstellen Deutschland GmbH an der Bundesautobahn A7. Oliver Reichert, Manager Retail Germany von Jet, nannte den Jet-Mobilitätshub, auf dem Tankstellentechnik der Maximator Hydrogen GmbH zum Einsatz kommt, ein „Referenzprojekt für uns“.
Clifford zur Nieden, CEO der Mint Hydrogen Germany GmbH, ergänzte: „Eine verlässliche Betankungsinfrastruktur ist entscheidend für den Aufbau eines regionalen Ökosystems für erneuerbaren Wasserstoff und besonders wichtig für die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs.“ Geplant ist, dass an der neuen Tankstelle unter anderem Fahrzeuge von Partnerfirmen wie Hyundai Hydrogen Mobility, Hylane, Keyou, Stellantis und Arthur Bus tanken.
TotalEnergies und Air Liquide gründen TEAL
Ein klares Bekenntniss zum Wasserstoff legten auch Air Liquide und TotalEnergies ab, indem sie auf der Hannover Messe 2024 bekanntgaben, dass sie gemeinsam eine neue Marke etablieren: Mit TEAL Mobility gründeten die beiden Schwergewichte ein Joint Venture, das innerhalb der nächsten zehn Jahre in Europa mehr als hundert H2-Tankstellen für schwere Nutzfahrzeuge unter der Marke TotalEnergies in Betrieb haben will. Ende 2024 werden es rund 20 Stationen in Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Deutschland sein.
Währenddessen plant Tyczka Hydrogen ab Mitte 2025 den Bau seiner dritten Wasserstofftankstelle in Bayern. In Geretsried, unweit der Autobahnen A70, A71 und A7, soll in der ersten Jahreshälfte 2026 eine Station in Betrieb gehen, die über eine Betankungskapazität von einer Tonne pro Tag ausgelegt ist.
Die zweite H2-Tankstelle von Tyczka, die mit 2 Mio. Euro durch das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie (StMWi) im Zuge des bayerischen Tankstellenförderprogramms gefördert wurde, ist am 17. Juni 2024 im Güterverkehrszentrum Augsburg eröffnet worden. Potentielle Nutzer dieses Standorts sind Arthur Bus, BMW, Daimler Bus, Hylane, Keyou, Kühl Entsorgung, MAN, Paul Group, Quantron, SFC sowie Still.
„Die neue Wasserstofftankstelle ist ein bedeutendes Signal für die gesamte Branche und ein Meilenstein für unsere gemeinsamen Bemühungen in der nachhaltigen Mobilität“, erklärte Thomas Zorn, Geschäftsführer der Tyczka Hydrogen GmbH.
Neue Hochleistungstankstellen
Parallel dazu wird der Bau einer Wasserstofftankstelle in Frankenthal von H2 Mobility und BASF vorangetrieben. Nachdem im Mai 2024 wichtige Komponenten angeliefert werden konnten, planen die Partner die Inbetriebnahme für das vierte Quartal 2024. Zunächst sollen dort 700 bis 800 Kilogramm Wasserstoff vertankt werden können (entspricht mehr als 30 Lkw bzw. Bussen). Bis 2027 ist eine Verdoppelung der Kapazität vorgesehen. „Die Nachfrage im Schwerlastverkehr wird auch in dieser Region deutlich zunehmen. Deshalb bauen wir neue Standorte wie in Frankenthal um ein Vielfaches größer als noch vor ein paar Jahren. Hier können zukünftig bis zu drei Fahrzeuge gleichzeitig tanken, darunter Bus und Lkw mit 350 bar sowie leichte Nutzfahrzeuge und Pkw mit 700 bar“, so Martin Jüngel, Geschäftsführer und CFO von H2 Mobility Deutschland.
Tilmann Hezel, Senior Vice President Infrastructure am BASF-Standort Ludwigshafen, ergänzte: „CO2-freier Wasserstoff ist integraler Bestandteil unserer Energietransformation am Standort Ludwigshafen. Gleichzeitig ist Wasserstoff und eine ausreichende H2-Infrastruktur grundlegend für einen Wandel hin zu alternativen Antrieben. Wir wollen diese Schnittmenge nutzen: Mit Projekten wie der H2-Tankstelle, aber auch dem im Bau befindlichen Wasserelektrolyseur möchten wir die regionale Mobilität genauso wie unsere Zulieferer und Transportunternehmen am Standort beim Umstieg auf Fahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb unterstützen.“
Dr. Doris Wittneben, Bereichsleiterin Zukunftsfelder und Innovation Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, freute sich, dass mit der Wasserstofftankstelle in Frankenthal, die Bestandteil des Projektes H2Rivers (Details dazu lesen Sie im HZwei-Heft Jan. 2025) ist, ein „weiterer wichtiger Baustein des Wasserstoffökosystems in der Rhein-Neckar-Region auf den Weg gebracht wird“.
H2 Mobility verfügt derzeit über 80 öffentliche 700-bar-Tankstellen. Vier weitere sind in Planung, Bau oder Inbetriebnahme. Zusätzlich besitzt der Infrastrukturanbieter 27 Stationen für die Betankung mit 350 bar. 15 weitere 350-bar-Betankungsoptionen befinden sich in der Umsetzung.
Frank Fronzke, Geschäftsführer und COO von H2 Mobility, erklärte im Frühjahr 2024 anlässlich einer Eröffnungsfeier: „In Heidelberg nimmt eines der bedeutendsten Tankstellenprojekte des Jahres heute offiziell seinen Betrieb auf. Die Größe und Leistungsfähigkeit der neuen Stationen [Heidelberg, Sommer 2024 in Mannheim, Ende 2024 in Frankenthal, Anfang 2025 in Ludwigshafen – Anm. d. Red.] stehen für eine neue H2-Tankstellengeneration. Unter Verwendung leistungsstarker Technik tanken mehrere 350- und 700-bar-Fahrzeugtypen am selben Standort – Busse, Lkw, leichte Nutzfahrzeuge und Pkw.”
„Europas leistungsstärkste H2-Tankstelle“
Im März 2024 hat der Bau einer Hochleistungswasserstofftankstelle in Düsseldorf begonnen, die über eine Tageskapazität von über fünf Tonnen verfügen wird – das ist mehr als die zehnfache Kapazität derzeit in Betrieb befindlicher H2-Stationen und über das Dreifache der Standorte, die vor vier, fünf Jahren errichtet wurden. Beteiligte Partner sind neben H2 Mobility sowohl Hoerbiger als auch Ariel.
Im Mittelpunkt dieser neuen Station steht ein kompakter und gleichzeitig leistungsstarker Verdichter, der nach Herstellerangaben auf die wesentlichen Kundenbedürfnisse der H2-Industrie eingeht. Dessen sogenanntes eHydroCOM-System ermöglicht einen Massenstrom von über 250 kg/h bei sowohl niedrigen als auch hohen Saugdrücken, so dass es ideal für Heavy-Duty-Tankstellen oder Trailer-Abfüllanlagen geeignet ist. Der hohe Standardisierungsgrad und die Bauweise mit kompaktem und platzsparenden Packaging ermöglicht zudem eine schnelle Skalierbarkeit, wodurch für die Anlagenbetreiber die Erreichung ihrer Total-Cost-of-Ownership-Ziele einfacher wird.
von Eva Augsten | Sep. 3, 2024 | 2024, Allgemein, Europa, Markt, Meldungen, Politik, Wasserstoffwirtschaft
Prüfer halten Ziele für unklar und unrealistisch
Die EU hat sich in ihrer Wasserstoffstrategie für das Jahr 2030 zu hohe Ziele gesteckt. Zu diesem Fazit kommen die Prüfer des EU-Rechnungshofes in einem im Juli 2024 veröffentlichten Sonderbericht. Sie fordern nun eine Anpassung der Strategie und ein besseres Controlling.
Im Sommer legte der Europäische Rechnungshof einen Sonderbericht mit dem Titel „Die Industriepolitik der EU im Bereich erneuerbarer Wasserstoff“ vor. Auf 124 Seiten (inklusive Anhänge) durchleuchten die Prüfer dabei die bisherigen Pläne, Rechtsvorschriften und Maßnahmen der Europäischen Kommission. Dabei geht es unter anderem um deren mangelnde Konsistenz. Schon bei der Zieldefinition der EU-Pläne monieren die Prüfer viele Unklarheiten und Widersprüche: So ist in der EU-Wasserstoffstrategie die Rede von 40 GW bis 2030 installierter Elektrolyseleistung, mit denen 4,4 Mt Wasserstoff erzeugt werden sollen. Laut einer Arbeitsunterlage zum REPowerEU-Plan soll diese Elektrolyseleistung hingegen 6,6 Mt Wasserstoff liefern. Mit dem Produktionsziel von 10 Mt für das Jahr 2030 passt keiner der Werte zusammen.
Die Prüfer führen zudem eine Reihe von Nachfrageschätzungen für das Jahr 2030 an. Auf Basis der EU-Regulierungen ergeben sich dabei Mengen zwischen 3,8 und 10,5 Mt. Die meisten liegen jedoch deutlich unter 10 Mt. Für einen Großteil der im REPowerEU-Plan vorgesehenen 20 Mt (10 Mt aus Europa, 10 Mt aus Importen) gebe es demnach keine Abnehmer.
Auch die Herleitung der Ziele steht für die Prüfer auf zu schwachen Beinen: Für das 40-GW-Ziel sehen sie im Wesentlichen ein Papier des Branchenverbandes Hydrogen Europe als Quelle. Das in der ersten EU-Wasserstoffstrategie festgelegte Produktionsziel von 10 Mt sei hauptsächlich am Bedarf für fossilen Wasserstoff aus dem Jahr 2020 abgeleitet.
Im Markt zeige sich die Unsicherheit vor allem in Form des altbekannten Henne-Ei-Problems: Kein Industrieunternehmen setzt auf Wasserstoff, wenn dieser nicht sicher verfügbar ist. Und niemand will in teure Infrastruktur investieren, bevor die Kundschaft bereitsteht. „Ein Teufelskreis“, folgert der EU-Rechnungshof in seiner Pressemitteilung. Nötig wären staatlich gestützte Investitionen. Doch wie teuer der Umstieg auf Wasserstoff werden könnte und wie viel öffentliches Geld dafür verfügbar sei, überblicke die Kommission ebenfalls nicht komplett, so die Prüfer. Selbst die verfügbaren EU-Fördermittel für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft ließen sich nur schätzen, denn sie seien über mehrere Programme verstreut. Auf 18,8 Mrd. Euro für den Zeitraum 2021 bis 2027 kommen die Rechnungsprüfer.
Nicht alle ziehen an einem Strang
Dass die Mitgliedsstaaten unterschiedliche Ambitionen haben, die nicht immer mit denen der EU übereinstimmen, macht es nicht leichter. Der Rechnungshof hat vier Länder ausgemacht, in denen nach jetzigem Stand fast 80 Prozent der Elektrolyseurkapazität installiert werden sollen: Deutschland, Spanien, Frankreich und die Niederlande. Dort sei der Anteil der schwer dekarbonisierbaren Industriezweige hoch und die Wasserstoffprojekte vergleichsweise weit gediehen. Zugleich fließe ein Großteil der EU-Förderung in diese Länder.
Dafür, dass das Wasserstoffpotenzial der gesamten EU ausgeschöpft werde, gebe es hingegen keine Garantie – ebenso wenig dafür, dass dieser Wasserstoff dann in die Länder mit hoher industrieller Nachfrage komme. Nur wenige der möglichen Exportländer hätten bereits Pläne dafür vorgelegt. Eine konkrete Importstrategie (s. S. 7) gebe es lediglich in Deutschland.
Die Prüfer attestieren der Europäischen Kommission allerdings auch viele richtige Schritte. Insbesondere habe sie binnen kurzer Zeit einen fast vollständigen Rechtsrahmen geschaffen. Damit habe sie für die rechtliche Sicherheit gesorgt, die für den neuen Markt nötig sei. Zudem habe sie alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Genehmigungen zu beschleunigen.
„Welche Industriezweige will die EU behalten?“
Der Rechnungshof gibt der EU eine Reihe von Empfehlungen mit, die bis Ende 2025 umgesetzt werden sollen. Bereits die erste hat es in sich: Nach einem „Realitätscheck“ solle die Kommission „strategische Entscheidungen […] treffen, ohne neue strategische Abhängigkeiten zu schaffen“. Die Brisanz dieser Aussage verstecken die Prüfer allerdings in einer Klammer in einem Unterpunkt: „Welche Industriezweige will die EU behalten und zu welchem Preis?“ Dabei ist zu berücksichtigen: Die EU-Fördermittel sind begrenzt und die Kommission muss entscheiden, in welchen Teilen der Wertschöpfungskette sie die größte Wirkung entfalten. „Die EU sollte über den strategischen Weg zur CO₂-Neutralität entscheiden, ohne die Wettbewerbssituation ihrer Schlüsselindustrien zu beeinträchtigen oder neue strategische Abhängigkeiten zu schaffen“, sagt Stef Blok, das für die Prüfung zuständige Mitglied des Rechnungshofs. Dass es keinen perfekten Weg dafür gibt und es nicht um das Vermeiden von Importen per se geht, wird an den Formulierungen in der Pressemitteilung klar. Man müsse geopolitische Abwägungen bewusst treffen, präzisiert Blok. Zu vermeiden seien „sehr große Abhängigkeiten bei Grundprodukten“.
Die weiteren Empfehlungen sind deutlich technischer: Die Kommission soll einen Fahrplan festlegen und überwachen, sich einen Überblick über die nationale Finanzierung verschaffen, den Mitgliedsstaaten bei der Projektgenehmigung Dampf machen und sich besser mit der Industrie koordinieren.

Abb. 2: Stef Blok ist Mitglied des Europäischen Rechnungshofs und war für die Prüfung im Rahmen des Sonderberichts zuständig
Autorin: Eva Augsten
Sonderbericht: www.eca.europa.eu/ECAPublications/SR-2024-11/SR-2024-11_DE.pdf
Anm. d. Red.: Eine Zahl korrigiert am 13.09.2024
von Monika Rößiger | Sep. 3, 2024 | 2024, Deutschland, Energiewirtschaft, Entwicklung, Meldungen, News, Politik, Wasserstoffwirtschaft
Baufortschritte sind sichtbar
„Aus Vergangenheit wird Zukunft“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, als er sich im August dieses Jahres in Hamburg über den Stand der Bauarbeiten für zwei IPCEI-geförderte Großprojekte informierte. In Begleitung der Hamburger Senatorin für Wirtschaft Melanie Leonhard sowie des Senators für Umwelt Jens Kerstan setzte Habeck gemeinsam mit Gabriele Eggers, kaufmännische Geschäftsführerin von Gasnetz Hamburg, symbolisch den großen Schraubenschlüssel an, während zugleich röhrende Bagger ein Gebäude auf dem Gelände des 2021 stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg abrissen.
Denn direkt an der Süderelbe wird nun Platz geschaffen für den sogenannten Hamburg Green Hydrogen Hub (HGHH), wo mit dem seit langem geplanten 100-Megawatt-Elektrolyseur eine der größten Wasserstofffabriken Deutschlands entsteht. Baubeginn ist 2025, sagte Christian Heine, Sprecher der Geschäftsführung der Hamburger Energiewerke, die den HGHH gemeinsam mit ihrem Konsortialpartner Luxcara realisieren. Parallel dazu hat Hamburg Gasnetz die Tunnelbohrer für das H2-Industrienetz (HH-WIN) im Einsatz, das im Hafen der Hansestadt mit einer Länge von anfangs 40 Kilometern angelegt wird. Später soll es auf 60 Kilometer ausgebaut und an den European Hydrogen Backbone angebunden werden.
Hamburg will Tor zur Wasserstoffwelt werden
Beide Projekte sollen 2027 in Betrieb gehen und zusammen das Fundament für den Aufbau einer H2-Infrastruktur in Norddeutschland bilden. 10.000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr soll der Elektrolyseur dann mithilfe des reichlich vorhandenen Windstroms produzieren. Dieser kann direkt bis zum 380-kV-Netzknoten übertragen werden, der am Standort Moorburg bereits vorhanden ist.
„Luxcara ist in einige europäische Wasserstoffprojekte eingebunden“, sagte deren Geschäftsführerin Alexandra von Bernstorff anlässlich des Ministerbesuchs. „Aber keines begeistert mich so wie dieses hier.“ Denn hier gehe es wirklich voran. Während andere noch redeten und planten, werde in der Hansestadt gebaut, sagte auch Umweltsenator Kerstan. Seit vergangenem Jahr ist der Rückbau des Kohlekraftwerks in vollem Gange, an dessen Standort neben dem Elektrolyseur auch eine Gasübergabestation und eine Lkw-Verladestation entstehen. Von dort kann Wasserstoff per Trailer abtransportiert werden, um kleinere und mittlere Unternehmen im Hamburger Hafen zu versorgen, die nicht an das Gasnetz angeschlossen sind. Der Elektrolyseur soll dazu beitragen, den Hafen samt seiner Schwer- und Chemieindustrie zu defossilisieren, und perspektivisch auf bis zu 800 MW-Elektrolyseleistung ausgebaut werden, woran seitens der Industrie großes Interesse bestehe.
4,6 Mrd. Euro von Bund und Ländern
HGHH und HH-WIN sind zwei der 23 großen IPCEI-Vorhaben in Deutschland, die mit insgesamt 4,6 Mrd. Euro an öffentlichen Geldern unterstützt werden. Weitere 3,3 Mrd. Euro sollen durch private Investitionen der beteiligten Unternehmen hinzukommen. Das Geld geht unter anderem in den Aufbau von 1,4 Gigawatt Elektrolyseleistung, rund 2.000 Kilometer Wasserstoffpipelines, 370 Gigawattstunden Speicherkapazität und in die Nutzung von flüssigen organischen H2-Trägern (LOHC). Entsprechende Terminals sollen auf diese Weise den Transport von etwa 1.800 Tonnen Wasserstoff pro Jahr ermöglichen.
Bundeswirtschaftsminister Habeck hatte am 15. Juli gemeinsam mit den Wirtschaftsministern von zehn Bundesländern in Berlin die Förderzusagen überreicht (s. HZwei-Heft Juli 2024). Die staatliche Unterstützung, die zu 70 Prozent vom Bund und zu 30 Prozent von den Ländern kommt, ist für Projekte der sogenannten Hy2Infra-Welle des Wasserstoff-IPCEI bestimmt. Die beihilferechtliche Genehmigung für die öffentliche Förderung hatte die EU-Kommission am 15. Februar erteilt.
Trotz des Baufortschritts in Moorburg bleibt für Industrievertreter die Unklarheit über den künftigen Wasserstoffpreis. Der muss noch verhandelt werden. Die Gespräche zwischen dem HGHH-Konsortium und den im Hafen ansässigen Unternehmen laufen bereits.
Abb.: Symbolische Montage am Standort Hamburg-Moorburg: Vizekanzler Robert Habeck und Gabriele Eggers, kaufmännische Geschäftsführerin von Gasnetz Hamburg, greifen zum Schraubenschlüssel. Dahinter Christian Heine (Hamburger Energiewerke), Michael Dammann (Gasnetz Hamburg) und Umweltsenator Jens Kerstan.
von Monika Rößiger | Juli 17, 2024 | Allgemein, Deutschland, News, Politik
4,6 Milliarden Euro von Bund und Ländern für H2-Projekte
23 große Wasserstoff-Infrastruktur-Projekte in Deutschland werden von nun an mit 4,6 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern unterstützt. Weitere 3,3 Milliarden Euro sollen durch private Investitionen der beteiligten Unternehmen hinzukommen. Das Geld geht unter anderem in den Aufbau von 1,4 Gigawatt Elektrolyseleistung, rund 2000 Kilometer Wasserstoff-Pipelines, 370 Gigawattstunden Speicherkapazität und in die Nutzung von flüssigen organischen Wasserstoff-Trägern (LOHC). Entsprechende Terminals sollen auf diese Weise den Transport von etwa 1800 Tonnen Wasserstoff pro Jahr ermöglichen.
„Ab jetzt wird gebaggert und gebuddelt“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, als er am 15. Juli gemeinsam mit den Wirtschaftsministern von zehn Bundesländern die Förderzusagen überreichte. Die staatliche Unterstützung, die zu 70 Prozent vom Bund und zu 30 Prozent von den Ländern kommt, ist für Projekte der sogenannten Hy2Infra-Welle des IPCEI-Wasserstoff bestimmt. Die beihilferechtliche Genehmigung für die öffentliche Förderung hatte die EU-Kommission am 15. Februar erteilt (https://hydrogeit.de/blog/2024/04/16/bruessel-genehmigt-ipcei-vorhaben/).
Für viele Projekte ist die Förderzusage das Signal zur finalen Investitionsentscheidung.
Sie decken die gesamte Wertschöfungskette ab und bilden auch länderübergreifende Cluster, um möglichst effizient in der Umsetzung sein zu können. Etwa, indem sie Erzeugungs- und Verbrauchszentren miteinander verbinden. Zu letzteren gehören bekanntlich die Chemie- und Stahlindustrie.
Zu den geförderten Projekten gehören zum Beispiel 300 MW-Elektrolyse-Leistung von RWE Generation in Lingen, von denen die erste 100-MW-Anlage im Jahr 2025 in Betrieb gehen soll. Außerdem Elektrolyse-Anlagen von Enertrag mit einer Leistung von 185 MW in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, Wasserstoff-Pipelines der Fernleitungsnetzbetreiber Gascade, Nowega, OGE und Thyssengas sowie ein Kavernenspeicher in Epe, den RWE Gas Storage West ab 2027 in Betrieb nehmen will.

Abb: Das 100-MW-Projekt von bp zur Erzeugung von grünem Wasserstoff könnte Industriekunden der Region Lingen beliefern.
Es wird gemeinsam vom BMWK und der niedersächsischen Landesregierung im Rahmen der europäischen IPCEI-Hy2Infra Welle gefördert.
Fotoquelle: bp
„Als eine der ersten Anlagen dieser Art wird sie große Mengen Wasserstoff in Kavernen speichern und so dazu beitragen, die schwankende Wasserstofferzeugung aus Wind und Sonne zu puffern,“ kommentierte Gunhild Grieve, Geschäftsführerin von RWE Gas Storage anlässlich der Förderzusage.
Auch der Hamburg Green Hydrogen Hub (HGHH) gehört zu den geförderten Projekten. Der Bund und das Land Hamburg fördern ihn mit 154,1 Millionen Euro. „Auf diesen wichtigen Tag für den deutschen Wasserstoffhochlauf haben wir sehnsüchtig gewartet“, sagte Christian Heine, Geschäftsführer der Hamburger Energiewerke. Jetzt gebe es endlich Planungssicherheit, um gemeinsam mit dem Projektpartner Luxcara in Moorburg einen Standort für grünen Wasserstoff zu errichten. Er soll dazu beitragen, den Hafen samt seiner Schwerindustrie zu defossilisieren.
Auf dem Gelände des ehemaligen Kohlekraftwerks Moorburg findet seit Ende vergangenen Jahres der Rück- und Umbau statt, um dort einen 100 MW-Elektrolyseur zu errichten. Der sogenannte Energiehub Moorburg soll perspektivisch auf bis zu 800 MW-Elektrolyseleistung ausgebaut werden. Jetzt wollen die Hamburger Energiewerke zügig die Großkomponenten für den Elektrolyseur in Auftrag geben, um mit dem Bau im kommenden Jahr beginnen zu können. Der kommerzielle Betrieb ist ab 2027 geplant. Auch der städtische Netzbetreiber Gasnetz Hamburg hat einen Förderbescheid erhalten: Damit kann der Bau der ersten 40 Kilometer des Verteilnetzes für reinen Wasserstoff „HH-WIN“, das später an den European Hydrogen Backbone angebunden wird, noch in diesem Sommer starten.
Monika Rößiger
von Sven Geitmann | Juli 15, 2024 | 2024, Deutschland, Energiewirtschaft, Entwicklung, Meldungen, News, Politik
Industrie kritisiert aktuelle H2-Förderpolitik
„Vor zwei Jahre haben wir in Berlin noch über eine All Electric World diskutiert. Jetzt ist klar, wir brauchen beide – Moleküle und Elektronen.“ Mit diesen Worten hat der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies auf der diesjährigen Hannover Messe zwar gut zusammengefasst, wo wir heute stehen. Auf politischer Ebene scheint dies aber noch nicht bei allen angekommen zu sein. Anders lässt sich der Quasi-Förderstopp für H2-Aktivitäten derzeit kaum erklären. Grund genug für die Clean Energy Partnership (CEP) einen Brandbrief nach Berlin zu schicken (s. S. 33) – und Auslöser für einen handfesten Streit unter den Wirtschaftsweisen.
Der brandenburgische Wirtschaftsminister Prof. Jörg Steinbach brachte es im Mai 2024 in Neuruppin auf den Punkt: „Wir steuern derzeit teilweise in die falsche Richtung.“ So werden immer weniger Elektroautos verkauft, stattdessen nimmt die Diskussion erneut an Fahrt auf, ob das Verbrenner-Aus richtig war. Der Einbau von Wärmepumpen schwächelt, stattdessen werden verstärkt Ölbrenner installiert. Und der CO2-Preis, der 2022 schon mal bei über 90 Euro pro Tonne lag, fiel Anfang des Jahres auf rund 55 Euro (Mai 2024: ca. 70 Euro). Dabei bräuchte Wasserstoff einen Mindestpreis von schätzungsweise 100 Euro, um rentabel werden zu können.
Die verheißungsvolle Stimmung aus dem Jahr 2023 ist dahin. Stattdessen regiert Verunsicherung. Grund dafür ist unter anderem die 60-Mrd.-Euro-Lücke im Bundeshaushalt, die – wie befürchtet – Auswirkungen auf diverse Vorhaben hat. Hinzu kommt die Bonhoff-Affäre, die dazu führte, dass das Bundesverkehrsministerium einen Förderstopp erließ und seitdem rein batterieelektrisch unterwegs ist. Und auch die gesamtwirtschaftliche Lage mit minimalem Wachstum lässt derzeit nicht gerade Zuversicht aufkeimen.
Finale Investitionsentscheidungen (FID – final investment decision) werden daher, insbesondere in Deutschland, kaum gefällt (auch wenn sich etliche Rahmenbedingungen deutlich verbessert haben, s. HZwei-Heft April 2024), was Auswirkungen hat. Steinbach sagte dazu: „Unsere Unternehmen haben zum Teil die Marktführerschaft verloren.“
Geeignete Förderinstrumente gefordert
Der Deutsche Wasserstoff-Verband e.V. (DWV) fordert deswegen ein „EEG für H2“ – also einen vergleichbaren Förderrahmen wie damals beim Erneuerbare-Energien-Gesetz, an dem sich auch der US-amerikanische Inflation Reduction Act (IRA) orientiert. Der DWV-Vorsitzende Werner Diwald möchte darüber die von der Bundesregierung anvisierten „10 GW Elektrolyseurkapazitäten in den Markt bringen“, auch wenn heute schon klar ist, dass selbst diese nicht ausreichen werden.
Es gibt zwar Förderinstrumente, aber die reichen entweder nicht oder passen der Industrie nicht. Die IPCEI-Vorhaben (Important Projects of Common European Interest) der EU-Kommission benötigten bislang extrem lange bis zur Bewilligung, weshalb die damaligen Rahmenbedingungen teils nicht mehr gelten und einige Projekte nicht mehr wirtschaftlich erscheinen. Außerdem handelt es sich hier um Investitionszuschüsse, die für eine betriebskostenintensive H2-Produktion als nicht ausreichend gelten. Neben einer CAPEX- sei auch eine OPEX-Förderung erforderlich, heißt es seit Monaten aus der Branche.
Zwar könnten auch Gelder aus den Klimaschutzverträgen genutzt werden, aber einige Unternehmen sehen auch diese kritisch. Kilian Crone vom Energy Hub Wilhelmshaven erklärte gegenüber dem Handelsblatt: „Sie geben zwar den Abnehmern, also den energieintensiven Industrieunternehmen, Sicherheit für ihre Investitionen, aber als Basis für die Wasserstofflieferanten, also für eine Investition in einen Elektrolyseur, reichen sie nicht.“ In Wilhelmshaven, wo 5,5 der geplanten 10 GW Elektrolyseurkapazitäten aufgebaut werden sollen, fordert man daher „eine zusätzliche Anschubförderung für den Betrieb von Elektrolyseuren“ in Höhe von 40 Mrd. Euro.
Der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies spielte den Ball allerdings zurück an die Industrie und erklärte, ihm fehle ein stärkeres Bekenntnis der Wirtschaft. Es sei zwar „jetzt echt Substanz da“, aber es benötige „eine stärkere Fokussierung“.
Die Industrie sieht dies naturgemäß ganz anders und versucht, sich bemerkbar zu machen. So initiierte die Clean Energy Partnership (CEP), ein Zusammenschluss verschiedener Stakeholder, insbesondere aus dem Automobil- und Energiesektor, ein gemeinsames Statement mit dem Deutschen Wasserstoff-Verband und wandte sich am 27. April 2024 mit drängenden Worten an die Bundesregierung (s. nächste Seite).
Es sei zwar „normal, dass einige Projekte abgesagt werden“, erklärte Peter Michael Holzapfel von Siemens angesichts der vorherrschenden Unsicherheit, aber derzeit drohe Deutschland seinen bisherigen Vorsprung im H2-Sektor zu verspielen.
Wirtschaftsweise Grimm gegen den Rat
Eine ganz neue Dimension erhält die Förderdebatte derzeit zudem, da sich darüber erstmals öffentlich auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR – die Wirtschaftsweisen) entzweit. Veronika Grimm gab kürzlich ein Minderheitsvotum zugunsten von H2-Nfz ab, während sich vier Ratsmitglieder gemeinsam für eine rein batterieelektrische Förderung aussprachen. Laut taz befürchtet Grimm im Falle einer Konzentration auf die Batteriemobilität, dass Deutschland im Bereich der Entwicklung von Brennstoffzellen für Mobilitätsanwendungen „technologisch möglicherweise unwiederbringlich hinter die internationalen Wettbewerber zurückgeworfen“ wird.
Dieses Votum habe nichts damit zu tun, dass sie einen Aufsichtsratsposten bei Siemens Energy übernommen habe oder im Vorstand des Zentrums Wasserstoff Bayern (H2.B) sei, so die Professorin, die an der TU Nürnberg lehrt. Minderheitsvoten gab es auch schon früher, allerdings nicht in Verbindung mit derartigen Compliance-Vorwürfen. Ihr gehe es allein um eine weniger riskante, mehrgleisige Positionierung Deutschlands, so Grimm. Und die Bundesregierung, die der Sachverständigenrat beraten soll, habe das Mandat als unbedenklich bewertet.
Gegenüber der WirtschaftsWoche erklärte sie: „Beim Ausbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur für batterieelektrische Pkw und Lkw an Autobahnen entstehen Anforderungen an das Stromnetz und immense Flächenbedarfe. […] Ob die realisierbaren Infrastrukturen den Anforderungen der Verkehre gerecht werden können, steht in den Sternen.“
Kabinett einigt sich auf H2-Beschleunigungsgesetz
Ob das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz, das am 29. Mai 2024 vom Bundeskabinett verabschiedet wurde, da noch viel helfen kann, bleibt abzuwarten. Denn bevor dieses wirklich in Kraft tritt, müssen sich zunächst noch der Bundesrat und dann auch der Bundestag mit dem Gesetzentwurf befassen. Ziel soll sein, rechtliche Weichen für den beschleunigten Auf- und Ausbau der Infrastruktur für die Erzeugung, die Speicherung sowie den Import von Wasserstoff zu stellen.
Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, erklärte: „Eine leistungsfähige Wasserstoffinfrastruktur ist von entscheidender Bedeutung für die Dekarbonisierung der Industrie, die Wasserstoffleitungen werden die Lebensadern der Industriezentren sein. Die Zeit dafür drängt. Damit Elektrolyseure oder Importterminals so zügig wie möglich in Betrieb gehen können, brauchen wir schlankere und vor allem schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Mit dem Wasserstoffbeschleunigungsgesetz sind die Weichen nun gestellt. Das Gesetz beseitigt Hemmnisse bei der Zulassung von Infrastrukturvorhaben, die Wasserstoff erzeugen, speichern oder importieren. Das ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Wasserstoffwirtschaft.“
Der Gesetzentwurf zielt auf Änderungen im Umwelt- und Vergaberecht ab. Flankierend sollen Änderungen beim Energiewirtschaftsgesetz, Fernstraßen- und Raumordnungsgesetz sowie bei der Verwaltungsgerichtsordnung hinzukommen. So soll es Höchstfristen für wasserrechtliche Zulassungsverfahren, digitale Genehmigungsverfahren, Erleichterungen für den vorzeitigen Maßnahmenbeginn, beschleunigte Vergabeverfahren, verkürzte Instanzenzüge, beschleunigte Eilverfahren sowie die Verringerung des behördlichen Prüfaufwandes bei der Modernisierung von Elektrolyseuren geben.
Ganz wichtig: Die Infrastrukturvorhaben des Wasserstoffbeschleunigungsgesetzes liegen dann im überragenden öffentlichen Interesse – ähnlich wie bei der Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien. Ergänzend sollen Genehmigungsverfahren für Elektrolyseure durch eine Novelle der 4. Bundesimmissionsschutz-Verordnung (BImSchV) vereinfacht werden und teilweise (< 5 MW) gänzlich entfallen.
H2Regional-Konzept vom BdWR
Der Bund der Wasserstoffregionen (BdWR) forderte Mitte Mai 2024 eine spezielle Förderung, um den Transformationsprozess insbesondere bei kleinen und mittleren Unternehmen zu unterstützen. Dieser Zusammenschluss verschiedener politischer Akteure, die regional Wasserstoffkonzepte umzusetzen versuchen, sieht ein Ungleichgewicht in der bisherigen Förderarchitektur. Denn die wenigen Investitionsentscheidungen, die bisher getroffen wurden, entfallen vorrangig auf die Großindustrie, damit diese ihre Energieversorgung dekarbonisieren kann. Eine „Einbindung von Wasserstoff wird für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und den Verkehrsbereich nicht möglich sein“, befürchten die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landrätinnen und Landräte der aktuell über 30 Wasserstoffregionen sowie der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW).

Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr Quelle: Nadja Wohlleben
Das an Bundesverkehrsminister Volker Wissing überreichte H2Regional-Konzept sieht zielgenaue Impulse vor, die die regionalen Wirtschaftsakteure dazu befähigt, eigene Investitionen in die Transformation zu tätigen. Diese Impulse sollen sowohl bei den Investitionskosten (CAPEX – vornehmlich im Verkehrssektor) als auch bei den Betriebskosten (OPEX – vornehmlich H2-Erzeugung und Prozesswärmebereitstellung) ansetzen.
Dr. Stefan Kerth, Landrat des Landkreises Vorpommern-Rügen, betonte: „Der in den Regionen verwurzelte Mittelstand ist nicht nur das viel zitierte ‚Rückgrat der deutschen Wirtschaft‘, sondern nach wie vor ein entscheidender Wachstumsmotor. Es liegt auch an der Bundesregierung, diesen Akteuren die wirtschaftlich tragfähige Teilnahme am Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft zu ermöglichen.“ Prof. Gerald Linke, Vorstandsvorsitzender des DVGW und einer der Sprecher des BdWR, ergänzte: „Der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland kann nur gelingen, wenn er regional stattfindet. […] Jetzt benötigen diese Unternehmen dringend eine für sie maßgeschneiderte Förderkulisse. […] Von der Stärkung der regionalen Akteure profitiert das ganze Land.“
Autor: Sven Geitmann