HAZOP-Analyse mit KI-Unterstützung
Im Jahr 1999 entwickelte Christian Machens das weltweit erste Brennstoffzellenboot, die Hydra, und legte damit den Grundstein für Innovationen, die weit in die Zukunft reichen. Nun, 25 Jahre später, setzt er erneut Maßstäbe in der Techniklandschaft – diesmal mit einer Weltneuheit, die das Potenzial hat, die Sicherheitsanalysen von Anlagen grundlegend zu verändern.
In der modernen Technik ist die Durchführung einer HAZOP-Analyse (Hazard and Operability) bei Systemen mit hohem Gefährdungspotenzial unverzichtbar. Diese Analyse wird von einem Team erfahrener Ingenieure unter der Leitung eines sogenannten „HAZOP Chairs“ durchgeführt, um mögliche Gefahren in Systemen wie Brennstoffzellen- oder Elektrolyseanlagen zu identifizieren und geeignete Gegenmaßnahmen zu entwickeln. In Deutschland spricht man hierbei auch von PAAG, was den Prozess des Erkennens von Gefahren, der Abschätzung ihrer Auswirkungen und der Festlegung von Gegenmaßnahmen präzise beschreibt.
Traditionell erfordert die Rolle des HAZOP-Chairs nicht nur technisches Know-how, sondern auch ausgeprägte soziale Kompetenzen. Die Kunst besteht darin, durch Vorstellungskraft und Erfahrung alle kritischen Szenarien aus den Diskussionen zu extrahieren und in einer strukturierten Form zu dokumentieren. Dabei wird nicht nur die Gefährlichkeit der Szenarien, sondern auch ihre Eintrittswahrscheinlichkeit bewertet, um schließlich ein Ranking der Risiken und Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Gegenmaßnahmen zu erstellen.
Aber wie sicher ist es, sicherheitsrelevante Entscheidungen einer KI (künstlichen Intelligenz) zu überlassen? „Es geht nicht darum, die Sicherheitsverantwortung an eine Maschine abzugeben, sondern darum, sich wiederholende Aufgaben zu vereinfachen“, betont Machens.
„Ich möchte mein Fachwissen im Bereich Explosionsschutz und Wasserstoff, das ich in den letzten Jahrzehnten gesammelt habe, an eine künstliche Intelligenz weitergeben. KI wird heute bereits in vielen Bereichen eingesetzt, doch als Unterstützung für HAZOP-Analysen wurde sie bisher nicht genutzt.“
Christian Machens
Vorgehensweise
In einem typischen HAZOP-Meeting diskutieren bis zu acht Ingenieure über mehrere Tage hinweg verschiedene Aspekte eines Systems, von Gas- und Kühlwasserkreisläufen bis hin zur Ausfallsicherheit der Stromversorgung und spezifischen Gefahren für Menschen in der Nähe der Anlage. Diese Besprechungen sind nicht nur zeit- und kostenintensiv, sondern auch anstrengend für die Beteiligten. Zudem beeinflusst die Erfahrung der Teilnehmer maßgeblich das Ergebnis.
Normalerweise wird eine HAZOP durchgeführt, wenn das R&I-Schema, Rohrleitungs- und Instrumentenfließschema (engl.: P&ID), einer Anlage fertiggestellt ist. An dieser Stelle kommt die neue, intelligente Software ins Spiel. Sie analysiert die vorhandenen Informationen, erkennt Schwachstellen in der Anlage und schlägt automatisch Maßnahmen zu deren Beseitigung vor.
Die eigentliche Weltneuheit besteht darin, dass die KI das P&ID, das in der Regel als DXF- oder DWG-Datei vorliegt, erkennt und analysiert, um anschließend die dazugehörige HAZOP-Tabelle automatisch auszufüllen. Dieser Prozess spart den Beteiligten viele Arbeitsstunden und erleichtert die Arbeit erheblich.
„Es ist wichtig zu verstehen, dass die KI den Menschen nicht ersetzt. Die Verantwortung für die Sicherheit der Anlage bleibt immer beim Menschen. Aber das System kann die Schreibarbeit erheblich vereinfachen, den Prozess beschleunigen und Kosten sparen“, so Machens. Darüber hinaus verfügt das KI-System über Kenntnisse wesentlicher gesetzlicher Grundlagen, wie EN- und ISO-Normen sowie DGUV- und TRGS-Vorschriften. Dies ermöglicht es, „just in time“ regelkonforme Lösungsvorschläge während der HAZOP zu bieten.
Für die Umsetzung dieser bahnbrechenden Idee erhielt Machens eine Förderung der Sächsischen Aufbaubank (SAB), was das wirtschaftliche Potenzial dieser Entwicklung unterstreicht. Die Entwicklung des KI-Systems erfolgt in Zusammenarbeit mit der MOVE Technology GmbH, einem erfahrenen Unternehmen auf dem Gebiet der KI-Entwicklung.
„Derzeit trainiere ich mehrere KI-Modelle, damit sie die einzelnen Bauteile im P&ID fehlerfrei erkennen und deren Zusammenspiel verstehen können. Der nächste Schritt ist die Durchführung einer vollständigen HAZOP-Analyse“, erklärt Machens.
Präsentiert bei den 18. Explosionsschutztagen
Die Ergebnisse dieser Entwicklung wurden am 24. September 2024 im Rahmen der 18. Explosionsschutztage im Haus der Technik in Essen vorgestellt. Das KI-System „HAZOP-KI“ wird danach in einem großen Ingenieurbüro, das Abgasbehandlungs- und Wasserstoffsysteme plant, weiter getestet und optimiert. Schon bald wird das System anderen interessierten Nutzern als Monatslizenz zur Verfügung stehen.
„Natürlich stellt sich auch die Frage der Datensicherheit“, betont Machens. „Die KI wird direkt auf den Servern der jeweiligen Nutzer installiert und betrieben. Dadurch bleiben sensible Daten stets in den Händen des Anwenders.“
Zusammengefasst ist diese Entwicklung ein wertvolles Werkzeug für Ingenieurbüros, Zertifizierungsstellen, Versicherungen und Betreiber sicherheitskritischer Anlagen. Eine KI kann den Menschen nicht ersetzen. Sie bietet aber eine hervorragende Unterstützung bei der Durchführung von HAZOP-Analysen und kann auch weniger erfahrenen Ingenieuren eine wichtige Hilfe sein.
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