Recycling als Schlüsselfaktor für Ressourceneffizienz
Die Wasserstoffwirtschaft als eine entscheidende Technologie zur Ablösung fossiler Rohstoffe ist hohen Erwartungen in Bezug auf Nachhaltigkeit ausgesetzt. Dabei ist kaum ein anderes Wachstumsfeld so stark Gegenstand kontroverser Diskussionen darüber, wie „grün“ es wirklich ist. In Hinblick auf die Rohstoffe geht es in der Wasserstoffwirtschaft aber um mehr als nur ideologische Überlegungen. Elektrolyseure und Brennstoffzellen enthalten seltene und wertvolle Rohstoffe, zum Beispiel die seltenen Edelmetalle Iridium und Platin. Aus wirtschaftlichen und strategischen Überlegungen müssen diese nach End-of-Life wiedergewonnen werden. Recycling ist ein Muss – und sollte von Anfang an betrachtet werden und nicht erst dann, wenn das Ende der Lebensdauer der Anlagen und Fahrzeuge erreicht ist. Wo aber steht heute die Kreislaufwirtschaft bei Wasserstoff? Wir geben einen Überblick am Beispiel der PEM-Technologie.
In die Stacks von Elektrolyseuren und Brennstoffzellen wandern viele wertvolle Rohstoffe. Bei der Gewichtsbetrachtung könnte man die Werttreiber dabei beinah übersehen. Erst der Blick auf den Wert der Rohstoffkomponenten eines PEM-Stacks (Proton-Exchange-Membrane) macht deutlich, dass es vor allem um die CCM (Catalyst Coated Membrane) geht. Sie besteht aus einem Ionomer, das mit Edelmetall beschichtet wird.
Wertvoll und selten: Rohstoffe in der Wasserstoffwirtschaft
Auch wenn die Zusammensetzung der Stacks ständig optimiert wird und deshalb diese Daten aus 2016 nicht mehr ganz der Realität entsprechen, bleiben die Edelmetalle auf der Membran nach wie vor der Werttreiber.
Edelmetalle sind aber nicht nur wertvoll, manche von ihnen sind auch extrem selten. Das gilt besonders für Iridium, das in der PEM-Elektrolyse unverzichtbar ist. Im Mai 2022 sprach der Hydrogen Council [1] von angekündigten 175 Gigawatt Elektrolyseurkapazität bis 2030. Seither sind die Ziele eher noch ehrgeiziger geworden. Nach Schätzung von Experten sollen davon 40 Prozent mit PEM-Technologie realisiert werden. Bei den heute durchschnittlich verbauten Iridiummengen pro Gigawatt bräuchte man dafür rund 28 Tonnen Iridium – mehr als im gleichen Zeitraum zur Verfügung steht.
Die Experten des Edelmetallspezialisten Heraeus Precious Metals in Hanau, deren Kerngeschäft Handel, Produkte und Recycling von Edelmetallen umfasst, schätzen, dass von den bei Iridium sehr geringen jährlichen Fördermengen bis 2023 maximal zwölf Tonnen für die Wasserstoffwirtschaft genutzt werden können.
Kreislaufwirtschaft als Hebel für Wachstum
Diese Herausforderung löst die Industrie mehrheitlich mit Technologie-Innovationen. Die Experten bei Heraeus tun das mit Katalysatoren, die mit deutlich weniger Iridium auskommen und die benötigte Menge bis 2030 auf sieben Tonnen senken. Daran wird aber deutlich, wie wichtig der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft für die Rohstoffe für das weitere Wachstum sein wird, denn eine Steigerung der Fördermenge ist aus der Sicht von Experten nicht realistisch.
Neben Überlegungen zur Rohstoffversorgung spielt natürlich der Wert der Edelmetalle eine große Rolle. Üblicherweise ist die Rückgewinnung der verbauten Edelmetalle von Anfang an Teil des Plans, weil sie einen erheblichen Anteil an den Investitionskosten (CapEx) darstellen. Die Wiederverwendung senkt den Total Cost of Ownership durch die Versorgung zukünftiger Anlagen. Außerdem ist der CO2-Fußabdruck von recyceltem Edelmetall bis zu 98 Prozent niedriger im Vergleich zu Primärmaterialien. [2].
Auch das Recycling von Nicht-Edelmetall-Komponenten wie zum Beispiel Titan, Stahl oder Aluminium trägt zur Reduktion des Total Cost of Ownership bei, wenn der Materialwert auch geringer ist. Ein höherer Wert entsteht, wenn es gelingt sie wiederzuverwenden, wobei aber noch viele Fragen offen sind.
Aufbau von Strukturen und Prozessen
Um eine nachhaltige und effiziente Wasserstoffwirtschaft zu etablieren, braucht es effiziente und wirtschaftlich tragfähige Strukturen und Prozesse. Grundsätzlich lässt sich die Recyclingwertschöpfungskette in vier große Bereiche aufteilen: Rückführungsstruktur, Aufarbeitung & Vorbehandlung, Recycling & Refining, Wiederverwertung. Erst wenn alle vier Teile der Wertschöpfungskette konzipiert, organisiert und implementiert sind, können sich die Vorteile der Kreislaufwirtschaft entfalten.
Verschiedene Schritte einer Kreislaufwirtschaft
- Schritt: Rückführungsstruktur
Die Rückführungsstruktur umfasst die Prozesse und Infrastrukturen, die erforderlich sind, um Elektrolyseure und Brennstoffzellen am Ende ihrer Lebensdauer zurückzuführen. Also Sammlung, Logistik und auch das Tracking der Materialien. Wesentlich ist es, hier ein klares Konzept zu entwickeln, bevor die Materialien in Umlauf geraten. Hat man sie erst einmal aus den Augen verloren, wird es schwer, für eine flächendeckende Rückführung zu sorgen.
Ein zentrales Problem hierbei ist die Unsicherheit darüber, wie sich die Recyclinginfrastruktur in Zukunft entwickeln wird. Wer soll für die Rückführung zuständig und verantwortlich sein? Der Hersteller? Der Betreiber? Der Recycler? Will man den Zeitpunkt für eine rechtzeitige Regelung nicht verpassen, braucht es eine enge Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette und unterstützende regulatorische Vorgaben.
- Schritt: Aufarbeitung und Vorbehandlung
Sind die Stacks erfolgreich eingesammelt, geht es darum, sie aufzuarbeiten und die Materialströme vorzubehandeln. Das ist unverzichtbar, weil sich eine gute Ausbeute für die Materialien nur erreichen lässt, wenn sie vor dem Recycling möglichst homogen vorliegen.Wissenschaft und Industrie suchen noch nach der besten Methode für die effiziente und skalierbare Auftrennung der Materialien. Eine Möglichkeit ist die Demontage. Dabei wird das Stack auseinandergebaut und in Komponenten zerlegt; und zwar in solche, für die es schon Verfahren gibt. Die MEA (Membrane Electrode Assembly) beispielsweise wird in bestehenden Recycling- und Refining-Prozessen bei Heraeus Precious Metals schon seit mehr als zehn Jahren verarbeitet.Diese Vorgehensweise ist aber mit hohem Verfahrensaufwand verbunden und hinsichtlich der Skaleneffekte begrenzt. Deshalb wird über Verfahren zur automatisierten oder teilautomatisierten Demontage nachgedacht, wie sie bereits in größerem Umfang bei Traktionsbatterien aus Elektrofahrzeugen Anwendung finden.
Gerade in Bezug auf Brennstoffzellen besteht auch die Option, sie mit industriellen Schredderanlagen im Ganzen zu zerkleinern. Das resultierende Materialgemisch muss dann aber in nachgelagerten Separations- und Sortierungsprozessen getrennt werden, wobei es vieles zu beachten gilt. Die mit Abstand wertvollsten Anteile sind die für das Edelmetallrecycling bestimmten Fragmente. Bei diesen sollten beim Trennen und Sortieren bestimmte Störstoffe entfernt werden, die eine aufwändigere Behandlung oder schlechte Ausbeuten nach sich ziehen würden.
Deshalb kommen die Vorbehandlung und die späteren Recyclingschritte idealerweise aus einer Hand.
Herausforderungen für die Vorbehandlung
Insgesamt sind noch viele Fragen offen. Eine große Herausforderung stellen die verschiedenen Bauweisen der Stacks dar, besonders im Hinblick auf die genannte Automatisierung. Eine Einigung auf Standards und eine Berücksichtigung des gesamten Lebenszyklus inklusive Recycling beim Design würden maßgeblich zur Lösung beitragen. Eine Verschraubung ist zum Beispiel leichter zu lösen als eine Klebefläche oder eine Schweißnaht. Hersteller, Politik und Verbände sollten sich mit diesem Thema auseinandersetzen.Zudem gehen die verschiedenen Komponenten in ganz verschiedene Weiterverarbeitungsströme mit ganz verschiedenen Anforderungen. Bei Edelmetallen und Membranen werden (Roh-)Stoffe wiedergewonnen, bei anderen Komponenten wie Bipolarplatten steht eine mögliche Wiederverwendung der Komponente selbst im Raum. Ein solches funktionelles Recycling geht über den Materialwert weit hinaus. Dabei ist derzeit noch nicht klar, was möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Damit fehlen auch Anforderungen für die Wiederverwendung, die dazu dienen könnten, die Demontageprozesse so anzupassen, dass die Bauteile nicht beschädigt werden und die Wiederverwendung realistisch bleibt.
- Schritt: Recycling & Refining
Für Edelmetalle gibt es seit Dekaden gut etablierte Verfahren, um das wertvolle Material wiederzugewinnen. Dabei wird das Material zunächst thermisch behandelt, um nicht-metallische Rückstände und den Wasseranteil zu entfernen. Danach wird das Material sorgfältig homogenisiert und vor der Weiterverarbeitung eine repräsentative Probe zur Analyse des Materials gezogen. Dieses so genannte Sample dient dazu, den Edelmetallgehalt des Materials analytisch zu bestimmen, und ist die Grundlage für die Berechnung der Edelmetallmenge, die vergütet wird. In der Hydrometallurgie und im Refining wird dann das Edelmetall wiedergewonnen und hochrein aufbereitet.Materialien aus der Wasserstoffwirtschaft gehören zu den anspruchsvolleren Materialien im Edelmetallrecycling. Zum einen ist Iridium chemisch herausfordernd, zum anderen erfordert die thermische Behandlung der fluorhaltigen Membran besondere Umsicht bei der sicheren Nachbehandlung der Abgase. Edelmetallspezialist Heraeus Precious Metals ist eines der wenigen Unternehmen, die diese Materialströme effizient für ihre Kunden prozessieren können. Hier wird schon seit Jahren Iridium im Tonnenmaßstab umgesetzt, und man hat in die notwendigen Anlagen für die Wasserstoffwirtschaft investiert.
Platinhaltiges Material nach der thermischen Vorbehandlung
Besondere Verfahren für besondere Materialien
Für die Ionomer-Membran besteht noch eine andere Möglichkeit. Ionomere sind spezielle Fluorpolymere, die aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften maßgeblich zur Funktionalität von Brennstoffzellen und PEM-Elektrolyseuren beitragen. Sie sind aufwändig in der Herstellung und darum teuer. Außerdem wird der Umgang mit ihnen nach End-of-Life insbesondere in der EU aufgrund eines Vorschlags zur Regulierung von PFAS (Per- und polyfluorierte Chemikalien) derzeit kontrovers diskutiert. Verstärkt wird deshalb nach Lösungen gesucht, sie wiederzuverwenden. Dazu wird daran gearbeitet, die Ionomere chemisch von den Edelmetallen zu trennen und separat zu verarbeiten.
Um Kreisläufe für so anspruchsvolle Materialien wie Fluorpolymere zu entwickeln, ist die Zusammenarbeit von Herstellern, Anwendern und Verwertern notwendig, wie zum Beispiel im Förderprojekt H2Circ des US-Energieministeriums: In einem Konsortium arbeiten hierbei Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette an der Rückgewinnung von Materialien, insbesondere von Ionomeren. [3]
- Schritt: Wiederverwertung
Nach abgeschlossener Wiedergewinnung ist das Material bereit, wieder eingesetzt zu werden. Bei Edelmetallen ist das kein Problem, da das Recycling nach
international zertifizierten Standards hochreine Materialen liefert, die sich in ihren Eigenschaften nicht vom primären Material unterscheiden.
Für das Ionomer gibt es im Gegensatz dazu bisher weder etablierte Recyclingverfahren noch definierte Anforderungen an das Recyclat. Anders als bei Edelmetallen unterscheidet sich das recycelte Material hier von dem aus der primären Herstellung. Es braucht also nicht nur die Entwicklung der Verfahren zur Wiedergewinnung, sondern auch Anwendungen und Märkte zur Abnahme.
Ähnlich wie bei der funktionellen Wiederverwendung von Komponenten steht das Ökosystem hier vor einem Henne-Ei-Problem: Bevor die Anforderungen für eine Verwendung des recycelten Stoffes nicht geklärt sind, können die Verfahren zum Recycling nicht sinnvoll entwickelt werden, auch in Hinblick auf ein mögliches Business-Modell. Denn nur wenn klar ist, welchen Wert der Output hat, kann berechnet werden, ob sich die Kosten des Verfahrens lohnen werden.
Die Weichen werden jetzt gestellt
Das Hanauer Edelmetallunternehmen Heraeus Precious Metals setzt auf Kooperation. Beispielsweise arbeitet das Unternehmen mit Herstellern von Fluoropolymeren zusammen, um geschlossene Kreisläufe für Ionomere zu etablieren. Mit seinen Kunden beginnt Heraeus bereits in einer frühen Entwicklungsphase mit der Betrachtung der Wertschöpfungskette inklusive Recycling. Auch in öffentlichen Projekten wie dem genannten Forschungsprojekt des Department of Energy wird daran gearbeitet, ganzheitliche Lösungen zu entwickeln.
Auch wenn das Recycling von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren derzeit noch in einem überschaubaren Rahmen stattfindet, ist seine Bedeutung für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft und die Förderung einer Kreislaufwirtschaft nicht zu unterschätzen. Experten erwarten bis zum Ende dieser Dekade signifikante Edelmetallmengen aus der Wasserstoffwirtschaft. Dieses Zeitfenster gilt es jetzt zu nutzen, um in allen Teilen der Wertschöpfungskette übergreifend effiziente Prozesse zu entwickeln und entsprechende Recyclingkapazitäten aufzubauen.
Autoren: Ole Raubner-Wagner, Gisela Mainberger, beide Heraeus Precious Metals GmbH & Co. KG, Hanau
Quellen:
- Hydrogen Council, Hydrogen Insights 2023 [L]
- International Platinum Group Metals Association e.V, 2022, The Life Cycle Assessment of Platinum Group Metals (PGMs), [L]
- American Institute of Chemical Engineers, 2024, AIChE Selected by DOE to Lead New Hydrogen Electrolyzer and Fuel Cell Recycling Consortium,[L]
- Stahl et al., Ableitung von Recycling- und Umweltanforderungen und Strategien zur Vermeidung von Versorgungsrisiken bei innovativen Energiespeichern, Umweltbundesamt, 2016 [L]
- Kalkulation durch Heraeus Precios Metals, basierend auf Materialanteilen basierend auf H. Stahl et al., Ableitung von Recycling- und Umweltanforderungen und Strategien zur Vermeidung von Versorgungsrisiken bei innovativen Energiespeichern, Umweltbundesamt, 2016
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