Still produziert im neuen Werk in Hamburg
Auch die Intralogistikbranche muss ihre CO2-Emissionen senken und trotzdem rentabel weiterarbeiten. Was die Antriebssysteme angeht, rückt neben rein batterieelektrischen Fahrzeugen die Wasserstofftechnologie verstärkt in den Fokus. Aufgrund ihrer Leistungsstärke punktet sie vor allem im Mehrschichtbetrieb.
Das Hamburger Unternehmen Still ist in Europa der erste Anbieter von Flurförderzeugen, der über eine eigene Fertigungsanlage für Brennstoffzellensysteme verfügt. Diese werden auf Wunsch des Kunden optional in die Lagertechnikgeräte integriert. Bis zu 5.000 Einheiten pro Jahr sollen anfangs in der Hansestadt vom Band laufen, wobei die Produktionskapazitäten auf weiteres Wachstum angelegt sind.
Der Intralogistikspezialist, der zum Beispiel Gabelstapler, Lagertechnik und vernetzte Systeme anbietet, produziert seit November 2023 in seinem Stammwerk in Hamburg 24-Volt-Brennstoffzellensysteme. „Dabei handelt es sich um eine geschlossene Einheit, was den nachträglichen Wechsel von Batterie auf Brennstoffzelle möglich macht“, erklärt Jan Lemke, Produktionsleiter im Mechatronikzentrum bei einer Werksführung am Stammsitz in Hamburg. Das 1920 von Hans Still in der Hansestadt gegründete Werk beschäftigt heute rund 9.000 Mitarbeiter in 22 Ländern und ist Teil der börsennotierten Kion-Group. Dort wurde auch das Brennstoffzellensystem entwickelt.
Für Unternehmen mit großen Flotten, also mehr als 50 Fahrzeugen und über 1.500 Betriebsstunden im Jahr, eignet sich Wasserstoff nach seinen Angaben als Alternative zu batteriebetriebenen Fahrzeugen. Und in Bereichen wie der Lebensmittel- und Pharmaindustrie, wo es besonders auf Hygiene ankommt, gelte das aufgrund der sauberen BZ-Technologie umso mehr.
Acht bis neun Stunden bei voller Kraft
Aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit seien Brennstoffzellen insbesondere dann gefordert, wenn es um Vorgänge wie Heben oder Beschleunigen gehe, erklärt Lemke. Mit 0,8 Kilogramm Wasserstoff im Stahltank ermöglichten die BZ-Systeme, die je nach Bedarf in eine Lithium-Ionen-Batterie einspeisen, eine durchgehende Schicht von acht bis neun Stunden, ohne in ihrer Leistung nachzulassen. Das anschließende „Betanken“ mit dem auf 350 bar komprimierten Gas dauere nur 30 bis 120 Sekunden, versichert Lemke. Dafür wird das Fahrzeug an einen Dispenser angeschlossen, der die Funktion einer Zapfsäule übernimmt. Weil der nur wenig Platz benötige, könne so ein Dispenser je nach Bedarf entweder flexibel im Lager positioniert oder entlang der Fahrtroute integriert werden.
Eingesetzt werden solche BZ-Systeme zum einen bei Kunden mit großen Flotten von Intralogistikgeräten, wie beispielsweise Gepäckschleppern auf Flughäfen oder bei der Bahn. Unabhängig von der Flottengröße kommen die BZ-Systeme grundsätzlich vor allem für jene Kunden infrage, die bereits jetzt oder in Zukunft eine Wasserstoffproduktion oder -pipeline in ihrer Nähe haben oder das grüne Gas mithilfe von erneuerbaren Energiequellen per Elektrolyse selbst herstellen – zum Beispiel für Industriebetriebe oder den Schwerlastverkehr.
Komplettpaket für den Probebetrieb
Um auch Kunden mit kleinen Flotten einen Einstieg in die Wasserstofftechnologie zu ermöglichen, bietet Still ein Paket aus BZ-Fahrzeugen, mobiler Betankungsanlage, Genehmigungen und Installation für rund einen Monat zum Mieten an. So können diese Kunden die Brennstoffzellenfahrzeuge jeweils im Realbetrieb in der Praxis testen. „Für ausgewählte Fahrzeuge bietet Still die Option ‚Fuel Cell Ready‘ an, damit die Kunden bei Bedarf auf die BZ-Technologie umsteigen können“, sagt Lemke. Die Systementwicklung wurde im Rahmen des Nationalen Investitionsprogramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) mit über 1,9 Mio. Euro gefördert.
Stresstest im Werk
Zur Fertigung in Hamburg gehört die Herstellung einzelner Komponenten, wie etwa der Leiterplatten im Mechatronikzentrum. Auf die ist man bei Still besonders stolz. Da gebe es „nur wenige Wettbewerber auf dem Markt für Leistungselektronik“, sagt Lemke. Eine weitere Besonderheit ist die Qualitätsprüfung in einer speziell konstruierten Testkabine: „Kein System verlässt das Werk ohne Prüfung. Wir stressen das System bei eineinhalbfachem Druck, um zu sehen, ob irgendwo Wasserstoff austritt.“
Dafür werde die Brennstoffzelle mit Wasserstoff betankt und unter hohem Druck die Dichtheit aller Leitungen und Komponenten mithilfe spezieller Messgeräte geprüft. Zum Sicherheitsstandard gehört auch, dass im Falle einer undichten Leitung der austretende Wasserstoff sofort und vollständig abgesaugt wird. Die gläserne Prüfkabine, die computergesteuert und vollautomatisch funktioniert, wurde ebenfalls hier – gemeinsam mit einer Partnerfirma – entwickelt.
Jan Lemke (li.) beim Stresstest vor der Prüfkabine in der Still-Fertigungshalle in Hamburg
„Jederzeit einsatzbereit“, findet Lemke, sei die BZ-Technologie dem rein batterieelektrischen Antrieb überlegen. Dabei bietet Still selbst seit längerem Batterieantriebe für seine Flurförderzeuge an. Doch „Batteriewechsel, der Extra-Platzbedarf für Batterien und Ladezeitfenster gehören somit der Vergangenheit an“, so Lemke. Die BZ-Lebensdauer beträgt rund 10.000 Betriebsstunden.
H2 in der Intralogistik zunehmend wichtig
Während für einen Teil der Logistikanwender rein batterieelektrische Antriebe vollkommen ausreichen, kann es für andere günstiger sein, BZ-Fahrzeuge einzusetzen. Etwa wenn ein Industriekunde mehr als 100.000 kWh im Jahr beziehe, erläutert Gesa Kaatz, Energiespezialistin bei Still. Dann haben außer dem Energieverbrauch auch die Lastspitzen einen erheblichen Einfluss auf die Stromkosten. Neben dem Arbeitspreis werde den Kunden ein bedarfsgerechtes Leistungsentgelt berechnet. Und das könne in Abhängigkeit des regionalen Netzentgeltes bei bis zu 200 €/kW im Jahr liegen.
„Werden zum Beispiel drei Lithium-Ionen-Fahrzeuge ungeregelt mit je 33 kW geladen, entsteht eine zusätzliche Belastung von knapp 100 kW. So können unseren Kunden im ungünstigsten Fall zusätzliche Kosten von bis zu 20.000 Euro im Jahr entstehen.“ Um die teuren Lastspitzen zu vermeiden, werden Ladegeräte von Still über ein Lastmanagement geregelt. „Ist jedoch die Flexibilität in den Ladezeitfenstern aufgrund hoher Einsatzzeiten stark eingeschränkt, eignet sich unser Brennstoffzellensystem besser für unsere Kunden. Denn bei den wasserstoffbetriebenen Flurförderzeugen entsteht diese zusätzliche Strombelastung nicht.“
Neben betriebswirtschaftlichen Vorteilen hat der Einsatz von Wasserstoff auch gesamtgesellschaftliche: Er schont wertvolle Rohstoffe wie seltene Erden, weil es in Kombination mit der Brennstoffzelle lediglich einer kleinen Pufferbatterie bedarf. Genau genommen handelt es sich also um ein Hybridsystem aus Brennstoffzellen und 3-kWh-Lithium-Ionen-Akku als Energiespeicher. Und weil Wasserstoff weder giftig noch ätzend ist und zudem rückstandslos verbrennt, wobei nur Wasserdampf frei wird, dient sein Einsatz nicht nur dem Umwelt- und Klimaschutz, sondern gilt bei fachgerechtem Einsatz auch als unbedenklich am Arbeitsplatz.
Recycling von Lithium
Kreislaufwirtschaft gehört zu den Unternehmenszielen von Still. Deshalb können viele Komponenten des Brennstoffzellensystems zirkulär eingesetzt werden. Auch das Recycling von Batterien sei wichtig. In Kooperation mit dem kanadischen Unternehmen Li-Cycle recycelt Still das Lithium seiner Akkus an dessen Standort in Magdeburg und könnte die Rohstoffe wiederverwenden. Bis 2030 sollen bei Kion rund 15.000 große Stapler-Batterien recycelt werden, was etwa 5.000 Tonnen Lithium entspräche.
„Im Kion-Konzern plant man auch, Brennstoffzellen höherer Voltklassen zu entwickeln“, erklärt Florian Heydenreich, Excecutive Vice President Sales & Service Still EMEA. Die sollen ebenfalls im Hamburger Still-Werk, mit rund 2.500 Mitarbeitern, hergestellt werden. Zudem plane das Unternehmen, seine Produktionskapazitäten in den kommenden Jahren auszuweiten. „Die bestehende Fertigungslinie ist schon darauf ausgelegt“, fährt Heydenreich fort. „Wir bauen unsere H2-Kompetenz hier am Standort Hamburg immer weiter aus; gemeinsam mit unseren Partnern wie dem Ingenieurbüro Hydrogentle, Wolftank, JAG, die uns bei Betankungslösungen professionell unterstützen.“
Die zurzeit noch hohen Preise für grünen Wasserstoff bleiben vorerst eine Herausforderung im Wettbewerb, aber das Unternehmen ist optimistisch, dass sich die Lage in absehbarer Zeit verbessern wird. „Wir haben massive Überkapazitäten an Strom aus erneuerbaren Energien“, sagt Florian Heydenreich. „Sobald sich diese in großem Maßstab für die Herstellung von Wasserstoff nutzen lassen, sinkt auch der Preis für grünen Wasserstoff.“
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