Hzwei Blogbeitrag

Beitrag von Sven Geitmann

28. Februar 2023

Titelbild:

Bildquelle:

Handlungsoptionen für den Wasserstoffhochlauf

Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Klimakatastrophe und der durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sichtbar gewordenen mangelnden Diversität von Energielieferländern braucht es mehr Tempo bei der Energiewende. Wasserstoff wird im Energiesystem der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Aufgrund des Zeitdrucks hat die Bundesregierung den Anspruch, den Wasserstoffhochlauf effizient zu gestalten. Doch wie soll dieser sich konkret vollziehen? Welche Handlungsoptionen stehen zur Verfügung und mit welchen Vor- und Nachteilen sind sie verbunden? Welche Maßnahmen müssen wann getroffen werden, um den Hochlauf zu ermöglichen und gleichzeitig ungewollte Pfadabhängigkeiten zu vermeiden?

Diesen Fragen geht das zweijährige Projekt Wasserstoff-Kompass nach, das die acatech, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, und die DECHEMA Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie e.V. seit Juni 2021 durchführen. Das zentrale Produkt des Projektes ist der ab dem zweiten Quartal 2023 verfügbare gleichnamige Wasserstoff-Kompass. Dieses marktorientierte, daten- und faktenbasierte Tool kann die Politik für die Erarbeitung einer nationalen Wasserstoff-Roadmap nutzen. So sieht es die Nationale Wasserstoffstrategie aus dem Jahr 2020 vor. Das Projekt Wasserstoff-Kompass wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert.

Grundlage für den Kompass ist zum einen eine Metaanalyse: Sie wertet relevante Studien und Strategiepapiere für Deutschland, die EU und weitere wichtige Länder weltweit aus und liefert einen Überblick über aktuell und zukünftig existierende Wasserstoffmengen und -bedarfe. In einer Vielzahl von Expertengesprächen werden dieses Mengengerüst und damit verbundene technologische Fragestellungen verifiziert und diskutiert.

Zum anderen fließen in den Kompass die Ergebnisse eines rund zwölfmonatigen, breit angelegten Stakeholder-Dialoges ein. Dieser wurde mit Personen aus Wissenschaft, Wirtschaft, öffentlicher Verwaltung und Zivilgesellschaft geführt, um deren Sichtweisen einzuholen und um auf ein gemeinsames Zielbild einer deutschen Wasserstoffwirtschaft hinzuwirken. Mit diesem umfassenden Stakeholder-Dialog verfügt der Wasserstoff-Kompass über ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal in der H2-Projektlandschaft.

Orientierung für die Politik

Blick ins Jahr 2045: Ein Überlandbus fährt Reisende über die erneuerte Landstraße zur nächsten Kreisstadt. Doch woraus besteht der Straßenbelag? Wird heute eine Asphaltstraße gebaut oder erneuert, kommt Bitumen als Bindemittel zum Einsatz. Dieses dunkle, klebrige Kohlenwasserstoff-Gemisch entsteht in heutigen Raffinerien als Nebenprodukt bei der Aufbereitung von Erdölen. Wenn in der Zukunft Raffinerien keine fossilen Ressourcen mehr verarbeiten, fällt dieses Nebenprodukt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr an. Auch andere klassische Nebenprodukte, wie zum Beispiel Schwefel oder Schmieröle in entsprechenden Qualitäten, entfallen bei einer auf Wasserstoffderivate umgestellten Raffinerie und müssten in Zukunft über andere Prozessrouten oder aus anderen Quellen bezogen werden.

Dieses Beispiel zeigt, dass mit dem potenziellen Wasserstoffeinsatz viele übergreifende Folgen entlang der gesamten Wertschöpfung verbunden sind, die u. a. auch industrie- und arbeitsmarktpolitische Fragen wie auch Aspekte der Versorgungssicherheit und gesellschaftlichen Akzeptanz umfassen. Zu Beginn des Markthochlaufs sind die Möglichkeiten und Herausforderungen vielfältig. Orientierung soll hier der Wasserstoff-Kompass liefern, und zwar durch eine integrierte Betrachtung der relevanten Handlungsfelder Erzeugung und Import, Infrastruktur, Stahlindustrie, chemische Industrie, Raffinerien, weitere Industriezweige, Verkehr, Energieerzeugung, Gebäude- sowie Prozesswärme.

Konferenz Wasserstoff-Dialog im Herbst 2022
Die Konferenz Wasserstoff-Dialog brachte vom 10. bis 12. Oktober 2022 rund 370 Stakeholder*innen aus der Wasserstoff-Community in der Bundeshauptstadt zusammen. Mitveranstalter der Konferenz war das Forschungsnetzwerk Wasserstoff, das im ersten Teil der Konferenz ein Treffen abhielt. Der gemeinsame Part zur Halbzeit der Konferenz fand seinen Höhepunkt in einem hochkarätigen Panel zum Thema „Deutschlands Wasserstoffwirtschaft – Einblicke in politische und industrielle Herausforderungen“, u. a. mit dem Parlamentarischen Staatssekretär Stefan Wenzel MdB (BMWK) und dem Innovationsbeauftragten für grünen Wasserstoff Till Mansmann MdB (BMBF). Anschließend nutzte der Wasserstoff-Kompass Formate wie eine Posterausstellung und World-Cafés, um Rückmeldungen der Teilnehmenden zu den bisher erarbeiteten Zwischenergebnissen zu erhalten.

Zielbildentwicklung für den Wasserstoffhochlauf

Der Stakeholder-Dialog im Rahmen des Projektes startete im Herbst 2021 mit der Umfrage „Ziele und Wege zur Wasserstoffwirtschaft 2030/2050“. An dieser beteiligten sich rund 600 Personen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und öffentlicher Verwaltung. Von April bis September 2022 organisierte der Wasserstoff-Kompass vier Workshops zu den Themen 1) Importkriterien, 2) politische Stellschrauben für erfolgreiche Geschäftsmodelle auf der Basis heimischer Wasserstofferzeugung, 3) Priorisierung von Wasserstoffanwendungen und 4) Wahrnehmung und Erwartungsmanagement. Die in den Workshops bearbeiteten Thesen wurden auf der dreitätigen Konferenz Wasserstoff-Dialog im Oktober 2022 in Berlin in einem erweiterten Stakeholder-Kreis diskutiert. Die Ergebnisse aus dem Stakeholderdialog fließen in das Endprodukt, den Wasserstoff-Kompass, ein. Ein Synthesepapier wird im ersten Quartal 2023 die wichtigsten Diskussionspunkte zusammenfassen.

Metaanalyse erarbeitet zeitabhängiges Mengengerüst

Der Wasserstoff-Kompass erfasst fortlaufend Strategiepapiere und Studien und analysiert, plausibilisiert und verifiziert diese durch Gespräche mit Expert:innen. Darauf aufbauend entsteht ein zeitabhängiges Mengengerüst aus Wasserstoffbereitstellung und -bedarfen in den einzelnen Sektoren unter Berücksichtigung der notwendigen Infrastrukturen für Transport, Speicherung und Verteilung. Weiterhin führt der Wasserstoff-Kompass eine Projektdatenbank zu den Erzeugungskapazitäten in Deutschland.

Veröffentlichungen auf Basis der Metaanalyse des Wasserstoff-Kompasses

Im bisherigen Projektverlauf hat der Wasserstoff-Kompass Analysen zu folgenden Themen veröffentlicht:

  • Vergleich verschiedener Länderstrategien für den Wasserstoffhochlauf
  • Fact Sheet Wasserstoff im Wärmesektor
  • Internationale Schifffahrt: Klimaneutrale Antriebe und Treibstoffe
  • Klimaneutralität im Flugverkehr
  • Wasserstoff im Mobilitätssektor
  • Fact Sheet Wasserstoff in der Stahlindustrie
  • Rohstoffe für die Produktion von Elektrolyseuren
  • Kapazitäten der Elektrolyse

Bis zum Projektende folgen Analysen zu Wasserstoff im Stromsektor, Wasserstoff in weiteren Industriezweigen (u. a. Zement und Kalkstein, Glas, Papier), Wasserstoffeinsatz in Raffinerien und der chemischen Industrie und zum Infrastrukturbedarf des Wasserstoffhochlaufs.

Abb. 3: Elektrolyse-Kapazitäten in Deutschland. Grundlage der Darstellung ist die Projektdatenbank des Wasserstoff-Kompasses. Die gezeigten Elektrolyseprojekte sind nach (geplantem) Zeitpunkt der Inbetriebnahme und Leistung dargestellt. Es konnten nur Projekte mit bekannter Leistung abgebildet werden.

Quellen:

BMWi: Die Nationale Wasserstoffstrategie. 2020.

https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/downloads/files/die-nationale-wasserstoffstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=1

acatech, DECHEMA: Auf dem Weg in die deutsche Wasserstoffwirtschaft: Resultate der Stakeholder*innen-Befragung. 2021. https://www.wasserstoff-kompass.de/fileadmin/user_upload/img/news-und-media/dokumente/wasserstoffwirtschaft-2030-2050/Umfragebericht_Langversion.pdf

acatech, DECHEMA: Kapazitäten der Elektrolyse. 2022. https://www.wasserstoff-kompass.de/news-media/dokumente/erzeugungskapazitaeten

Autorin: Alena Müller
Stakeholder-Referentin im Wasserstoff-Kompass, acatech
mueller@acatech.de

Bild Titel: World-Café „Priorisierung von Wasserstoff-Anwendungen“ während der Konferenz Wasserstoff-Dialog

Quelle Foto: Svea Pietschmann, acatech

Kategorien: 2023 | Allgemein
:Schlagworte

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

preloader