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Beitrag von Sven Geitmann

27. Januar 2023

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H2-Branche hofft auf baldige Rechtssicherheit

Ohne Rechtssicherheit können Unternehmen nicht investieren. Aber warum ist es den europäischen Gesetzgebern bisher nicht gelungen, Klarheit für die Wasserstoffwirtschaft zu schaffen? Und was ist über die künftigen Nachhaltigkeitskriterien von grünem Wasserstoff bereits bekannt?

Erneuerbare wasserstoffbasierte Kraftstoffe zu produzieren, lohnt sich nur, wenn sie im Sinne der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (Renewable Energy Directive – RED II) für die Erfüllung der Mindestquote angerechnet werden können. Aktuell gilt nur für den Verkehrssektor eine bindende Mindestquote für den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch. Verpflichtende Quoten für den Industriesektor sind aber absehbar. Sobald die Anrechenbarkeit gegeben ist, können H2-Produzenten signifikante Preisaufschläge im Vergleich zu konventionellem grauem Wasserstoff erzielen.

Wie ist der Stand der Dinge?

Ob ein produziertes RFNBO-Molekül (Renewable Fuels of Non-Biological Origin) anrechenbar ist, hängt davon ab, ob bei seiner Produktion die Nachhaltigkeitskriterien erfüllt wurden. Die Europäische Kommission wurde in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie von 2018 damit beauftragt, die Nachhaltigkeitskriterien für RFNBOs bis zum 31. Dezember 2021 in zwei sogenannten delegierten Rechtsakten (Delegated Acts) festzulegen. Der erste davon soll die Strombezugskriterien (Art. 27 (3)), also das Kriterium der Erneuerbarkeit, festlegen. Der zweite definiert die Berechnungsmethodik für die Treibhausgasintensität (Art. 28 (5)), also das Kriterium der Treibhausgaseinsparung.

Die Herausforderung für die Europäische Kommission ist immens: Sind die Kriterien zu streng, könnten die Produktionskosten so hoch sein, dass der Markthochlauf stark eingeschränkt würde oder nur mithilfe hoher finanzieller Unterstützung machbar wäre. Sind die Kriterien zu weich, würde Wasserstoff als Klimaschutztechnologie ad absurdum geführt. Wird nämlich die Wasserelektrolyse mit durchschnittlichem deutschem Netzstrom anstelle von erneuerbarem Strom betrieben, entstehen insgesamt höhere Treibhausgas-Emissionen (THG) als bei der Produktion von fossilem grauem Wasserstoff.

Die delegierten Rechtsakte haben sich im Laufe ihrer Erstellung zu echten Aufregern entwickelt. Sowohl die Industrie als auch die EU-Mitgliedsstaaten und zivilgesellschaftliche Organisationen haben ihnen von Anfang an viel Aufmerksamkeit geschenkt. Neben Stakeholder-Workshops und offiziellen Konsultationen waren sie Thema zahlreicher offener Briefe, Gutachten und Gespräche.

Nachdem die Kommission sich nichtsdestotrotz oder gerade deshalb lange bedeckt gehalten hatte, wurden ab 2021 die ersten Details zur Ausgestaltung der Rechtsakte bekannt. Nach ersten Reaktionen und insbesondere nach der öffentlichen Konsultation zu den ersten offiziellen Entwürfen im Sommer 2022 hat sich die Kommission in einigen Punkten auf die Anliegen der Industrie zubewegt, ist aber von ihrer grundsätzlichen Interpretation der in der Richtlinie bereits festgelegten Kriterien nicht abgerückt. Der aktuelle Stand der Kriterien ist wie folgt:

Wann gilt der Strombezug als zusätzlich?

Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie gibt vor, dass beim Strombezug Zusätzlichkeit gegeben sein muss. Außerdem muss die Produktion des erneuerbaren Stroms zeitlich und räumlich mit der Verwendung korrelieren. Das heißt, der Strom muss in der Nähe der Wasserelektrolyse hergestellt werden und in etwa zum Zeitpunkt der Wasserstoffproduktion erzeugt worden sein.

Der delegierte Rechtsakt zum erneuerbaren Strombezug legt laut den aktuellen Entwürfen der Europäischen Kommission fest, dass für die Wasserelektrolyse Strom mithilfe von direkten Lieferverträgen (Power Purchase Agreements, PPAs) bezogen werden muss. Die Erneuerbare-Energien-Anlagen, über deren Leistung ein solcher Vertrag geschlossen wird, dürfen dabei frühestens 36 Monate vor dem Elektrolyseur in Betrieb genommen worden sein. Sie dürfen außerdem keine staatliche Förderung erhalten haben, es sei denn, die Anlagen wurden mit Investitionen, die mindestens 30 % der Investitionen einer Neuanlage umfassen, saniert („repowered“). Eine Ausnahme gilt für Forschungs- und Entwicklungsvorhaben.

Darüber hinaus sollen in einer Übergangsphase bis zum 1. Januar 2027 weichere Kriterien gelten: In diesem Zeitraum dürfen Anlagen Förderungen erhalten haben. In Deutschland würde das zum Beispiel bedeuten, dass Post-EEG-Anlagen für PPAs genutzt werden dürften. Anlagen, die vor dem 1. Januar 2027 in Betrieb gehen, können für zehn Jahre bis maximal Ende 2036 weiter nach den Anforderungen der Übergangsregelung genutzt werden.

Zusätzlich gibt es eine Bestimmung für die Verwendung von sogenanntem Überschussstrom: Für die Elektrolyse genutzter Netzstrom, der sonst abgeregelt worden wäre, kann als vollständig erneuerbar angerechnet werden. Unklar ist noch, wie der geforderte Nachweis über die Genehmigung durch die jeweils zuständigen Übertragungsnetzbetreiber erbracht werden kann.

Eine weitere Ausnahme gilt für RFNBOs, die in Gebotszonen mit einem vorjährlichen Anteil von durchschnittlich über 90 % erneuerbaren Energien hergestellt werden. In diesen Gebotszonen gelten die aus Netzstrom hergestellten RFNBOs als gänzlich erneuerbar, und Strom muss nicht über PPAs eingekauft werden.

Diese Kriterien sollen die Zusätzlichkeit der Stromproduktion sichern. Ursprünglicher Grundgedanke hierfür war das Anliegen des Gesetzgebers, mit dem massiven Strombedarf für die Wasserstoffwirtschaft nicht die bestehenden Anteile erneuerbarer Energien umzulenken, sondern zusätzliche Anreize für den Ausbau erneuerbarer Energien zu schaffen.

Wie soll die zeitliche Korrelation nachgewiesen werden?

Die zeitliche Korrelation von Strom- und Wasserstoffproduktion gilt als erfüllt, wenn Stromerzeugung und -verbrauch im selben 60-Minuten-Intervall liegen. Auch für dieses Kriterium gibt es eine Übergangsregelung: Bis zum 31. März 2028 ist die Korrelation innerhalb eines Quartals zulässig. Um den Produzenten mehr Flexibilität zu gewähren, können Stromspeicher zwischengeschaltet werden, für die dieselben Kriterien gelten. Außerdem gilt die Einhaltung des Kriteriums automatisch, sobald der Strompreis am Markt unter 20 Euro pro MWh oder unter 0.36* Emissionszertifikatpreis (EU ETS) liegt.

Wie ist die geografische Korrelation gemeint?

Die geografische Korrelation gilt dann als erfüllt, wenn sich Elektrolyseur und Stromerzeugungsanlage in derselben Gebotszone befinden. Alternativ darf Strom aus angrenzenden Offshore-Gebotszonen bezogen werden. Wenn kein Netzengpass vorliegt, darf bei gleichen Strompreisen außerdem aus verbundenen Gebotszonen Strom bezogen werden. In diesem Punkt wird den EU-Mitgliedsstaaten Gestaltungsspielraum eingeräumt: Sie dürfen auf nationaler Ebene weitere (strengere) Kriterien zur Vermeidung von Netzengpässen erlassen.

Für die deutsche Bundesregierung könnte dies eine Option sein, um zusätzliche Netzengpässe zu vermeiden, die aufgrund der guten Potenziale für erneuerbare Energien in Norddeutschland und in den Verbrauchszentren im Süden Deutschlands verstärkt auftreten könnten. Für RFNBO-Produzenten bedeutet der Deutungsspielraum der Mitgliedsstaaten allerdings zusätzliche Unsicherheit, da die nationale Regelung weitere Zeit in Anspruch nehmen könnte.

Wie wird die Treibhausgasintensität berechnet?

Kohlenstoffarm sind RFNBOs, wenn sie die Mindestanforderung von 70 % Treibhausgasreduktion gegenüber konventionellen Kraftstoffen erfüllen. Um die Treibhausgasintensität festzustellen, ist eine bindende, EU-weit einheitliche Berechnungsmethodik vonnöten. Die Berechnungsmethodik umfasst die Wertschöpfungsschritte Produktion, Verarbeitung, Transport, Verbrennung und CO2-Abscheidung. Sie legt außerdem den fossilen Referenzwert fest, also den Wert, der bei wasserstoffbasierten Kraftstoffen um mindestens 70 % niedriger liegen muss. Hierfür wurde 94 gCO2eq/MJ gewählt.

Wenn RFNBOs mit erneuerbarem Netzstrom (nach den Kriterien von Art. 27 (3)) produziert werden, kann diese Eingangsgröße mit 0 gCO2eq/MJ angesetzt werden. Wird Netzstrom für die Wasserelektrolyse verwendet, ohne dass dabei die Strombezugskriterien eingehalten werden, gilt die CO2-Intensität des nationalen Strommixes.

Die strittigeren Aspekte der Kommissionsvorschläge für diesen delegierten Rechtsakt sind aber die CO2-Quellen, die für die Synthese von komplexeren RFNBOs, wie zum Beispiel E-Kerosin verwendet werden dürfen. Zulässig wären nach aktuellem Stand der Entwürfe biogene Quellen wie zum Beispiel CO2 aus Biogasanlagen, Kohlenstoffabscheidung aus der Luft (Direct Air Capture, DAC), Kohlenstoffabscheidung aus der Verbrennung von RFNBOs und Recycled Carbon Fuels und natürliche CO2-Quellen, die sonst nicht genutzt würden.

Die CO2-Abscheidung aus industriellen Quellen wie Zement- oder Energiewerken wäre verhältnismäßig günstig und ist verfügbar. Die Nutzung aus industriellen Quellen soll mit Ausnahme von Stromproduktionsanlagen daher bis zum 31. Dezember 2040 zulässig sein. Produzenten von RFNBOs geht das jedoch nicht weit genug. Der vielfach unterstützte Vorschlag, bei industriellen Quellen in langfristig vermeidbare und nicht vermeidbare CO2-Quellen (z. B. Zementwerke) zu unterscheiden, wurde von der Kommission nicht aufgegriffen.

Was ist als Nächstes zu erwarten?

Die Vorschläge werden innerhalb der Industrie unterschiedlich eingeschätzt. Während einige mit den Kompromissvorschlägen leben können oder sogar strengere Kriterien fordern, halten andere sie für inakzeptabel. Einig sind sich alle beim Tempo: Es muss jetzt so schnell wie möglich Klarheit geben. Das bedeutet, dass erstens die Kommission schnellstmöglich die finalen Versionen vorlegen sollte, und zweitens, dass die Mitgliedsstaaten die Vorgaben unverzüglich nach Erscheinen in nationales Recht umsetzen. In Deutschland bedeutet das den zügigen Erlass der 37. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchV).

Um Druck auf die Kommission auszuüben, hatte sich zwischenzeitlich auch das Europäische Parlament eingeschaltet. In einer Abstimmung zur Revision der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie stimmte das Parlament Mitte September 2022 einem von Markus Pieper (EVP-Fraktion) eingebrachten Antrag mit 314 zu 310 Stimmen zu. Demnach spricht sich das Parlament dafür aus, die Kriterien zum Strombezug nicht in delegierten Rechtsakten zu definieren, sondern im Haupttext der Richtlinie in Art. 27 (3). Darüber hinaus solle das Prinzip der Zusätzlichkeit gestrichen werden. Unklar ist derzeit, ob das Parlament im Rahmen der Verhandlungen zur Revision der Erneuerbare-Energien-Richtlinie an dieser Haltung festhalten wird.

Wann klare Kriterien definiert sein werden, ist weiterhin unklar. Möglich wäre, dass die Kommission zeitnah die finalen Versionen vorlegt. Die Veröffentlichung wäre der Startschuss für die zweimonatige Frist, innerhalb derer Mitgliedsstaaten dem Entwurf mit qualifizierter Mehrheit widersprechen können. Diese Frist könnte optional um weitere zwei Monate verlängert werden. Frühestens könnten die Kriterien in diesem Szenario ab dem zweiten Quartal 2023 in nationales Recht umgesetzt werden.

Sollten die Trilogverhandlungen zwischen dem Rat der EU, dem Parlament und der Kommission jedoch dem Vorschlag des EU-Parlaments folgen, würden die delegierten Rechtsakte der RED II nur bis zur Rechtsgültigkeit der Revision der RED II bzw. bis zu deren nationaler Umsetzung (voraussichtlich ab 2025) gelten.

Ein weiterer Aspekt wird sich im Rahmen des Trilogs klären: Bisher gelten die Kriterien nur für die Anwendung von wasserstoffbasierten Kraftstoffen im Verkehrssektor. Möglicherweise könnten sie künftig aber auch für Anwendung in weiteren Sektoren, insbesondere dem Industriesektor, gelten.

So komplex und umstritten die Kriterien auch sein mögen – ohne sie werden RFNBOs ihr Klimaschutzpotenzial nicht erreichen. Bis eine Einigung gelungen ist, steht der oft beschworene Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft still.

Autorin: Korinna Jörling
NOW GmbH, Berlin
Korinna.joerling@now-gmbh.de


Kategorien: 2023 | Aktien
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